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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der digitale Euro – Freude über den Widerstand aus Brüssel ist fehl am Platz
Datum: 6. November 2025 um 12:24 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Banken, Börse, Spekulation, Finanzen und Währung
Verantwortlich: Jens Berger
2020 brachte die EZB erstmals die Einführung eines digitalen Euros ins Gespräch und seitdem wird das Thema in der öffentlichen Debatte so gut wie möglich ignoriert. Das ist kein Wunder, weiß doch die breite Öffentlichkeit überhaupt nicht, worum es bei diesem Thema geht. Seit Ende letzter Woche hat die Debatte unter weitestgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit rasant an Fahrt aufgenommen. Erst legte die EZB einen konkreten Zeitplan für die Einführung des digitalen Euros vor und nur wenige Stunden später legte ein Bericht der EVP-Fraktion im Europaparlament die Notbremsung ein und stellte das gesamte Projekt infrage. Selbst sachkundige Leser werden nun gar nicht wissen, ob das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Zeit für ein wenig Hintergrundinfos zu einem immer noch sehr abstrakten Thema. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Keine Sorge, jetzt kommt kein Proseminar in Geldtheorie. Aber selbst wenn ich mir Mühe gebe, das Thema möglichst allgemeinverständlich anzugehen, kommt man ganz ohne Theorie nicht weiter. Zunächst einmal: Es gibt zwei Arten von Geld – echtes Geld, das man an dieser Stelle auch Zentralbankgeld nennen kann, und Giralgeld. Der Großteil unseres Geldes ist Giralgeld. Giralgeld ist immer digital. Es existiert als Zahl auf unseren Konten und stellt rechtlich einen Anspruch auf echtes Geld, also Zentralbankgeld, dar. Wenn man also z.B. einen Einkauf per Überweisung bezahlt, überträgt man technisch gesehen nur eine Forderung an die Bank an eine andere Person. Für Privatpersonen und normale Unternehmen kann diese Forderung zurzeit nur analog eingelöst werden – indem man Bargeld von seinem Konto abhebt.
Dabei ist das Bargeld selbst nur ein Teil des echten, also des Zentralbankgelds. Zurzeit sind im Eurosystem analoge Geldnoten im Wert von rund 1,6 Billionen Euro im Umlauf. Weitere rund 2,7 Billionen Euro Zentralbankgeld liegen jedoch bereits heute in digitaler Form vor – das ist das Geld, das die Geschäftsbanken als Reserveguthaben auf ihren Konten bei der EZB haben. Digitales Zentralbankgeld ist also keine neue Erfindung, es steht jedoch im bisherigen Geldsystem der Eurozone nur Geschäftsbanken und dem Staat, den wir hier aber ignorieren wollen, zur Verfügung. Das soll sich mit den digitalen Euro ändern. Die bisherigen Konzepte sehen vor, dass jeder Bürger mit der Einführung des digitalen Euros ein kostenloses Konto bei der EZB führen kann. Das Guthaben auf diesem Konto ist Zentralbankgeld, also echtes Geld.
Sind Sie auch schon ganz begeistert, künftig auch eine digitale Forderung an die EZB statt einer digitalen Forderung an ihre Sparkasse besitzen zu dürfen? Wohl eher nicht. Und hier sind wir schon bei einem der vielen Knackpunkte in der Debatte. Was Geldtheoretiker fasziniert, ist der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung egal. Hinzu kommt, dass viele technische Details immer noch unklar sind. Wie soll dieses Konto bei der EZB konkret aussehen? Klar ist nur, dass die EZB ihre bald rund 350 Millionen Endkunden nicht direkt betreuen wird. Das EZB-Konto soll stattdessen wohl mit ihrem normalen Girokonto bei der Bank gekoppelt werden, was den Unterschied für Otto Normalverbraucher noch unsichtbarer werden lässt.
