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Titel: Verschweigen als Methode zur Meinungsmache (2)

Datum: 24. Juli 2015 um 12:29 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Strategien der Meinungsmache
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Am 26. Juni 2015 hatte ich mit dem Beitrag „Wie kann man sich vor Manipulation und Meinungsmache schützen?“ mit einer Serie von Skizzen der Methoden begonnen. Großen Dank für die vielen interessanten Mails. Sie werden noch ausgewertet und dokumentiert. Heute komme ich als Nr. 2 auf das systematische Verschweigen von Vorgängen und Informationen zu sprechen, die zur Meinungsbildung wichtig wären. Als Belege werden herangezogen: das Schweigen über die Ursachen des Flüchtlingselends; der Versuch, den Ukraine-Konflikt mit der Annexion der Krim beginnen zu lassen; das Verschweigen der schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Menschen; das Verschweigen des Stresses in den Betrieben; das Verschweigen der US-Debatte zu 9/11, das Schweigen über Schäubles Spendenaffäre … . Es ist interessant, wie durch Verschweigen oder Herunterspielen die Grundlage künftiger falscher Geschichtsschreibung gelegt wird. Damit fangen wir an. Albrecht Müller

  1. Woher kommt das Flüchtlingselend? Warum fliehen die Menschen?

    „Eine Geschichte erscheint in unterschiedlichem Licht, je nachdem, wo man beginnt, sie zu erzählen.“ So lautet der erste Satz des Klappentextes im 2015 erschienenen Buch von Michael Lüders: „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet.“ Lüders zeigt mit vielen Belegen, wie der Westen sich, beginnend mit dem Sturz des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Iran, Mossadegh, am laufenden Band Feinde im Orient geschaffen hat, dass die Terrororganisation Islamischer Staat und auch das Flüchtlingselend im Irak, in Afghanistan, in Syrien, in Libyen, in Ägypten und in Gaza nicht vom Himmel fielen, sondern zu einem gravierenden Teil die Folge westlicher Politik sind. Die USA und – in ihrer Gefolgschaft oder als Vorläufer – andere Staaten des Westens haben reihenweise Kriege geführt – von Afghanistan über den Irak bis nach Libyen. Millionen Menschen sind dabei umgekommen, Millionen sind auf der Flucht.

    Bei uns wird von der Mehrheit der Medien und der Politiker die grausame Realität der Flüchtlinge wahrgenommen, beschrieben, diskutiert, auch geholfen und noch mehr gestritten, ohne dass die Realität der offenen und versteckten Kriege des Westens im Orient gebührend zur Sprache kommt. Die Geschichte wird beginnend mit dem Entstehen des Islamischen Staates (IS) und der grausamen terroristischen Praxis des IS erzählt und nicht beginnend mit der grausamen Praxis der westlichen, meist US-amerikanischen militärischen Interventionen.

    Michael Lüders beschreibt und dokumentiert in seinem Buch auch diese frühen Teile der Geschichte. Er zeigt auch, wie gängig die undemokratische Praxis des Westens ist, bei anderen Völkern auf den Regierungswechsel (Regime Change) zu dringen und diesen mit Gewalt durchzusetzen, gewesen ist und ist. Übrigens ist dies schon 1953 beim Sturz des damaligen persischen Ministerpräsidenten nach einem ähnlichen Muster abgelaufen, wie das heute immer wieder geschieht: in einer bis ins einzelne geplanten Geheimdienstarbeit, in einer Kombination von angeblich spontaner Bürgerbewegung, Propaganda, Inszenierung von Gewalt auf Straßen und Plätzen und militärischen Aktionen. Als Folge jenes gewaltsamen Regierungswechsels flohen Menschen; dann kam die Gegenrevolution der Ajatollahs und wieder flohen Menschen – und immer wieder wird von der Mehrheit der Politiker und Medien verschwiegen, was die Ursache des Flüchtlingselends war und ist.

    Es wird geschwiegen – und die USA und der Westen insgesamt werden so geschont.

