NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Deutsche Raumfahrt ohne Sigmund Jähn? Forschungsministerin zeigt, wie Teilen geht – einfach den Westen loben und den Osten weglassen

Datum: 4. August 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich:

Ostdeutsche, also Menschen in den Bundesländern, die früher mal das Gebiet der DDR bildeten, wundern sich schon lange nicht mehr. Nüchtern wird anerkannt, dass so etwas wie eine echte, innere Einheit, eine Gleichheit gar, in der gesamten Bundesrepublik wohl nicht erreicht ist und wird. Es ist halt die Natur dieses Deutschlands, dass es bessere Deutsche und weniger bessere Deutsche gibt – die Rollenverteilung ist bekannt. Bei der Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) war dieser Stil exemplarisch zu erleben: Bär verschwieg einfach mal so den ersten Deutschen im Weltall, den Ostdeutschen Sigmund Jähn. Ostdeutsche haben sich einzuordnen. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der erste Deutsche im All war der Ostdeutsche Sigmund Jähn, Frau Bär!

Ja, das ewige Gejammer der Ostdeutschen, ständig zu kurz zu kommen, ist schon irgendwie nervig. Doch noch nerviger ist meiner Ansicht nach, dass es fortwährend ungerechte Anlässe gibt, die dafür sorgen, dass sich Ostdeutsche mitunter berechtigt zu Wort melden und zumindest fragen: Warum passiert es, dass Westdeutsche Ostdeutschen zeigen, dass sie weniger wert, dass sie weniger erwähnenswert sind als sie selbst? Die kleine wie symbolträchtige Episode im Bundestag ist da wieder ein Anlass gewesen. In der Lokalzeitung meiner vogtländischen Heimat stand dazu:

Dorothee Bär (CSU), der Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, war Merbold bei der Einbringung des von ihrem Haus aufzustellenden Einzelplans während der Haushaltsdebatte eine Erwähnung wert. „Wir müssen nicht zu Ulf Merbold in das Jahr 1983 zurückreisen – obwohl es sehr beeindruckend ist, seinen Bericht zu lesen, um festzustellen: Auch heute ist das Potenzial der Raumfahrt noch nicht ansatzweise ausgeschöpft.“ Mit diesem Satz löste die Ministerin ungewollt eine Diskussion aus: Zählen Sigmund Jähns Verdienste für Raumfahrt und Forschung in den Augen der Bundesministerin nichts, weil er zwar der erste Deutsche im All war, aber eben für die DDR unterwegs? Weiß die Ministerin überhaupt um Jähns Verdienste?

Die Leipziger Grünen-Politikerin Paula Piechotta glaubt: Nein. Sie hielt in der Debatte Dorothee Bär entgegen: „Sie haben vom ersten Westdeutschen im All gesprochen. Da haben Sie was Wichtiges ausgelassen. Der erste Deutsche im All, der erste Ostdeutsche im All, war Sigmund Jähn – 1978. Ich finde, 35 Jahre nach der Wiedervereinigung können Sie das hier auch mal sagen als bundesdeutsche Forschungsministerin.“

(Quelle: Freie Presse)

Deutsche Geschichte ist die des Westens, Ostdeutsche eine Randerzählung?

Die Zeitung fragte, ob ungewollt eine Diskussion ausgelöst wurde. Nein, Weglassen ist gängige Praxis in der Bundesrepublik, beobachte ich oft. Diese Praxis gehört wohl zum Handwerkszeug führender Akteure in unserem vereinten Land. Dorothee Bär, Ministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, gehört dazu. Sie, Mitglied der Bundesregierung, Regierung für alle Deutschen, hat den Bundesbürger Ulf Merbold (Astronaut) einfach wie selbstverständlich zum ersten Deutschen im All erklärt und unterschlägt ganz und gar nicht ungewollt die Lebensleistung eines Ostdeutschen, Sigmund Jähn (Kosmonaut) aus Sachsen. Das schmerzt Ostdeutsche, die Jähn kennen und sich daran erinnern, wie er ins Weltall flog. Sie sind betroffen.

Das Weglassen ist schlicht Absicht, behaupte ich, und zeigt die Selbstherrlichkeit der Akteure. Die Westdeutsche Bär beweist, was sie von ostdeutscher Geschichte hält. Nichts. Was aus dem Osten stammt, taugt eben nichts, oder? Das war vor 1989 so, das war 1990 so und ist jetzt immer noch so. Bis in die Ewigkeit? Eine permanente Aufgabe derer, die das in Beton gießen, ohne extra eine Mauer errichten zu müssen, lautet dazu: Deutsche Geschichte in den verschiedensten Bereichen wird intensiv vor allem als Geschichte der BRD, als Geschichte der Westdeutschen präsentiert. DDR, ostdeutsche Geschichte, Biografien, Leistungen, Erzählungen, Episoden bleiben schön am Rand. Sie sind zweitklassig, sind von da „drüben“. Am besten gehören die ab in den Giftschrank bundesdeutscher Archive, könnte geschlussfolgert werden.

Bei allem Ärger gibt es ein Detail über Merbold und Jähn – zum Schmunzeln

Nun machte die Ministerin unnötige politisch motivierte Unterschiede bei zwei Mitbürgern im einigen Deutschland – einerseits der Astronaut Ulf Merbold, andererseits der Kosmonaut Sigmund Jähn. Und ja, das ist lustig, dass im Westen beim Begriff „Kosmonaut“ gern die Nase gerümpft wird: Das heißt doch Astronaut. Nun hatten die Russen den Kosmonauten erfunden und die Amerikaner halt den Astronauten, aber Letzteres klingt schon cooler, nicht?

Bär freute sich über den Westdeutschen, den Astronauten, den wahren Debütanten. Ihr sei zum Abschluss noch etwas zu den zwei Persönlichkeiten (die beide (!) herausragend für die gesamtdeutsche Geschichte sind) ans Herz gelegt: Sigmund Jähn flog 1978 als erster Deutscher ins Weltall – ja, ein Bürger der damaligen DDR. Und 1983 folgte ihm Ulf Merbold, der Westdeutsche war der zweite Deutsche im Weltall. Wundervoll. Und beide, sehr geehrte Frau Bär, Jähn und Merbold, sind tatsächlich Deutsche, sogar Ostdeutsche. Jähn lebte im sächsischen Vogtland und Merbold im thüringischen Vogtland, bevor er in den 1960er-Jahren nach Westdeutschland ging. Ich als Vogtländer sage mit einem Schmunzeln und ganz und gar uneingebildet: Ist doch was, dass die zwei ersten Deutschen im Weltall aus meiner Heimatregion stammen, nicht wahr?

Titelbild: Boris15 / Shutterstock


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=136911