Einige Leser, die bereits tiefer im Thema sind, werden an dieser Stelle zucken. Wenn die Bürger ein Konto in Zentralbankgeld direkt bei der EZB haben, wer braucht dann für den normalen Zahlungsverkehr eigentlich noch die kostenpflichtigen Konten bei den Geschäftsbanken? Und finanzpolitisch besonders wichtig: Wenn die Bürger ihre Guthaben von den Geschäftsbanken auf die EZB übertragen – womit sollen die Banken dann ihre Reserveverpflichtungen bei der EZB leisten? Heißt dies nicht im Endeffekt, dass die Banken pleitegehen oder aber zumindest ihr Kreditvolumen herunterfahren müssen, was in der Realwirtschaft zu höheren Zinskosten führen wird? Ja, das hieße es. Darum führt die EZB auch eine Saldengrenze für diese Konten ein. Die Rede ist zurzeit von rund 3.000 bis 4.000 Euro. Mehr Zentralbankgeld darf der Bürger nicht auf seinem Konto bei der EZB haben. Das hören die Banken gerne, aber einfacher verständlich wird die Sache für den Bürger dadurch auch nicht.
Noch komplizierter wird es, wenn es um die konkreten Anwendungen des digitalen Euros geht. Er ist Zentralbankgeld, also ist die Annahme des digitalen Euros gesetzlich verpflichtend – was kaum jemand weiß, für Giralgeld gibt es diese gesetzliche Verpflichtung nicht, ein Händler ist nicht verpflichtet, eine Überweisung oder eine Kartenzahlung anzunehmen. Wie ich aber künftig mein Brötchen beim Bäcker mit dem digitalen Euro bezahlen soll, ist offen. Das wird wohl wahrscheinlich über verpflichtende Zusatzfunktionen in den Bankkarten und/oder den einschlägigen Bezahlapps funktionieren. Wahrscheinlich werden die Banken auch gezwungen, eine derartige Option über das Onlinebanking zur Verfügung zu stellen. Spätestens hier stellt sich aber die Frage, welchen Mehrwert das dem Bürger überhaupt bringen soll.
Die Erklärung der EZB wirkt diesbezüglich wie aus der Zeit gefallen: Das Bezahlen soll einfacher und unkomplizierter werden. Nun mag man zu PayPal oder gar dem kontaktlosen Bezahlen via Smartphone ja gerne auch kritisch gegenüberstehen – aber auf die Idee, dass dies nicht jetzt schon extrem einfach und unkompliziert ist, muss man auch erst einmal kommen. Die EZB wirbt hier mit Features, die es längst schon gibt. Was soll das?
Ganz einfach: Für den Bürger als Kunden gibt es zunächst erstmal keinen wirklich ersichtlichen Vorteil. Welche Technik und welche geldpolitischen Mechanismen hinter den Kulissen zum Einsatz kommen, ist 99,9 Prozent der Nutzer schlichtweg egal. Funktionieren muss es und sicher sein. Bei der Sicherheit kann der digitale Euro zwar punkten, da echtes Zentralbankgeld natürlich sicherer ist als Giralgeld. Die Sorge der Bürger, dass die Forderungen an die Banken, die mit dem Giralgeld verbunden sind, platzen, sind zurzeit aber auch eher marginal. Wenn ich mich mit Kritikern digitaler Zahlungsmittel unterhalte, höre ich viele – oft ja auch valide – Kritikpunkte; die Möglichkeit, dass die eigene Bank pleitegehen könnte und die Sichtguthaben (Forderungen) dadurch wertlos werden, gehört jedoch meist nicht dazu. Auch hier bietet die EZB also eine Lösung für ein Problem, das zwar theoretisch existiert, aber nicht als solches wahrgenommen wird.
