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Titel: S-Bahn vorm Kollaps und Ausverkauf: „Das Ganze ist eine Privatisierung!“
Datum: 28. August 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Interviews, Private Public Partnership, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Die Berliner S-Bahn rauscht von einer Krise in die nächste. Diesmal herrscht Chaos, weil die Infrastruktur marode und Jahrzehnte alt ist. Die Ausschreibung zweier Teilnetze mit dem angestrebten Zuschlag für einen DB-Konkurrenten sollte eigentlich alles besser machen, macht aber alles noch schlimmer, meint Carl Waßmuth vom Bündnis „Bahn für alle“. Im Interview mit den NachDenkSeiten geißelt er neoliberale Ideologen, gierige Manager und Politiker, die heute dies sagen und morgen das Gegenteil machen. Sein Rezept zur Rettung: Rekommunalisierung. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.
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Zur Person
Carl Waßmuth, Jahrgang 1969, ist Bauingenieur, Infrastrukturexperte und Sprecher bei „Bahn für alle“ unter dem Dach des Vereins „Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)“, den er mitgegründet hat. Dieser setzt sich für die Demokratisierung der Daseinsvorsorge und für die gesellschaftliche Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit ein.
Ralf Wurzbacher: Herr Waßmuth, am vergangenen Donnerstag staunten Fahrgäste der Berliner S-Bahn-Linie 7 nicht schlecht. Ihre Bahn beförderte sie durch mehrere Bahnhöfe hindurch ohne Halt und ohne Durchsage auf ein Abstellgleis. Nun könnte man dem Zugführer ein Faible für Symbolik andichten, die Sache war aber profaner: Sein Gefährt war defekt, wie aktuell so ziemlich alles bei der S-Bahn. Sie leben selbst in Berlin. Sind Sie bedient?
Carl Waßmuth: Wir waren dieses Jahr in Schweden im Urlaub, mit dem Nachtzug hin und zurück, mit Regionalzug und Bussen vor Ort, und mit U-Bahn und „pendeltåg“ in Stockholm. Das hat alles wunderbar geklappt. Die Ankunft in Berlin war umso härter. Die Ringbahn war unterbrochen, und unsere U-Bahn auch. Die Bahnhöfe waren voller desorientierter Menschen. Letztlich sind wir mit der Straßenbahn nach Hause gekommen. Nach ein paar Tagen haben wir verstanden, dass das keine Ausnahme war. Hier fällt ein Signal aus, da ein Stellwerk, am nächsten Tag ein anderes Stellwerk. Es ist eine wahre Störungskaskade.
Das alles erinnert an die S-Bahn-Krise im Jahr 2009, die „größte ihrer Geschichte“, wie es bis dato immer hieß. Muss das Geschichtsbuch umgeschrieben werden?
Vielleicht zur „unendlichen“ S-Bahn-Geschichte. Ab 2009 war es eine Krise des Wagenmaterials infolge verschleppter Instandhaltung, die S-Bahn Berlin war finanziell ausgepresst worden in Vorbereitung auf den angestrebten Börsengang der Deutschen Bahn AG. Die große Instandhaltung ist alle fünf Jahre vorgeschrieben, plötzlich musste fast die Hälfte der Wagen in einem Jahr auf die Bühne. Und so hatten wir 2015 auch wieder zu wenige Fahrzeuge und 2020 und 2025 … Wie ein unrundes Rad rumpelt es bei jedem Umlauf. Jetzt kommt dazu, dass auch die Infrastruktur kaputt geht. Mitte der 1990er-Jahre hatte man auf elektronische Stellwerkstechnik umgestellt. Die Kabel und vieles von der Technik sind 30 Jahre alt, und da gibt es eben Kunststoff, elektrische Kontakte und so weiter, das ist entweder anfällig oder schon hinüber.
Das heißt also, die Probleme von heute sind im Grunde die alten?
