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Titel: Anpacken und Anfangen: Der Plan A für Österreich. Eindrucksvolles und Zwiespältiges in der Rede des österreichischen Bundeskanzlers (SPÖ)

Datum: 17. Januar 2017 um 8:43 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Länderberichte, Soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Gestern hatte ich das positive Urteil eines Lesers der NachDenkSeiten über die Rede des österreichischen Bundeskanzlers und SPÖ Vorsitzenden und seinen Plan A weitergegeben. In diesem Plan und in der Rede des Christian Kern ist viel Interessantes und Positives zu lesen, aber auch viel Fragwürdiges. Auf die Schnelle habe ich jetzt Folgendes gemacht: Passagen aus der Rede in drei Rubriken aufgeteilt: I. Eindrucksvolle Passagen, II. Enttäuschende Passagen und III. Zwiespältige Passagen. Das soll Ihnen helfen, Zeit zu sparen und sich doch eine Meinung zu bilden. Im Anhang finden Sie zusätzlich den Link auf eine kritische Sicht eines NachDenkSeiten-Lesers, der als Wissenschaftler in Wien arbeitet. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Rede das SPÖ Vorsitzenden und Bundeskanzlers Christian Kern gibt es im Wortlaut hier und hier:

  1. Eindrucksvolle Passagen:

    Und ich möchte mich deshalb ganz besonders bei all jenen bedanken, die bis zum heutigen Tag für unsere Überzeugungen, unsere Ideale und unsere Ziele brennen. Aber ich möchte heute hier auch ganz bewusst eine Botschaft an jene senden, die sich von uns abgewendet haben. Jene, die nicht mehr an uns glauben, jene, die von uns enttäuscht sind, jene, die vielleicht sogar zornig sind. Ich höre eure Botschaft und ja, ich verstehe eure Enttäuschung. Nicht ihr habt unseren Weg entlassen, wir haben unseren Weg verlassen.

    Es ist nicht eure Schuld, es ist unsere.

    Und deshalb möchte ich mich hier an dieser Stelle als Parteivorsitzender dieser stolzen Partei, verantwortlich für die Zukunft, aber auch für die Vergangenheit, für die guten und die weniger guten Entwicklungen, deshalb möchte ich mich hier an dieser Stelle für diese Enttäuschungen entschuldigen.

    Und liebe Österreicherinnen und Österreicher! Ich bin nicht in die Politik gegangen, weil es mir wichtig ist, dass auf meiner Visitenkarte Bundeskanzler obensteht. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mir das nicht einmal besonders wichtig, ist mir das fast egal. Worum’s mir geht, ist: Ich will unser Land gemeinsam mit euch gestalten. Ich will unser Land gerechter machen.

    Ich habe die Anliegen und die Sorgen der Menschen aufmerksam gehört. Und ich hab sie verstanden.

    Ich erinnere mich an Christine, eine Alleinerzieherin in Krems, die am Abend im Wintermantel in ihrer Wohnung sitzt, weil sie sich die Heizung nicht mehr leisten kann. Hat sie etwas falsch gemacht?

    In Judenburg habe ich Rene getroffen, einen jungen Angestellten, der mir erzählt hat, dass er sich nicht sicher ist, ob er ein Kind in die Welt setzen soll mit seiner Frau, weil er nicht weiß, ob er in fünf oder in zehn Jahren noch Arbeit haben wird. Und ob er seinem Kind eine schöne Jugend bescheren kann.

    Lisa hab ich in Simmering getroffen, eine junge Frau, verzweifelt, arbeitslos. Sie hat sich immer wieder und immer wieder beworben. Dutzende Absagen bekommen. Sie hat mich gefragt: „Was mache ich falsch?“ Sie macht nichts falsch. Es ist Aufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen wie Lisa einen Arbeitsplatz in Österreich bekommen.