Während der Mehrwert für den Bürger als Kunden also nicht wirklich erkennbar ist, sieht es für den Handel schon anders aus. Erst vor einigen Wochen habe ich in einem Artikel über den neuen Zahlungsdienst Wero die Kosten aufgeschlüsselt, die heute beim Bezahlvorgang mit digitalen Zahlungsmitteln anfallen. Sicher, diese Kosten werden auf den Kunden umgelegt. Das ändert aber nichts daran, dass sie anfallen. Hier könnte der digitale Euro punkten. Welche Technik unter der Motorhaube zum Einsatz kommt, ist noch offen. Dass diese Dienste um Längen günstiger sein werden als die Dienste kommerzieller Anbieter wie PayPal, Visa oder Mastercard dürfte jedoch klar sein. Im Grunde könnte die EZB diesen Dienst sogar kostenfrei anbieten. Das geht aber freilich nur, wenn sie auf ein weitverbreitetes technisches Vehikel aufsetzt – also z.B. die Bankkarte oder Apple und Google Pay. Diese „Plattformanbieter“ werden sich aber massiv dagegen wehren, eine Technik zu integrieren, die ihnen selbst das Geschäft kaputtmacht.
Chancen und Risiken
Immer wenn ich mit unseren Lesern über diese Themen spreche, kommen an allererster Stelle Bedenken über den Datenschutz. Dies ist das zentrale Thema aus Sicht des Endkunden und diese Bedenken sind auch angebracht. Dennoch geht hier häufig einiges durcheinander. Wir haben – grob gesagt – zwei Ebenen: Die Zahlung in bar und die digitale Zahlung. Wirklich anonym ist die Zahlung in bar übrigens auch nicht, da die Bank zumindest weiß, wann, wo und wieviel Geld man sich vom Konto abhebt. Der Bezahlvorgang selbst ist jedoch vollkommen anonym. Das ist bei der digitalen Zahlung anders, doch hier gibt es sehr große Unterschiede. Zahle ich z.B. mit meiner Bankkarte im Supermarkt, wissen meine Bank und die Dienstleister, die diese Zahlung abwickeln, zwar, dass Herr Berger um die und die Uhrzeit in dem und dem Rewe für 100 Euro eingekauft hat – was ich dort gekauft habe, wissen sie aber nicht. Diese Lücke schließen aus Sicht der Datenkraken die äußerst kritisch zu sehenden Kunden- und Rabattkarten.
Dennoch sollte man das Problem nicht kleinreden. Ganz im Gegenteil. Besonders problematisch ist es, dass heute bei digitalen Zahlungsvorgängen vor allem amerikanische Datenkraken zum Einsatz kommen, die sich weitestgehend deutscher und europäischer Regulierungen entziehen. Ich persönlich habe zum Beispiel kein großes Problem damit, dass meine Volksbank weiß, wo und wieviel Geld ich ausgebe – wofür ich es ausgebe, weiß meine Bank ja in der Regel ohnehin (zum Glück) nicht. Ich habe aber ein sehr großes Problem damit, wenn Datenkraken wie PayPal, Apple, Google oder gar Palantir diese Informationen bekommen, da sie – anders als meine Volksbank – diese Daten mit anderen Daten, die über mich verfügbar sind (und das sind vor allem bei Apple und Google so einige) kombinieren und kommerziell nutzen. Dass diese Daten auch politisch genutzt werden können, steht zumindest für mich außer Zweifel. Oder glaubt irgendwer ernsthaft, dass NSA und Co. keinen Zugriff auf die Daten von Apple, Google und Co. haben? Und wenn Unternehmen wie Palantir auch Zugriff auf diese Daten bekommen, ist ohnehin alles aus. Das wäre dann der Datenschutz-Albtraum.
