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Titel: Der Streit um den 3.Oktober, eine Nebelkerze von Eichels Kommunikationsstrategen mit schlimmen Nebenwirkungen

Datum: 7. November 2004 um 8:01 Uhr
Rubrik: Schulden - Sparen, Steuern und Abgaben, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Was macht ein gewiefter Kommunikationsstratege, wenn die Politik, die er „verkaufen“ muss, auf Kritik oder gar Widerstand stößt?

Er packt – erstens – mindestens einen Vorschlag in sein zu vermittelndes Gesamtpaket, bei dem er mit absoluter Sicherheit davon ausgehen kann, dass dieser Einzelaspekt zu einer aufgeregten öffentlichen Kontroverse führt, die die eigentlichen Themen völlig in den Hintergrund geraten lassen. Er schießt – zweitens – mit seinem Vorschlag weit über ein durchsetzbares Ziel hinaus, und das aber nur, um den gleichen Effekt mit einer – gemessen am ursprünglichen Vorschlag – akzeptabler erscheinenden Alternative zu erreichen; wenn eben nicht die Verlegung des „Tages der Einheit“ auf einen Sonntag dann eben die Streichung etwa von Fronleichnam oder am besten gleich eine weitere Verlängerung der Wochenarbeitszeit.

Wir haben auf den NachDenkSeiten immer wieder dargestellt, warum – wenn man volkswirtschaftlich denkt – Hans Eichels hauswirtschaftliche Sparabsicht nicht zu einem Sparerfolg im Bundeshaushalt führen kann (Vgl. auch Albrecht Müller, Die Reformlüge, München 2004, S. 305ff.). Einmal mehr führt die „Sparpolitik“ des Finanzministers zu einem noch größeren Kassenloch. Nachdem er im September die höchste Neuverschuldung von knapp 44 Mrd. Euro hinnehmen musste, weist die neue Steuerschätzung eine weitere Lücke von 4,8 Milliarden Euro aus.

Niemand, aber auch wirklich niemand in der Allparteienkoalition und im Medien-Mainstream kommt auf die Idee, einmal über den Zusammenhang von Steuersenkungen und den rückläufigen Steuern nachzudenken. Es findet schon gar nicht eine öffentliche Debatte darüber statt, ob es bei anhaltend geringer Binnennachfrage und daraus folgend schwacher Konjunktur und deshalb wiederum zurückgehender Steuereinnahmen bei gleichzeitig erhöhten Kosten für Arbeitslosigkeit volkswirtschaftlich einen Sinn macht, dass der Staat seine „Nachfragemacht“ weiter schwächt und durch Sparen die Konjunktur zusätzlich dämpft.

Schon um ein solches Nachdenken über den Irrweg der bisherigen „Sparpolitik“ zu verhindern, muss man sich als cleverer Kommunikationsstratege, für die „Vermittlung“ eines weiteres „Sparpaket“ von immerhin 10 Milliarden Euro eine wirkliche Provokation ausdenken, auf die alle, vom Bundespräsidenten angefangen, über die Ministerpräsidenten, die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften oder die Kirchen heftig reagieren. Was eignete sich dazu besser, als der emotionsbeladene Vorschlag einer Abschaffung unseres Nationalfeiertages in Form seiner dauerhaften Verlegung auf einen Sonntag. Dieser kommunikative Schachzug hat – wie man an der aufgeregten Debatte sieht – glänzend funktioniert.

Nicht nur die katastrophale Finanzsituation oder die Frage nach der Richtigkeit der derzeitigen Finanzpolitik gerieten in den Hintergrund, nein, auch noch die Kritik an den einzelnen Elementen des „Sparpakets“ findet allenfalls am Rande statt. Was hätte sonst allein der Vorschlag einer weiteren Nullrunde im Öffentlichen Dienst mit einer Einkommenseinbuße von 2 Milliarden Euro für einen Aufschrei bei den Bediensteten, bei ver.di oder beim Beamtenbund ausgelöst?

