Wero und der vergebliche Wunsch der digitalen Souveränität Europas

Wero und der vergebliche Wunsch der digitalen Souveränität Europas

Wero und der vergebliche Wunsch der digitalen Souveränität Europas

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

In wenigen Tagen soll der Zahlungsdienst Wero als europäische PayPal-Alternative im Onlinehandel starten. Die Hoffnungen der Europäer, das Monopol der übermächtigen US-Konkurrenz zu brechen, sind groß. Noch größer sind die weiteren Pläne, soll Wero doch später auch im stationären Handel die US-Platzhirsche Mastercard und Visa und die ebenfalls aus den USA stammenden Plattform-Monopolisten Apple- und Google-Pay herausfordern. Wie abhängig Europa von den USA ist, zeigt der Bereich der Zahlungsdienste. Doch dass Wero den Wunsch nach einer digitalen Souveränität verwirklichen kann, ist sehr unwahrscheinlich. Die Fehler der Vergangenheit sind wohl nicht mehr zu korrigieren und es fehlt ohnehin der echte Wille, den USA abseits von Sonntagsreden die Stirn zu bieten. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer denkt, dass PayPal weltweit die gleiche Dominanz im Onlinehandel wie in Deutschland hat, täuscht sich gewaltig. In Spanien gibt es Bizum, in den Niederlanden iDEAL, in den nordeuropäischen Ländern heißen die Marktführer MobilePay oder Swish und selbst in Polen dominiert nicht PayPal den Markt, sondern eine nationale Lösung namens Blik. Vermutlich haben Sie diese Namen noch nie gehört. Und vermutlich sagen Ihnen auch die Namen giropay und Paydirekt nichts – diese beiden Produkte sollten einst Deutschlands Alternative zu PayPal sein, wurden aber nach kurzer Zeit wegen ihrer Erfolglosigkeit eingestellt. Wir reden hier übrigens nicht über windige Fintech-Startups kleiner Firmen, sondern von den „offiziellen“, großspurig eingeführten Produkten der großen deutschen privaten und genossenschaftlichen Banken und den Sparkassen. Wenn es um Zahlungslösungen für den e-Commerce geht, muss man leider sagen: Deutschland kann es nicht. Das ist bitter.

Nun werden sich sicherlich einige Leser fragen, warum es überhaupt erstrebenswert sein soll, eine nationale Alternative zu PayPal zu finden. Viele unserer Leser sind bekanntermaßen Anhänger des Bargelds und stehen dem bargeldlosen Zahlungsverkehr ohnehin kritisch gegenüber. Das mag seine Gründe haben, aber beim Onlinehandel stellt nun einmal die Bargeldzahlung keine Option dar und die traditionelle bargeldlose Abwicklung über eine Lastschrift oder eine Onlineüberweisung ist für den Kunden und für den Händler aufwändig und risikobehaftet – Lastschriften können zurückgebucht werden, Onlineüberweisungen kosten meist viel Zeit und sind umständlich. Man kann die Entwicklungen kritisieren, aufhalten kann man sie nicht.

PayPal: der Quasi-Monopolist mit horrenden Gebühren

Doch warum stellt die Marktführerschaft von PayPal eigentlich ein Problem dar? Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Der erste ist, dass PayPal sich sein Quasi-Monopol fürstlich bezahlen lässt. Davon merken Sie als Kunde in der Regel nichts, zahlt doch der Händler für Ihre Bequemlichkeit – und das nicht zu knapp. Für normale Händler, die keine Millionenumsätze machen und ihre Gebühren mit PayPal individuell verhandeln können, fallen bei regulären Einkäufen mindestens drei Prozent Gebühren an, die PayPal bei der Abwicklung der Bezahlung ganz einfach einbehält. Wenn also der Kunde z.B. ein neues iPhone für 1.000 Euro kauft und via PayPal bezahlt, kassiert PayPal dafür rund 30 Euro an Gebühren.

