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Titel: Die Rückkehr der Diener

Datum: 7. November 2016 um 12:45 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Interviews, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich:

Christoph Bartmann

Die Vorstellung, rund um die Uhr von anderen bedient und hofiert zu werden, wo immer das nötig erscheint, ist verführerisch und erschreckend zugleich. Doch die sich polarisierenden sozialen und ökonomischen Verhältnisse driften genau hierhin immer mehr ab: Bürgerliche Befehlshaber befehligen ein Heer Prekärer, Scheinselbstständiger, Tagelöhner und Anderer, deren einziger „Zweck“ darin besteht, den vielbeschäftigten Mittel- und Oberschichtlern die Nägel zu schneiden, den Müll wegzuräumen, das Essen zu liefern etc. Ob Putzfrauen, Au-pair-Mädchen oder Hunde-Sitter: Die Rückkehr der Diener sei in vollem Gange, erklärt Autor Christoph Bartmann im Interview mit Jens Wernicke. Das Ideal der Gleichberechtigung gelte für sie schon lange nicht mehr.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Bartmann, in Ihrem neuen Buch mit gleichlautendem Titel skizzieren Sie mit Blick auf ein neofeudales Bürgertum, das mit sozialer Spaltung offenbar gut leben kann, „die Rückkehr der Diener“. Kehren die Butler und Mägde also zurück?

Die Butler und Mägde schauen wir uns lieber im Fernsehen an, am liebsten in Serien wie „Downton Abbey“. Was zurückkehrt, sind nicht so sehr die Dienerfiguren der Gegenwart – obwohl auch sie derzeit in den Haushalten der Superreichen weiterhin gefragt sind.

Ich konstatiere den Anstieg des häuslichen Servicepersonals, wozu ich auch die haushaltsnahen Lieferdienste rechne. Es geht also nicht in erster Linie um Personal, das im Haus lebt, sondern um flexible Dienste rund um die eigene Wohnung. Durch die neuen Serviceplattformen werden solche Dienste für Kunden wie für Dienstleister superflexibel gemanagt.

Was genau haben Sie beobachtet? Wogegen richtet sich Ihre Kritik?

Ich habe in New York mit zunehmendem Erschrecken die Expansion der haushaltsnahen Dienstleistungen – da geht es um Essen, Putzen, stundenweise Butlerdienste, Babysitting, Dogwalking etc. etc. – wahrgenommen.

Treiber dieser Entwicklung ist nicht die Oberschicht, sondern die gestresste und hilfsbedürftige Mittelklasse. Leute, die hart arbeiten müssen, um ihr Leben mit allem, was es an Lasten einschließt – also etwa Schulgeld, Hypotheken, Gesundheitsversorgung etc. – zu bewältigen.

Das Engagement im Beruf hat zur Folge, dass einfache häusliche Tätigkeiten wohl oder übel delegiert werden, an Leute, die ihrerseits keinen Anspruch auf Karriere und Wohlstand erheben. In dieser neuen Klassengesellschaft halten anspruchslose Dienstleisterinnen und Dienstleister der gestressten Mittelklasse den Rücken frei.

Soziologen sprechen bezüglich der immer schlimmer werdenden sozialen Spaltung in diesem wie in anderen Ländern längst von einer „Refeudalisierung“ der Verhältnisse. Erleben wir also auch im Dienstleistungsbereich eine „neofeudale Revolution“?

Feudalismus ist ein großes Wort. Schon die Revolutionäre im Frankreich von 1789 wollten ihn umgehend abschaffen, diskutierten dann aber noch Jahrzehnte darüber, was genau sie meinten: Sklaverei? Lehnswesen? Unfreie? All das gibt es heute nicht mehr, jedenfalls in der westlichen Welt.

Was es hingegen gibt, sind „neofeudale“ Tendenzen, bei denen die Bedienung der einen gesellschaftlichen Schicht durch eine andere als Tatsache anerkannt und nicht weiter hinterfragt wird.

Wir haben, denke ich, wieder Freude an asymmetrischen und nicht-egalitären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Das passt zusammen mit der autoritären politischen Wende in vielen Ländern der Welt. Allerdings kann man oft hören, dass die einfachen Dienstleister doch gar nichts anderes wollen oder können und deshalb froh sein sollten, Beschäftigung zu haben.

Das aber ist ein reaktionäres Gesellschaftsmodell, dem man massiv entgegentreten muss. Ich sehe allerdings derzeit keine nennenswerte politische Diskussion um dieses Thema.

Wir sprechen vom Anwachsen des sogenannten „Prekariats“ nebst all der Schattenseiten, die dieses „Wachstum“ mit sich bringt? Also von moderner „Sklaverei“ und „Tagelöhnertum“, um einmal aus Ihrem Buch zu zitieren…

„Prekariat“ ist ja ein Sammelbegriff geworden für den Teil der Bevölkerung, der dauerhaft in irregulären Beschäftigungsverhältnissen feststeckt oder sich mangels Alternativen dort eingerichtet hat.
Es gibt in dem Feld der häuslichen Dienstleister alle möglichen Grade von Freiheit bzw. Unfreiheit – zwischen moderner Sklaverei und superflexiblem Schein-Unternehmertum, also den sogenannten Kontraktoren der Plattformökonomie.

