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Titel: Auf dem Schachbrett Frankreich – das Spiel der Elite, das ein bisschen Raum verdient, findet die deutsche Bundesregierung
Datum: 8. Oktober 2025 um 15:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte, Neoliberalismus und Monetarismus
Verantwortlich: Redaktion
Die politische Elite Frankreichs verhält sich nicht wie eine Elite, erlesen und edel. Diese „Elite“ agiert stattdessen arrogant, machthungrig, wie Leim. Sie klebt am Stuhl und gibt vor, ihr Wirken folgt dem edlen Ziel, dem Volk, den Bürgern zu dienen. Diese Botschaft wird von führenden Medien täglich verbreitet, das Volk aber wird verachtet. Frankreich wirkt da wie ein Schachbrett, welches vor den elitären Akteuren liegt und auf dem immer die Bauern geopfert werden. Präsident Emmanuel Macron und seinesgleichen spielen das Spiel „Eine Regierung installieren oder scheitern lassen“. In der Zwischenzeit schaffen es viele Menschen im Land noch, über die Runden zu kommen. Doch die Not wächst, so auch die Wut über die Elite. Die bastelt ungeniert weiter an Haushaltsplänen, die das Gürtel-enger-Schnallen (für die vielen) zur Grundlage haben. Was sagen wir Nachbarn? Unsere deutsche Regierung findet, dass das kein Drama sei, von wegen Krise. Dabei ist es die größte seit den 1950er-Jahren. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Das neue Kabinett – es wäre wie das alte gewesen
In unserem Nachbarland Frankreich peinigt seit Jahren eine politische Krise die vielen Menschen, die ihren Alltag einfach nur meistern wollen, während wenige profitieren und doch immer noch nicht genug haben. Jetzt erreicht dieser Zustand eine neue Qualität. „Es ist die größte Krise seit den 1950er-Jahren“, bestätigt mir mein Freund und Frankreichexperte Sebastian Chwala.
Endzeitstimmung kommt gar auf wegen der aktuellen Farce um die „Regierungsbildung“ – ganz im Interesse Präsident Macrons, der weiter an seinem Stuhl klebt. Nach einem Monat im Amt trat dessen Premierminister Sébastien Lecornu wieder zurück. Er offenbarte mit dieser Aktion seine Unzufriedenheit über die Zusammenstellung seines neuen Kabinetts: Seine Namensliste der Minister las sich nahezu identisch wie die Liste der Regierung des vor Lecornu parlamentarisch gestürzten Premiers François Bayrou. Das hätte Veränderung bedeuten sollen? Eine Farce. Neuanfang? Der ist auch nicht in Sicht, der Macronismus wird durch die herrschenden politischen Verhältnisse aufrechterhalten – Sozialabbau, Militarisierung der Gesellschaft, Schutz der Reichen usw. eingeschlossen.
Habt ein bisschen Geduld mit Frankreich
Frankreichs neoliberaler Weg scheint betoniert, beobachten auch wir Deutschen, selbst betroffen von derlei asozialen Entwicklungen. Unsere Bundesregierung warnte dagegen vor einer „Dramatisierung“ der politischen Situation in Frankreich, die eigene sicher ignorierend und selbstgefällig vor Augen. Ich hörte den Deutschlandfunk und erfuhr erstaunt: „Die Bundesregierung sieht wegen der erneuten Regierungskrise in Frankreich keine politische Destabilisierung in dem Land.“ Geradezu humoristisch formuliert empfand ich die Aussage des deutschen Regierungssprechers, doch etwas geduldig und nachsichtig mit dem langjährigen, selbstherrlichen, reaktionären französischen Präsidenten umzugehen. Die Worte klangen, als verdiente dieser immer neue und neue Chancen, sein neoliberales Werk fortzusetzen – zum Wohl der Franzosen, versteht sich:
Regierungssprecher Kornelius sagte in Berlin, man müsse dem französischen Präsidenten Macron „ein bisschen Raum geben“, um eine neue Regierung aufzustellen. Kornelius hob hervor, dass er „vor einer Dramatisierung“ der Situation in Frankreich warne.
Nach seinem Rücktritt hatte Frankreichs Premierminister Lecornu den Parteien im Parlament vorgeworfen, das Land politisch zu blockieren. Er sei zu Kompromissen bereit gewesen, sagte Lecornu in Paris. Er beklagte zudem einen Streit der Parteien um Posten bei der Regierungsbildung. Die mitregierenden, konservativen Republikaner monierten, dass die Besetzung der Ressorts nicht dem angekündigten Neuanfang entspräche. Sie drohten mit dem Rückzug aus der Regierung. Hintergrund der politischen Krise in Frankreich ist vor allem der Streit über den Haushalt für das kommende Jahr. Zuletzt hatte das Parlament der Regierung von Lecornus Vorgänger Bayrou das Vertrauen entzogen.
