NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Filet vom Phrasenschwein: Nun lasst uns mal die Armut ausrotten!

Datum: 7. November 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, PR, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich:

Im schillernden Doha trafen sich 40 Staatenlenker zum sogenannten Weltsozialgipfel, um über Elend, Entrechtung und Ungleichheit zu reden – und vom Kapitalismus zu schweigen. Das hätte man der Menschheit besser ersparen sollen. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

War was gewesen? Ja klar war da was: der Weltsozialgipfel. Im Original: World Summit for Social Development (WSSD). Drei Tage lange, von Dienstag bis Donnerstag, haben Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen in Doha über Armut, Ungleichheit und anderen Kummer der Menschheit debattiert. Ja, richtig: in Doha, der Hauptstadt von Katar. Wer erinnert sich nicht an die FIFA-WM 2022 und die prächtigen Fußballstadien, bei deren Bau mehrere Tausend Arbeitsmigranten den Tod fanden. In einem stinkreichen Golfemirat, dessen Führungsclique sich durch ein Millionenheer von Lakaien aus den globalen Elendsvierteln bedienen lässt und wo die oberen Zehntausend in sagenhaftem Luxus schwelgen. Einen würdigeren Rahmen hätte es nicht geben können, um die soziale Schieflage auf der Erde zu besprechen. Gute Wahl, alle Achtung!

Nun sage noch einer, er hätte das alles nicht mitgekriegt, diese Wahnsinnig-wichtig-Veranstaltung, zu der etwa die Deutsche Welle titelte: „30 Jahre Weltsozialgipfel: Von Kopenhagen nach Doha.“ Das ist wahrhaft eine ruhmreiche Historie und ein langer und mühsamer Weg. 4.600 Kilometer Luftlinie, dafür braucht es seine Zeit. Drei Dekaden eben, von A nach B, beziehungsweise K nach D. Das Ganze ohne Zwischenstopp, denn der Doha-Gipfel war erst der zweite seiner Art, nach dem ersten in Dänemark. Der stieg 1995 und hinterließ ein Bekenntnis: „Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass soziale Entwicklung und soziale Gerechtigkeit unabdingbare Voraussetzungen für die Herbeiführung und Wahrung von Frieden und Sicherheit innerhalb unserer Nationen wie auch zwischen ihnen sind.“ Und man formulierte zehn Verpflichtungen, darunter Vollbeschäftigung erreichen, soziale Integration vorantreiben, Armut „ausrotten“.

Flasche leer

Das klang zu schön, um wahr zu werden, weshalb man die netten Absichten lieber hat ruhen und die Probleme reifen lassen. Um sie jetzt in ihrer ganzen Monströsität vor passender Kulisse durch die Katara-Towers hindurch (Bild oben) – ein 600 Millionen Dollar teurer Hotelkomplex, Übernachtungspreis Minimum 1.400 Dollar – wie in einem Brennglas zu bestaunen. Wow, ist das krass! Also das Leid auf dem Planeten. Da wären zum Beispiel 700 Millionen Menschen, die hungern müssen, 120 Millionen auf der Flucht und eine untere Hälfte der Weltbevölkerung ohne soziale Sicherung. Dazu die ganze Zerstörung, überall Kriege, Umwelt verschmutzt, Meer vermüllt, Klima am Anschlag. Schlimm, das alles.

Darüber musste mal wieder geredet werden, ganz fokussiert und konzentriert. Das heißt: in drei Tagen und nicht in sieben wie damals in Kopenhagen und statt in großer in kleiner Runde, weil Kleinvieh auch Mist macht. 40 Staats- und Regierungschefs waren in Doha mit dabei, beim ersten WSSD waren es noch 117. Aber viele von denen gibt es eh nicht mehr, so wie Helmut Kohl, Nelson Mandela oder Fidel Castro. Und ihr gemeinsamer „Traum“, laut Deutscher Welle „eine Welt ohne Armut“, ist auch geplatzt. Wie schade! Dafür gingen andere Träume in Erfüllung: Der Euro, Soziale Medien, künstliche Intelligenz und Wasserflaschen, die per App Bescheid stoßen, wann man Durst zu haben hat. So was bräuchte man im Iran, dort herrscht gerade Dürre. Aber Regime sind Zivilisationsfeinde. Selbst schuld!

