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Titel: „Was ist denn bei Ihnen im Land eigentlich los?“

Datum: 27. Mai 2016 um 9:11 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Parteien und Verbände, Rechte Gefahr, Wahlen
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Letzte Woche war ich einer von über 700.000 Österreichern, die ihre Stimme zur Wahl des Bundespräsidenten per Wahlkarte abgaben. Ich wählte Alexander Van der Bellen – allerdings weniger aus Überzeugung, sondern einfach um den rechtsradikalen Norbert Hofer zu verhindern. Van der Bellen konnte die Wahl gewinnen und ist nun der designierte Bundespräsident Österreichs. Ob damit allerdings tatsächlich das Übel verhindert wurde, ist eine andere Frage. Von Emran Feroz.

„Was ist denn bei Ihnen im Land eigentlich los?“, meinte die Postbeamtin, als ich meine Wahlkarte abholte. Wie gewohnt, hatte ich den Postboten verschlafen und musste zum nächsten Postamt eilen, um zu wählen. Als Auslandsösterreicher habe ich die Wahlen zwar stets verfolgt und daran teilgenommen, fühlte mich allerdings noch nie so unter Druck gesetzt wie bei diesem Mal. Vielen meiner Freunde und Verwandten ging es ähnlich, spätestens nachdem klar wurde, dass Norbert Hofer – der Kandidat der FPÖ – den ersten Wahlgang für sich entschieden hatte.

„Ziemlich schlimm, oder? Deshalb muss ich jetzt schnell wählen“, entgegnete ich der Postbeamtin. Sie lächelte. Dass sie sich bald womöglich fragen könnte, was in Deutschland los sei, verkniff ich mir. Immerhin gibt es wie in vielen anderen europäischen Staaten auch hier eine rechte Partei, die sich im Aufschwung befindet und tagtäglich immer mehr Sympathisanten für sich gewinnt. Wie dem auch sei, so schlimm die AfD für viele sein mag, an eine FPÖ kommt sie meines Erachtens nach noch lange nicht heran.

Mit harmlosem Rechtspopulismus hat die Freiheitliche Partei Österreichs nämlich schon lange nichts mehr am Hut. Da gibt es etwa einen Parteichef, der eine prägnante Neonazi-Vergangenheit hat, während er von seiner Zukunft als Bundeskanzler schwärmt. Unter der Führung Heinz-Christian Straches hat die Partei in den letzten Jahren einen extrem rechten Kurs eingenommen, sich für deutschnationale Burschenschaften geöffnet und pflegt einschlägige Kontakte zur Neonazi-Szene. Obwohl diese Dinge in den letzten Monaten immer mehr in den Hintergrund gerieten, hat sich an ihnen nichts geändert.

Faschist im bürgerlichen Gewand

Warum sie in den Hintergrund gerieten, hat jedoch einen Grund: Norbert Hofer. Der in Rhetorik geübte Politiker präsentiert sich als bürgerlicher Saubermann, als netter Nachbar von nebenan, der stets rational handle und lediglich das Beste für sein Land wolle. Damit war Hofer, Mitglied einer deutschnationalen Burschenschaft, die die österreichische Nation ablehnt und dessen ideologischer Ziehvater behauptet, unter Adolf Hitler sei nicht alles schlecht gewesen, mehr als erfolgreich. Den ersten Wahlgang entschied er deutlich für sich. Viele Menschen, auch ich, blickten bereits pessimistisch in die Zukunft und freundeten sich mit dem Gedanken an, dass ein rechtsradikaler Politiker der nächste Bundespräsident sein wird. Wohlgemerkt, mit solch einem Gedanken kann man sich eigentlich gar nicht anfreunden, wenn man sich der Sache wirklich bewusst ist.

Nichtsdestotrotz war dieser Rechtsradikale gleich zwei Mal erfolgreich. Immerhin konnte Van der Bellen die Stichwahl nur knapp – „arschknapp“, wie er es selbst bezeichnete – für sich entscheiden. Außerdem munkelt man mittlerweile, dass Hofer Strache bald ablösen könnte. Die Hälfte der Wähler hat sich für ihn entschieden. Wäre sein Parteichef angetreten, wäre das wohl kaum passiert.

Wie konnte es dazu kommen? Warum haben sich so viele Wähler für eine derartig Hass säende Partei wie die FPÖ entschieden? Es gibt viele Gründe. Einer von ihnen ist vor allem jener, dass niemand es während des Wahlkampfes gewagt hat, die Rechtsextremisten als Rechtsextremisten zu bezeichnen. Man zog es vor, von der Nazi-Keule Abstand zu nehmen. Doch was passiert eigentlich, wenn man mit einer Nazi-Keule auf einen Nazi schwingt? Im Grunde genommen gar nichts. Man nennt die Sache nur beim Namen. Doch die etablierten Parteien einschließlich eines Van der Bellens schreckten davor zurück – und machten die FPÖ dadurch nur noch salonfähiger.

