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Titel: Europa – nach 25 Jahren Maastricht „gemeinsam einsam“ und gespalten

Datum: 17. Februar 2017 um 9:39 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Euro und Eurokrise, Europäische Union, Europäische Verträge, Finanzen und Währung, Gedenktage/Jahrestage
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„Ohne einen massiven Kurswechsel droht Europa auseinanderzubrechen.“ „Der komplette Süden ist mittlerweile soziökonomisch vom europäischen Traum abgehängt und die östlichen Mitgliedsländer verlieren immer mehr den Anschluss.“ Dies schrieb in der vergangenen Woche Jens Berger in seinem Artikel „Europa – gemeinsam einsam“. Zugleich war in der vergangenen Woche auch der 25. Jahrestag der Unterzeichnung der Maastricht-Verträge. Beide Ereignisse hängen zusammen. Denn der Euro hat Europa nicht den erhofften Wohlstand gebracht, sondern die Spaltung auf dem Kontinent vertieft. Die Länder Südeuropas verharren in einer ökonomischen Dauerkrise, der größte Profiteur dieser Entwicklung ist Deutschland. Grund genug, um noch einmal auf 25 Jahre Maastricht-Vertrag zurückzublicken. Von Thomas Trares[*].

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Erstmals formuliert wurde die Idee einer gemeinsamen europäischen Währung im Delors-Bericht, den die damalige EG-Kommission im Frühjahr 1989 veröffentlichte. Darin war von einer Fixierung der Wechselkurse und der Einrichtung einer unabhängigen Zentralbank die Rede. Im Dezember 1991 trafen sich dann in Maastricht zwölf europäische Regierungschefs, um den Einstieg in die Wirtschafts- und Währungsunion zu verhandeln. Zugleich wurde die Europäische Gemeinschaft (EG) in Europäische Union (EU) umfirmiert. Am 7. Februar 1992, also vor genau 25 Jahren, fand dann in Maastricht die Unterzeichnung der Verträge statt.

Ein weiterer Meilenstein hin zum Euro war der „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ aus dem Jahr 1997. Dieser hatte zum Ziel, die in Maastricht ausgehandelten Konvergenzkriterien abzusichern und durchzusetzen. Demnach durften sich bei den Beitrittskandidaten die Inflationsraten, Wechselkurse sowie die langfristigen Zinsen nur innerhalb gewisser Bandbreiten bewegen. Hinzu kamen die Haushaltskriterien, wonach das Defizit nicht über drei Prozent und die Staatsverschuldung nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen sollte. 1999 wurde dann in elf Staaten der Euro eingeführt, 2002 das Euro-Bargeld.

Das Dilemma nimmt seinen Lauf

An dieser Stelle beginnt bereits das Dilemma. Das ganze Gebilde war eine rein monetaristische Konstruktion. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte nach dem Vorbild der Bundesbank unabhängig und ausschließlich dem Ziel der Preisniveaustabilität verpflichtet sein. Die Architekten der Währungsunion glaubten, dass sich die Märkte von selbst stabilisieren. Den Staat hielt man dagegen für das störende Element, in einer übermäßigen Staatsverschuldung sah man die größte Gefahr für die Preisniveaustabilität. Deswegen hatte man die Haushaltskriterien als Dauerkriterium formuliert.

Doch es kam anders. Gegen die Haushaltskriterien wurde nahezu von Anfang an verstoßen, kaum ein Mitgliedsland hält sie heute noch ein, doch eine überschießende Inflation ist weit und breit nicht in Sicht. Die durchschnittliche Inflationsrate des Euro liegt mit 1,7 Prozent sogar noch deutlich niedriger als zu Zeiten der Bundesbank. Damals waren es durchschnittlich 2,7 Prozent.

Systemstabilität wird zum Problem

Anders als die Monetaristen dachten, sollte nicht die Inflation, sondern die Systemstabilität zum Problem des Euro werden. 2008 brach die Finanzkrise aus, die Regierungen in Europa mussten die Banken retten und die Konjunktur stützen, die Staatsschulden schnellten dadurch in die Höhe. 2010 kam dann heraus, dass Griechenland die Haushaltszahlen geschönt hatte und die tatsächliche Verschuldung des Landes deutlich höher lag.