Afrika am Katzentisch

Die Gipfler von Doha glauben an Entwicklung und wissen, wo der Schuh drückt. Zum Auftakt am Dienstag hielt UN-Generalsekretär António Guterres eine flammende Rede. Während massenhaft Menschen bittere Not litten, horte das reichste Prozent der Erdenbewohner fast die Hälfte des globalen Vermögens. Das sei „gewissenlos“ und hat gesessen. Zumal genau am selben Tag sechs renommierte Ökonomen, angeführt durch Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, in dieselbe Kerbe schlugen: „Die Welt hat erkannt (ach was?), dass wir uns in einer Klimakrise befinden. Es ist an der Zeit, dass wir auch erkennen, dass wir uns in einer Ungleichheitskrise befinden.“ Die Experten haben einen Bericht mit allerlei Bedrückendem geschrieben. 2,3 Milliarden Menschen hätten nicht zuverlässig genug zu essen und müssten regelmäßig Mahlzeiten auslassen, heißt es darin. 2019 waren es noch 335 Millionen weniger. Oder dass von dem zwischen 2000 und 2024 neu entstandenen Vermögen 41 Prozent auf das oberste eine Prozent und nur ein Prozent auf die untersten fünfzig Prozent der Menschheit entfielen.

Der Report soll beim anstehenden Gipfeltreffen der 20 führenden Industrienationen Thema sein. Ganz gewiss wird man das Anliegen zur Kenntnis nehmen, schließlich weiß der Tagesspiegel: „Die G20 sagen der Ungleichheit den Kampf an.“ Das wäre freilich ein Novum. Bisher hatten die G20, genauso wie die noch mächtigeren G7, immer Wichtigeres zu tun, nämlich die verschärfte Ausbeutung des Globalen Südens auszuhecken. Aber Fortschritt muss sein. Zum Dank darf die Afrikanische Union seit zwei Jahren als ständiges Mitglied mit am (Katzen-)Tisch sitzen, als Zeichen des guten Willens und bestimmt nicht nur der Symbolik wegen.

Kleiner Mann noch kleiner

Mit vollem Ernst: Das Stelldichein des 20er-Clubs Ende November in Johannesburg (ausgerechnet) steht im Zeichen massiver Einschnitte bei der Entwicklungshilfe durch die großen Wirtschaftsmächte nach dem Vorbild Trump. Hierzulande kürzen Union und SPD die humanitäre Hilfe jährlich um 1,2 Milliarden und die Entwicklungszusammenarbeit um knapp 941 Millionen Euro. Mit entsprechend leichtem Gepäck reiste Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas nach Doha, um deutsche Interessen zu vertreten. Ihre SPD versteht darunter seit über 20 Jahren Mitregierung emsiges Umverteilen von unter nach oben, sprich Generieren von „Ungleichheitsnotstand“ (Stiglitz) im BRD-Maßstab – bei (ver)schwindender Wählerbasis und chronischem Bauchschmerz. So soll es weitergehen, wenngleich ein gutes Stück heftiger, weil Aufschwung durch Rüstung Rheinmetall freut und den kleinen Mann noch kleiner macht.

Für den gibt es Erbauliches in Schriftform, aus der Abteilung Phrasenschwein. Die Abschlusserklärung von Doha stand in den Grundzügen schon vorher fest. Anders als noch in Kopenhagen durften zivile Akteure über den Text nicht mitberaten. Der Wortlauf bleibe „deutlich hinter dem zurück, was nötig wäre“, beklagen mehrere Entwicklungshifleverbände. Es fehlten „verbindliche Ziele“, „konkrete Zusagen“, „kritische Ursachenanalyse“ und ein Bekenntnis zu „Reformbemühungen für ein gerechtes internationales Wirtschafts- und Finanzsystem“. Anders gesagt: Ohne Kapitalismuskritik hätte man sich den ganzen Aufriss auch sparen können.

Immerhin Bärbel Bas fand es dufte, postete hernach via Facebook eine Serie Hände-Schüttel-Fotos und proklamierte: „Ein starkes Zeichen für internationale Zusammenarbeit in Zeiten geopolitischer Polarisierung!“ Das muss genügen. Bis zum nächsten Mal – in 30 Jahren oder nach der Sintflut.

Titelbild: Photo Drive/shutterstock.com


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=141690