Mehr als das. Wir haben einen Teil der alten Probleme bei den Wagen und neue Wagenprobleme, weil die Ausschreibung für neue Wagen sage und schreibe 25 Mal verschoben und damit sechs Jahre verzögert wurde. Und dann eben das zunehmend marode Netz. Das Netz gehört der DB InfraGO, einer DB-Tochter. Für die Nutzung zahlt die S-Bahn Berlin die höchsten Trassenpreise im Regionalverkehr. Das sollte also ein Premiumprodukt sein, vergleichbar mit einer ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke. Aber die InfraGO kassiert nur und macht keinerlei Anstalten, auch nur das Nötigste zu tun. Ihre Ansage „Gemeinwohlorientierung“ ist nur Folklore, man führt knallhart die Gewinne an die DB AG ab, deren Manager wollen schließlich ihre Boni. Und so stellt die InfraGO zu wenig Personal bereit. Ein Stellwerker wird krank, deswegen liegt die Stadtbahn still. So eine Abhängigkeit gibt es in keiner anderen Metropole der Welt.
Zum besseren Verständnis: Die S-Bahn Berlin GmbH ist selbst auch eine Tochter der DB …
Genau, wie die InfraGO. Beide führen ihre Gewinne ab, aber als Firmen funktionieren sie völlig getrennt. Der Gedanke entspringt der neoliberalen Ideologie der 1990er-Jahre. Das war auch das fatale Prinzip der Privatisierung von British Rail und der Londoner Metro. Wenn Netz und Betrieb getrennt werden, kann man verschiedene Betreiber konkurrieren lassen. Und dann spart man angeblich Geld, weil die sich unterbieten. Aber das funktioniert nicht ansatzweise.
Sondern?
Auf den Teilstrecken entstehen ja doch Monopole auf 15 Jahre. Und obendrein bekommt man viele problematische Schnittstellen. Gerade kam heraus, dass die S-Bahn billige Räder verwendet, die die Schienen auf der Stadtbahn schädigen, sodass die nach acht statt nach 20 Jahren saniert werden muss. InfraGO rügt das nicht und holt sich das Geld für die Sanierung einfach vom Bund.
Trotz dieser Erfahrungen hat man in Berlin den S-Bahn-Verkehr 2016 in zwei Teilen vergeben, die Ringbahn und den Rest. Beides macht noch die S-Bahn Berlin GmbH, aber die Trennung von Netz und Betrieb hat man schon mal. Jetzt wird seit Jahren die weitere Aufsplitterung vorangetrieben. Das größere Teilstück wird noch mal halbiert, das erfordert, dass neue Werkstätten gebaut werden, obwohl es ja schon welche gibt. Den Wagenfuhrpark kann im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) für 30 Jahre noch einmal jemand ganz anderes bekommen. Zu all dem läuft seit 2019 die Ausschreibung. Es ist, glaube ich, das komplizierteste Vergabeverfahren, das Deutschland je hatte, und das unsinnigste obendrein.
Wir beide hatten uns über dieses Thema, also die Ausschreibung der Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn, schon einmal vor über fünf Jahren im NachDenkSeiten-Interview unterhalten. Damals war das Projekt, dessen erste Vorbereitungen sogar bis 2016 zurückreichen, endgültig auf die Spur gesetzt worden, von einem rot-rot-grünen Senat. In den kommenden Wochen, vielleicht auch Tagen, werden der oder die Sieger des Auswahlprozesses bekannt gegeben. Dabei hätte alles viel schneller gehen und das neue Zugmaterial schon 2023 rollen sollen, nun wird das Jahr 2031 gehandelt. Woran hakt es so?
Das Ganze ist eine Privatisierung! Wir haben 2019 einen SPD-Abgeordneten gesprochen, Sven Heinemann, der Mann schreibt Bücher zur S-Bahn und ist Landesgeschäftsführer der SPD Berlin. Der sagte uns sinngemäß zwei Dinge: Die Ausschreibung abzubrechen ginge nicht, da würde man zu viel Zeit verlieren, wir bräuchten die neuen Wagen dringend. Jetzt sieht man, dass mit dem Nichtabbruch viel mehr Zeit verloren wurde – das haben wir übrigens vorausgesagt. Dann meinte Heinemann noch, man wolle nicht wirklich privatisieren, nur der DB eine Drohkulisse aufbauen, um sie zu disziplinieren nach dem S-Bahn-Chaos von 2009. Am Ende entscheide das Abgeordnetenhaus, da könne man bei einem falschen Ausgang der Vergabe noch die Notbremse ziehen. Was ist heute ein „falscher Ausgang“? Die S-Bahn Berlin ist ein Konsortium mit Siemens und Stadler eingegangen. Beide Konzerne interessiert Berlin nicht, die interessiert nur die Rendite.