Stellt sich die Frage, wofür derart hohe Gebühren überhaupt anfallen. Die Transaktionen, die im Hintergrund laufen, kosten PayPal – wenn überhaupt – einen einstelligen Centbetrag. Zusatzfeatures, wie der berühmte „Käuferschutz“, mögen dem Käufer Vorteile bieten, für den Händler sind dies aber im Zweifel eher Nachteile. Dennoch gilt: Da PayPal zumindest in Deutschland schon beinahe Standard ist, muss man es als Händler anbieten, Gebühren hin, Gebühren her.

Natürlich sind diese Gebühren – wie alle Kosten – bereits vom Händler eingepreist und da keine separate Rechnungsstellung je nach verwendeter Zahlungsart stattfindet, werden diese Kosten auf alle Kunden verteilt. Auch der brave Kunde, der den Kaufpreis kostengünstig per SEPA-Überweisung bezahlt, für die der Händler gar keine Gebühren abführen muss, zahlt die eingepreisten PayPal-Gebühren mit; und nicht nur die, Kreditkarten-Anbieter verlangen oft sogar noch höhere Gebühren von den Händlern, aber dazu kommen wir später noch.

Volkswirtschaftlich stellen diese Gebühren nichts anderes als eine Art zweiter Umsatzsteuer dar. 19 Prozent Mehrwertsteuer fließen an das Finanzamt, 3 Prozent Gebühren fließen an PayPal bzw. bei Kreditkartenzahlung an Mastercard und Visa – also an den Fintech-Sektor in den USA.

Datenschutz á la Palantir – wir machen uns nackig

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Bei jeder Transaktion fallen Daten an und auch wenn wir in Europa ein recht strenges Datenschutzrecht haben, ist PayPal nun einmal ein US-Konzern und es entzieht sich unserem Einfluss, was letzten Endes mit diesen Daten passiert. Sie haben sich beispielsweise in einem Online-Shop ein „Free Palestine Shirt“ gekauft oder sind Abonnent eines trump-kritischen kostenpflichtigen Newsletters? PayPal ist meist so tief in die E-Commerce-Software integriert, dass eine Zuordnung solcher Käufe auf bestimmte Personen möglich ist. Und wenn diese Daten in die Hände von Big-Data-Analysetools wie denen von PayPals „Schwesterunternehmen“ Palantir geraten, was sicher niemanden überraschen würde, sollten Sie sich nicht wundern, wenn Ihnen beispielsweise demnächst ein Visum in die USA verweigert werden könnte. Schon heute zählt Trumps Einwanderungs- und Zollbehörde ICE zu den besten Kunden von Palantir.

Aber das war es noch nicht mit den Problemen. Das geostrategisch wohl bedeutsamste Problem ist die Abhängigkeit Deutschlands und der gesamten EU von den USA. Stellen wir uns doch einmal kurz vor, es käme tatsächlich zu einem Zerwürfnis und einem Handelskrieg. PayPal, Visa, Mastercard, Apple, Google und Co. – also all die Unternehmen, die heute die Schnittstellen anbieten, die allein schon wegen ihrer Monopolstellung für den Onlinehandel (über-)lebenswichtig sind, sind US-Unternehmen, deren Europageschäft die US-Regierung mit einem Fingerschnipp abschalten könnte. Doch auch unterhalb dieses Extremszenarios unterstehen diese Unternehmen den Weisungen aus Washington. So stoppte beispielsweise PayPal 2010 auf Weisung der US-Regierung den Geldfluss an Julian Assanges Organisation WikiLeaks, die zuvor Dokumente und Videos veröffentlicht hatte, die u.a. Kriegsverbrechen der USA im Irakkrieg belegt hatten.

