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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Frieden ist nicht gut fürs Geschäft
Datum: 4. Dezember 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Aufrüstung, Ökonomie
Verantwortlich: Jens Berger
„Ihr Geld ist nicht weg, mein Freund, es hat nur ein anderer.“ Dieses berühmte Zitat des Bankers Mayer Amschel Rothschild ist ungemein nützlich, wenn man die „Friedensangst“ verstehen will, die angesichts der Verhandlungen zwischen den USA und Russland nun in Westeuropas Hauptstädten grassiert. Die horrenden Rüstungsausgaben landen ja schließlich auf der anderen Seite der Bilanz als Einnahmen in den Kassen der Rüstungskonzerne. Und für die ist nicht nur der Krieg, sondern auch die nach dem Krieg folgende Aufrüstung der Ukraine ein äußerst lukratives Geschäft. Dieses Geschäft wäre jedoch durch Rüstungsobergrenzen und den generellen Verzicht auf einen NATO-Beitritt behindert, die beide Teil der „28 Punkte“ aus dem ursprünglichen „Friedensplan“ der USA sind. Von Jens Berger.
Deutsche oder französische Waffen in die Ukraine zu liefern, ist mittlerweile ein Modell der Vergangenheit. Die Produktionskapazitäten der europäischen Waffenschmieden sind auf viele Jahre mit Aufträgen der eigenen Streitkräfte voll ausgelastet und da man ja davon überzeugt ist, dass Russland ab 2029 die NATO überfallen könne, müssen offenbar bis dahin auch die eigenen Lager wieder gefüllt werden, aus denen man die Ukraine in den letzten Jahren reich belieferte. Im April dieses Jahres hat die EU daher – zusammen mit Norwegen – ein „europäisches Militärhilfeprogramm“ für die Ukraine auf den Weg gebracht, mit dem die klassischen Waffenlieferungen durch Direktinvestitionen westlicher Rüstungskonzerne in der Ukraine zu großen Teilen ersetzt werden. Die EU-Kommission hat für dieses Programm bereits Darlehen in Höhe von 150 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Dabei soll es nicht nur um die Ukraine selbst gehen. Folgt man den Wünschen der Rüstungslobbyisten, könnte die Ukraine gar „zum kostengünstigen, innovativen (Rüstungs-)Lieferanten für ganz Europa“ werden. Stolz stellt man fest, dass die Ukraine den Rüstungsproduktionswert bereits 2024 gegenüber dem „Vorkriegsjahr“ 2021 verzehnfacht habe und in diesem Jahr eine „erneute Verdreifachung“ möglich sei.
Deutschlands Rüstungsindustrie ist schon vor Ort
Als im Juni dieses Jahres der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow zu Besuch bei seinem deutschen Amtskollegen Boris Pistorius in Berlin war, bekam er als Willkommensgeschenk die Zusage, dass Deutschland künftig Waffen im Wert von fünf Milliarden Euro in der Ukraine für die Ukraine produzieren werde. Umerow ist zwar mittlerweile wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Amt gejagt worden, der von ihm unterzeichnete Vertrag ist jedoch freilich noch gültig. Aus Behördenkreisen heißt es dazu dann auch, die ukrainische Industrie „berge genügend Potenziale, die es abzuschöpfen gilt“. Das ist fein formuliert. Am Geld mangelt es den deutschen Rüstungsplanern ja dank der historisch einmaligen Budgetorgien nicht, was fehlt sind vielmehr die Produktionskapazitäten. Und wenn deutsche Unternehmen die Waffen für die Ukraine in der Ukraine selbst produzieren, nennt man dies wohl eine Win-Win-Situation – die Steuermilliarden landen bei der deutschen Rüstungsindustrie, die Ukraine bekommt die Waffen.
Der deutsche Rüstungsgigant Rheinmetall ist nicht nur einer der größten Waffenlieferanten für die Ukraine, sondern hat auch bereits 2023 ein Joint Venture in der Ukraine gegründet. Man begann mit der Instandsetzung militärischer Fahrzeuge, hat die Produktion in der Ukraine aber auch bereits auf Artilleriemunition und Lynx-Schützenpanzer ausgeweitet. Bereits ab dem nächsten Jahr will der Rüstungskonzern auch eine sechsstellige Anzahl 155-mm-Artilleriegeschosse pro Jahr in der Ukraine produzieren. Dazu wurde im Juni 2024 ein „großvolumiger Rahmenvertrag“ mit der Bundesregierung abgeschlossen, den Rheinmetall selbst als „den größten in der Rheinmetall-Firmengeschichte“ bezeichnet. 2027 soll dann auch die Produktion des Lynx-Schützenpanzers in der Ukraine beginnen. Der Ausbau der Produktion einer Luftverteidigungsanlage ist ebenfalls in Planung. Rheinmetall beschreibt sich selbst als den wichtigsten rüstungsindustriellen Partner der Ukraine.