    Arbeitslosigkeit kostet unseren Staat unglaublich viel Geld, aber noch mehr. Arbeitslosigkeit ist viel schlimmer, weil sie raubt Menschen ihre Zukunftsperspektive. Arbeitslosigkeit raubt Menschen ihre Würde. Das können wir und wollen wir nicht akzeptieren! Und deshalb ist das oberste Ziel des Plan A, den Menschen ihre zurückzugeben und für Arbeit zu sorgen.

    Wir müssen langfristig Vollbeschäftigung herstellen.

    Und da kommt jetzt aber wieder der Staat ins Spiel. Weil natürlich werden die das nicht von alleine tun, sondern unsere Aufgabe wird es sein, die Voraussetzungen zu schaffen, Kapitalgarantien zu geben, dass die Unternehmen auch tatsächlich diese Investitionen für attraktiv genug finden. Und genau nach diesem Motto werden wir in allen anderen Sektoren auch vorgehen. Wir wollen nicht nur ein Start-up Cluster schaffen, wir wollen mindestens fünf im ganzen Land produzieren. Weil es mir wichtig ist, dass die jungen Menschen bei uns Perspektiven bekommen und aufregende Zukunftsprojekte verfolgen können.

    Aber es geht in der Wirtschaft auch ganz entscheidend um Gerechtigkeitsfragen. Es geht um die Frage, ob die Kleinen profitieren, ob die Großen gewinnen. Ich habe vor Kurzem in Graz in einem Kaffeehaus mit einer Kaffeehausbesitzerin geplaudert, die sich bei mir ordentlich beschwert hat. Die Erika hat sich furchtbar darüber beschwert, weil die gesagt hat, drei Häuserblöcke weiter ist eine Starbucks-Filiale. Und jetzt erklären Sie mir bitte, warum ich brav meine Steuern zahlen soll und weiß, dass die nebenan mich konkurrenzieren und ihre Steuern nicht abliefern.

    Die Wahrheit ist, die Erika hat natürlich völlig recht mit ihren Einschätzungen und mit ihrer Klage. Und deshalb ist es für uns entscheidend, dass wir dafür sorgen, dass alle ihren Beitrag für unsere Gemeinschaft leisten, und das tut man nun mal über Steuern, weil es für uns nicht akzeptabel ist und weil es unsere Gesellschaft zerfrisst, wenn die Menschen in unserem Land das Gefühl haben, dass es ein paar gibt, die sichʼs richten können. Was sollen sich denn die Leute denken, die fleißig arbeiten, von ihrem Einkommen kaum über die Runden kommen und dann in der Zeitung lesen, dass die Superreichen nichts anderes zu tun haben, außer ihre Steuern und Gewinne nach Panama zu verschieben? Das ist Riesenthema.

    Wir haben mit 1.1., also mit Beginn dieses Jahres Maßnahmen umgesetzt, um gegen Lohn- und Sozialdumping entschieden vorzugehen. Nach meinem Geschmack können wir da noch deutlich mehr machen, und wir schlagen vor, das noch weiter auszubauen, weil das keine Kavaliersdelikte sind. Weil wenn jemand mit Lohndumping, Umweltdumping in den Markt geht und unsere eigenen Handwerksbetriebe verdrängt, dann schadet das nicht nur unseren Unternehmen, dann schadet das allen Steuerzahlen und Menschen in unserem Land. Und dann schadet das vor allem den Mitarbeitern unserer eigenen Betriebe.

    Und deshalb möchte ich, dass wir so rasch als möglich zu einem Generalkollektivvertrag in unserem Land kommen, der 1.500 Euro brutto als Mindesteinkommen regelt. Und wenn das nicht möglich ist, dass wir das auf dem herkömmlichen Weg tun, dann bin ich der Auffassung, dass wir alles Erdenkliche tun müssen, um die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um diesen Zustand herzustellen.

    Und es ist selbstverständlich ein Teil unseres Plans für Österreich, weil das eine immanente Gerechtigkeitsfrage ist. Aber es ist auch nur ein erster Schritt. Und selbstverständlich unterstützen wir unsere Freunde und Freundinnen von der Gewerkschaft, das Anliegen hier durchzusetzen, noch höhere Löhne durchzuboxen.

