Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Bundeswehr soll konventionell zur stärksten Armee Europas werden“ – Egal, was es kostet
Datum: 27. Mai 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Finanzpolitik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz machte in seiner ersten Regierungserklärung am 14. Mai 2025 seinem Ruf als teuerster Bundeskanzler aller Zeiten alle Ehre: Die Bundesregierung, so Merz, werde der Bundeswehr alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die sie brauche, „um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden“. Dieses politische Ziel muss unter mindestens zwei verschiedenen Gesichtspunkten kritisch betrachtet werden: sicherheitspolitisch und finanzpolitisch. In diesem Beitrag geht es um die bisher kaum beachtete finanzpolitische Seite seiner Ankündigung. Von Alexander Neu.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Der Startschuss zum unbedingten Aufrüstungswillen fiel bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 (SiKo), an der ich seinerzeit teilnahm. In einer konzertierten Aktion zwischen dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, dem damaligen Außenminister Franz-Walter Steinmeier und der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde eine stärkere Verantwortungsübernahme, so der euphemistische Begriff für militärisch basierte Machtpolitik, Deutschlands gefordert. Steinmeier brachte es auf der SiKo mit der berühmt gewordenen Metapher „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“ zum Ausdruck. Mit dieser Aussage formulierte er nichts weniger als einen globalen Gestaltungsanspruch für Deutschland.
Der Gestaltungsanspruch muss natürlich auch – vor allem, wenn dieser mit militärischem Potenzial gestützt werden soll – finanziert werden. Und hier kommt der Steuerzahler ins Spiel. Denn es geht darum, dass die Machtphantasien einiger weniger von vielen, nämlich den Steuerzahlern, bezahlt werden müssen, ohne dass die Lebensverhältnisse sich für die Masse der Bevölkerung verbessern. Im Gegenteil: Jeder Euro, der für das Militär ausgegeben wird, muss an anderer Stelle eingespart werden, entweder direkt durch Streichungen in anderen Einzelplänen des Bundeshaushaltsplans oder aber durch Tilgung der Schulden und Zinsen bei Kreditierung der Militärausgaben, was ebenfalls zu Lasten des Bundeshaushaltsplans geht. So beläuft sich die im neuen Regierungsentwurf 2025 für das Jahr 2026 festgesetzte Schuldenbedienung („Bundesschuld“) auf 33,2 Milliarden Euro. Das sind 10,2 Prozent des Bundeshaushaltes allein für die Abzahlung der Schulden – Tendenz steigend.
Wenige Monate nach der konzertierten Aktion auf der Münchner SiKo begannen einige Leitmedien, die Bundeswehr arm zu schreiben. Nichts funktioniere mehr. Bei Manövern müsse mit Besenstielen das Kanonenrohr simuliert werden („Bundeswehr zieht mit Besenstielen in Manöver“, so die Überschrift eines Massenmediums) und Unterwäsche und Socken fehlten. Ziel war und ist, die Bevölkerung über den angeblich defizitären Zustand der Bundeswehr zu empören und die Bereitschaft des Steuerzahlers, höhere Militärausgaben zu akzeptieren.
Und tatsächlich wurde das Thema dann im Verteidigungsausschuss ganz oben angesetzt. Seit 2014 bis jetzt erfahren die Militärausgaben massive Aufwüchse.
