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Titel: Außenminister Wadephul besucht Westbalkan: NATO-Bombardierung von Serbien 1999 war nicht völkerrechtswidrig

Datum: 19. November 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege
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Außenminister Johann Wadephul weilte bis zum 19. November auf einer mehrtägigen Reise durch die Staaten des westlichen Balkans. In diesem Zusammenhang erwähnte der Sprecher des Auswärtigen Amtes insbesondere eine engere Zusammenarbeit mit Serbien und betonte: „Für uns steht fest, dass der Westbalkan ein Teil der europäischen Familie ist“. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob der Außenminister plane, um besagte Zusammenarbeit mit Serbien auch symbolisch zu stärken, sich erstmalig für die Teilnahme Deutschlands an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen das Westbalkan-Land zu entschuldigen. Dies wurde verneint, da laut Ansicht des Auswärtigen Amtes die NATO-Bombardierung Serbiens ohne UN-Mandat nicht völkerrechtswidrig gewesen sei. Von Florian Warweg.

Faktencheck zur Darlegung des Sprechers des Auswärtigen Amtes

War der NATO-Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Operation Allied Force) wirklich, wie von ihm im Namen der Bundesregierung behauptet, vom Völkerrecht gedeckt?

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Josef Hinterseher, erklärte auf der Bundespressekonferenz am 14. November 2025 im Namen der Bundesregierung, dass es sich bei der NATO-Bombardierung ab März 1999 „nicht um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ gehandelt hätte.

Mit dieser Sicht und Darstellung der Sachlage isoliert sich das Auswärtige Amt allerdings von allen gängigen Völkerrechtsinterpretationen. Denn nach Artikel 2, Ziffer 4 der UN-Charta ist jede (!) Art der Anwendung militärischer Waffengewalt verboten. Es gibt im Gegensatz zur Behauptung des AA-Sprechers kein Völkergewohnheitsrecht zu einzel- oder multistaatlichen „humanitären Interventionen“, da bis heute keine entsprechende allgemeine Rechtsüberzeugung in der internationalen Staatengemeinschaft dazu existiert. Dieses Recht haben nach wie vor nur Organisationen der Vereinten Nationen. Und der UN-Sicherheitsrat hatte zu keinem Zeitpunkt Zwangsmaßnahmen gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien nach Artikel 42 der UN-Charta beschlossen, geschweige denn einzelne Staaten (Artikel 42, 48) oder die NATO als Regionalorganisation (das wäre dann Artikel 53) dazu ermächtigt.

Auch der Ausnahmefall nach Artikel 51, auf den gern verwiesen wird, der Notwehr und Nothilfe zugunsten eines angegriffenen Staates rechtfertigt, lag nicht vor. Denn weder hatte Jugoslawien ein NATO-Mitglied militärisch angegriffen noch ein angegriffener souveräner Staat um Nothilfe gebeten.

Deutschland hat zudem nur wenige Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung mit seiner Teilnahme an dem NATO-Angriff massiv gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag und die eigene Verfassung verstoßen. Das deutsche Grundgesetz, das sollte man sich generell nochmal in Erinnerung rufen, erlaubt bis heute den Einsatz von Gewalt ausschließlich zur Verteidigung (Artikel 87a, GG):

„Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“

Einen Angriffskrieg verbietet das Grundgesetz in Artikel 26 Absatz 1 und fordert darüber hinaus in Satz 2 sogar dazu auf, die Führung eines Angriffskrieges unter Strafe zu stellen.

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag erlaubt den Einsatz deutscher Waffen sehr explizit „nur in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“. Im Wortlaut heißt es dort unter Artikel 2:

„Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.“

Der Bundeswehreinsatz gegen Jugoslawien, bei dem deutsche Luftwaffen-Piloten über 400 Kampfeinsätze flogen und dabei über 200 Raketen des Typs AGM-88 HARM auf jugoslawisches Gebiet abfeuerten, überschritt ebenso die Grenzen, die das „Out-of-area-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 gezogen hatte. Denn das Urteil, auf das gerne von entsprechender Stelle rekurriert wird, erlaubt Einsätze ausdrücklich nur, wenn diese „im Rahmen und nach den Regeln“ eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden. Weder die UN-Charta noch der NATO-Vertrag, der seine Mitglieder ausdrücklich auf Beachtung der UN-Charta und das geltende Völkerrecht verpflichtet, legitimieren einen völkerrechtswidrigen Angriff.

Im Rückblick erklärte selbst Altbundeskanzler Gerhard Schröder, dass der Bundeswehr-Einsatz gegen Jugoslawien völkerrechtswidrig war. Bei einem Gespräch im Rahmen des sogenannten „ZEIT Matinee“ hatte er am 9. März 2014 erklärt:

„Ich habe (…) gegen das Völkerrecht verstoßen. Wir haben unsere Tornados nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt, ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“

Es bleibt festzuhalten: Die aktuelle Bundesregierung fällt mit der in der Bundespressekonferenz kommunizierten offiziellen Darstellung einer angeblichen Rechtmäßigkeit des NATO-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht nur hinter die Einschätzung von Altkanzler Schröder zurück, sondern – und das wiegt weit schwerer – wischt geradezu nonchalant das Gewaltverbot der UN, festgehalten in Artikel 2 Ziffer 4, als nicht relevant zur Seite. Wohlgemerkt, hierbei handelt es sich um den zentralen Pfeiler der internationalen Friedensordnung:

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Dieses Ignorieren und Umdeuten von zentralen völkerrechtlichen Aspekten durch die Bundesregierung bei gleichzeitiger Postulation einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ ist wohl als die eigentliche „Zeitenwende“ zu bezeichnen. Eine Zeitenwende, die bereits 1999 ihren Anfang nahm …

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 14. November 2025

Hinterseher (AA)
Ich habe Ihnen eine Reise des Außenministers anzukündigen. Er wird ab Sonntag in alle sechs Staaten des westlichen Balkans reisen.