    Die Zuwanderungsfrage ist die denkbar ungeeignetste, um Emotionen zu schüren. Natürlich ist es leicht, Menschen gegeneinander aufzubringen. Und natürlich kann man seinen politischen Profit und sein Kleingeld damit wechseln. Aber ich halte es für falsch, wenn wir durch unbedachte Äußerungen 600.000 Moslems in Österreich in eine Eckes stellen und unter Generalverdacht stellen.

  2. Enttäuschende Passagen:

    Aber die Grundidee, um die es dabei geht, ist, dass wir aktiv unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft gestalten worden. Wir brauchen einen Staat, der unternehmerisch denkt. Ein unternehmerischer Staat passt auf das Geld der Steuerzahler so gut auf, als wäre es sein eigenes. Ein unternehmerischer Staat investiert klug und hält seine Finanzen in Ordnung.

    Im Gegenteil: Unser Ziel ist es, dass wir anstreben, unsere Steuer und Abgabenquote weiter zu senken…

    1961 hat FJK in einer großen Rede, John F. Kennedy, in einer großen Rede als Ziel formuliert: Wir werden einen Mann auf den Mond bringen. 1961 eine völlige absurde Utopie. 1969 hat Neil Armstrong als erster Mensch tatsächlich den Mond betreten. Nicht einmal eine Dekade später. Was Amerika damals gemacht hat, sie haben eine Initiative sich vorgenommen, einen Moon Shot, wo sie gesagt haben, das wollen wir, das bringt unser Land weiter, das ist eine Initiative, die den Unterschied ausmacht. Und genau diese Initiativen, die den Unterschied ausmachen, sollen, die unser Land nach vorne bringen, um die geht’s mir in unserem Plan A.

    Dass wir unsere Universitäten daran orientieren, an denen wir Exzellenz-Cluster schaffen wollen, die sich genau mit diesem Thema auseinandersetzen. Dass wir unsere Universitäten stärken dabei. Dass wir Forschung und Entwicklung in diesem Sektor kanalisieren und unterstützen. Und dass wir auch unsere Start-up-Strategie auf diese Ziele abstimmen. Weil mein Ziel ist es, dass in Zukunft Menschen, die Geld investieren wollen, die forschen und entwickeln wollen, die Arbeitsplätze schaffen wollen, wenn sie an Energie- und Umwelttechnik denken, an Österreich denken. Und sagen, das ist der Platz, wo man hier hinmuss. Und damit wir diese Initiative unterstützen können, wollen wir unsere Start-ups stärken. Und das ist ein Thema, das ein bisschen eine persönliche Leidenschaft für mich ist, ich gebe es zu. Es geht um Gründungen, es geht um Kreativität, es geht um Innovation bei dem Thema. Es ist ein kleiner Sektor in unserer Wirtschaft, er ist sehr dynamisch.

    Mit wachsender Sorge haben wir verfolgt, was in Berlin, in Nizza, in den Straßen Londons oder Paris oder Istanbuls passiert ist. Wir sind hier mit einer globalen Bedrohung konfrontiert, die unsere westliche Lebensweise grundsätzlich infrage stellt. Wir haben erlebt, dass die Handlanger des sogenannten Islamischen Staats einen unglaublichen Hass auf unsere westliche Lebensweise entwickelt hat, auf unsere Kultur. Und ich kann Ihnen versichern, es darf kein Zweifel aufkommen, dass wir alle benötigten Ressourcen zur Verfügung stellen werden, um uns mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen, unsere Grenzen zu schützen. Unser Bundesheer, unsere Geheimdienste, unsere Polizei werden alles tun, was notwendig ist, um unsere Lebensweise zu schützen, egal, ob diese Bedrohung von innen oder von außen kommt.

    Was ich damit meine, ist, wir brauchen klare Mehrheiten. Wir Sozialdemokraten stellen den Führungsanspruch. Und mit unserem Plan A haben wir ein Konzept vorgelegt, das Maßnahmen beinhaltet, um unser Land dorthin zu bringen, wo es hingehört. Und weil wir diesen Führungsanspruch stellen, möchte ich das untermauern mit dem Vorschlag, dass wir in Österreich ein mehrheitsförderndes Wahlrecht einführen.

