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Titel: Wieso zahlte EU-Kommission nach der EU-Wahl über 600.000 Euro an umstrittenes Journalisten-Netzwerk OCCRP?

Datum: 10. September 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyismus und politische Korruption, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
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Wie die EU-Kommission jüngst auf Nachfrage einräumte, finanziert sie aktuell mit über 600.000 Euro das Journalisten-Netzwerk OCCRP. In Deutschland gehören unter anderem Der Spiegel, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung zu dem Netzwerk. Offiziell dienen die Gelder der „Förderung von investigativem Journalismus“. Pikant: Die Förderzusage erfolgte kurz nach der EU-Wahl und nachdem Medien aus dem Umfeld des Netzwerks in Kampagnenform „Investigativ-Artikel“ auf Basis von angeblichen Geheimdiensterkenntnissen gegen EU-kritische Politiker veröffentlicht hatten. OCCRP selbst wurde 2008 gegründet, die Anfangsfinanzierung in Millionenhöhe erfolgte über verdeckte Kanäle des US-Außenministeriums. Vermittelt wurde die Finanzierung aus dem US-Geheimdienstumfeld, namentlich dem ehemaligen Offizier der US-Armee David Hodgkinson, der sich aktuell der Koordinierung der 18 US-Geheimdienste widmet. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 28. August 2025 erklärte die finnische EU-Kommissarin für Digitale und Grenztechnologien, Henna Virkkunen, im Namen der EU-Kommission, dass das Journalisten-Netzwerk OCCRP (Organized Crime and Corruption Reporting Project – Projekt zur Erfassung und Veröffentlichung von organisierter Kriminalität und Korruption) derzeit eine EU-Kofinanzierung in Höhe von 604.269 Euro erhalte und bei weiteren zwei EU-finanzierten Projekten als „assoziierter Partner“ agiere. Die Förderung diene „der Stärkung der journalistischen Sektoren (…) und der Handlungsfähigkeit von europäischen Journalistinnen und Journalisten, Nachrichtenredaktionen und Medienunternehmen mithilfe von Schulungen und Instrumenten für investigativen Journalismus“. Die Antwort erfolgte auf eine Anfrage des EU-Abgeordneten Petr Bystron (AfD).

Die „Voice-of-Europe-Affäre“

Mehrere EU-Abgeordnete, darunter auch Bystron selbst, sehen nach eigener Darstellung in der Förderung von OCCRP „eine Parteinahme, da OCCRP-Medien vor der EU-Wahl EU-kritische Politiker ohne Beweise als angebliche ‚Moskau-Agenten‘ darstellten“. Betroffen von der tatsächlich fragwürdigen Berichterstattung rund um die sogenannte „Voice-of-Europe-Affäre“ mit Verweis auf angebliche Erkenntnisse und Videoaufnahmen des tschechischen Geheimdienstes BIS waren Politiker und Kandidaten für die EU-Wahl in sechs Ländern der EU (Deutschland, Belgien, Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Polen).

Ausgangspunkt war die Behauptung der tschechischen Tageszeitung Deník N, dass vornehmlich „rechtspopulistische“ Kandidaten für die „Europawahl“ aus den genannten Ländern von dem „prorussischen Propagandamedium“ Voice of Europe mit Sitz in Prag „Hunderttausende Euro“ entweder bar oder in Form von Kryptowährung erhalten hätten. „Hauptakteure im Einflussnetzwerk“ seien „zwei ukrainische Geschäftsleute und Politiker mit engen Verbindungen zu Russland – Viktor Medwedtschuk und sein enger Vertrauter Artem Marschewski“ gewesen.

