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Titel: „Falken“ und „Tauben“ in Washington: Trumps Ukraine-Kurs unter der Lupe

Datum: 4. November 2025 um 15:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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US-Präsident Donald Trump kehrt offenbar zu seiner Haltung vor der Alaska-Initiative zurück: Anstelle eines umfassenden, nachhaltigen Friedensabkommens für die Ukraine, das auf die Beseitigung der Konfliktursachen abzielt, fordert er nun erneut das Einfrieren des Konflikts. Die Übergabe des noch ukrainisch kontrollierten Donbass ist vom Tisch; stattdessen scheint er, europäische und ukrainische Vorstellungen unterstützend sowie russische Interessen ignorierend, einen Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinien anstreben zu wollen. Was ist der Grund für diese Kehrtwende in Washingtons Außenpolitik? Warum entschloss sich Trump zur Rückkehr zu verschärftem Druck gegen Russland? Und wie offenbart die Intensivierung des Vorgehens gegen Moskau die tiefen Gräben innerhalb der US-Elite? Ein Beitrag von Gábor Stier. Aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Manche Beobachter sehen in der wechselhaften Politik von Donald Trump gar keine echte Wende. Ich neige eher zu der Annahme, Trump inszeniert lediglich sein Verhandlungsgeschick und wechselt – ganz im Stil eines Geschäftsmannes – die Mittel zum Erreichen seiner Ziele. Nachdem das Angebot von „Zuckerbrot“ an Wladimir Putin gescheitert war, weil sein russischer Amtskollege als zu harter Verhandlungspartner agierte, griff er nun zur „Peitsche“, indem er gezielte Schläge gegen den russischen Energiesektor austeilt. Trotzdem hält er die Tür für Verständigung mit Putin offen und sieht weiterhin Perspektiven für eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen.

Dieser Wechsel der Instrumente ist jedoch nicht nur Taktik. Trumps innen- und außenpolitischer Handlungsspielraum zwingt ihn dazu, mit Russland härter zu verfahren als bisher.

Die tiefen Gräben der US-Elite: Kabinett, Geheimdienste und Kongress

Die angebliche „Wende“ des US-Präsidenten in der Russlandpolitik – die zur Verschiebung des Budapester Gipfels und zur ersten Sanktionsrunde nach einem Jahr führte – war von internen Konflikten zwischen „Falken“ und „Tauben“, zwischen Diplomaten und Nachrichtendiensten sowie zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress begleitet. Die einflussreichsten „Falken“ in Trumps engstem Kreis sind Außenminister Marco Rubio, Finanzminister Scott Bessent und Sonderbeauftragter Keith Kellogg. Die mächtigsten „Tauben“ sind Vizepräsident James D. Vance und der Sonderbeauftragte Steven Witkoff. Der Einfluss der „Tauben“ speist sich jedoch einzig aus ihrer Nähe zum Präsidenten; sie verfügen über keine nennenswerte Machtbasis oder Apparate.

Bemerkenswert ist, dass bei der entscheidenden Sitzung zur Verhängung von Sanktionen gegen die russischen Energiekonzerne „Rosneft“ und „Lukoil“ nur Rubio und Bessent anwesend waren. Rubio hatte zuvor Witkoff an der Spitze der Russland-Verhandlungsgruppe abgelöst, was unweigerlich eine Tonänderung bedeutete.

Witkoff ist optimistisch und setzt sich für großangelegte Wirtschaftsprojekte wie den Tunnel zwischen Tschukotka und Alaska ein. US-Medienberichten zufolge war er der Einzige im Weißen Haus, der während der Gespräche mit der ukrainischen Delegation versuchte, Wolodymyr Selenskyj zu einem Rückzug der ukrainischen Truppen aus dem Donbass zu bewegen. Im Gegensatz dazu konzentriert sich Rubio nicht auf die Wirtschaft, sondern auf politische Lösungen. Er sieht im Druck auf Moskau die Voraussetzung dafür, dass der Kreml einem Einfrieren der Frontlinien zustimmt.