Neben Rheinmetall sind noch zahlreiche andere deutsche und westeuropäische Rüstungskonzerne bereits vor Ort. So zum Beispiel das deutsch-französisch-belgisch-niederländische Rüstungskonglomerat KNDS rund um den Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann. 2024 hatte der Rüstungskonzern bereits eine Tochtergesellschaft in der Ukraine zur Wartung und Instandsetzung von Leopard-Panzern und Artilleriesystemen gegründet. Für die nächsten Jahre plant KNDS nun auch die gemeinsame Herstellung von Artilleriemunition und Ersatzteilen vor Ort. Ziel der politisch von Deutschland und Frankreich flankierten Initiative soll es sein, dass KNDS vor Ort die nach eigenen Angaben „rund 800 im Einsatz befindlichen oder unter Vertrag stehenden Systeme“ wartet und instandhält.
Der deutsche Drohnenhersteller Quantum Systems ist ebenfalls bereits seit 2024 in der Ukraine aktiv, wo das Münchner Unternehmen zwei Standorte eröffnet hat, an denen es anfangs „bis zu 1.000“ Drohnen pro Jahr fertigen wollte. Mittlerweile hat Quantum Systems die Kapazitäten jedoch verdoppelt. Im Juli dieses Jahres hat Quantum Systems zudem eine Investitionsvereinbarung mit dem ukrainischen Verteidigungsrobotik-Unternehmen Frontline abgeschlossen, an dem man sich beteiligt hat. Man will nun die neuen Technologien „in das europäische Verteidigungsökosystem“ integrieren und spricht von „einer der [bislang] größten strategischen Vereinbarungen im ukrainischen Verteidigungstech-Sektor“.
Auch andere deutsche Rüstungskonzerne sind bereits vor Ort. So baut der Münchner Roboterhersteller ARX seine „unbemannten Landsysteme“ seit Beginn dieses Jahres in der Ukraine und baut derzeit seine „Produktions- und Lieferkettenstrukturen“ im Land weiter aus. Erst vor wenigen Tagen konnte ARX einen neuen Großauftrag vermelden und will nun in der Ukraine nach eigenen Angaben die „weltweit größte militärische Robotikflotte“ bauen.
Weitere deutsche Rüstungskonzerne vor Ort sind der Drohnenhersteller Tytan Technologies und der Radar- und Avionik-Konzern Hensoldt – beide aus München und Umgebung. Um europäischen Rüstungskonzernen die Zusammenarbeit mit der Ukraine bei militärischen KI-Technologien zu erleichtern, hat man gemeinsam die Brave-1-Plattform gegründet. Die Liste deutscher Unternehmen, die an dieser Plattform teilhaben und mitarbeiten, ist lang und reicht von Rüstungs-Startups wie Circus Defence über Tytan, Alpine Eagle, Quantum Systems, ARX, ValoFly und Helsing bis hin zu den Platzhirschen Diehl und Rheinmetall. Offenbar sehen gerade deutsche technologische Rüstungskonzerne die Ukraine nicht nur als Markt und Produktionsstätte, sondern derzeit auch noch als großes Freiluftlabor für die eigenen tödlichen Hightech-Entwicklungen.
Deutschland ist natürlich nicht das einzige Land, dessen Rüstungskonzerne in der Ukraine sehr aktiv sind. So hat beispielsweise der französische Rüstungsriese Thales gleich drei verschiedene Abkommen zur Produktion von Rüstungsgütern in der Ukraine abgeschlossen. Frankreichs Rüstungsindustrie kooperiert in einem ähnlich großen Umfang mit der Ukraine wie Deutschland; es gab über 200 Treffen, auf denen Pläne für gemeinsame Produktionslinien beschlossen wurden; oft zusammen mit den auch in Frankreich schwächelnden Automobilfirmen. Auch Dänemark und Großbritannien sind mit einigen Rüstungsprojekten mit im Boot. Insgesamt sind nach offiziellen Angaben 25 europäische Rüstungskonzerne bereits mit Produktionsstätten in der Ukraine vor Ort und es wird erwartet, dass im Rahmen der neuen Kreditprogramme ReArm Europe und SAFE zahlreiche weitere Konzerne ihre Fertigung in die Ukraine auslagern.
Was wird aus der Rüstungsindustrie, wenn nun der Frieden ausbrechen sollte?