Auch Van der Bellen ist Teil des Problems

Alexander Van der Bellen hat übrigens so einiges getan, was irritierend wirkte. Der Ex-Grüne Politiker wollte einen Spagat hinlegen, um möglichst viele verschiedene Wähler anzusprechen. Dies ist nachvollziehbar, kann sich allerdings auch kontraproduktiv auswirken – etwa wenn man manche Dinge betreffend keinen klaren Standpunkt findet, zum Beispiel bei TTIP. Mal war Van der Bellen eher dafür, mal eher dagegen. Rückblickend kann man feststellen, dass er, der auch viele Linke hinter sich gesammelt hat, ein Unterstützer des umstrittenen Handelsabkommens ist.

Für Hofer und die FPÖ kam Van der Bellens unentschlossene Haltung wie gerufen. Die Partei warb mit einem klaren Nein gegen TTIP, verlangte unter anderem eine Volksabstimmung und tut dies auch weiterhin. Dass ausgerechnet ein derartig klassisch-linkes Thema, mit dem man eindeutig hätte punkten können, von den Rechten ausgeschlachtet wurde, ist ein Tiefpunkt der österreichischen Linken. Zu diesen gehört Alexander Van der Bellen jedoch ohnehin nicht. Während des Wahlkampfes mutierte er immer mehr zu einem bürgerlichen Systempolitiker. Und auch wenn es für manche Menschen nicht einfach ist, das einzugestehen: Auch Van der Bellen gehört mittlerweile jenem politischen Establishment an, welches den Erfolg der FPÖ seit Jahren schürt, indem sie von einer Großen Koalition in die nächste springt und hauptsächlich zum Interessenvertreter von Banken und Konzern geworden ist.

Wohl gemerkt, auch die FPÖ steht nicht für den kleinen Mann oder für die kleine Frau. Ein Blick in ihr Wahlprogramm macht das mehr als deutlich. Sie weiß nur, wie sie sich geschickt als eine solche Partei verkaufen kann. Zum gleichen Zeitpunkt existiert in Österreich keine linke Alternative, die dem etwas entgegensetzen könnte. Die kleinen, linken Fragmente, die hauptsächlich von den Grünen aufgefangen wurden, sind kaum ernstzunehmend – und so wird es wohl auch weiterhin bleiben.

Man wird per se abgelehnt

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es sicherlich gut, dass an Österreichs Spitze kein rechtsradikaler Mann steht, dessen Partei seit Jahren menschenverachtende Ansichten verbreitet und gegen Flüchtlinge, Migranten und Muslime hetzt. Vor allem Menschen wie ich, die ausländische Wurzeln haben, fühlen sich ein wenig in Sicherheit gewogen. Dennoch empfindet man es als problematisch, dass so viele Österreicher auf „ein wenig Führer“ aus sind. Anders kann die gegenwärtige politische Situation nämlich gar nicht wahrgenommen werden.

Deshalb fällt es vielen Migranten im Land auch schwer, das FPÖ-Klientel in einer gewissen Art und Weise zu verstehen oder gar anzuerkennen. Natürlich haben die etablierten Parteien in vielerlei Hinsicht versagt. Natürlich sind auch die Wähler der FPÖ letztendlich nur als Getriebene des neoliberalen Systems, welches auf Ausbeutung und Ungerechtigkeit aufgebaut ist, zu betrachten. Doch ist das schon Grund genug, einer extrem rassistischen und menschenverachtenden Weltanschauung zuzustimmen? Im Gegensatz zu den meisten anderen Österreichern haben Migranten nämlich kaum die Gelegenheit, einen FPÖ-Wähler umzustimmen. Meistens ist dieser nämlich schon – und hier spreche ich aus eigener Erfahrung – von der Erscheinung vor ihm, sprich, der dunklen Haut, den schwarzen Haaren oder dem fremd klingenden Namen, abgeschreckt.

Einfach gesagt: Den Luxus, auf ein Bier oder einen Kaffee mit einem FPÖ-Unterstützer zu gehen, können sich viele Migranten, die auch als solche schnell wahrgenommen werden, nicht leisten. Sie werden per se abgelehnt – und das ist ein Problem, welches mir und vielen anderen Menschen aus guten Gründen Angst macht.


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