Die theoretisch möglichen Sanktionen gegen europäische Unternehmen, Organisationen oder Einzelpersonen durch diese Technologien liegen auf der Hand. Haben Sie vielleicht in den letzten Wochen etwas „Unfreundliches“ zur Instrumentalisierung des Todes von Charlie Kirk durch die Trump-Regierung auf X oder Facebook geschrieben? Dann wundern Sie sich nicht, wenn demnächst beim Einkauf in Ihrem Supermarkt Ihre Kreditkarte nicht akzeptiert wird. Na klar, noch ist das eine Dystopie, ein düsteres Zukunftsszenario. Doch die jüngere Geschichte zeigt, wie schnell solche Szenarien Wirklichkeit werden können.

Um sich vor derartigen realen und potenziellen Strafaktionen durch die USA zu schützen und den stetigen Abfluss von Geldern an US-Monopolisten zu unterbinden, müssten Deutschland und die EU auf dem weiten Feld der Zahlungsdienstleistungen souverän werden. Doch das ist leichter gesagt als getan und hier schließt sich der Kreis und nun kommt Wero ins Spiel.

Ist Wero eine Alternative?

Wero soll die Vorherrschaft von US-Konzernen gleich auf drei Feldern brechen. Seit 2024 ist der Dienst bereits in der Lage, kostenlose Zahlungen von Einzelpersonen an andere Einzelpersonen über eine App zu ermöglichen. Hier hat PayPal mit seinem Produkt „PayPal Freunde&Familie“ bislang die Marktführerschaft – obgleich die meisten solcher Transfers sicherlich über die etwas aufwändigere, ganz normale Onlineüberweisung und nicht über spezielle Apps abgewickelt werden dürften. Ob diese bereits vorhandene Funktion von Wero überhaupt genutzt wird, ist schwer zu sagen. Mir selbst war es zumindest neu, dass es so was überhaupt gibt und bereits in meiner normalen Banking-App der Volksbank integriert ist. Wero selbst meldete zum Jahreswechsel stolz, dass es bereits über 17 Millionen Nutzer verfüge, die rund 12 Millionen solcher Transaktionen getätigt hätten; das ist weniger als eine Transaktion pro Nutzer. Zum Vergleich: PayPal wickelt derzeit rund 72 Millionen Transaktionen pro Tag(!) ab.

Aber um die simple Funktion, Geld an andere Personen zu schicken, soll es bei Wero ja auch nicht gehen. Die entscheidende Funktion, PayPal im Onlinehandel anzugreifen, startet in den Wero-Kernländern Deutschland, Frankreich und Belgien in den nächsten Tagen und es ist daher natürlich noch zu früh, um ein belastbares Urteil abzugeben. Allzu optimistisch sollten die Europäer jedoch nicht sein. Den allermeisten Kunden sind Fragen wie Händlergebühren, Datenschutz oder US-Dominanz leider schlichtweg egal.

Anders sieht es bei den Händlern aus, für die vor allem die Gebühren ein sehr wichtiger Faktor sind. Hier scheint Wero in der Tat Vorteile zu haben, es ist von 0,6 Prozent bis 0,8 Prozent Gebühren die Rede, was schon mal deutlich unter den PayPal-Gebühren für normale Händler liegt. Doch hier kommt das Henne-Ei-Problem, das ja gerade im Technologiebereich die Monopolisten schützt. Wie soll ein Onlinehändler seinen Kunden eine Bezahlfunktion schmackhaft machen, bei der er etwas geringere Gebühren zahlen muss, die die Kunden aber noch nicht einmal kennen? Die naheliegende Lösung, Rabatte anzubieten, scheidet aus, da dies in der EU dummerweise gesetzlich verboten ist.[*] Was also tun? Eine milliardenschwere Marketingkampagne? Bezahlt von deutschen Banken, die sich nach den teuren Vorgängerflops bereits schwer damit tun, überhaupt Mitglied dieser gemeinsamen Initiative zu werden? Das ist wohl auszuschließen.

Es ist schon paradox: Wir reden hier immerhin über das Who is Who der deutschen Bankenlandschaft; aber im Vergleich zu PayPal, Mastercard und Visa oder gar Apple und Google ist dies in der Tat ein Kampf von David gegen Goliath. Ersterer hat zwar in der Bibel gewonnen, aber die Chancen, sich aus der US-Dominanz bei den Zahlungsdienstleistern zu befreien, sind leider keine imaginäre Geschichte, sondern bittere Realität.