Quelle: Alexander Neu
Bei der Analyse der Militärausgaben darf man sich nicht täuschen lassen, wenn die Bundesregierung oder manche Medien von den Ausgaben des Einzelplans 14, des Finanzplans für die Bundeswehr, reden. Tatsächlich sind einige Ausgaben nicht in diesem Einzelplan, sondern auch in anderen Einzelplänen des Bundeshaushaltsplans versteckt. Alle Ausgaben, die einen militärischen Bezug ausweisen und jenseits des Einzelplans 14 im Bundeshaushaltsplan versteckt sind, nennt man Militärausgaben nach „NATO-Kriterien“. Die Summe der Militärausgaben ist insbesondere ab 2022 stark angestiegen. Hintergrund ist das sogenannte „Sondervermögen“ für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro zusätzlich im Kontext des offenen Russland-Ukraine-Krieges. Es handelt sich dabei indes nicht um ein Vermögen, sondern um zusätzliche Schulden, die wie selbstverständlich an der Schuldenbremse qua Verfassungsänderung vorbei gemacht wurden. Hierzu wurde Artikel 87a um folgenden Teilabsatz ergänzt: „(1a) Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. (…).“
Der euphemistische Begriff des „Sondervermögens“ statt Sonderschulden ist unter „Sand in die Augen des Steuerzahlers streuen“ zu verbuchen. Schulden als Vermögen zu deklarieren, ist schon eine besondere Form der Realitätskonstruktion in der Politik.
Und auch die Formulierung „einmalig“ ist nun Geschichte. Denn mit dem neuesten Coup des damals designierten und nun amtierenden Bundeskanzlers Friedrich Merz wurden am 18. März erneut die Verfassungshürden für weitere Verschuldungen (Aushebelung der Schuldenbremse) mit entsprechender Zweidrittelmehrheit des noch alten, abgewählten Bundestages zu verändern, Tür und Tor für die von ihm angekündigten unbegrenzten Militärausgaben geöffnet. Mit der Verfassungsänderung, die zwar auch Finanzen zur Sanierung der maroden Infrastruktur für Bund und Länder sowie zur Erreichung des Klimaziels in Höhe von 500 Milliarden Euro beinhaltet (Artikel 143h Grundgesetz), werden die Kreditaufnahmemöglichkeiten für die ambitionierte Finanzierung der Bundeswehr nicht in einem Fixbetrag formuliert, sondern prozentual. In Artikel 109 Grundgesetz wird festgehalten: Alle Militärausgaben, die mehr als ein Prozent des jeweiligen Jahres-BiPs übersteigen, können an der Schuldenbremse vorbei mit Krediten finanziert werden, und das ganz ohne Obergrenze. Wenn nun der US-Präsident Donald Trump fünf Prozent des BiP für Militärausgaben fordert und die gegenwärtigen Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung irgendetwas zwischen 3,5 bis fünf Prozent anvisieren, bedeutet das Folgendes:
Wenn das deutsche BiP im Jahre 2026 4,4 Billionen Euro betrüge (2024 lag es bei 4,3 Billionen Euro), so stiegen die Militärausgaben bei 3,5 Prozent auf 150,5 Milliarden Euro. Von diesem Betrag würden 44 Milliarden Euro aus dem Steuersäckel direkt und 106,5 Milliarden Euro über Kredite, also Schulden, finanziert werden. Bei fünf Prozent des BiPs an Militärausgaben wären es 215 Milliarden Euro. Davon müssten 171 Milliarden Euro kreditiert werden. Und diese Schuldenaufnahmen sind nicht einmalig, sondern jährlich.
Um die Belastung für den Bundeshaushalt selbst umzurechnen, ist folgendes Rechenmodell realitätsnah: Nimmt man den Haushaltsentwurf für den Bundeshaushalt 2025 mit 488,6 Milliarden Euro als Maßstab, so betrügen die Militärausgaben bei 3,5 Prozent des BiPs rund 30 Prozent des Bundeshaushaltes, also fast ein Drittel. Bei fünf Prozent des BiPs betrügen die Militärausgaben 40 Prozent des Bundeshaushaltes. Mehr noch, diese „Sondervermögen“, realiter Schulden, müssen mit Zinsen zurückgezahlt werden. Damit werden angesichts sich stets verändernder Zinsbeträge die Belastungen für den Steuerzahler nahezu unberechenbar. Die Mehrkosten müssen selbstverständlich in anderen Bereichen des Bundeshaushaltes eingespart werden. Man darf auf die Kürzungen in künftigen Bundeshaushalten gespannt sein.
