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Titel: Böhmermanns Gratismut – das ist keine Satire, das kann weg

Datum: 30. September 2025 um 14:09 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Erosion der Demokratie, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Wüsste man es nicht besser, man könnte es für eine künstlerische Performance halten, mit der die Verlogenheit in der Debatte um Cancel Culture und Meinungsfreiheit ad absurdum geführt werden soll. Die Protagonisten sind ein rabaukiger Ex-BILD-Chef, ein erzkonservativer Kulturstaatsminister und ein TV-Satiriker mit „linksliberalen“ Überzeugungen. Alle drei – so verschieden sie politisch zu verorten sind – gerieren sich gerne als Kreuzritter der Meinungsfreiheit. Das gilt jedoch nur für ihre Meinung, wie der aktuelle Fall der Ausladung des Rappers Chefket von einer Berliner Kulturveranstaltung zeigt. Ein Kommentar von Jens Berger.

Auch wenn die Quoten es nicht vermuten lassen – Jan Böhmermann gehört in Deutschland wohl zu den bekanntesten TV-Gesichtern. Seit 2013 hat der ehemalige Gagschreiber von Harald Schmidt verschiedene TV-Formate beim ZDF, mit denen er zu provozieren weiß. Schmidt selbst sagte einst über Böhmermann: „Ich wusste schon früh, dass es Böhmermann als Moderator nie schaffen würde. Aber dass er es als Krawallschachtel sehr weit bringen würde, wusste ich auch.“ Krawallschachtel trifft es gut. Böhmermann versteht es vortrefflich, seine bei Lichte betrachtet eher durchschnittlichen Fähigkeiten als Satiriker durch inszenierte Skandale wie sein „Schmähgedicht“ über den türkischen Präsidenten Erdogan zu übertünchen und in die Schlagzeilen zu kommen. Im Internet nennt man solche Menschen Trolle. Im gebührenfinanzierten Fernsehen gibt man ihnen Shows.

Politisch ist Böhmermann irgendwo zwischen taz und SPIEGEL zu verorten. „Linksliberaler“ Mainstream, der gerne nach oben buckelt und nach unten tritt – eine weiße, männliche Dunja Hayali mit Clownsnase, die in der eigenen Bubble auf X vergöttert und vor allem von den rechten Gegentrollen regelrecht verteufelt wird. Wir leben mitten im Kulturkampf und Böhmermann ist eine der Galionsfiguren des Kulturkampfs von links. Warum eben dieser Jan Böhmermann nun die Ehre hat, eine dreiwöchige Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HDK) zu kuratieren, ist eine der Faszinosa dieser Tage. Mitveranstalter und wohl auch Finanzier der Böhmermann-Ausstellung ist der Bund in Gestalt des Staatsministeriums für Kultur und Medien. Warum der Steuerzahler einen Troll, der schon über den Rundfunkbeitrag laut Medienberichten mit mindestens 713.000 Euro netto pro Jahr alimentiert wird, nun auch noch querfinanziert, ist eine spannende Frage.

Aber ja. Kultur und Kunst sind frei und dürfen gerne auch provozieren. Diesen Satz könnte sicher auch Jan Böhmermann unterschreiben, auch wenn er ihn sicher anders interpretieren würde. Jan Böhmermann geriert sich schließlich gerne als Kämpfer für die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst; aber auch nur dann, wenn er der Meinung ist, dass seine Meinung und seine Kunst unterdrückt werden; also wenn er beispielsweise Erdogan als „Ziegenf****“ bezeichnet, um die Grenzen der Satire offenzulegen. Wenn es um die Meinung Andersdenkender geht, seien es Kritiker der Coronamaßnahmen oder Wähler der AfD, ist Böhmermann weniger großzügig mit seiner Definition von Meinungsfreiheit.

So gesehen ist Jan Böhmermann gewissermaßen der – je nach Sichtweise – gute oder böse Bruder im Geiste von Julian Reichelt. Reichelt war früher mal Chef der BILD, der offenbar immer wieder bei seinen weiblichen Untergebenen Berufliches mit Privatem verwechselte und dafür gefeuert wurde. #meetoo. Seitdem lebt sich Reichelt als rechter Troll mit seinem Internetmedium Nius aus. Wie Böhmermann ist er eine Krawallschachtel vor dem Herrn. Anders als Böhmermann wird er jedoch nicht von öffentlichen Geldern, sondern Medienangaben zufolge von Milliardären mit reaktionärem Weltbild finanziert. Auch Reichelt ist ein großer Freund der Meinungsfreiheit, wenn es denn nur um seine eigene Meinung geht. Für Meinungen, die er für „linksgrün versifft“ oder „woke“ hält, hat er freilich wenig Sympathie.

Halten wir also fest – die zwei Protagonisten dieses Stücks sind zwei Mediengestalten, die beide vorgeben, Kämpfer im Namen der Meinungsfreiheit zu sein, die aber nichts lieber täten, als sich gegenseitig das Recht auf Meinungsfreiheit zu verbieten. Hier der linke, da der rechte Troll und in der Mitte wir, die wir als Zuschauer des öffentlich ausgetragenen Spektakels im besten Fall unterhalten, im schlimmsten Fall nur noch genervt sind.

