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Titel: Das zentrale Element der Friedenspolitik wäre heute der Verzicht auf Eskalation und vor allem auf Destabilisierung.

Datum: 17. April 2014 um 15:08 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, Europapolitik, Friedenspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Heute treffen sich die Außenminister der USA, Russlands, der Ukraine und die Außenbeauftragte der EU Ashton zu einem als wichtig erachteten Gespräch über den Konflikt in und um die Ukraine. Die Begleitmusik ist im wahrsten Sinne des Wortes mörderisch: „Deutschland schickt Kampfjets nach Osteuropa“ überschrieb Spiegel Online einen Text zur Erklärung des NATO-Generalsekretärs Rasmussen, das Bündnis verstärke seine Truppen in Osteuropa. Der Grünen-Europa-Abgeordnete Werner Schulz weiß wie auch der NATO-Generalsekretär, dass Putin der Verursacher der Eskalation ist. Und der Deutschlandfunk verbreitet die Thesen von Schulz in einem langen Interview. Zur gleichen Zeit lässt Angela Merkel verkünden, sie habe die Regierung in Kiew für deren Vorgehen gelobt. Auch in Russland wird Stimmung gemacht. So schaukelt sich die Neigung zum Konflikt hoch. Hier wie in vielen anderen Medien unseres Landes. In wessen Hände sind wir da geraten! Von Albrecht Müller

Die Stimmung gegen Russland und den russischen Präsidenten wird angeheizt.

Ein Beispiel aus der Badischen Zeitung. Man kommt sich bald vor, als öffnete man den «Stürmer», meint ein Nachdenkseitenleser zu dieser Karikatur:

Badischen Zeitung Ukraine

Und hier ein Beispiel aus der FAZ. Schauen Sie sich das Foto an, das diesen Artikel aus der Feder von Svetlana Alexijewitsch, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, ziert. Es ist auf Brutalität getrimmt.

Im Text wird ein Zitat ans andere und eine Behauptung an die andere gehängt – ohne Quellenangabe. Die Autorin beschreibt den Moskauer Jubel um Putin und merkt vermutlich gar nicht, wie und mit welchen Methoden sie die Stimmung hier bei uns hochschaukelt. Und sie macht nicht den Versuch, ihre Putin feiernden Freunde in Moskau zu verstehen. Das wäre aber das Mindeste, wenn vermieden werden sollte, dass die Stimmung gegenseitig hoch geschaukelt wird. Ihre Freunde bejubeln Putin vermutlich deshalb, weil er die Serie der gebrochenen Versprechen des Westens beendet. – Wenn ich in Moskau leben würde und Russe wäre, dann hätte ich mich vermutlich 1990 gefreut, dass die Trennung zwischen Ost und West und die Atomwaffen bestückte Konfrontation endlich ein Ende gefunden hat, und dass mein Land, nämlich Russland, mit in eine Europäische Friedensordnung gehört. Und dann hätte ich im weiteren Verlauf seit 1990 mit Bitterkeit verfolgen müssen, wie die NATO bis an die Grenze Russlands nach Osten ausgedehnt wird und wie die Europäische Union nicht auf Partnerschaft, sondern auf Abgrenzung angelegt wurde – hier Europa, dort Russland. Und dann würde ich heute, obwohl mir Putin und seine Regierung aus vielerlei Gründen nicht gefällt, dennoch Verständnis für seine Politik haben.

Die Autorin der FAZ bringt das Minimum an Qualitäten einer Friedenspreisträgerin nicht mit: den Versuch nämlich, sich in das Denken und die Gefühle des anderen zu versetzen. Sie baut deshalb mit an der neuen Konfrontation. Nicht Entspannung, Anspannung ist angesagt. Die Verschärfung der Spannung. Ohne Rücksicht auf Verluste sozusagen. Ohne Rücksicht auf die daraus möglicherweise folgenden tödlichen Risiken.

Das Ergebnis der Meinungsmache wird von Umfragen schon dokumentiert, wenn man der Chefin vom Allensbachinstitut glauben darf:

Ein gefährliches Land

Bis vor kurzem hatte eine Mehrheit der Deutschen eine gute Meinung über Russland und Wladimir Putin. Das ändert sich gerade dramatisch. Unterschiede gibt es zwischen Ost- und Westdeutschen.

Fünfundzwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges droht eine neue Eiszeit im Verhältnis zu Russland. Nach der Annexion der Krim gilt Russland plötzlich wieder als ein Land, von dem Gefahr ausgeht. Vor der Eskalation der Krim-Krise wurde diese Einschätzung nur von einer Minderheit der deutschen Bevölkerung geteilt. Jetzt assoziieren wieder 55 Prozent Russland mit Gefahren, und nur zehn Prozent sehen es als verlässlichen Partner an.“ Etc.

„Der mediale Dauerbeschuss wirkt“ schreibt ein Nachdenkseitenleser und unterrichtet von einer Diskussion zu Europa bei ARTE: Der Konflikt mit Russland sei – da rein wertebasiert – idenditätsstiftend für Europa. „Wenn nicht alles täuscht, wird hier unter deutscher Dominanz in Europa das alte Spiel der Erzeugung und Mobilisierung außenpolitischer Ressentiments als sozialer Kitt nach innen gegeben. Und dennoch wundert man sich über die Folgerichtigkeit: Erst den Sozialstaat schleifen und dann den inneren Konflikt nach außen ablenken. Nation Building der sog. besseren Kreise in Europa. Und das Problem der „freien Presse“ und aller Kanäle: Sie emotionalisieren prozyklisch, statt antizyklisch zur Raison zu rufen. Eine ganze Gesellschaft wird vorsätzlich in Schwingung versetzt.“

Das ist das Gegenteil dessen, was die Entspannungspolitik vor 40 Jahren bestimmte und prägte und damals das Ende der Konfrontation zwischen Ost und West brachte.