Was wäre für ein Streit darüber ausgebrochen, ob durch die globale Minderausgabe von einer Milliarde Euro für alle Ressorts (und die dadurch womöglich notwendige Kürzung von Investitionen) der gesamte Haushalt die Verfassungsgrenze reißt? Was hätte es nicht für einen Ärger ausgelöst, dass die Forderungen des Fiskus an Telekom und Post zur Finanzierung der Pensionslasten der ehemaligen „Postler“ zu einem „Schleuderpreis“ von 5,5 Milliarden Euro auf den Kapitalmärkten „versilbert“ werden soll und der Bund damit zukünftige Einnahmen (über die Jahre addiert) in zwei- oder sogar dreistelliger Milliardenhöhe – so mal gerade eben – zur Sanierung eines aktuellen Haushaltsloches „abschreibt“? Und was hätte es wieder für einen Zoff gegeben, ob die EU-Kommission dieses Bilanzmanöver zur Einhaltung der Maastricht-Verschuldensgrenze überhaupt akzeptiert?

Wäre nicht auch danach gefragt worden, warum trotz aller Hartz-Reformen die Mehrbelastungen für den Arbeitsmarkt ein weiteres Loch von 3 Milliarden Euro aufreißen? All diese Kritik ist durch die Debatte über den 3. Oktober an den Rand gedrängt und findet allenfalls noch zwischen den Zeilen statt.

Selbst die Tatsache, dass die Bundesregierung (möglicherweise auf Druck der Koalitionsfraktionen) jetzt den „Tag der Einheit“ doch nicht „opfern“ will, ist letztlich ein taktischer Erfolg. Hätte nämlich der Finanzminister einfach nur die Streichung eines beliebigen Feiertages gefordert, hätte es das gewohnte Hick-Hack gegeben, welcher Feiertag es denn nun sein sollte, der „1.Mai“ oder „Himmelfahrt“ oder Fronleichnam oder…

So kann sich jetzt die SPD-Regierung sogar noch von den Gewerkschaften loben lassen, dass sie keinesfalls, wie die Wirtschaftsverbände das fordern, den „Tag der Arbeit“ abschaffen will und der Bundeskanzler kann den „schwarzen Peter“ an die ihn beschimpfenden Länderministerpräsidenten weiterschieben, die – wenn sie denn schon wie Stoiber die Abschaffung des Tags der Einheit für „hirnrissig“ erklären – dann eben einen „ihrer“ Länder-Feiertage anbieten müssen. Weil ja alle dafür sind, dass „wir“ länger arbeiten müssen, kann die Bundesregierung denjenigen, die ihren Vorschlag ablehnen, jetzt locker eine „Bringschuld“ zuschieben.

Ob es eine solche „Schuld“ überhaupt gibt oder ob die Streichung eines freien Tages überhaupt zu mehr Wachstum und damit mehr Steuereinnahmen führen kann oder ob das schlicht eine Maßnahme zur Verlängerung der Arbeitszeit mit entsprechender Senkung der Löhne ist, um diese politische Grundsatzfrage hat man sich mit der Provokation der „Streichung des Nationalfeiertages“ gleich mit herumgemogelt. Oder anders: Man hat mit diesem Vorschlag auch nochmals bekräftigt, dass man die Forderung der Wirtschaftsverbände nach Verlängerung der Arbeitszeit und nach gleichzeitiger Senkung der Löhne seitens der Bundesregierung im Prinzip für richtig hält und aktiv unterstützt.

Etwas ganz Entscheidendes haben die Kommunikationsstrategen der Bundesregierung beim Werfen ihrer Nebelkerze – wie übrigens schon häufig bei der „Vermittlung“ ihrer „Reformpolitik“ – nicht bedacht: Die Deutschen sind kein Volk von ausgemachten Masochisten, das daran Lustgefühle empfände, wenn man ihm mit politischen Vor-„Schlägen“ erst einmal massive Schmerz zufügt, und das anschließend seinem Quälgeist für das vage Versprechen dankbar wäre, dass das zugefügte Leiden vielleicht irgendwann ein wenig nachlassen könnte.

Der Verlust an Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Politik ist die schlimme Nebenwirkung von solchen Nebelkerzen, wie dem Vorschlag einer Abschaffung des Nationalfeiertages.


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