Vorhang auf für die bereits erwähnte Böhmermann-Ausstellung im HDK. Konzept dieser Ausstellung sind unter anderem auch verschiedene Veranstaltungen, wie Konzerte und TV-Shows – Letztere natürlich von und mit Jan Böhmermann. Das finden Reichelt und sein Medium Nius natürlich schlimm. Noch schlimmer fanden sie allerdings, dass auf einem der Konzerte ein Rapper namens Cheftek auftreten sollte. Der heißt eigentlich Sevket Dirican, ist Sohn türkischer Einwanderer und spricht sich in seinen Songs deutlich gegen Rassismus und Antisemitismus aus und war damit sogar schon für das Goethe-Institut als deutsches Kulturgut unterwegs. „Dummerweise“ ist Cheftek jedoch auch ein Kritiker des israelischen Völkermords in Gaza und postete vor sieben Wochen einen kleinen Film auf Instagram, in dem er ein Palästina-T-Shirt trug. Auf diesem Shirt ist auch eine kleine Abbildung des Staates Israel zu sehen, bei der die Städtenamen auf Arabisch geschrieben sind. Und das gilt in Deutschland – so sieht es zumindest Julian Reichelt – als Antisemitismus.

Sich nun die Frage zu stellen, was an diesem T-Shirt eigentlich antisemitisch sein soll, würde die Debatte auf eine sachliche Ebene führen und wenn es um die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit geht, wäre dieser Ansatz seltsam anachronistisch. Reichelt tat, was Trolls so tun – er ließ einen wutentbrannten „Artikel“ auf seiner Nius-Seite veröffentlichen, der Gott und der Welt und insbesondere dem jetzigen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer den Vorwurf machte, Antisemitismus mit Steuergeldern zu fördern. Natürlich ist das absurd und hätte in anderen Zeiten bestenfalls zum Fremdschämen eingeladen. Doch die anderen Zeiten sind vorbei.

Angefixt vom Rechtstroll Reichelt fühlte sich nun Wolfram Weimer bemüßigt, seinerseits die Antisemitismuskeule zu schwingen und sie Jan Böhmermann über den lichter werdenden Schädel zu ziehen. Auch Weimer gehört zu denen, die sich immer wieder als Kämpfer für Meinungsfreiheit gerieren. Zu seinem Amtsantritt verkündete er pathetisch, es gelte, „die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren […] zu weiten, anstatt sie zu verengen“. Das gilt offenbar jedoch nicht für Rapper mit Palästina-T-Shirts.

Nun lag der Ball wieder bei Jan Böhmermann, dem mutigen „Kämpfer für Meinungsfreiheit“. Mutig ist Böhmermann aber nur, wenn es ihn nichts kostet. Und in der „linksliberalen“ Blase kostet es natürlich nichts, wenn man sich „mutig“ gegen die AfD oder andere Kritiker des „linksliberalen“ Mainstreams stellt. Das nennt sich Gratismut und Böhmermann ist wohl eher der Großmeister des Gratismuts, der die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst bei der erstbesten Gelegenheit opfert, wenn es sich denn um die Meinung der Anderen handelt. Und mit „Antisemitismusvorwürfen“ will der gute Herr Böhmermann, der ohnehin nicht viel von Kritik an Israels Kriegsführung hält, freilich nichts zu tun haben, auch wenn sie noch so gaga sind. Also machte Böhmermann das, was man als „wahrer Freund der Meinungsfreiheit“ in solchen Fallen wohl tut – er sagte das Konzert von Cheftek ab. Ist das diese Cancel Culture, von der man so viel hört? Die Begründung: „Man könne die Integrität [der Veranstaltung] nicht mehr garantieren.“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Stattfinden sollte das Konzert am 7. Oktober – eingerahmt von einem Gespräch zwischen Böhmermann und seinem Medienanwalt zum Thema „Was darf Satire“ und einem Gespräch zwischen Böhmermann und Wolfram Weimer himself. In einer Ankündigung zur Ausstellung heißt es übrigens, man wolle „Kunst erleben, bevor sie etikettiert, editiert oder erklärt wurde“. Da fragt man sich doch: Ist das alles Satire oder kann das weg?

Ich träume ja immer noch, dass nun die ganze „Affäre“ aufgeklärt wird, Jan Böhmermann sich auf die Bühne stellt und erklärt, dass die ganze Debatte um Cheftek und die Absage des Konzerts Performance-Kunst war, um der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, wie sehr die Meinungs- und Kunstfreiheit in diesen Tagen bedroht ist und wie sehr Verteidiger des Völkermords in Gaza mit der „Antisemitismuskeule“ spielen, um missliebige Meinungen zu unterdrücken. Aber dieser Böhmermann, von dem ich träume, wäre ja tatsächlich ein Kämpfer für Meinungsfreiheit; eine Krawallschachtel zwar, aber immerhin eine Krawallschachtel, die mit ihren subversiven Aktionen den Finger in die Wunde legt. Solche Künstler gab es mal, wie z.B. den großartigen Christoph Schlingensief, der mit seiner oft geschmacklosen Aktionskunst zum Nachdenken angeregt hat. Aber Jan Böhmermann ist kein Christoph Schlingensief, sondern ein tumber Troll, der bestenfalls eine Persiflage seiner selbst ist und dann, wenn es eigentlich drauf ankommen sollte, genau die Werte mit Füßen tritt, für die er sich vermeintlich einsetzt. Ein Mann seiner Zeit, ein Mann ohne Rückgrat und Anstand. Nein, das ist keine Satire. Das kann weg.

Titelbild: Screenshot ZDF


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