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Titel: Bild-Zeitung heizt die Stimmung gegen Sozialmissbrauch durch Osteuropäer und Arbeitnehmer aus „Schuldenstaaten“ an

Datum: 13. August 2014 um 9:37 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Medienkritik, Sozialstaat, Strategien der Meinungsmache
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Passend zur aktuellen Debatte um Sozialmissbrauch durch Migranten und dazu noch unter dem Reizthema „Staatsverschuldung“ machte die Bild-Zeitung gestern mit einem neuen „Rekord“ Schlagzeilen: „Erstmals mehr als 300 000 Hartz-Empfänger aus EU-Ost- und -Schuldenländern“ (So in der Printfassung). Es soll wohl die Botschaft vermittelt werden: Immer mehr Ost- und Südeuropäer flüchten sich als „Hartz-IV-Schnorrer“ in die sozialen Sicherungssysteme Deutschlands. Und viele Medien plappern diese Meldung einfach nach. Dabei berichtet die Bild-Zeitung wieder einmal nur die halbe Wahrheit, sie täuscht ein falsches Bild vor und schürt damit in typisch rechtspopulistischer Weise Vorurteile gegen Ausländer. Von Wolfgang Lieb.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Nach einer gestern von der Bild-Zeitung aus dem Archiv geholten schon älteren Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Mai dieses Jahres ist bis Ende April 2014 die Zahl der „Hartzer“ (so Bild) aus den 10 osteuropäischen EU-Staaten und den 4 südeuropäischen Krisenländern gegenüber dem Vorjahresmonat um 53.512 oder 21,6% auf 300.901 (so die Addition der Zahlen in Anhangtabelle 5 [PDF – 591 KB]) gestiegen.

Das hört sich in absoluten Zahlen und in der prozentualen Steigerung dramatisch an und das ist auch mit Sicherheit so gewollt. Schließlich weiß die Bild-Redaktion ziemlich genau, dass in Deutschland gerade mal wieder politisch Stimmung gegen die Zuwanderung von Migranten ins deutsche Sozialsystem gemacht wird („Wer betrügt, fliegt“ (CSU)). Der aktuellen Debatte um einen angeblichen Sozialmissbrauch von Migranten soll damit neue Nahrung geliefert werden. Und man weiß bei Springer natürlich auch, dass jeder dritte Deutsche das aggressive Vorurteil pflegt, dass sich Bezieher von Hartz IV einfach nur vor der Arbeit drücken.

Doch die Meldung der Bild-Zeitung liefert wieder einmal nur die halbe Wahrheit und sie suggeriert ein falsches Bild, das nur Vorurteile gegen Ausländer schürt.

Denn es sind eben nicht nur die „Hartzer“ aus Ost- und Südeuropa auf einen neuen Rekordwert gestiegen, sondern auch die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den 10 EU-Staaten (578.872) und den 4 Krisenstaaten (445.219) sind von insgesamt 850.015 auf 1.024.091 – also um 20,5% – fast in der gleichen Höhe auf einen Rekordwert angestiegen. Nimmt man noch die geringfügig Beschäftigten (209.434) hinzu, so ist die Zahl der Beschäftigten aus diesen Ländern auf insgesamt 1.233.525, also insgesamt um 45,1% gestiegen (siehe Anhangtabelle 3 [PDF – 591 KB]).

(Nebenbemerkung: Man fragt sich allerdings, warum die Bundesagentur für Arbeit eine Statistik gerade für Zuwanderer aus den genannten Ländern und nicht vom Europa der 28 Staaten erhebt. Vielleicht war das ja gut gemeint, man wollte Vorurteile möglicherweise abbauen, man bedachte aber nicht die Missbrauchsmöglichkeiten.)

Die größten Ängste verursachen ja seit der vollen EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit in diesem Jahr die Rumänen und Bulgaren. Kein Wunder also, dass die Bild-Zeitung vor allem die Panik gegen die Bulgaren schürt: „Das größte Plus mit 5,8% (1783) gab es bei den Hartz-Beziehern aus Bulgarien“.

Dabei wird allerdings auch hier unterschlagen, dass es bei den Bulgaren auch einen prozentual annähernd gleich großen (5,42%) Anstieg an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (4.375) gab.

Angebliche Qualitätsmedien – wie die FAZ – passen sich dem Niveau der Bild-Zeitung nahtlos an und stacheln die ohnehin weitverbreiteten Ängste vor allem gegen die Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren an.

Dabei ist es ja nicht weiter erstaunlich, dass der Anteil der Anteil der Rumänen und Bulgaren seit Einführung der vollen EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit seit Jahresbeginn besonders gewachsen ist. Die prozentuale Steigerung ist aber bei denjenigen die eine Beschäftigung gefunden haben etwa genauso hoch wie diejenige bei den Leistungsempfängern nach dem SGB II.

Im Übrigen machen die gerade einmal 58.695 Leistungsempfänger aus Rumänen und Bulgarien zusammen gemessen an sämtlichen Leistungsberechtigten im SGB II (im April 2014 = 6,141 Mio.) gerade einmal 0,96% und selbst wenn man diese Gruppe nur auf die Alg II-Empfänger bezieht (im April = 4.430 Mio.) nur 1,32% aus [PDF – 1.4 MB].

Zum Schüren von Ängsten geben diese Fakten gewiss keinen Anlass.

Dennoch ist es mal wieder ein Beispiel für den Niedergang des journalistischen Arbeitens, dass zahlreiche Medien, wie etwa Focus Money, die Nachrichten-Agenturen dpa oder AFP, natürlich Springers Welt, die schon zitiert FAZ und laut Google-Suche eine große Zahl von weiteren Medien die Bild-Zeitung einfach abgeschrieben haben, ohne auch nur einen kurzen Blick auf die Quelle geworfen zu haben. Es ist das typische papageienhafte Nachplappern, zumal wenn man damit auf einen gerade anfahrenden politischen Zug aufspringen kann. Das muss man zu Recht Kampagnen-Journalismus nennen. Vermutlich haben die meisten Journalisten, die solche Meldungen weiterverbreiten, gar nicht mehr die Zeit oder den kritischen Hintergrund, um den Inhalt zu hinterfragen.

Man kann über die direkte Zuwanderung in ein soziales Fürsorgesystem in Deutschland ernsthaft diskutieren (Siehe z.B. Helga Spindler, Warum ist eigentlich die Zuwanderung direkt in ein soziales Fürsorgesystem in Europa und in Deutschland so unklar und missverständlich geregelt?), aber dann sollte man des nicht auf hetzerische Weise und mit halben Wahrheiten tun.


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