So lässt sich feststellen, dass sich – wenn auch nicht in allen Aspekten – die Position des US-Außenministeriums (State Department) durchgesetzt hat. Die internen Bruchlinien werden jedoch durch die Diskrepanz zwischen der Einschätzung der CIA und der des Analyseamtes des Außenministeriums (INR) verdeutlicht.

Während Langley (Anm. Red.: CIA-Hauptquartier in Langley, einem Vorort von Washington D. C.) die Möglichkeit einer Einigung mit Moskau und Beilegung des Ukraine-Konflikts eher positiv bewertet, geht das INR davon aus, dass die russische Führung nicht zu substanziellen Verhandlungen bereit ist. Diese Unterschiede spiegelten sich laut dem republikanisch orientierten Wall Street Journal in den oft widersprüchlichen täglichen Briefings des Präsidenten wider. Letztlich siegte die Linie der CIA: Im INR kam es in der Russland- und Eurasien-Abteilung unter dem Vorwand des „Personalabbaus“ zu Entlassungen oder Eigenkündigungen. Selbst das Außenministerium musste einräumen, dass diese internen Meinungsverschiedenheiten die Autorität der Behörde im Weißen Haus untergruben.

Übrigens war die CIA unter Joseph Biden – wie das russische Nachrichtenportal Vzgljad.ru festhält – die einzige wichtige Behörde, die „skeptisch“ gegenüber den ukrainischen Aussichten war und die Eskalationsvermeidung sowie die „Offenhaltung der Kommunikationslinien zu Moskau“ befürwortete. Obwohl Langley nun unter neuer Führung steht (John Lee Ratcliffe ersetzte William Burns), hat die CIA ihre Methode nicht geändert und hält weiterhin zur „Tauben“-Position.

Die dritte wesentliche Spaltung zieht sich zwischen Legislative und Exekutive.

Im Kongress wurden drei anti-russische Gesetzesinitiativen eingebracht: Eine sieht Zölle für Käufer russischen Öls vor, eine andere die schrittweise Enteignung eingefrorener russischer Vermögenswerte zugunsten der Ukraine, und eine dritte die Aufnahme Russlands in die Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten, was den Außenhandel weiter erschweren würde. Nach der Unterbrechung sind die Kongressmitglieder bereit, diese Gesetzespakete zu verabschieden. Die republikanische Führung fordert das Weiße Haus auf, diese „Kapitol-Schläge“ zu unterstützen, und signalisiert: Entweder übt die Regierung Druck auf Moskau aus oder der Kongress übernimmt dies. Die Trump-Administration hatte den Kongress monatelang ausgeschaltet, auch weil einige „Falken“ im nächsten Jahr zur Wiederwahl antreten und von der Unterstützung des Präsidenten abhängig sind.

Trump wollte die Beziehungen zu Russland nicht unnötig verkomplizieren. Wichtig war ihm aber, die Sanktionen selbst initiieren und leiten zu können, anstatt als eine Figur, die vom Parlament abhängig ist, zu erscheinen. Er hat getan, was er tat, und wartet nun anscheinend auf Ergebnisse, während er sich auf unbestimmte Zeit anderen Themen widmet. Dies erklärt auch seine Aussage, man müsse die Parteien bisweilen an der Front kämpfen lassen.

Geopolitische Ziele: Energie, Waffen und innenpolitischer Druck

Unterdessen hängt die Dynamik der USA-Russland-Beziehungen auch von den Beziehungen zu China ab, wie Vzgljad.ru analysiert. Trump entschied sich, anstatt einen umfassenden Wirtschaftskrieg zu riskieren, seinen Ärger zu mäßigen und sich mit kleineren Zugeständnissen Pekings zufriedenzugeben. Deshalb traf er Präsident Xi Jinping, obwohl er diese Gelegenheit kurz zuvor noch ausschlagen und den Druck auf die Chinesen erhöhen wollte – ein Wunsch von Bessent, dem Befürworter eines Handelsembargos gegen China.