Die immerhin würde ja stimmen, wenn alles irgendwann einmal in Sack und Tüten wäre.
Dazu sage ich nachher noch etwas. Zunächst aber das: CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde lud in diesen Tagen zum Krisengipfel. Da kamen Vertreter der beiden DB-Töchter S-Bahn Berlin GmbH und DB InfraGO. Bonde durfte mit dem Zeigefinger drohen, dann wurde ausgemacht: Auf der Stadtbahn wird jetzt mehr geputzt. Das ist zwar lächerlich, alte Technik braucht Wartung und Instandhaltung und nicht nur ein bisschen Spüli.
Aber wir werden uns diese Posse noch zurückwünschen. Nach der Vergabe werden Krisengipfel ganz anders ablaufen. Jeder bringt da seine Anwälte mit, die fordern von den anderen ein paar Millionen Euro Entschädigung. Da kommen dann noch Alstom dazu oder Siemens/Stadler und der ÖPP-Wagenvermieter auch noch. Da ist das Anwältedutzend schnell voll. Und Berlin kann die Faust bestenfalls in der Tasche ballen, denn die landeseigene Briefkastenfirma, die eigens für die Privatisierung geschaffen wurde, soll dann zahlen statt kassieren. Derweil steht der Verkehr still, denn alle weisen ja die Verantwortung von sich – und das alle zwei Wochen neu.
Sprich, es wird noch lange weiter haken?
Die nächsten Tage soll verkündet werden, wer die Ausschreibung gewonnen hat. Wer denkt, dass das ein Ende mit Schrecken wird, den muss ich enttäuschen. Denn wenn einer gewinnt, verliert ein anderer. Und diese Ausschreibung ist so anfällig, dass ein kommerziell aufgestellter Verlierer mit dem Klammerbeutel gepudert wäre, wenn er nicht klagen würde. Schon zwischendrin hat der französische Bahntechnikkonzern Alstom geklagt, und das Gericht hat deutlich gemacht, dass da vieles im Argen liegt. Es winken viele Millionen, wenn nicht Milliarden Euro an Entschädigung, und zwar fürs Nichtstun.
Und deswegen ist es auch ziemlich egal, wer gewinnt?
Ja, einer wird klagen. Das können auch Siemens/Stadler sein, wenn Alstom den Zuschlag bekommt. Und dann dauert es wieder drei Jahre, bis die Gerichte entschieden haben. Wir haben im Jahr 2021 einen Anwalt beauftragt, der hat uns in einem juristischen Positionspapier erklärt, dass man die Ausschreibung natürlich wieder aufheben kann und dass das noch nicht einmal so teuer wäre, solange mehrere im Rennen sind. Steht allerdings der Gewinner endgültig fest, und man will dann erst die Notbremse ziehen, muss man den für entgangene Gewinne entschädigen. Insofern ist die Klage Glück im Unglück, es wäre nämlich die letzte Chance, mit einem blauen Auge aus dem Schlamassel herauszukommen.
Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass die S-Bahn Berlin GmbH, die das Gesamtnetz seit 30 Jahren bespielt, das auch weiterhin tun wird, wenngleich im Verbund mit Siemens und Stadler Rail, die die Züge und Waggons beisteuern müssten. Das wäre ulkig, weil die damalige grüne Verkehrssenatorin Regine Günther die Ausschreibung mit der klaren Zielstellung angeleiert hatte, mehr „effektiven Wettbewerb“ bei „vernünftigen Preisen“ und „dauerhaft guter Qualität“ auf die Schiene zu bringen. Hätte man sich den ganzen Aufriss nicht sparen können?