Als Quelle wurde auf Geheimdiensterkenntnisse verwiesen und in diesem Zusammenhang behauptet, der tschechische Geheimdienst BIS würde über entsprechende Video- und Audioaufnahmen verfügen. Auffällig hier: Die sonst eigentlich nur auf tschechisch publizierende Tageszeitung veröffentlichte diese „Investigativstory“ am 27. März um 18:05 Uhr auf Englisch unter dem Titel: „European politicians on Putin’s payroll. Russians attempted to influence European elections from Prague” („Europäische Politiker auf Putins Gehaltsliste. Russen versuchten, von Prag aus Einfluss auf die Europawahlen zu nehmen“).

In Deutschland geriet insbesondere der AfD-Kandidat auf Listenplatz 2 für die Europawahl, der Deutsch-Tscheche Petr Bystron ins Visier der Berichterstattung. Genau zehn Minuten nach der Veröffentlichung von Deník N veröffentlichte der OCCRP-Kooperationspartner SPIEGEL unter der Überschrift „Europäische Politiker sollen Hunderttausende Euro aus Russland bekommen haben“ einen sehr ähnlichen Artikel. Immerhin fügte die Redaktion in dem Fall noch „sollen“ in den Titel ein.

Am 20. April 2024 legte DIE ZEIT, ebenfalls OCCRP-Kooperationspartner, mit dem Artikel „AfD und Russland: 20.000 Euro, Übergabe in Prag“ nach.

Mit Berufung auf diese Medienberichte führte die Staatsanwaltschaft München bisher sage und schreibe 23 Hausdurchsuchungen bei Bystron durch – alle soweit bekannt ergebnislos. Die angeblichen Video- und Audiobeweise des tschechischen Geheimdienstes für die Geldannahme von Bystron, über die Deník N, SPIEGEL und ZEIT so ausführlich und teilweise im Indikativ berichtet hatten, wurden bis heute nicht veröffentlicht – auch nicht in „geleakter“ Form. Nach Ende der EU-Wahl am 9. Juni brach die Berichterstattung von SPIEGEL und Co. zu dem Thema auffallend abrupt ab.

Jene Berichterstattung aus dem Umfeld von OCCRP beeinflusste jedoch, so die Kritik der betroffenen Politiker, das Wahlergebnis und somit die Zusammensetzung des EU-Parlaments. Bystron erklärte in einer Pressemitteilung vom 8. September zu der Förderbestätigung der EU-Kommission in Bezug auf OCCRP, dass sich hier „der größte Medienskandal der Nachkriegsgeschichte“ anbahne. Die EU-Gelder seien angeblich für die „Unterstützung des investigativen Journalismus“ geflossen, dabei hätten „die OCCRP-Medien genau das Gegenteil gemacht – negative Informationen über EU-kritische Politiker ungeprüft und völlig unkritisch verbreitet – kampagnenartig.“ Ziel sei es gewesen, EU-kritische Politiker auszuschalten.

Ob es sich dabei um den „größten Medienskandal der Nachkriegsgeschichte“ handelt, sei mal dahingestellt, aber ein Geschmäckle hat der Zeitpunkt der Förderzusage für OCCRP wenige Wochen nach der EU-Wahl (Zusage erfolgte am 11. Juli 2024) und die zuvor aus dem OCCRP-Kooperationsumfeld lancierte Medienkampagne auf Basis nicht zu verifizierender „Geheimdienstinformationen“ gegen Bystron und weitere Kandidaten zur EU-Wahl durchaus.

Die fragwürdige Ausrichtung und Gründungsgeschichte von OCCRP

Auch ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Organisation wie die OCCRP von der EU-Kommission mit hohen sechsstelligen Beträgen gefördert werden sollte. OCCRP wurde 2008 gegründet und gilt nach Eigendarstellung als „die größte Organisation für investigative Berichterstattung auf der Welt“. Die NGO verfügt über ein Jahresbudget von 20 Millionen Euro, 200 Mitarbeiter auf allen Kontinenten sowie ein Netzwerk von 70 Medien, darunter große westliche Leitmedien wie The New York Times und The Washington Post in den USA, The Guardian in Großbritannien, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, ZEIT, NDR und weitere ARD-Anstalten in Deutschland sowie Le Monde in Frankreich.