Dieses Mal konnte Bessent Trump wohl nicht überzeugen, da die Inflation die US-Wähler stark irritiert und die Popularitätswerte des Präsidenten beeinflusst. Ein Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften hätte die Preissteigerungen zwangsläufig beschleunigt.

Eine Kluft besteht auch zwischen dem US-Präsidenten und seiner Bevölkerung, allerdings weniger in der Russland-Frage, sondern generell. 56 bis 58 Prozent der US-Amerikaner missbilligen Trumps Politik (ein Anstieg um fünf Prozentpunkte seit Sommerbeginn), während lediglich 19 Prozent ihn uneingeschränkt unterstützen – ein Rekordtief. Die Kritik am Weißen Haus ist primär ökonomischer Natur; die Zollkriege befeuerten nicht nur die Inflation, sondern lösten auch Panik auf dem Markt aus.

Letztlich wurde der Wirtschaftskrieg gegen China aufgeschoben, wodurch auch die monatelange Drohung mit Zöllen von 200 bis 300 Prozent auf russisches Öl gegen Moskau und Peking automatisch obsolet wurde.

Die Sanktionen gegen „Lukoil“ und „Rosneft“ wurden somit zu einem Hintertür-Manöver der Trump-Administration. Der Präsident verzichtete auf das unliebsame Versprechen spezifischer Sanktionen und genehmigte stattdessen andere Maßnahmen, um die Initiative zu behalten und sie nicht dem Kongress zu überlassen. Dadurch kann der Druck auf russische Energieexporte durch die Sanktionen zunehmen – und das betrifft längst nicht mehr nur die Ukraine.

Einigkeit besteht in den USA in zwei zentralen Fragen: Das Weiße Haus, der Kongress, das Außenministerium, die CIA, die „Falken“, die „Tauben“ und die Wählerschaft sind sich einig, dass die USA ihre Waffen verkaufen müssen, sofern es profitabel ist. Ebenso herrscht Übereinstimmung darüber, dass die USA Konkurrenten vom Energiemarkt verdrängen müssen.

Ungeachtet des Fortschritts im Dialog mit Moskau über die Ukraine wird die US-amerikanische Politik unter Trumps Präsidentschaft konsequent darauf abzielen, Russland von den globalen Öl- und Gasmärkten abzuschneiden, um die eigenen Marktpositionen in diesem Sektor zu stärken. Parallel dazu wird Washington als loyal erachtete Staaten dazu anhalten, US-amerikanische Rüstungsgüter zu erwerben. Ein Zugeständnis in einer dieser beiden Fragen würde Trump als bedeutende Geste betrachten, die Moskau ihm hoch anrechnen müsste. Diese Strategie spiegelt sein Vorgehen aus der ersten Amtszeit wider, als die USA ohne direkte Kriegsbeteiligung Sanktionen gegen Nord Stream verhängten und den Verkauf von Offensivwaffen an Kiew genehmigten.

Trotz seiner Friedensrhetorik scheint Trump bereit zu sein, den Abschluss eines Friedens auf die lange Bank zu schieben, da die aktuelle Lage seinen Interessen weitgehend entgegenkommt: Die „Geschäfte laufen“, und die Einnahmen fließen. Dies gilt, solange die Europäische Union bereit ist, die Finanzierung der Ukraine-Hilfe zu gewährleisten. Es scheint Trump wenig zu stören, dass die Europäer den Konflikt ihrerseits möglicherweise um weitere zwei bis drei Jahre verlängern wollen. Die vollständige russische Kontrolle über den Donbass ist damit freilich nicht vom Tisch.

Solange die Ukraine unter Selenskyj ihre Verteidigungsfähigkeit behält, bleibt diese Frage militärisch lösbar, da die Wahrscheinlichkeit eines freiwilligen Abzugs der ukrainischen Truppen verschwindend gering ist. Vor diesem Hintergrund wird Trumps jüngste Aussage, man müsse die Konfliktparteien bisweilen an der Front kämpfen lassen, besonders aufschlussreich.

Der Beitrag ist im ungarischen Original auf dem Portal #moszkvater.com erschienen.

Titelbild: Hamara / Shutterstock


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