500 Rüstungsproduzenten beschäftigen in der Ukraine heute 300.000 Menschen in der Rüstungsindustrie. Die Ukraine war bereits zu Sowjetzeiten ein bedeutender Standort für die Rüstungsindustrie. Als die Sowjetunion zusammenbrach, befand sich rund ein Drittel der sowjetischen Rüstungsindustrie auf dem Boden der nun unabhängigen Ukraine. Damals waren übrigens rund 1,4 Millionen Ukrainer in der Rüstungswirtschaft beschäftigt. Schaut man sich die ökonomischen Daten der Ukraine an, versteht man auch, warum die vorliegenden Rahmendaten des kursierenden Friedensplans so problematisch sind.
Der 28-Punkte-Plan der USA sieht unter anderem eine Begrenzung der ukrainischen Streitkräfte und Waffenbeschränkungen vor. Da der Ukraine zudem die NATO-Mitgliedschaft sowie NATO-Assoziationsprogramme untersagt werden, wäre auch eine Kooperation auf technischem Bereich zwischen der Ukraine und den NATO-Staaten künftig nicht ohne weiteres möglich. Gemeinsame Inspektionen der USA und Russlands sollen die Einhaltung dieser Beschränkungen kontrollieren. Doch welche Zukunft haben die vor allem aus Deutschland und Frankreich kommenden Großinvestitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie, wenn es strenge Obergrenzen für Waffensysteme und ein Verbot ebenjener technologischen Verzahnung mit NATO-Systemen gäbe, die Grundlage für die meisten aktuellen Investitionen ist?
Rein betriebswirtschaftlich wäre dies der Gau für die deutsche und französische Rüstungsindustrie. Und man könnte an dieser Stelle sogar noch weiter gehen: Wie soll die Ukraine nach dem Krieg wirtschaftlich selbstständig werden? Schließlich sehen sowohl der Trump’sche Friedensplan als auch sämtliche politische Verlautbarungen der EU eine baldige EU-Mitgliedschaft der Ukraine vor. Innerhalb der EU hätte die Ukraine jedoch vor allem die Funktion eines Billiglohnparadieses. Das rechnet sich für multinationale Konzerne, aber nicht für die Ukraine selbst. Sollten die „Ostgebiete“ – wie in den Friedensplänen vorgesehen – abgetreten werden, bleibt auch sonst nicht viel, befindet sich doch die zumindest halbwegs wettbewerbsfähige Schwerindustrie vor allem im Osten des Landes; gleiches gilt für die Rohstoffförderung.
Was bleibt? Die Landwirtschaft, aber hier werden die Polen wahrscheinlich ohnehin eine vollständige Mitgliedschaft der Ukraine inkl. der Agrarsubventionen, die heute Polen bekommt, ablehnen. Und sonst? Energie und Gas? Sicher, aber auch hier geht es in der „Rest-Ukraine“ nicht um Förderung und Produktion, sondern vor allem um Verteilung. Westliche Energiekonzerne und Investoren sind zudem schon ganz spitz, die Ukraine zu einem Dorado der regenerativen Energien zu machen. Das klingt ja ganz gut – für den Westen, aber nicht für die Ukraine, bleibt bei diesem Modell doch fast gar kein Geld vor Ort und die Zahl der entstehenden Arbeitsplätze dürfte auch überschaubar sein.
Also noch einmal: Was bleibt? Genau an dieser Stelle dürfte die Antwort deutscher und französischer Politiker wohl „Rüstungsindustrie“ lauten. Wie schon erwähnt: Das Geld würde von europäischen Steuerzahlern in die Taschen europäischer Rüstungskonzerne und deren Besitzer wandern; also genau das Spiel, das uns im Rahmen der Zeitenwende ohnehin aufgezwungen wurde. Die Ukraine wird dafür sowohl als Produzent – freilich ohne Gewinnbeteiligung – als auch als „Kunde“ benötigt, wobei die „Kundschaft“ natürlich nicht bedeutet, dass man am Ende auch die Rechnung bezahlt; das machen schon die Steuerzahler der EU.
Das alles wäre eine Lizenz, Geld zu drucken; eine Lizenz, die jedoch voraussetzt, dass die Europäer die Ukraine auch nach dem Krieg hochrüsten dürfen. Genau das ist jedoch durch den Friedensplan, der „über die Köpfe der Europäer hinweg“ von den USA und Russland verhandelt wird, offenbar unwahrscheinlich. Da wundert es nicht, dass die Herren Merz und Macron und Frau von der Leyen nun überhaupt nicht begeistert sind und den Friedensprozess lieber heute als morgen torpedieren würden. Ein solcher Frieden wäre schließlich schlecht fürs Geschäft. Was die Ukrainer davon halten, fragt selbstverständlich niemand. Warum auch?
Titelbild: © Bundeswehr/Christoph Kassette
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