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Titel: Zerstört Trump den Westen?
Datum: 14. Juli 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Aufrüstung, Friedenspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Nein. Die USA sind der Westen. Und sie setzen auf „America first“ wie eh und je. Den Westen hat es nie gegeben. Es gab – spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs – immer nur die Weltmacht USA und ihre Vasallen. „America first“ ist keine Erfindung Donald Trumps, sondern eine Maxime der US-Politik seit der Gründung der Vereinigten Staaten. Und wie im alten Rom war und ist das „Divide et impera“, das „Teile und herrsche“, eine Konstante der Außenpolitik Washingtons, wenn es darum geht, aufkeimenden Widerstand in seinem Einflussbereich zu unterdrücken und seine Einflusssphäre auszuweiten. Von Oskar Lafontaine.
Als der ehemalige US-Präsident Harry S. Truman 1941, damals noch Senator, gefragt wurde, wie sich die USA im Zweiten Weltkrieg verhalten sollten, antwortete er: „Wenn wir sehen, dass Deutschland gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen. Und auf diese Weise können sie so viele voneinander wie möglich töten.“
„Die einzige Weltmacht“
Im 20. Jahrhundert orientierte sich die Geopolitik der Angelsachsen, also der USA und Großbritanniens, an der Heartland-Theorie des britischen Geografen Halford Mackinder: „Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht Eurasien, und wer Eurasien beherrscht, beherrscht die Welt.“ An den Aufstieg Chinas dachte man damals nicht. Die geostrategischen Überlegungen Mackinders führten zur NATO-Osterweiterung, also zum Vorrücken der US-Truppen und -Raketen an die russische Grenze und zur faktischen Integration der Armee der Ukraine in die NATO. In seinem 1997 veröffentlichten Buch „Die einzige Weltmacht“ stellte der US-Geostratege Zbigniew Brzezinski fest: „Ohne die Ukraine ist Russland keine Großmacht.“ Es ist erstaunlich, dass die „Experten“ in den US-Vasallenstaaten diese Zusammenhänge nicht zur Kenntnis nehmen wollen und daher zu einer völlig falschen Beurteilung des Ukraine-Krieges kommen.
Viele datieren die Geburt des „Westens“ auf den August 1941, als der US-Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill die Atlantik-Charta formulierten. Darin forderten Sie das Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Verzicht auf Gewalt. 1949 kam es zur Gründung der NATO. Im Artikel 1 des Vertrages verpflichteten sich die Mitglieder, sich „in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten“. An diesen hehren Grundsätzen haben sich die NATO-Staaten unter Führung der USA nie orientiert. Man denke an den Sturz der demokratischen Regierung Mossadeghs im Iran 1953, an den Vietnam-Krieg, an die vielen Öl- und Gaskriege im Vorderen Orient. Auch die Unterstützung des Völkermordes im Gazastreifen zeigt, dass es die westliche Wertegemeinschaft, die die Bewahrung der Menschenrechte zur Grundlage ihrer Politik macht, nicht gibt.
Nach dem letzten NATO-Gipfel hat Trump die NATO-Partner noch einmal darauf gestoßen, dass der Beistandsartikel 5 des NATO-Vertrages nichts hergibt. „Er wird unterschiedlich interpretiert“, sagte er grinsend. Die Parteien verpflichten sich darin, zur Unterstützung eines angegriffenen Staates „die Maßnahmen zu ergreifen, die sie für erforderlich halten“. Welche Maßnahmen ein US-Präsident im Falle eines nuklearen Angriffs auf Europa ergreifen würden, kann sich jeder an fünf Fingern abzählen. Sie würden niemals die Vernichtung der amerikanischen Städte riskieren, um Europa zu helfen. Zur Lebenslüge der Europäer gehört, dass der US-Atomschild sie im Ernstfall schützen würde.
Sehnsucht nach Bismarck
Europa braucht eine eigenständige Außen- und Verteidigungspolitik. Europa braucht gute Beziehungen nicht nur zu den USA, sondern auch zu Russland und China. Das Hauptproblem ist der wachsende Militarismus in Deutschland, die von CDU/CSU, AfD, SPD und Grünen mit Zustimmung der Linken im Bundesrat vertretene wahnsinnige Aufrüstung, die ganz sicher nicht zum Frieden, sondern eher zum Krieg in Europa führt.
Der Russenhass ist in Deutschland heute im Vergleich zum Antisemitismus das größere Problem. Bundeskanzler Merz will der Ukraine Langstreckenraketen liefern, um Ziele in Russland zu zerstören. Außenminister Wadephul sagt: „Russland wird immer unser Feind sein.“ Der SPD-Vorsitzende Klingbeil will Sicherheit gegen die Atommacht Russland organisieren. Noch nie hatten wir ein solch unfähiges politisches Führungspersonal. Noch nicht mal die Schulhofweisheit, dass man sich nicht mit dem Stärksten anlegt, scheinen sie zu kennen. Man sehnt sich nach Bismarck: „Wenn Russland und Deutschland Freunde sind, geht es Europa gut.“ Und der Zar hatte noch nicht mal Atomwaffen.
Jetzt wird wieder nach einer europäischen Atomstreitmacht gerufen. Wie wär’s denn, wenn wir es noch einmal mit einer Politik versuchen, wie sie von dem US-Strategen George F. Kennan entworfen und vom früheren Bundeskanzler Willy Brandt umgesetzt wurde? Gemeinsame Sicherheit, Gewaltverzicht, Abrüstungsverträge, defensive Verteidigung, Auseinanderrücken der Truppen und Raketen waren die Leitideen dieser Politik. Sie brachte Europa Frieden, und man lebte nicht in der Angst, dass aufgrund politischer Fehleinschätzung oder technischen Versagens ein nukleares Inferno morgen alles Leben in Europa vernichten könnte.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Weltwoche Nr. 28.25.
Titelbild: Jannarong/shutterstock.com
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