(Quelle: Deutschlandfunk)
Hier die großen Spiele, dort Boxen und Kühlschränke gegen den Hunger
In Paris wird munter weiter Schach gespielt. Statt einem politischem Neuanfang eine Chance zu geben, sorgen sich die „Republikaner“, engste Verbündete des „Macronismus“, lieber um Posten. Sie zeigen sich enttäuscht darüber, in der schon wieder geschassten Regierung „zu wenig“ bedacht worden zu sein. Das Bündnis „La France insoumise” (LFI) fordert richtigerweise und überfällig ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsident Macron und Neuwahlen für das Präsidentenamt. Doch der Gegenzug auf dem Schachbrett ist schon vollzogen: Das ultrarechte Bündnis Rassemblement National (RN) fordert lediglich Parlamentsneuwahlen. Macron sitzt fest im Sattel.
Im Land helfen sich die Franzosen derweil im den Eliten fernen Alltag, soziale Probleme anzupacken. So gibt es – ein Beispiel – zunehmend öffentliche Anlaufstellen, sogenannte Brot-Boxen, in die Bäcker ihr nicht verkauftes Brot legen, welches kostenlos mitgenommen werden kann. Die einen meinen, es sei ein guter Beitrag gegen die Verschwendung von Lebensmitteln, die anderen sagen, die Aktion helfe, etwas gegen den Hunger von Bedürftigen zu unternehmen. Eine weitere Aktion ist die der öffentlich zugänglichen „Kühlschränke der Solidarität“, in denen ebenfalls kostenlos Lebensmittel zur Mitnahme deponiert werden.
Die Krise ist tatsächlich so groß wie lange nicht
Die politische Architektur des Landes erfährt inzwischen einen Umbau, bei dem sich mehr Radikalität und Unversöhnlichkeit durchsetzen könnten. Zumindest ist das Land derzeit in einem erstaunlich stabilen Zustand, die Demonstrationen im Land zeugen von einer agilen, aufmerksam kritischen Bevölkerung, die den Eliten auf die Finger schaut. Politikexperte Chwala dazu:
Zur Beruhigung, am Rande der Revolution steht das Land tatsächlich nicht. Alle Straßenproteste sind eher Appelle an die politischen Parteien und Figuren. Schrittweise baut sich weiter ein neues Parteiensystem auf, das mit „radikaleren“ politischen Inhalten auffällt. Beispielsweise gewinnt die Linke durch ihre politische Bewegung „La France Insoumise“ LFI an Konturen, während bei den Rechten mit dem Rassemblement National RN das alte Lied der Fremdenfeindlichkeit und der bedrohten traditionellen nationalen Kultur gesungen wird.
Und ja, die Krise ist tatsächlich so groß, wie seit den 1950ziger Jahren nicht mehr. Die V. Republik mit einem übermächtigen Präsidenten an der Spitze sollte derartige Instabilität eigentlich verhindern, allerdings können die bestehenden Strukturen das nicht gewährleisten, weil ein von Anfang unpopulärer Präsident wie Macron an der Spitze des Staates steht. Es ist aktuell noch unklar, was passieren wird. Die Frage lautet: Gibt es einfach nur Parlamentsneuwahlen oder tritt Macron tatsächlich zurück? Letzteres ist sehr unwahrscheinlich. Eher wird an einer Regierungskonstellation mit den Sozialdemokraten gefeilscht, die aus Sorge um den Staat vollständig mit dem Linksblock brechen, um ihn in Folge wieder politisch zu marginalisieren.
Welche Kräfte kommen in Frankreich künftig zum Zug?
Links, Rechts, Mitte. Letztere Strömung stellt sich bis heute in den Mittelpunkt, gibt sich seriös, vernünftig und volksnah, als Wiege der Demokratie. Diese Tarnung indes ist längst aufgeflogen. Sebastian Chwala benennt dazu einen der wichtigsten Akteure des Mitte-„Spiels“:
Macron steht für den politischen Rechtsruck in Frankreich, der alle Bereiche des Staates umfasst. Seit 2022 lautet sein politischer Plan, den rechten RN in zunehmendem Maße politisch einzubinden, um so selbst an politischem Profil zu gewinnen. Macron hatte schon 2024 auf einen Wahlsieg des RN gehofft und war danach selbst überrascht, dass die französische Gesellschaft nicht so rechts ist, wie die Konzernmedien in Frankreich es jeden Tag den Menschen einreden wollen.
Ist der Gegenwind von Links ein wirksames Mittel und die probate politische Ausrichtung des Landes, um einen Rechtsruck durch die „gemäßigte“ Mitte-Elite zu stoppen, frage ich mich. Hoffnungen der Bevölkerung beruhen auf „La France Insoumise“ (LFI), eine politische Bewegung, die 2016 von Jean-Luc Mélenchon gegründet wurde. Im Gegensatz zu Macron, den mächtigen Konzernmedien, den reichen Drahtziehern und Nutznießern des Neoliberalismus stehen bei der LFI Themen wie soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und eine echte demokratische Neuausrichtung Frankreichs auf dem Plan. LFI lehnt schlicht die fortgesetzte asoziale neoliberale Wirtschaftspolitik ab.
Der Kampf um die Zukunft ist im Gang. Die einen wollen so weitermachen, die anderen eine bessere Gesellschaft. Fragen über Fragen beschäftigen einen. In der bürgerlichen Presse wird aktuell gefragt: „Tritt Macron zurück?“ Das wäre doch mal ein Anfang, finde ich. Würde das passieren, wäre es vielleicht auch der Beginn einer neuen Ära, einer, in der der Neoliberalismus zurückgedrängt wird?
Titelbild: klenger/shutterstock.com
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