Wir brauchen dringend eine ähnliche Politik des gegenseitigen Verständnisses und der gemeinsamen Bewältigung von inneren Konflikten wie jetzt in der Ukraine. Wenn die vier Vertreter der USA, Russlands, der Ukraine und der EU dafür die Tür wieder öffnen könnten, wäre das Treffen ein Erfolg.

Das wäre dringend nötig, denn Zündstoff für Konflikte und Probleme wie in der Ukraine gibt es nämlich gleich dutzendweise im Bereich der früheren Sowjetunion wie auch in anderen Teilen der Welt.

Ethnische Mischungen wie in der Ukraine gibt es viele. Streit um die Beherrschung der einen durch die anderen dutzendweise. Ausbeutung der einen durch die andern ebenfalls.

Die Ukraine ist ein ethnisches Gemisch. Russland beherbergt genauso wie die aus dem sowjetischen Verband gelösten Teile Ukraine, Kasachstan, Moldawien usw. viele dieser Konflikte und damit auch Sprengsätze. Wenn, wie zu befürchten steht, die Strategie von Politikern und großen Interessen im Westen darauf angelegt ist, diese Konfliktpotenziale zur Destabilisierung zu nutzen, dann ist das gleich reihenweise möglich. Irgendwann und irgendwo wird es dann zum großen Konflikt kommen.

Zum Gewaltverzicht muss der Verzicht auf die Destabilisierung kommen

Das gilt für die russische Regierung im Falle der Ukrainer wie für den Westen im Blick auf die Ukraine und andere Konflikte und Konfliktmöglichkeiten. Wenn die Verantwortlichen im Westen die vorhandenen Probleme, die ökonomischen Probleme und die ethnischen sowie religiösen Konflikte nicht als eine Möglichkeit zur Destabilisierung und zur Schwächung des betreffenden Staates, im konkreten Fall Russlands, sehen würden, wenn sie stattdessen Stabilität unter Wahrung eines friedlichen und produktiven Zusammenlebens auch verschiedener Völker und Religionen für sinnvoll erachten würden, dann könnte es wieder zur Entspannung kommen.

Aber es ist sehr fraglich, ob die heute politisch Verantwortlichen so verantwortungsvoll denken und fühlen. Eher neigen sie dazu, die Nutzung des billigen Vorteils der Destabilisierung für große Politik zu halten. Darin liegt – ohne die Vergangenheit verklären zu wollen – eines der großen Probleme unserer Zeit: Die Charaktere und die mangelnde persönliche Kriegserfahrung der heute handelnden Personen. Von Helmut Kohl kann man verlässlich annehmen, dass er in der gemeinsamen Zukunft von Russland in Europa und mit Europa eine Chance sah. Von Angela Merkel wissen wir das nicht. Ich vermute, sie hat darüber gar nicht nachgedacht. Vom heutigen Generalsekretär der NATO, Rasmussen, wissen wir, dass er als dänischer Ministerpräsident und Rechtsliberaler eine harte Ausländerpolitik betrieben hat. Er macht nicht den Eindruck, dass er sich in die Situation anderer Menschen und anderer Völker versetzen kann. Die Außenbeauftragte der Europäischen Union Ashton hat nach meiner Kenntnis bisher keinen Versuch gemacht, für die Integration Russlands in die Gemeinschaft der europäischen Völker zu werben. Wenn dies ein Herzensanliegen von ihr wäre, hätten wir das vernommen. Strategen der Friedenspolitik wie Willy Brandt und Egon Bahr gibt es sowieso nicht. Nicht einmal einen Dietrich Genscher oder Kissinger. Stattdessen gibt es Kerry. Bei ihm hat man den Eindruck, er müsse mit der von den Republikanern ausgeliehenen Linie ständig wettmachen und konterkarieren, dass er Außenminister eines US-Demokraten ist. Und beim Präsidenten hat man eben diesen Eindruck auch.

Die notwendigen Ansätze und Ideen für eine gemeinsame Politik Russlands und des Westens in Europa sind verschüttet und sie werden es vermutlich über einen längeren Zeitraum bleiben. Es sei denn, die Russen und wir schalten vor der weiteren Eskalation noch gedanklich und ideologisch um. Das müsste geschehen. Aber es ist vorerst leider unwahrscheinlich geworden.

Denn zu viele haben ein Interesse an Konflikten und an der Destabilisierung Russlands und anderer „Gegner“:

  • Je erfolgloser die Europäischen Union im Innern ist, je krisenhafter die Probleme zum Beispiel in Griechenland, in Zypern, in Spanien und Portugal, in Slowenien und Kroatien sind, umso stärker ist der Drang auf EU-Erweiterung. Das bringt vermeintliche Erfolgserlebnisse.
  • Ähnliches gilt für die NATO
  • Die ideologischen Interessen der Rechten in den USA verlangen weltweit immer wieder neue Konflikte mit dem Bösen.
  • Finanzielle und ökonomische Interessen pochen auf Destabilisierung und Ausbeutung. Nur so kommen sie an Schnäppchen und die Vereinnahmung großer Vermögenswerte heran.
  • Und immer wieder brechen die Interessen der Rüstungsindustrie durch.


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