Im stationären Handel sieht es noch düsterer aus

Angesichts der schlechten Chancen im Onlinehandel ist wohl der dritte angedachte Einsatzbereich von Wero ohnehin hinfällig. Zumindest den Plänen nach soll Wero, nachdem es sich im Onlinehandel etabliert hat, ab 2026 auch flächendeckend im stationären Handel verfügbar gemacht werden. Doch hier stellen sich ganz andere Fragen und Probleme. In Deutschland ist in diesem Einsatzbereich immer noch die gute alte Girocard mit großem Abstand Marktführer. Girocard ist jedoch kein US-Produkt, sondern ein Produkt der deutschen Banken. Und Girocard ist kein schlechtes Produkt, bietet es mit einer Gebühr von rund 0,2 Prozent der Transaktionssumme doch attraktive Konditionen für den Händler. Aber die deutschen Banken wären nicht die deutschen Banken, wenn sie diesen Wettbewerbsvorteil nicht verspielt hätten. So hat es Girocard nie geschafft, über die Grenzregionen hinaus im Ausland über technische Kooperationen Akzeptanzstellen zu finden.

Stattdessen spendieren die deutschen Banken ihren Kunden lieber eine „Co-Badging“ genannte Lösung, bei der den betreffenden Geldkarten die Funktionen der US-Konzerne Mastercard und Visa spendiert werden. Der Kunde kann damit auch im EU-Ausland bezahlen. Das ist gut. Weniger gut ist freilich, dass über die Funktionen von Mastercard und Visa die Girocard-Funktionen immer häufiger ausgehebelt werden – dies gilt vor allem bei den immer häufiger eingesetzten Bezahlfunktionen von Apple und Google, bei denen der Kunde nicht mehr mit der Karte selbst, sondern bequem über das Smartphone zahlt. Solche Funktionen will Girocard zwar künftig auch anbieten – aber dann könnte es bereits zu spät sein. Haben sich Systeme erst einmal etabliert, sind sie schwer zu verdrängen – vor allem im Technologiebereich.

Was heißt das für den stationären Handel? Hier sind die Gebühren etwas anders gestaffelt. Girocard liegt mit seinen 0,2 Prozent an erster Stelle, danach kommen die Debit-Produkte von Mastercard und Visa mit rund 0,7 Prozent, die oft auf den ganz normalem Geldkarten der Banken implementiert sind. Hier sieht man bereits den volkswirtschaftlichen Schaden. Ohne einen erkennbaren Mehrwert verlangen die US-Konzerne stolze 0,5 Prozent mehr für die gleiche Dienstleistung. Das klingt vielleicht wenig, ist aber viel, da im Einzelhandel – vor allem bei Supermärkten – die Nettomargen oft bei nur 2 Prozent bis 5 Prozent liegen. Und ähnlich wie beim Onlinehandel ist dieser Aufschlag von Mastercard und Visa im Grund eine leistungslose Gebühr, die stetig an US-Konzerne abfließt. Dies ist nur möglich, weil Deutschland es schlicht verpennt hat, eigene Alternativen zu etablieren; die Politik hat es verpennt, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, die Banken haben bei der Umsetzung von technisch gleichwertigen Alternativen kläglich versagt.

Und das ist noch nicht einmal das Ende der Fahnenstange. Immer mehr Banken gehen dazu über, ihren Kunden nicht nur die Debit-Funktionen der US-Konzerne bei den normalen Geldkarten mitzugeben, sondern sie – die nötige Bonität vorausgesetzt – sogar auf den „echten“ Kreditkarten dieser Anbieter anzufixen. Und der Handel macht – mal mehr, mal weniger freiwillig – bei diesem bösen Spiel mit.