Diese Gefahr mit den zweifelsohne auch vorhandenen Gefahren eines digitalen Euros gleichzusetzen, wäre jedoch zu kurz gedacht. Hier würden diese Daten – vorausgesetzt, die Techniken werden ohne Hintertür aufgesetzt – bei der EZB anfallen. Nennen Sie mich ruhig naiv – aber einer europäischen Behörde wie der EZB vertraue ich im Zweifel lieber meine Daten an als amerikanischen Datenkraken. Klar – wer äußerst datenschutzsensibel ist, sollte gar nicht digital, sondern nur in bar zahlen. Aber – Hand aufs Herz – oft siegt die Bequemlichkeit und zumindest ich habe auch nicht gerade das sicherste Gefühl, wenn ich immer größere Mengen an Bargeld durch die Gegend trage. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Den digitalen Euro aus Datenschutzgründen zu verteufeln, ist jedoch ein zweifelhaftes Unterfangen, das zu Ende gedacht nur den amerikanischen Datenkraken nutzt. Deren Produkte sind die eigentliche Konkurrenz zum digitalen Euro und nicht das Bargeld. Wenn ich lieber bar zahle, kann ich das auch machen, wenn es künftig einen digitalen Euro gibt. Konkrete Pläne, die Annahme von Bargeld zu verbieten, wenn es den digitalen Euro gibt, kenne ich jedenfalls nicht. Und wenn man mal ein wenig weiter spinnt – die Plattform des digitalen Euro würde aus technischer Sicht sogar anonyme digitale Bezahlvorgänge möglich machen; das die Politik dies zulässt, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Kommen wir zur eigentlich entscheidenden Frage. Warum ist die EZB eigentlich so erpicht darauf, ein Produkt einzuführen, dessen Nutzen sich zumindest nicht sofort erschließt und das ja in der Tat vom Bürger auch gar nicht nachgefragt wird? Hier kommen wir zur Geopolitik. Hatte sich die EZB diesbezüglich lange bedeckt gehalten, adressiert sie ihre Motive mittlerweile vergleichsweise offen: Europa soll „unabhängiger von US-Anbietern wie Paypal, Apple Pay, Mastercard oder Visa“ werden. Und das ist ein wirklich wichtiger Punkt, den ich ja selbst schon in vielen Artikeln angesprochen habe.
Sollte der digitale Euro sich in der von der EZB gewünschten Form durchsetzen, wäre er in der Tat ein sehr wichtiger Schritt zur Souveränität Europas. Heute ist Europa beim digitalen Zahlungsverkehr vollkommen abhängig von den USA. Sollte z.B. Trump es ernst meinen, könnte er mit einem Fingerschnipp dafür sorgen, dass ab jetzt in Europa keine einzige Überweisung, keine einzige Kreditkartenzahlung und kein einziger digitaler Zahlungsvorgang mehr durchgeführt werden kann. Und das wird in Zukunft eher schlimmer als besser.
Sowohl in den USA als auch in China haben Tech-Giganten bereits über Apps und Plattformlösungen die Kernaufgaben von Finanzinstituten übernommen. In China wurden diese Unternehmen (z.B. Ant Group, WeChat- und Ali-Pay) bereits zurechtgestutzt, US-Unternehmen stoßen indes kaum auf regulatorische Barrieren. Bis 2022 wollte der US-Techgigant Meta mit dem Libra seinen eigenen Stablecoin einführen, der dank der Marktmacht von Meta durchaus eine Perspektive hatte, Währungen wie den Dollar und den Euro zu unterminieren. Das wäre – nicht nur geldpolitisch – eine Katastrophe. 2022 legte die amerikanische FED noch ihr Veto gegen Meta ein. Ob die FED in der Trump-Ära künftige Bestrebungen in diese Richtung auch noch verhindern kann, ist fraglich.
Gerade unter diesem Gesichtspunkt wäre eine digitale Währung, die – wie es ja sein sollte – von einer Zentralbank, einer öffentlichen Institution, kontrolliert und betrieben wird, natürlich eine sinnvolle Alternative. Viel Zeit haben wir wohl ohnehin nicht mehr, wenn wir verhindern wollen, dass US-Konzerne auch diesen Markt schaffen und dann beherrschen.
All dies im Hinterkopf wirkt der Widerstand des Europaparlaments zwiespältig. Ginge es nur darum, die EZB an die Kandare zu nehmen und den digitalen Euro vor allem aus datenschutzrechtlicher Sicht sicher zu machen, wäre dies ja zu begrüßen. Aber gerade der EVP – also der CDU- und Von-der-Leyen-Fraktion – geht es natürlich nicht um Datenschutz, Anonymität und Sicherheit. Nein, hier geht es in erster Linie um die Interessen der Banken. Und die wollen natürlich den digitalen Euro kleinhalten, bedroht er doch ihr lukratives Geschäft. Und auf der anderen Seite des Atlantiks lachen sich die Tech-Konzerne und Donald Trump ins Fäustchen.
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