  2. Begann der Ukraine Konflikt mit der Annexion der Krim durch Russland?

    Auch zum Ukrainekonflikt beginnt die Erzählung in der Regel erst da, wo es in den Kram der Meinungsbildung passt: Bei der Annexion der Krim durch Russland und beim kurz davor abgelaufenen Geschehen auf dem Maidan, und von dort wird oft auch nur die halbe Geschichte erzählt: der Aufstand der Demokraten und sogenannten Zivilgesellschaft gegen einen angeblich von Russland gesteuerten Präsidenten.

    Damit entsteht das Bild einer neuen imperialen Macht, die nicht vor der Annexion von Gebieten zurückschreckt, die Teil eines anderen Landes sind. Und es wird dann bestenfalls an einem Bild gemalt, das zeigen soll, dass hier zwei imperiale Mächte aufeinander stoßen. Mit dieser seltsamen Vorstellung vom „Clash“ ist die Verantwortung für den Konflikt (zunächst einmal) auf zwei Verursacher verteilt.

    Verschwiegen wird die Vorgeschichte und in diesem Zusammenhang immer mehr auch das Zeugnis und die Hilferufe jener westlichen Politiker wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, die auf die Bedeutung und Qualität der Vorgeschichte pochen: Es wird verschwiegen, dass wir uns ab 1989 das Ende jeglichen Konfliktes zwischen West und Ost erhofft haben, dass Strukturen der gemeinsamen Sicherheit wie die OSZE aufgebaut worden sind, dass eine große Partei wie die SPD die Forderung nach dem Ende beider Blöcke, also nicht nur des Warschauer Paktes sondern auch der NATO sogar in einem Grundsatzprogramm festgeschrieben hat, dass wir Abrüstung und nicht weitere Aufrüstung wollten und die gar nicht unrealistische Hoffnung hatten, dies sei realisierbar, dass wir den Wirtschaftsaustausch und den Austausch der Menschen zwischen West und Ost fördern wollten und diesen Austausch für eine Grundbedingung des fortwährenden Friedens erachteten, dass wir vertrauensbildende Maßnahmen wollten, dass Russland zu Europa gehört, usw.

    Verschwiegen, zumindest klein geschrieben wird die Tatsache, dass weder NATO noch Rüstungsindustrie diese Entwicklung wollten und dass die USA gleich in den neunziger Jahren an die Ausdehnung ihres Imperiums und Einflussbereiches nach Osten herangingen. Die NATO wurde ausgedehnt. In Polen und Tschechien wurden Raketenstellungen aufgebaut, verbrämt mit der albernen Behauptung, sie dienten der Abwehr iranischer Raketen. In der Ukraine begannen die USA mit Vorbereitungen für den „Regime Change“, für den Wechsel der politischen Führung im Sinne des Westens bzw. der USA. Dafür investierten sie 5 Milliarden $ in die sogenannte Zivilgesellschaft (übrigens ein Wort, das zu einer anderen Kategorie von Methoden der Meinungsmache gehört: manipulierender Gebrauch von Begriffen mit positiver oder negativer Aufladung); und der US Präsident überließ die Aktivität einer rechtskonservativen Mitarbeiterin des US-amerikanischen Außenministeriums, Frau Nuland.

    Es wird in der Bewertung durch Politik und Medien in der Regel verschwiegen, dass Sanktionen das Gegenteil dessen sind, was man sich zuvor mit vollem Recht zurechtgelegt hat: dass zur Vermeidung von Eskalation Vertrauensbildung und nicht Sanktionen notwendig sind.

    Es wird verschwiegen, dass diese Art von Politik einer Erfahrung und Regel widerspricht, der wir wesentliche Teile der Verständigung und auch der Einigung Deutschlands verdanken: auf den Wandel beim Partner bzw. früheren Gegenüber durch Kooperation zu setzen. „Wandel durch Annäherung“ hieß diese Formel einmal. Heute heizen wir den Konflikt an, ohne zu bedenken, welchen gefährlichen Wandel dies in Russland auslösen könnte – in dem auch dort fundamentalreligiöse Kreise und nationalistische Kreise mehr Einfluss gewinnen.
    Verschwiegen wird hier bei uns auch, dass während des Prozesses der Neu-Konfrontation mit Russland von den in Russland Verantwortlichen wie dem Außenminister Lawrow und dem Präsidenten Putin geradezu beschwörende Reden gehalten wurden, in denen vor einer neuen Konfrontation gewarnt wurde – im Deutschen Bundestag, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, vor der UNO.