Das Freiwillige und Selbstgewählte an solchen Beschäftigungsformen sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auf Dauer schädlich sind, und zwar nicht nur für die Dienstleister selbst.

Warum genau erschreckt Sie diese Entwicklung so? Und haben Sie vielleicht ein, zwei konkrete Beispiele für mich zur Hand?

Ich kann mich nicht mit einer Situation anfreunden, in der zunehmend für alle Lebenslagen Heinzelmännchen bereitstehen, um mir wegen Berufs- und Leistungsstress den Rücken freizuhalten.

Die Vorstellung, dass zur Sicherung meiner persönlichen Leistungsbilanz laufend Dienstleister herangezogen werden müssen, die im Hintergrund pflegen, rennen, liefern und kümmern, finde ich beunruhigend.

Aber kommt das wirklich so überraschend? Das Hartz-IV-Regime in Deutschland zielte doch von Beginn an, wie Aussagen von Gerhard Schröder deutlich machen, auf die Etablierung eines gigantischen Niedriglohnsektors im Land. Ist, was wir hier beobachten, nicht schlicht … logische Folge der zunehmenden Massenarmut, die wieder Einzug auch in Industrieländern hält?

Das stimmt, wir haben den Aufschwung seit der Agenda 2010 gerade auch der Überführung ehemaliger Festangestellter ebenso wie von Langzeitarbeitslosen in die neue Dienerklasse zu verdanken. Es gibt offiziell weniger Arbeitslose und dafür mehr einfache Dienstleisterinnen und Dienstleister.

Ich bezweifle aber, dass diese Verlagerung des Problems von entweder zu teurer oder gar keiner Arbeit hin zu einfacher und prekärer Arbeit gesamtgesellschaftlich von Nutzen ist. Aus meiner Sicht wäre das ein weites Handlungsfeld für die Sozialdemokratie und alle anderen, die die Zukunft der Arbeit nicht den Märkten und Robotern allein überlassen wollen.

Auch von der „Share Economy“ halten Sie wenig. Warum?

Ich unterscheide inzwischen zwischen „Sharing Economy“ und „Plattformkooperativismus“. Bei der ersten geht es um Firmen ohne Mitarbeiter und Profite allein für jene, die den Code schreiben. Bei der zweiten geht es auch um den Code, aber die Gewinne werden vergesellschaftet. Das ist eine utopisch-sozialistische Variante der digitalen Ökonomie, die in den USA schon viele Unterstützer hat.

Wo wird diese Entwicklung hinführen, wenn es so weitergeht?

Die Entwicklung wird sich verlangsamen, wenn – und nur wenn – weniger Menschen gezwungen sind, diese einfachen Jobs zu erledigen. Es ist also eine Frage der Demographie einerseits und andererseits eine Frage der technologischen Dynamik.

Roboter werden früher oder später in der Lage sein, viele einfache Dienstleistungen zu übernehmen. Das wird uns nicht in allen Fällen gleich angenehm sein, aber wir werden uns an solche Hilfen gewöhnen, vor allem, wenn die menschliche Arbeitskraft knapper wird.

Und wie sieht es mit dem Widerstand gegen derlei Verhältnisse und ihre Zumutungen aus? Sie schreiben ja selbst, eine politische Agenda zur Bekämpfung des Dienstleistungsübels sei nirgends in Sicht…

Vor dem Widerstand käme vielleicht zuerst das bessere Verstehen der Lage, vor allem im Gespräch mit jenen, die es persönlich betrifft.

Ich denke, dass Politik und Gewerkschaften das Thema derzeit nicht genügend beachten, auch deshalb, weil die Dienstleister selbst nicht genug von sich reden machen.

Sie sehen sich halt nicht unbedingt als Teil einer benachteiligten Klasse, sondern teilweise eher als flexible Avantgarde.

Noch ein letztes Wort?

Vielleicht wäre es gut, wenn jeder für sich gelegentlich eine Dienstleistungsbilanz zöge: Was nehme ich in Anspruch, warum und wie oft, und was tut mir und meinen Dienstleistern davon gut?

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Christoph Bartmann, Jahrgang 1955, studierte Germanistik und Geschichte. Seit 1988 Mitarbeiter des Goethe-Instituts, u.a. in München, Prag und Kopenhagen, seit 2011 als Direktor in New York, ab 2016 in Warschau, außerdem regelmäßiger Rezensent in der Süddeutschen Zeitung. Im Carl Hanser Verlag erschien zuletzt „Die Rückkehr der Diener“ (2016).


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