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Titel: Spiel über Bande

Datum: 6. August 2013 um 9:46 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Europäische Union, Strategien der Meinungsmache, Verbraucherschutz
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oder wie die Bundesregierung am Parlament vorbei die Rahmenbedingungen ändert

Es wird heftig geschimpft in Deutschland über die Bürokraten in Brüssel, die man für Alles verantwortlich machen will, was hierzulande offenbar schief läuft. Dabei wird jedoch kaum berücksichtigt, dass die Politik hierzulande oft mit gespaltener Zunge redet. Erfolge schreibt man sich selbst zu und bei Entwicklungen, die in der Bevölkerung kritisiert werden, schiebt man die Schuld nach Brüssel. Und das ist keinesfalls ein Zufall, sondern hat Methode und nennt sich Spiel über Bande. Der Begriff stammt aus dem Billard-Spiel: Beim Spiel über Bande wir der Ball gegen die Bande gespielt und trifft sein Ziel somit erst indirekt. In der politischen Praxis wählen die an einer Umsetzung interessierten Gruppen bei Gesetzesvorhaben, die mit Hilfe der nationalen Gesetzgebungsprozesse nicht zu realisieren sind, gerne den Umweg über übergeordnete Einrichtungen wie die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft. Von Christoph Jehle.

Dass sich zahlreiche Bürger dann bevormundet fühlen, ist nachvollziehbar. Zudem haben deutsche Bundesregierungen bis heute wenig dazu beigetragen, dass die Bürger hierzulande verstehen, wie die Europäische Union funktioniert und welche Einflussmöglichkeiten die Bürger im Einzelnen haben. Auch die Arbeitsteilung zwischen der unter den Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgehandelten Europäischen Kommission in Brüssel und dem Europäischen Parlament, das in Straßburg und Brüssel tagt, ist zumindest in der deutschen Bevölkerung weitgehend unbekannt. Da wird dann die Kommission gerne als nicht demokratisch legitimiert hingestellt, weil sie nicht direkt von der Bevölkerung gewählt wird, aber das wird die deutsche Bundeskanzlerin entgegen vielfacher Annahme auch nicht.

Über 80% der in den vergangenen Jahren verabschiedeten, in Deutschland gültigen Gesetze gehen auf eine Entscheidung der Europäischen Institutionen zurück. Sie werden zumeist in der Folge einer EU-Richtlinie in nationales Gesetz übernommen oder vom Europäischen Parlament als Verordnung mit allgemeiner Gültigkeit und unmittelbarer Wirksamkeit in allen Mitgliedsstaaten verabschiedet.

Konkrete Beispiele für das Spiel über Brüssel

Die Einführung der mit Fingerabdruck versehenen biometrischen Reisepässe konnte die Bundesregierung in Deutschland nicht realisieren und hat sie dann aber als EU-Gesetz realisiert, an das sich auch Deutschland halten muss.

Bei der vom Verfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung sieht sich die Bundesregierung unter Druck der EU-Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die Vorgaben der Richtlinie in deutsches Gesetz zu übernehmen. Die Richtlinie war zuvor unter deutscher Beteiligung in Brüssel entstanden.

Bei der EU-Konzessionsrichtlinie, die als Folge der dabei vorgesehenen Ausschreibung der Wasserversorgung in vielen Fällen zu einer Privatisierung der Trinkwasserversorgung geführt hätte, war die Bundesregierung nicht zu einer Ablehnung zu bewegen, war doch die Richtlinie durchaus im Interesse des deutschen ÖPP-Beschleunigungsgesetzes von 2005, das die Erleichterung der Übernahme staatlicher Aufgaben durch die Privatwirtschaft vorsieht. Erst eine Europäische Bürgerinitiative konnte die Idee der Wasserprivatisierung vorerst aus dem Geltungsbereich der Konzessions-Richtlinie herausfallen lassen.

Beim in Deutschland ziemlich unbeliebten Glühlampenverbot wissen nur Wenige, dass die Vorbereitung der Verordnung VO (EG) 244/2009, mit der geregelt wurde, wie die Glühbirnen vom Markt genommen werden sollen, in der Hauptsache von zwei deutschen und einem niederländischen Unternehmen unterstützt wurde. Die von Teilen der deutschen Politik in der Schlussphase der Gesetzgebung vor der Abstimmung im Europäischen Parlament gespielte Empörung war nicht mehr als ein Schauspiel für das Publikum. Zu dem Zeitpunkt war die Verordnung schon alternativlos.

