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Titel: Außenminister Lawrow im Interview: Moskau fordert dauerhaften Frieden statt Waffenpause

Datum: 9. Juli 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Russlands Außenminister Sergej Lawrow spricht Klartext: In einem Interview mit der ungarischen Zeitung Magyar Nemzet erläutert Lawrow, welche Punkte für Moskau in einem Friedensabkommen mit der Ukraine unverhandelbar sind. Ein Blick auf Russlands Forderungen, auf die UN-Charta und die „pragmatische“ Annäherung an Budapest, die im Westen für Aufsehen sorgt. Das Interview hat Éva Péli zusammengefasst.

Russland ist weiterhin offen für eine politisch-diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts, jedoch nur unter der Bedingung eines „dauerhaften Friedens“ und keiner bloßen „Atempause“. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte am Montag in einem Interview mit der ungarischen Zeitung Magyar Nemzet davor, dass eine solche Pause vom Kiewer Regime und seinen externen Unterstützern lediglich genutzt werden könnte, um ihre Truppen neu zu gruppieren, die Mobilisierung fortzusetzen und ihr militärisches Potenzial zu stärken. Eine nachhaltige Regelung erfordere, die ursprünglichen Ursachen des Konflikts zu beseitigen. Dazu zähle primär, die Bedrohungen für Russlands Sicherheit im Zusammenhang mit der NATO-Erweiterung und der Einbeziehung der Ukraine in diesen Militärblock zu beseitigen.

Es ist zudem aus Sicht von Lawrow unerlässlich, die Menschenrechte in den von Kiew kontrollierten Gebieten zu gewährleisten, da das „ukrainische Regime“ seit 2014 alles Russische – Sprache, Kultur, Traditionen, kanonische Orthodoxie und russischsprachige Medien – „ausrottet“. Ein weiteres zentrales Element eines Friedensabkommens sei die völkerrechtliche Anerkennung der „neuen territorialen Realitäten“, die durch die Eingliederung der Krim, Sewastopols, der Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson in Russland entstanden seien. Die Bevölkerungen dieser Gebiete hätten sich, so Lawrow, in Referenden durch „freie Willensäußerung“ für die Wiedervereinigung mit Russland ausgesprochen.

Zudem müssten die Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine, die Aufhebung antirussischer Sanktionen, der Rückzug aller Klagen gegen Russland und die Rückgabe illegal im Westen festgenommener russischer Vermögenswerte im Abkommen verankert werden. Lawrow forderte die Ukraine auf, zu den „Ursprüngen ihrer Staatlichkeit“ zurückzukehren und den neutralen, blockfreien und atomwaffenfreien Status zu respektieren, der in der Souveränitätserklärung von 1990 festgelegt wurde.

Zu den Friedensverhandlungen

Hinsichtlich des aktuellen Stands der Friedensverhandlungen informierte Lawrow, dass auf Russlands Initiative und mit Unterstützung türkischer Partner direkte Gespräche mit der ukrainischen Seite in Istanbul ohne Vorbedingungen aufgenommen wurden. Bislang haben zwei Verhandlungsrunden (am 16. Mai und 2. Juni) stattgefunden, während die Termine für eine dritte Runde noch koordiniert werden. Im Rahmen dieser Gespräche seien bereits Vereinbarungen zu humanitären Fragen erzielt worden, wie dem Austausch von Zivilisten und Kriegsgefangenen, darunter Schwerverletzte und junge Soldaten unter 25 Jahren, sowie der Rückführung von über 6.000 gefallenen ukrainischen Soldaten zur Beisetzung. Lawrow erwähnte zudem eine von der Ukraine übermittelte Liste mit 339 Kindern, die den Kontakt zu ihren Eltern verloren haben. Dies widerlege, so der Minister, „falsche Propaganda-Behauptungen Kiews“ über 19.000 angeblich von Russland „entführte“ Kinder. Russland prüfe jeden Fall und bereite eine eigene Liste von 18 Kindern vor (zehn in der Ukraine, acht in europäischen Ländern), um sie mit ihren Familien in Russland wieder zusammenzubringen.

Zu den Ursachen des Ukraine-Konflikts

Zu den „Ursachen des Konflikts“ wiederholte Lawrow den Vorwurf, dass ethnische Russen in der Ukraine verfolgt und getötet worden seien, insbesondere seit dem Staatsstreich in Kiew 2014. Er nannte als Beispiele den Vorfall im Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai 2014 und sagte, dass ukrainische Kräfte nach 2014 „über zehntausend russische und russischsprachige Einwohner des Donbass“ getötet hätten. Das Kiewer Regime habe der russischen Sprache und Kultur den Kampf angesagt und Gesetze erlassen, die deren Nutzung verbieten und ethnische Russen diskriminieren. Auch andere ethnische Gruppen wie Ungarn, Rumänen, Polen und Bulgaren seien von einer „gewaltsamen Ukrainisierung“ betroffen gewesen.

