„Rheinmetall Aktie: Friedensangst schockt Anleger“ – mit dieser Überschrift kommentierte eine deutsche Finanzplattform am Freitag die Reaktion der Spekulanten auf die US-Friedensinitiative für den Ukrainekrieg. Doch anstatt den Autor für ein zynisches Arschloch zu halten, sollte man ihm lieber dankbar sein, spricht er doch offen aus, wie große Teile des deutschen politisch-medialen Sektors denken. Ein Kommentar von Jens Berger.
Warum tun sich eigentlich ausgerechnet die Deutschen so schwer zu erkennen, wenn ein Krieg verloren ist? Wie bockige Kleinkinder reagieren die Meinungsmacher des Landes auf die bloße Vorstellung, der Ukrainekrieg könnte mit einer Niederlage des Westens ausgehen. Man weigert sich beharrlich, die Realitäten wahrzunehmen und sich nach dreieinhalb Kriegsjahren endlich einmal ehrlich zu machen. Seit geraumer Zeit ist der Ukrainekrieg ein Abnutzungskrieg und sowohl auf materieller als auch personeller Ebene hat Russland nun einmal die besseren Karten. Die Zeiten, in denen im Westen von ukrainischen Offensiven geträumt wurde, sind lange vorbei. Der Ukraine geht so langsam das Kanonenfutter aus, das Kräfteverhältnis an der Front verschiebt sich von Monat zu Monat zu Gunsten Russlands. Daran wird auch das 50. Sanktionspaket der EU und die mittlerweile in Deutschland zu einem Glaubensbekenntnis gewordene Selbstaffirmation, man werde die Ukraine auch weiterhin mit Waffenlieferungen unterstützen, nichts ändern.
Bereits kurz nach Beginn der russischen Invasion hieß es aus US-Kreisen, man werde „bis zum letzten Ukrainer“ kämpfen, um Russland zu schwächen. In den USA ist man des Krieges mittlerweile überdrüssig. US-Vizepräsident Vance warf den Europäern jüngst einen „Realitätsverlust“ vor und zumindest in diesem Punkt muss man ihm recht geben. Selbst wenn man den europäischen Falken, die immer noch von einem Siegfrieden gegen Russland fabulieren, hehre Motive unterstellen will, so muss man doch der harten Wahrheit ins Gesicht blicken, dass sie in einer Traumwelt leben.
Doch hierzulande redet man nicht gern über die realen Kräfteverhältnisse und über die armen Schweine, die jeden Tag auf beiden Seiten der Front traumatisiert werden oder den Wahnsinn gar mit ihrem Leben bezahlen. Man spricht lieber über Recht und Moral. Das ist zwar in gewisser Weise verständlich, kommt es doch nicht so häufig vor, dass der Westen in einem Krieg auf der Seite der Partei steht, die völkerrechtlich die besseren Argumente hat. Andererseits verstärkt dieser „Wir sind die Guten“-Vibe aber auch die Selbsttäuschung. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ja, in der realen Wolfswelt verlieren halt manchmal auch die „Guten“.
Zynisch ist, dass diese Traumtänzer dabei vorgeben, die Interessen der Ukrainer zu vertreten. Es sind jedoch nicht die Kinder der Masalas, Strack-Zimmermanns, Röttgens oder Kiesewetters, die diese Traumtänzerei mit ihrem Leben bezahlen, sondern die Kinder der Ukraine. Spätestens seit Beginn der Abnutzungskrieges hätte man die Realitäten akzeptieren und einen ernsthaften Friedensprozess einleiten müssen, der diese Realitäten anerkennt. Das wollte man nicht, da man ja bereits wusste, dass diese Realitäten keinen Platz für den erträumten Siegfrieden bieten. Ja, man hatte „Friedensangst“, Angst vor dem Moment, an dem die Selbsttäuschung offenbar wird und das ganze Kartenhaus aus hohlen Floskeln der Realitätsflucht zusammenbricht.
Ja, „Friedensangst“ ist ein zynisches, ein böses Wort. Aber dieser Begriff beschreibt ganz hervorragend, was derzeit in den Köpfen viel zu vieler Politiker und Leitartikler vor sich geht. Man hat Angst vor einem Frieden, der die rosaroten Seifenblasen von einem „Sieg des Guten“ jäh zerplatzen lässt. Man hat Angst vor dem, was danach kommt. Man hat Angst vor der Realität, auch abseits der Schlachtfelder des Donbass.
Dass gerade die deutschen Eliten nun von „Friedensangst“ geplagt werden, ist freilich eine ganz besonders dunkle Ironie der Geschichte. Waren es nicht in der Endphase des Ersten Weltkriegs ausgerechnet die nationalkonservativen Kräfte um Ludendorff und Hindenburg, die den vor allem von linker und liberaler Seite immer stärker aufkeimenden Wunsch nach einem Verhandlungsfrieden torpedierten und bis zum bitteren Ende von einem Siegfrieden träumten? Auch sie hatten bereits Friedensangst. Damals diskreditierten rechte und militaristische Agitatoren diejenigen, die für Friedensverhandlungen eintraten, als „Vaterlandsverräter“. Heute sprechen die Kinder des Ludendorff’schen und Hindenburg’schen Geistes von „Lumpenpazifisten“. Leitartikler nennen den Friedensplan von Donald Trump heute einen „Diktatfrieden“ und wecken damit wahrscheinlich sogar mit voller Absicht Parallelen zum „Versailler Diktat“, das in der Weimarer Republik vor allem von völkischen und rechtsextremen Politikern und Leitartiklern als Sprachfigur genutzt wurde.
Wo sind wir nur hingekommen? Offenbar haben „wir“ doch nicht so viel aus der unserer Geschichte gelernt.
Titelbild: Screenshot boerse-express.com