Ein Nebeneffekt des Spiels über Bande ist die Tatsache, dass nicht nur die deutsche Politik diese Umwege mag und dann Paketlösungen zustande kommen, die letztlich meist in einem Geschachere zwischen den unterschiedlichen Interessen endet. Zuhause werden die Ergebnisse dann als unvermeidbar verkündet und im Zweifelsfalle der Brüsseler Bürokratie in die Schuhe geschoben.

Spiel über Bande funktioniert auch über den Atlantik

Die Zusammenarbeit mit der NSA ermöglicht es deutschen Diensten an Informationen zu kommen, die sie selbst nicht abschöpfen dürfen, weil auf deutschem Boden deutsches Recht gilt. Nun handelt es sich bei den Niederlassungen der NSA in Deutschland praktischerweise um Areale, auf welchen US-amerikanisches Recht gilt. Man hatte diese Regelung eingeführt, damit das US-Personal an allen Standorten dem gleichen Recht unterliegt.

Auch bei der derzeit diskutierten Transatlantischen Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP / Transatlantic Trade and Investment Partnership), ehemals Trans-Atlantic Free Trade Agreement (TAFTA), das man als Gegengewicht zum wirtschaftlich aufstrebenden asiatischen Kontinent etablieren will, ist damit zu rechnen, dass im Rahmen der Geheimverhandlungen bestimmte Rahmenbedingungen, die derzeit hierzulande nicht aufzuweichen sind, alternativlos dem sogenannten Freihandel geopfert werden.

Wenn man berücksichtigt, dass weniger als 7% des transatlantischen Handels heute noch Zollbestimmungen und –abgaben unterliegt, wird ziemlich offensichtlich, dass mit dem Freihandelsabkommen andere Ziele als eine Zolltarifsenkung verfolgt werden. Wenn jetzt von angestrebten Vereinheitlichungen und der gegenseitigen Anerkennung von Normen und Standards die Rede ist, wird das mitnichten die Vereinheitlichung von Frequenz und Spannung bei der Stromversorgung bedeuten. Viel wahrscheinlicher wird man dafür sorgen, dass die US-amerikanischen Vorstellungen von industrieller Landwirtschaft in Europa marktfähig werden. Das Absprühen von Hähnchenschlachtkörpern mit gechlortem Wasser (Chlorhähnchen) dürfte da noch das geringste Problem darstellen, denn die US- Agrarlobby erwartet, dass die EU ihre strenge gesundheitliche und pflanzenschutzrechtliche Standards reduziert, so dass amerikanische Agrarprodukte freien Marktzugang haben.

Angriffspunkte bei dem hier angesagten Spiel über Bande sind ganz grundlegend Fragen des Verbraucherschutzes und das trifft nicht nur Lebensmittelgesetze sondern auch die Produkte der Finanz-Dienstleister und die Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Die Gegenleistungen für eine Akzeptanz französischen Rohmilchkäses durch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde könnten happig werden.

Ein Transatlantisches Freihandelabkommen wäre im Vergleich zu den rein europäischen Spielen noch einmal eine Ebene höher und dann für europäische Bürger praktisch nicht mehr erreichbar. Probleme, wie sie sich heute im Rahmen des Europäischen Binnenmarkts zeigen, wären in einem transatlantischen Binnenmarkt noch weniger lösbar. Was auch immer regelungstechnisch im Binnenmarkt angesiedelt ist, gilt in gleicher Form für alle Mitgliedsstaaten.

Die durch die Wasserrahmenrichtlinie erfolgte Vorgabe, Wasser zu sparen, macht wohl für zahlreiche Regionen Europas durchaus Sinn. In Deutschland führt dies jedoch dazu, dass aufgrund des zurückgegangenen Wasserverbrauchs in zunehmend mehr Kommunen das Abwassernetz mit Frischwasser gespült werden muss, was den Wasserverbrauch nicht reduziert und die Kosten durch Mehraufwand noch erhöht.


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