    Die stärkste Partei soll automatisch mit den Regierungsverhandlungen beauftragt werden und einen zusätzlichen Bonus an Mandaten und Stimmrechten im österreichischen Parlament erhalten.

    Liebe Österreicherinnen und Österreicher, immer dann, wenn wir für Veränderungen gekämpft haben, ist unser Land stark gewesen.

    Immer dann, wenn unser Land stark gewesen ist, ist es den Menschen gut gegangen. Deshalb machen wir unser Land wieder stark! Sorgen wir dafür, dass Österreich wieder an der Spitze steht! Bringen wir gemeinsam unser Land nach vorne!

  3. Zwiespältig:

    Meine Eltern haben ein einziges Lebensziel gehabt, um eine einzige Sache ist es ihnen gegangen: dass es meiner Schwester und mir eines Tages bessergeht. Und diesen Plan haben sie ihr ganzes Leben mit aller ihrer Überzeugung verfolgt. Es gab in unserer Familie keine silbernen Löffel, es gab Verzicht und Entbehrung für meine Eltern. Aber es gab auch die Überzeugung, dass man es aus eigener Kraft schaffen kann, etwas zu erreichen.

    Und die Bildungspolitik Bruno Kreiskys hat schließlich möglich gemacht, dass ich auf ein Gymnasium gegangen bin und später auf die Universität. Ich stehe heute hier als der Bundeskanzler unserer Republik und ich sehe es als meine Aufgabe, dass sich die Träume vieler Eltern verwirklichen können.

    Wir müssen wieder zu einem Land werden, in dem sich Leistung und Anstrengung lohnen. Denn nichts kann falscher sein, dass jemand fleißig arbeitet und von seinem Einkommen trotzdem nicht leben kann.

    Und wir müssen zu einem Land werden, das niemanden zurücklässt, in dem es selbstverständlich ist, dass sich die Starken um die Schwachen kümmern, weil sie verstehen, dass wir alle gemeinsam Österreich sind. Das ist das Land, das ich führen will. Das ist meine Vision. Das ist die Vorstellung von unserer Zukunft. Und das ist das Österreich unserer Zukunft.

    Wir haben in Österreich Rahmenbedingungen für unsere Bürger und unsere Unternehmen geschaffen, die unglaublich komplex sind. Unglaublich bürokratisch. Und wenn man mit Menschen redet, die davon betroffen sind, egal, ob das Bürger sind oder Unternehmer sind, dann hört man da viel Gejammere. Aber ehrlich gesagt, das ist kein Gejammere. Das sind berechtigte Sorgen. 80% der Regeln, die wir in Österreich haben, auch für unsere Wirtschaft, stammen aus einer Zeit, wo der Großteil der beliebtesten Lehrberufe, die wir heute haben, noch gar nicht existiert haben.

    Heute in der Früh hat mir eine befreundete Unternehmerin erzählt, mittelständisches Unternehmen, 20, 30 Mitarbeiter, dass die Arbeitsinspektion sie aufgefordert hat, ihren Schreibtisch anders zu richten, weil sie aufs Fenster schaut und das lenkt von der Arbeit ab. Das ist die Eigentümerin dieser Firma. Ich mein, ehrlich gesagt, wen geht das was an? Und ein Büro weiter musste die Prokuristin der Firma ihr Lieblingsbild abnehmen, weil das war so ein bisschen ein komisches Farbenkastel und man war der Meinung, na ja, das lenkt von der Arbeit ab, das schadet der Konzentration. Das Bild wurde dann abgehängt. Als das nächste Mal die Arbeitsinspektion gekommen ist, hat sie es runtergetan und als die Tür zugefallen ist, wieder raufgehängt.

Anhang:

Hier eine Analyse des Plans A unseres Lesers Lukas Oberndorfer.
Quelle: Lukas Oberndorfer via Facebook


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