    Diese Elemente der neueren Geschichte mit zu berichten passte nicht in den inzwischen als gelungen zu betrachtenden Versuch, Putin zum personifizierten Feindbild Russland aufzubauen.

    Mich erinnert diese Geschichtenerzählung an die Fünfzigerjahre, als die Befürworter der Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa wie etwa der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann und seine Mitstreiter ständig mit dem Verschweigen wichtiger Teile der europäischen Geschichte konfrontiert waren: die Russen waren die Bösen, erzählt wurde von Stalins Untaten und nicht auch vom Leiden der Völker der damaligen Sowjetunion unter Nazis und deutscher Wehrmacht.

  3. Geht es uns allen gut?

    Sehr vielen Menschen geht es auch heute nicht gut. Aber Arbeitslose, Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen, Lehrer/innen, die zu Beginn der Ferien entlassen und am Ende wieder angestellt werden, HartzIV-Empfänger, junge Menschen und solche über 50 Jahren, die ständig ohne Erfolg Bewerbungen schreiben, und die Millionen hoch verschuldeten Menschen kommen in den wiederkehrenden Meldungen über unser angebliches Wirtschaftswunder kaum vor, jedenfalls bestimmen sie nicht das verbreitete Meinungsbild. Das tun auch nicht jene oft gut bezahlten Arbeiter am Band, denen Tempo und Stress zusetzen. Die Parolen, die Politik und Medien verbreiten, werden von jenen bestimmt, die die erwähnten Sorgen nicht haben.

  4. Wolfgang Schäuble ist ein untadeliger Mann? Finanziell ausgesprochen seriös?

    Na ja, so kann man es sehen, wenn man nicht nachbohrt. Ein Blick zurück offenbart anderes. Der Einfachheit halber nachlesen bei Wikipedia „Wolfgang Schäuble“:

    „Am 16. Februar 2000 erklärte Schäuble, als Partei- und Fraktionsvorsitzender nicht mehr zu kandidieren. Friedrich Merz wurde daraufhin zum neuen Fraktionsvorsitzenden, Angela Merkel zur neuen Parteivorsitzenden gewählt. Schäuble blieb jedoch Mitglied des CDU-Präsidiums.
    Zuvor hatte Schäuble am 10. Januar 2000 eingeräumt, vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber im Jahre 1994 eine Bar-Spende über 100.000 DM für die CDU entgegengenommen zu haben. Am 31. Januar 2000 gab Schäuble ein weiteres Treffen mit Schreiber im Jahr 1995 zu. Die Schatzmeisterei der CDU habe den Betrag als „sonstige Einnahme“ verbucht.“

    Auch der Ruf anderer Politiker lebt vom Verschweigen: Merkels Rolle in der DDR, Steinmeiers „große Leistung“, die SPD 2009 auf den bisher niedrigsten Wert von 23% gebracht zu haben, und seine – aus meiner Sicht dunkle – Rolle in der Nacht vor dem Abgang des früheren Präsidenten der Ukraine. Welcher Journalist recherchiert insistierend, was damals geschehen ist?

    Auch dass Gabriel und Steinbrück wie auch schon Eichel als amtierende Ministerpräsidenten eine Landtagswahl verloren haben, was schon eine beachtliche Leistung ist, wurde und wird beflissen verschwiegen.

  5. Ist Syriza schuld am Elend Griechenlands?

    Noch wird gelegentlich an die Verantwortung der Vorgängerregierungen und die früher verantwortlichen Parteien erinnert. Aber es ist schon deutlich so angelegt, dass deren Verantwortung bei der nächsten Wahl in Athen schon verschwiegen werden kann. Auf dem Weg dorthin haben Merkel und Co. kräftig mitgeholfen: mit der Behauptung, Tsipras habe das Vertrauen verspielt, und die Wirtschaftslage habe sich in der Zeit seit der linken Machtübernahme spürbar verschlechtert.

Die Manipulations-Methode Verschweigen funktioniert, wie bei allen diesen Methoden oft in Kombination mit anderen Methoden, als da sind Wiederholen, Übertreiben, usw.


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