Ulkig, nun ja. Ich fürchte, in Berlin wird es am Ende wenig zu lachen geben. Günther versprach 2019, mit der Ausschreibung 800 Millionen Euro zu sparen. Damals wurden die Gesamtkosten auf acht Milliarden geschätzt, Günther ging also von 8,8 Milliarden für den Fall einer in öffentlicher, also in DB-Hand verbleibenden S-Bahn aus. Kurze Zeit später hieß es, es kostet doch elf Milliarden Euro. Aus Günthers 800 Millionen Einsparung waren 2,2 Milliarden Verluste geworden. Haftet sie dafür?
Aber damit war das Ende der Fahnenstange bei den Kosten noch nicht erreicht. Und Kosten bedeuten hier Profite der künftigen Betreiber. Im Herbst 2023 gestand der schwarz-rote Senat ein, dass die Gesamtausgaben 20 Milliarden betragen würden – also zwölf Milliarden mehr. Am Ende werden es vermutlich 25 Milliarden sein, also 16,2 Milliarden mehr statt Einsparungen von 800 Millionen. Das in einer Stadt, die wegen angeblichem Geldmangel soziale Einrichtungen und Projekte schließt, Kulturschaffenden Räume und Förderungen wegnimmt, die Hochschulen werden ausgeblutet, Verkehrswende und Klimaschutz ausgebremst; alles wegen einer politisch gewollten Privatisierung. Und für das viele, viele Geld bekommt Berlin keine Super-S-Bahn, die Privatisierung garantiert, dass das S-Bahn-Chaos die nächsten Jahrzehnte zur festen Institution wird. Es lachen also Banken, die zwingend in die komplexen Kreditverträge eingebunden sind, und ein Großkonzern.
Aber inwiefern wäre es eine Privatisierung, wenn die S-Bahn Berlin GmbH den Zuschlag bekäme?
Es ist eine funktionale Privatisierung, eine Privatisierung der Finanzierung und eine Kapitalprivatisierung. Funktional heißt: Der Staat, in diesem Fall das Land Berlin, macht aus einer Daseinsvorsorgeleistung, dem S-Bahn-Verkehr, ein Finanzprodukt. Für 15 Jahre bekommen Private in diesem Bereich das Sagen, bezogen auf die Wagen sogar für 30 Jahre, der Staat steuert nicht mehr, er zahlt nur noch. Zur Finanzierung: Jeder Bieter verschuldet sich für das Projekt am Kapitalmarkt. Als Sicherheit für die geliehenen Milliarden bietet man den Vertrag an. Die Zinsen von geschätzt acht Milliarden Euro zahlt das Land Berlin. Geht ein Bieter pleite, bekommt die Bank die Insolvenzmasse. Und eine Kapitalprivatisierung ist es, weil kein öffentlicher Anbieter mehr im Rennen ist. Die S-Bahn Berlin GmbH tritt mit Siemens und Stadler als Konsortium auf. Einer oder alle drei können ihre Anteile an BlackRock verkaufen, wenn sie wollen.
Vielleicht ein Wort zum politischen Personal, das so etwas zu verantworten hat.
Das fing mit dem früheren SPD-Regierungschef Michael Müller an. Wo ist der jetzt, haftet er? Die Grünen haben das auch ganz eifrig betrieben. Die sind so in der Wolle der Wettbewerbsideologie gefärbt, dass sie reale Zahlen offenbar gar nicht mehr interessieren. Nach Günther kam Bettina Jarasch als grüne Verkehrssenatorin. Der haben wir persönlich 10.000 Unterschriften gegen die S-Bahn-Privatisierung übergeben. Sie hat uns versprochen, bei der DB anzufragen, was es Berlin kosten würde, ihr die S-Bahn abkaufen. Sie hat es nie getan.
Und die neue Regierung aus CDU und SPD?