Am Sonntag reist der Außenminister zuerst nach Bosnien und Herzegowina, wo er mit Vertretern der Präsidentschaft sowie dem Hohen Repräsentanten sprechen wird.

Am Montag reist der Außenminister weiter nach Montenegro, wo er am Vormittag Gespräche mit dem Ministerpräsidenten und seinem montenegrinischen Gegenüber, Ervin Ibrahimović, führen wird.

Von dort aus geht es weiter nach Albanien. Dort trifft der (sic!) Außenministerin Elisa Spiropali sowie den Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Korruption, organisierter Kriminalität und Terrorismus.

Am Abend wird er von Staatspräsident Aleksandar Vučić in Serbien empfangen. Am Dienstagvormittag wird er mit Außenminister Marko Đurić in Serbien sowie Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft zusammentreffen.

Am Mittag reist der Außenminister dann weiter nach Kosovo. Dort wird er Gespräche mit der Staatspräsidentin und dem geschäftsführenden Premierminister führen und sich mit deutschen KFOR-Soldatinnen und Soldaten austauschen.

Am Dienstagabend wird der Außenminister vom Ministerpräsidenten und vom Außenminister Timčo Mucunski in Nordmazedonien empfangen, bevor er Mittwochfrüh nach Berlin zurückkehrt.

Deutschland ist seit Langem auch durch den Berlin-Prozess ein enger Begleiter der Länder des Westbalkans auf ihrem Weg in die EU. Im Zentrum der Reise stehen deshalb natürlich die Herausforderungen und Fortschritte im Erweiterungsprozess. Denn für uns steht fest, dass der Westbalkan ein Teil der europäischen Familie ist.

Frage Berndt (ARD-Hauptstadtstudio)
Können Sie noch ein bisschen näher ausführen, welche Inhalte bei dieser Reise im Mittelpunkt stehen werden?

Hinterseher (AA)
Wie schon angedeutet, geht es bei den Westbalkanstaaten um die Erweiterungskandidaten bzw. die Erweiterungsrunde. Natürlich gibt es für jedes Land einzelne Gespräche zum Erweiterungsprozess. Ich will dem Ganzen jetzt aber nicht vorgreifen.

Frage Dr. Rinke (Chefreporter Reuters)
Herr Hinterseher, der Außenminister besucht alle sechs Länder. Können Sie uns eine kurze Einschätzung dazu geben, wie Sie den momentanen Einfluss Russlands auf diese Region einschätzen? Es gab gerade gegen den serbischen Präsidenten immer Vorwürfe, dass er sich zu stark an Moskau anlehne. Ist dieser Einfluss in den letzten Monaten gestiegen oder gesunken?

Hinterseher (AA)
Wir beobachten die globale Einflussnahme Russlands mittels Desinformation mit großer Sorge und gehen auch eigene Schritte, um dem zunächst einmal selbst, aber natürlich auch in der EU entgegenzuwirken.

Mit Blick auf Serbien würde ich der Reise an dieser Stelle nicht vorgreifen wollen. Mit der serbischen Seite werden natürlich Gespräche zu allen Themen geführt. Eine weitere Spezifizierung oder Ausgestaltung wird im Nachgang erfolgen.

Zusatzfrage Dr. Rinke
Werden auch die Lithiumvorkommen in Serbien eine Rolle spielen? Bei früheren Besuchen hat es große Hoffnungen gegeben, dass Serbien einer der Hauptlieferanten auch der deutschen Industrie werden könnte.

Hinterseher (AA)
Auch dabei würde ich es so halten wollen, dass wir den Gesprächsinhalten an dieser Stelle nicht vorgreifen. Ich kann Ihnen ganz grundsätzlich sagen, dass wir auf dem Weg zur Klimaneutralität noch viel vor uns haben, ganz besonders im Bereich der Mobilität. Lithium aus Serbien und die Bestrebungen der Bundesregierung grundsätzlicher Art, Lieferketten und Rohstoffversorgung weltweit zu diversifizieren, können natürlich ein Beitrag dazu sein. Wenn wir mit Serbien enger wirtschaftlich zusammenarbeiten, führt dies das Land natürlich auch näher an die Europäische Union heran. Wir legen gleichzeitig Wert darauf, dass in diesem Zusammenhang alle EU-Standards ‑ insbesondere auch Umweltstandards ‑ eingehalten werden. ‑ Das als sehr grundsätzliche Vorbemerkung. Die Inhalte der Gespräche sind davon natürlich nicht berührt.

Frage Warweg
Sie haben jetzt noch einmal die angestrebte engere Zusammenarbeit mit Serbien angesprochen. Deutschland hat sich bisher noch nie für die Teilnahme an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die damalige Republik Jugoslawien entschuldigt. Plant der Außenminister, gerade auch um eine engere Zusammenarbeit anzustoßen, eine erstmalige Entschuldigung für besagte Teilnahme an der völkerrechtswidrigen Bombardierung Serbiens 1999?

Hinterseher (AA)
Herr Warweg, wie leider öfter üblich, muss ich der Prämisse Ihrer Frage aufs Schärfste widersprechen. Es geht nicht um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO damals. Insofern ist auch nicht vorgesehen, dass sich der Minister dort für irgendetwas entschuldigt.

Zusatz Warweg
Der Angriff war also in der aktuellen Wahrnehmung des Außenministers völkerrechtskonform?

Hinterseher (AA)
Ich habe meiner Aussage nichts hinzuzufügen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 14.11.2025


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