Auftraggeber und Auftragnehmer – oder, wer ist Koch, wer ist Kellner?
Einen nicht unerheblichen Teil der Militärausgaben umfasst die Entwicklung und Beschaffung von Waffensystemen. Hierbei zeigt sich ein seit Jahrzehnten praktizierter Selbstbedienungsladen der Rüstungsindustrie. Diese gibt die Kosten vor und der Steuerzahler zahlt via Bundesregierung, hier des Bundesverteidigungsministeriums. Da die verschiedenen Sparten der deutschen Rüstungsindustrie bisweilen auf dem deutschen Markt eine Monopolstellung innehaben, erlauben sie es sich, dem Auftraggeber die Konditionen zu diktieren. Mehr noch: Selbst von den ohnehin zum Nachteil des Steuerzahlers festgelegten Konditionen können die Rüstungsunternehmen diese ihrerseits nahezu straffrei brechen.
Hierbei ist ein unsäglicher Dreiklang zu beobachten: Die Kosten für ein neues Waffensystem steigen massiv an im Vergleich zu den ursprünglich ausgehandelten Beträgen, die Auslieferung der Waffensysteme verzögert sich – manchmal um Jahre –, und sie erfüllen sehr häufig nicht die vertraglich festgelegten Leistungsmerkmale. Kurzum: schlechtere Qualität zu höheren Kosten und zu einem späteren Zeitpunkt. Angesichts kostbarer Steuergelder sollte der Steuerzahler zu Recht davon ausgehen, dass die Bundesregierung – hier das Bundesverteidigungsministerium – als Auftraggeber den Daumen draufhat. Das heißt, dass die Bundesregierung für verspätete Lieferungen und Leistungsdefizite des gelieferten Waffensystems beträchtliche Vertragsstrafen gegen das entsprechende Rüstungsunternehmen in den Verträgen festgelegt haben sollte.
Die Wirklichkeit sieht indes anders aus. In einer Antwort der Bundesregierung („Kostenentwicklung bei Großwaffensystemen“ – Drucksachennummer 18/650) auf eine von mir im Jahre 2014 eingebrachte Kleine Anfrage wird überaus deutlich, dass es bei den angefragten Großwaffensystemen entweder keine vertraglich festgelegten Vertragsstrafen gab oder aber in einem sehr überschaubaren, an Lächerlichkeit grenzenden Umfang. Und selbst dann wurden diese häufig auch nicht eingefordert. Zwar mag man einwenden, dass diese Anfrage ja bereits elf Jahre alt sei und dass das Bundesverteidigungsministerium angesichts der Anfrage noch im Jahr 2014 ein sogenanntes Rüstungsboard geschaffen hat, bei dem unter anderem die Bundestagsabgeordneten im Haushalts- und Verteidigungsausschuss mehr Transparenz über die Gelder erhalten. An der defizitären Beschaffungspolitik zu Lasten des Steuerzahlers hat dies tatsächlich zu keiner grundlegenden Veränderung geführt. Wenn es der Bundeswehr an Geldern und Material fehlen sollte, so wäre es doch naheliegend, zunächst einmal die Ausgabenseite hinsichtlich der Rüstungsindustrie in den Griff zu bekommen.
Die Bundesregierung als Auftraggeber muss letztlich die grundlegenden Konditionen bestimmen, nicht der Auftragnehmer. Dann wären auch mehr Gelder für die Bundeswehr vorhanden und der Steuerzahler weniger strapaziert. Leider ist ein finanzpolitisches Umdenken der Merz-Regierung nicht zu erwarten.
Titelbild: Shutterstock / Mehaniq
„Im Westen nichts Neues“ – die Not-GroKo und ihr Koalitionsvertrag
Der Souverän und seine Volksvertreter – Plädoyer für die Demokratisierung der Demokratie
Traut Euch und durchbrecht die Schweigespirale!
EU-Europäische Emanzipation – Feindbildproduktion und Aufrüstung als neuer Integrationskitt?
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=133605