Der heute Regierende Bürgermeister Kai Wegner hat vor der Wahl viel versprochen. Ich zitiere ihn wörtlich: „Die Ausschreibung ist viel zu umständlich, kleinteilig und langwierig“, zudem berge sie die Gefahr der „S-Bahn-Netz-Zerschlagung“ und einer „Zerstörung des bestehenden einheitlichen Berlin-Brandenburger S-Bahn-Netzes“. Es drohe die Entlassung Tausender Mitarbeiter, was zu Fachkräftemangel, insbesondere im Fahrdienst, führen könne. Es sei zu befürchten, „dass sich die Arbeitsbedingungen durch Tarifflucht, massive Erschwerung zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Rechte sowie diverse Möglichkeiten zum Aufbau von Subunternehmerpyramiden deutlich verschlechtern“. Wegners Fazit: „Das Einheitsnetz der S-Bahn Berlin GmbH und die S-Bahn Berlin müssen erhalten werden.“ Noch Fragen? Nein, Wegner hat die Ausschreibung nicht gestoppt.
Es stellt sich eine weitere Frage: Was bringen die neuesten Züge und Waggons, wenn die denn irgendwann einmal startklar sind, bei einer komplett heruntergewirtschafteten Bahninfrastruktur?
Die S-Bahn-Infrastruktur ist technisch ein Solitär, und das macht sie teuer und anfällig. Auch die Wagen sind ja so teuer, weil sie nur für Berlin entwickelt werden, und man kann sich bei Knappheit von anderswo keine ausleihen. Seit 2011 wird die sogenannte Zugbeeinflussung S-Bahn, kurz ZBS, eingebaut. Das ist eine Modernisierung, was gut ist, aber eine Siemens-Lösung nur für Berlin, was schlecht ist, weil man abhängig wurde. Vor allem ist das nicht wirklich modern, was da verbaut wird. Im Berliner ÖPNV sanken die Kapazitäten zwischen 2023 und 2025 bereits um sieben Prozent. Dabei müssten wir Züge dichter fahren lassen, wenn mehr Verkehr auf die Schiene soll. Das geht, die Münchner S-Bahn erreicht 30 Zugpaare pro Stunde, technisch möglich wären dort sogar 37. Berlin schafft maximal 21, und das bleibt so bis 2050. Ernsthaft.
Die Krise der S-Bahn ist ja im Wesentlichen die Krise der Deutschen Bahn. Und die ist neuerdings praktisch führungslos, seit ihr Chef Richard Lutz zum Entlassungskandidaten erklärt wurde. Was tun?
Es ist eine tiefe Krise der Politik. SPD und CDU haben das begonnen, SPD, Grüne und Linke haben es fortgeführt. Die CDU hat es in der Opposition kritisiert, wieder in der Regierung macht sie weiter. Auf Bundesebene versagen CDU und SPD seit Jahrzehnten bei der Steuerung der Deutschen Bahn. Notwendig sind grundlegende Schritte. Wer geht die an? Die DB macht, was sie will, weil sie vor 30 Jahren als privatrechtliche Aktiengesellschaft aufgestellt wurde, der niemand reinredet. Die S-Bahn-Ausschreibung wurde gestartet, und es wurde so aufwändig, hat sich derart verzögert und wurde so teuer, dass niemand noch sagen kann, das ist die beste Lösung.
Und stattdessen?
Die Lösung wäre, dass Berlin die S-Bahn rekommunalisiert: Wagen, Betrieb und Netz. Das kostet bei Weitem nicht so viel wie die 20 Milliarden dieser Ausschreibung, und man muss den Erwerb noch nicht einmal auf die Schuldenbremse anrechnen, weil man gleichzeitig ja sein Vermögen vergrößert. Gerade sind in Bund und in Berlin Schwarz-Rot an der Regierung, die müssten sich doch einig werden können. Eine S-Bahn in Berliner Hand könnte so geplant werden, dass sie wächst und es leicht macht, das Auto immer öfter stehen zu lassen. Man braucht keine Wagenausschreibungen mit Neuentwicklungen. Es gibt einen neuen Wagentyp von Stadler, von dem kann man einfach sukzessive so viel bestellen, wie die bauen können. Wenn die S-Bahn wieder öffentlich ist, kann da auch die EU nicht reinreden. Man kann auch Stadler Pankow kaufen, das würde sich sicher rechnen.
Die Politik zögert nicht, groß Geld auszugeben, 20 Milliarden Euro, ohne sich Gedanken zu machen, was man damit alles gestalten könnte. Groß zu denken, das muss erst noch kommen.
Herr Waßmuth, vielen Dank für das Gespräch.
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