Nachdem dann auch noch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2010 zusammen mit dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy am Strand von Deauville andeutete, dass im Falle der griechischen Schulden auch private Gläubiger zur Kasse gebeten werden könnten, nahm die Euro-Krise ihren Lauf. „Die Märkte“ begannen gegen einzelnen Länder zu spekulieren. Die anschließend von Brüssel und Berlin verordnete Medizin hatte eine verheerende Wirkung. Die Austeritätsprogramme, mit denen man „die Märkte“ milde stimmen wollte, stürzten die europäische Peripherie erneut in die Rezession. Im Sommer 2012 stand die Währungsunion kurz vor dem Zusammenbruch. Erst EZB-Präsident Mario Draghi beendete den Spuk, indem er die berühmten drei Worte „Whatever it takes“ aussprach.

Krise schwelt weiter

Die Krise ist heute allerdings nicht ausgestanden, sondern nur von Rettungsschirmen, Rettungspaketen sowie der ultraexpansiven Geldpolitik der EZB zugekleistert. Die wahren Ursachen, sprich die unterschiedliche Stärke der einzelnen Volkswirtschaften und die damit verbundenen Handelsungleichgewichte sind nicht beseitigt. Im Gegenteil: Gerade erst hat Deutschland wieder einen neuen Rekordexportüberschuss für 2016 gemeldet.

Die hohen Überschüsse wiederum haben eine wesentliche Ursache in der deutschen Lohn- und Sozialpolitik der nuller Jahre. Nahezu zeitgleich mit dem Euro wurde hierzulande nämlich die Agenda 2010 eingeführt und damit Druck auf die Löhne ausgeübt. Im Laufe der Zeit hat man sich so einen Kostenvorteil von etwa 15 bis 25 Prozent gegenüber anderen Euro-Ländern verschafft. Untern dem Strich hat Deutschland so die anderen Euro-Länder niederkonkurriert und seine Arbeitslosigkeit exportiert.

Euroraum gespalten

Und so bietet sich heute dem Betrachter das Bild eines gespaltenen Euroraums. In Deutschland hat sich die Wirtschaft nach dem Einbruch von 2009 recht schnell wieder erholt, die Arbeitslosenquote beträgt nur noch etwas mehr als sechs Prozent. In Griechenland hingegen ist die Wirtschaftsleistung seit 2009 um rund ein Viertel eingebrochen, in Italien liegt sie rund acht Prozent unter dem Vorkrisenniveau, während in Spanien die Arbeitslosigkeit nach wie vor fast 20 Prozent beträgt. Auch Portugal ist alles andere als über den Berg. All diese Länder haben den Nachteil einer gemeinsamen Währung voll zu spüren bekommen, nämlich den Verlust der geld- und währungspolitischen Autonomie. Das heißt eine Drachme, eine Lira oder eine Pesete, mit der man abwerten könnte, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, existiert heute nicht mehr. Der Euro ist für diese Länder zu stark, für Deutschland dagegen ist er zu schwach.

Hierzulande wird diese Problematik jedoch kaum wahrgenommen. Stattdessen echauffiert man sich lieber über das Nicht-Einhalten der Haushaltskriterien, die Enteignung des Sparers oder aber man wähnt sich gar als der „Zahlmeister Europas“. Die Problematik der Ungleichgewichte verstehen die meisten nicht oder man will es nicht verstehen. Die Folgen sind fatal: Die Euro-Krise wird so nie gelöst und Merkel kann weiter ungestört und auf Kosten Dritter ihre „Deutschland-geht-es-gut“-Litanei singen und Finanzminister Wolfgang Schäuble die „schwarze Null“ als Monstranz vor sich hertragen – denn mit den krisenbedingt niedrigen Zinsen lässt sich ja auch noch vortrefflich der Staatshaushalt sanieren.


[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.


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