Kreditkarten – ein teures Problem, meist ohne erkennbaren Nutzen

Was ist der Unterschied zwischen einer Debit- und einer Kreditkarte? Ganz einfach. Bei einer Debitkarte wird im Hintergrund die Transaktionssumme per Lastschrift von ihrem Girokonto abgebucht und dem Girokonto des Händlers gutgeschrieben. Der Zahlungsdienstleister sorgt im Grunde nur für die Abwicklung, ein nennenswertes Risiko besteht nicht, da die Deckung der Transaktion ja in Echtzeit geprüft wird.

Anders sieht es bei der Kreditkarte aus. Hier wird finanztechnisch ein revolvierender Konsumentenkredit vergeben. Der Anbieter trägt das Ausfallrisiko, lässt sich dies jedoch auch vom Händler fürstlich bezahlen – normale Händler, wie der Bäcker um die Ecke, müssen für diesen für sie vollkommen irrelevanten Dienst oft 3 Prozent und mehr an Gebühren zahlen; wobei für den Händler selbst bei der Zahlung völlig unklar ist, wie hoch die Gebühren konkret ausfallen werden. Kein Bäcker rechnet schließlich damit, dass beim Kauf eines Brötchens im Hintergrund technisch ein Kredit an den Kunden vergeben wird, für dessen Ausfallabsicherung der Bäcker zur Kasse gebeten wird. Und wenn der Bäcker die Kosten dafür auf den Brötchenpreis aufschlägt, zahlen wir alle dafür, dass vollkommen ohne Not beim Brötchenkauf oft aus technischer Sicht ein Kredit vergeben wird. Das ist doch Wahnsinn.

Den wenigsten Kunden dürfte zudem überhaupt bekannt sein, dass es für den Händler einen großen Unterschied machen kann, wenn man statt mit der normalen Geldkarte mit einer Kreditkarte zahlt. Dies ist vor allem bei der Zahlung via Smartphone ärgerlich, da hier die – für den Händler – preiswerten Varianten durch die Schlafmützigkeit der deutschen Banken mangels technischer Kompatibilität gar nicht zur Verfügung stehen und der Kunde durch die Technik geradezu dazu getrieben wird, den Weg des geringsten Aufwands und Widerstands zu gehen, und sein Apple- oder Google-Pay-System – so vorhanden – mit einer „echten“ Kreditkarte zu koppeln. Vordergründig bietet das ja nur Vorteile, es ist bequem, schnell und funktioniert fast überall. Die Kosten dafür trägt jedoch in erster Linie der Händler und da dieser die Kosten selbstverständlich auf die Preise umlegt, tragen wir sie letzten Endes alle – egal, ob wir bar, mit der Geldkarte oder eben dem Smartphone zahlen.

Too little, too late

In diesem Bereich soll Wero künftig das US-Monopol brechen. Dass dies auch gelingen wird, ist aber nahezu auszuschließen. Das würde nur funktionieren, wenn die Abwicklungssysteme der US-Anbieter Mastercard und Visa vom Handel benachteiligt oder besser noch gar nicht angeboten werden. Ersteres ist in der EU (s.o.) rechtlich untersagt, da indirekte Kosten für die Zahlungsabwicklung nicht direkt auf den Kunden umgelegt werden dürfen. Letzteres wäre freilich möglich, aber auch hier haben wir einmal mehr das Henne-Ei-Problem. Welcher Händler würde freiwillig den Zahlungsstandard aussperren, der bei den Kunden am weitesten verbreitet ist? Große Handelsketten wie REWE, Aldi, Lidl, Edeka oder die Tankstellenketten hätten dazu vielleicht die Marktmacht. Sie haben jedoch kein erkennbares Motiv, können Konzerne mit Milliardenumsätzen die Gebühren von Mastercard und Visa doch anders als der Bäcker um die Ecke frei aushandeln. Und die Handelsriesen werden sicher sehr günstige Konditionen bekommen haben, ist es doch relativ neu, dass sie überhaupt die Zahlung mit Kreditkarten akzeptieren.