Eine weitere Hauptursache sei die „jahrelange Expansion der NATO nach Osten“, die die Ukraine in ein „militärisches Sprungbrett zur Eindämmung Russlands“ verwandelt habe. Lawrow bestritt, dass die NATO noch ein reines Verteidigungsbündnis sei, und verwies auf militärische Interventionen in Jugoslawien, Irak und Libyen. Die Präsenz von NATO-Basen in der Ukraine stelle eine „unmittelbare Bedrohung“ für Russlands nationale Sicherheit dar. Er erinnerte daran, dass Russland Ende 2021 Sicherheitsgarantien gefordert hatte, die den blockfreien Status der Ukraine bewahren sollten. Diese Initiative sei jedoch vom Westen abgelehnt und die Ukraine stattdessen weiter aufgerüstet worden, was Russland „keine andere Wahl“ gelassen habe, als die „spezielle Militäroperation“ zu beginnen.

Eine Frage des Selbstbestimmungsrechts

Bezüglich der russischen Souveränitätsansprüche über die Krim und die vier „kürzlich annektierten Regionen“ wies Lawrow den Begriff „Annexion“ als „unangemessen und inakzeptabel“ zurück. Er erinnerte an die Referenden in diesen Gebieten, bei denen die Mehrheit der Teilnehmer für die Wiedervereinigung mit Russland gestimmt habe, was die Ausübung des in der UN-Charta verankerten Rechts der Völker auf Selbstbestimmung darstelle.

Lawrow warf westlichen Ländern vor, die UN-Charta selektiv zu zitieren: Sie würden sich auf die territoriale Integrität (Artikel 2 Absatz 4) konzentrieren, aber das Recht auf Selbstbestimmung (Artikel 1 Absatz 2) und die Achtung der Menschenrechte (Artikel 1 Absatz 3) ignorieren. Dies sei eine Form der „Manipulation und Doppelstandards“.

Der Außenminister verwies auf eine UN-Erklärung von 1970, die besagt, dass das Prinzip der territorialen Integrität nur für Staaten gilt, deren Regierungen die gesamte Bevölkerung ohne Diskriminierung vertreten. Das Kiewer Regime habe jedoch Russophobie zur Staatsdoktrin erhoben und repräsentiere die russischsprachige Bevölkerung dieser Regionen nicht. Moskau führt Äußerungen von Wolodymyr Selenskyj an, der 2021 Bewohner des Südostens als „Kreaturen“ bezeichnet und sie aufgefordert habe, „nach Russland zu verschwinden“. Für Russland bedeutet dies, dass das Kiewer Regime keinen Anspruch auf die Anwendung des Prinzips der territorialen Integrität auf diese Gebiete hat, da es deren Bevölkerung nicht vertritt.

Zu den ungarisch-russischen Beziehungen und Europa

Die russisch-ungarischen Beziehungen bezeichnete Lawrow als „pragmatisch“. Er lobte die „ausgewogene Linie der ungarischen Führung“, die trotz des Drucks aus Brüssel einen pragmatischen Kurs verfolge. Trotz antirussischer Sanktionen würden sich die bilateralen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen entwickeln, und das „Flaggschiffprojekt“, die Erweiterung des Kernkraftwerks Paks, schreite erfolgreich voran. Lawrow bekräftigte Russlands Ruf als „verlässlicher Lieferant“ von Kohlenwasserstoffen und sah insgesamt „gute Perspektiven für einen weiteren Dialog“ auf Basis gegenseitigen Nutzens und der Berücksichtigung der Interessen beider Länder.

Schließlich reagierte Lawrow auf die Anschuldigungen westlicher Geheimdienste und europäischer Politiker, Präsident Putin beabsichtige, Europa zu „besetzen“ oder den russischen Einfluss auszudehnen. Er bezeichnete diese Anschuldigungen als unbegründet und äußerte die Vermutung, dass diese „mythische russische Bedrohung“ von den westlichen Führungskreisen erzeugt werde, um die Bevölkerung angesichts sozialer und wirtschaftlicher Probleme – Inflation, Arbeitslosigkeit, sinkende Einkommen, illegale Migration – zu einen und von eigenen Misserfolgen abzulenken. Lawrow zeigte sich besorgt darüber, dass sich die „vereinte Europa“ in einen „militärisch-politischen Block“ und „Anhängsel der NATO“ verwandle, was er als „gefährliche Tendenz“ mit weitreichenden Folgen für alle Europäer einstufte.

Das Interview ist im ungarischen Orginal hier erschienen.

Titelbild: Shutterstock / lev radin


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