OCCRP hat die bekanntesten internationalen Projekte des investigativen Journalismus der letzten zehn Jahre initiiert oder war zumindest an zentraler Stelle daran beteiligt. Dazu gehören unter anderem die Panama Papers, die Pandora Papers, Suisse Secrets, Narco Files, Pegasus Project, Cyprus Confidential und die sogenannte Laundromat-Serie – fast ausnahmslos Projekte, die auf umfassenden Datenlecks basierten. Im Februar 2023 war das OCCRP für diese Arbeit sogar für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Auf den ersten Blick also eine Bilderbuch-NGO. Doch kritischen Beobachtern war schon vor Jahren aufgefallen, dass die Datenlecks und Recherchen von OCCRP fast nie Informationen zu US-Amerikanern enthielten, sondern immer Staaten und deren Eliten im Fokus hatten, die die USA als Gegner einstufen, wie zum Beispiel Russland, China oder Venezuela.

Für dieses „Phänomen“ gibt es mittlerweile eine Erklärung. Denn laut einer später zensierten Recherche des NDR (die NachDenkSeiten berichteten) wird das „unabhängige Netzwerk“ maßgeblich von der US-Regierung finanziert. Besonders pikant: Schlüsselpositionen im Bereich Management und Redaktion beim OCCRP werden von der US-Regierung abgesegnet, die in diesem Zusammenhang auch über ein Vetorecht verfügt. Die Anschubfinanzierung selbst erfolgte größtenteils über verdeckte Kanäle wie das Bureau of International Narcotics and Law Enforcement Affairs (Büro für internationale Drogen- und Strafverfolgungsangelegenheiten) des US-Außenministeriums. Vermittelt wurde die Anfangsfinanzierung von Mitgliedern aus dem US-Geheimdienstumfeld, namentlich dem ehemaligen Offizier der US-Armee David Hodgkinson, der mittlerweile für das Office of the Director of National Intelligence (ODNI) tätig ist. Hauptaufgabe von ODNI ist die Koordinierung aller 18 US-Geheimdienste.

Zudem ergab die von der NDR-Führung zensierte Recherche, dass die US-Regierung die Berichterstattung der „Investigativ-NGO“ bewusst steuert, indem sie ihre Mittelvergabe konditioniert. Zum einen verpflichtet Washington die OCCRP dazu, ihre Recherchen auf spezielle Länder zu fokussieren – konkret wurden in dem Zusammenhang „Russland, Venezuela, Malta und Zypern“ genannt. Zum anderen wurden die USA, egal ob US-Konzerne oder Einzelpersonen, als Recherchefeld zum Tabu erklärt.

Dass die vom NDR initiierte Recherche dann doch veröffentlicht wurde, ist der auf Investigativrecherche spezialisierten französischen Plattform Mediapart zu verdanken. Diese entschied sich trotz massiven Drucks aus den USA, anstelle des NDR die Rechercheergebnisse unter dem Titel „Die versteckten Verbindungen zwischen einem Giganten des investigativen Journalismus und der US-Regierung“ zu veröffentlichen.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch die bisherige Reaktion oder besser gesagt Nicht-Reaktion der Medienpartner von OCCRP auf die Ergebnisse der Recherche. Laut Mediapart weigerten sich unter anderem Der Spiegel und andere deutsche Kooperationspartner, die Frage zu der Partnerschaft mit OCCRP und der dominierenden Rolle der US-Regierung zu beantworten. Und während der NDR, auch wenn er die Recherche zensierte, immerhin in Konsequenz die Zusammenarbeit mit OCCRP aufkündigte, scheinen Spiegel, ZEIT, Süddeutsche und Co. sich an der belegten massiven US-Einflussnahme nicht zu stören und arbeiten weiter, ebenso wie die EU-Kommission, mit der NGO zusammen.

Titelbild: Shutterstock / PP Photos


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