Lange Rede, kurzer Sinn: Was wird denn nun mit der digitalen Souveränität Europas im Zahlungsbereich? Nichts. Auf Englisch würde man sagen: Too little, too late. Systeme wie Wero kommen mehr als 10 Jahre zu spät. PayPal ist mittlerweile etabliert und Mastercard und Visa haben es vor allem über den Umweg der Banken und die Integration in Smartphone-Bezahlfunktionen geschafft, zum Standard zu werden. Europa hat die Entwicklung schlicht verschlafen und sich vollkommen ohne Not von den USA abhängig gemacht. Auch wenn man nun zumindest so tut, als hätte man das Problem erkannt, fehlen einem doch erkennbar die Mittel, um den längst abgefahrenen Zug noch einzuholen. Nun ist es zu spät.

Wie es anders gehen kann, hat einmal mehr China gezeigt. Die dortigen Angebote WeChat Pay und Alipay sind PayPal und Co. sowohl technisch als auch hinsichtlich der Gebührenstruktur meilenweit voraus und haben in China die meisten Lebensbereiche durchdrungen. Für Datenschützer sind sie freilich ein Albtraum, das muss man auch kritisch sagen.

Alternativen wären möglich, sind aber nicht gewollt

Aber warum hat Europa derart versagt? Geht es nur um die Inkompetenz der Politik und die US-Hörigkeit der Banken? Nicht nur. Auch die Innovationsfeindlichkeit der Europäer spielt hier eine Rolle. Denn paradoxerweise hat „ausgerechnet“ die EZB bereits 2018 ein System fertiggestellt, das eigentlich die perfekte Grundlage für digitale Zahlungsdienstleistungen sein könnte – das Target Instant Payment Settlement (TIPS). TIPS ist eine Schnittstelle, über die eine „echte“ Überweisung von Girokonto zu Girokonto binnen maximal fünf Sekunden durchgeführt werden kann. Und dies zu einer Transaktionsgebühr von 0,2 Cent pro Überweisung. Würde man diese Funktion in eine Geldkarte implementieren, könnte man in der gesamten EU als Kunde am Tresen (oder online) in Echtzeit den fälligen Betrag auf das Konto des Anbieters überweisen. Es gibt kein Kreditrisiko, da hier der gleiche Deckungsvorbehalt wie bei einer normalen Überweisung gilt. Ist kein Geld auf dem Konto, kann man auch nichts überweisen. Dienstleister wie Visa oder Mastercard werden schlicht nicht mehr benötigt, überzogene Gebühren für faktisch nicht vorhandene Risiken würden ebenso der Vergangenheit angehören wie die Abhängigkeit von den USA.

Mehr noch: Theoretisch braucht es dafür noch nicht einmal die Banken, da eine TIPS-Transaktion auch über eine Smartphone-App abgewickelt werden könnte. Danke der PSD2-Richtlinie der EU wären die Banken sogar verpflichtet, Dienstleistern, die ein solches Produkt anbieten würden, eine Schnittstelle zu den Girokonten der Kunden einzurichten. Spinnen wir das ruhig ein wenig weiter: Über TIPS wäre sogar ein echtes demokratisches Banking möglich, bei dem statt irgendwelcher Gebühren nur die realen Kosten – die auch dank der EZB-Technologie recht niedrig wären – an die Händler weitergegeben werden. Davon würden wir alle profitieren, da unnötig hohe Kosten für Finanzdienstleister nicht mehr vom Handel eingepreist werden müssten. Man braucht jedoch nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass die Vorteile für die Allgemeinheit für den Finanzsektor eher Nachteile sind. Wer will sich schon gerne freiwillig überflüssig machen? Daher wird diese Revolution wohl ausbleiben.

Titelbild: Wero.eu


[«*] Ergänzung, 19. Sep.: Ein Leser machte uns darauf aufmerksam, dass diese Formulierung falsch ist. Korrekt ist, dass Rabatte zwar erlaubt, dafür aber Aufschläge für bestimmte Zahlungsarten verboten sind. Das ist natürlich korrekt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!