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Titel: Seymour Hersh zu Assads angeblichem Giftgasangriff und Trumps angeblichem Vergeltungsschlag

Datum: 26. Juni 2017 um 15:38 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Medien und Medienanalyse, Militäreinsätze/Kriege
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Seymour Hersh

Der große alte Mann des investigativen politischen Journalismus hat wieder zugeschlagen. Seymour Hershs Artikel „Trump´s Red Line“ befasst sich mit dem angeblichen Giftgasangriff von Khan Scheikoun am 4. April 2017 und dem drei Tage später folgenden Luftangriff der USA auf einen syrischen Militärflugplatz. Laut Hersh, der sich wie gewohnt auf hochrangige Quellen im US-Sicherheitsapparat bezieht, gab es nie einen Giftgasangriff. Syriens Luftwaffe habe vielmehr ein hochrangiges Treffen von Kommandeuren islamistischer Gruppierungen mit einer konventionellen Bombe angegriffen. Die „Vergeltung“ der USA war demzufolge vor allem eine persönliche Entscheidung Trumps, bei der Militärberater das Schlimmste gerade noch verhindern konnten. Sehr interessant ist auch, dass Hershs jüngster Artikel exklusiv in der WELT am Sonntag erschienen ist. Sein alter Partner London Review of Books hat offenbar Angst, als prorussisch und prosyrisch zu gelten. Da muss man ausnahmsweise auch mal den Hut vor WELT-Herausgeber Stefan Aust ziehen, der dieses brisante Stück publizierte. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Leider sind die deutschsprachigen Versionen des Hersh-Artikels „Trumps rote Linie“ und der Hintergrundbericht „Im Nebel des Kriegs“ hinter der Bezahlschranke von welt.de. Die englischsprachigen Versionen „Trump´s Red Line“ und „The Fog of war“ sind jedoch frei zugänglich.

Seymour Hersh ist eine lebende Legende. Der Pulitzer-Preisträger deckte unter anderem 1969 das Massaker von My Lai auf und machte die Welt 2004 auf die Folterpraktiken im US-Gefängnis Abu-Ghraib aufmerksam. Regelmäßig schreibt er über sicherheitspolitische Themen, vor allem über die US-Kriege im Nahen und Mittleren Osten. Hershs große Stärke sind seine Netzwerke. Er verfügt über zahlreiche hochrangige Insiderquellen in den Ministerien, den Geheimdiensten und dem Militär, die er in seinen Artikeln anonym zitiert. Genau dies wird ihm von seinen Kritikern paradoxerweise immer wieder vorgeworfen. Es ist schon seltsam, dass Quellenschutz immer dann hinterfragt wird, wenn die Quellen der „offiziellen Deutung“ widersprechen. Die WELT hat, so Redakteur Dirk Laabs, Hershs Quellen selbst überprüft und für glaubwürdig befunden. Dies gibt den Vorwürfen Hershs eine besondere Bedeutung, können sie doch nicht mehr wie üblich als antiamerikanisch abqualifiziert werden. Denn eines kann man Springers WELT nun wirklich nicht vorwerfen – dass sie antiamerikanisch sei.

Der „Giftgasangriff“, der wohl keiner war

Was hat sich also am 4. April 2017 in Syrien abgespielt? Hershs Quellen zufolge hatten die Russen schon längere Zeit ein zweistöckiges Gebäude im Norden der von Islamisten besetzten Stadt Khan Scheikoun im Visier. Dort sollte sich, Geheimdienstberichten zufolge, eine Art Kommandozentrale der Islamisten befinden. Nach einer Überwachung des Gebäudes durch Drohnen war man der Überzeugung, mit einem gezielten Luftschlag zum richtigen Zeitpunkt hochrangige Kommandeure der Dschihadisten ausschalten zu können. Der Angriff wurde von der syrischen Luftwaffe durchgeführt. Als Waffe kam offenbar eine moderne russische lasergelenkte Bombe mit 500 Pfund Sprengstoff zum Einsatz. Der Angriff wurde den US-Militärs zuvor im üblichen Rahmen angekündigt – eine Praxis, die verhindern soll, dass man sich gegenseitig im gefährlichen syrischen Luftraum in die Quere kommt. Im besonderen Fall ging es – so Hershs Quelle – jedoch auch darum, dass die US-Dienste ihre Informanten oder Agenten unter den Dschihadisten vor dem Anschlag warnen konnten.

Die Bombardierung war offenbar erfolgreich. Geheimdienstberichten zufolge konnten vier hochrangige Kommandeure ausgeschaltet werden. Was danach passierte, entzieht sich jedoch auch für Hershs Quellen jeglicher Kenntnis. Minuten nach der Bombardierung wurden über YouTube und die Sozialen Netzwerke bereits Filme und Bilder von vermeintlichen Giftgasopfern gezeigt – die Quelle waren meist Gruppierungen wie die „Weißhelme“; eine vom Westen finanzierte syrische NGO, die massiv in der Kritik steht, Teil eines Informationskriegs gegen Russland und Syrien zu sein.

Es ist unmöglich, den Vorfall wirklich objektiv zu bewerten, da es keine belastbaren Belege gibt. Unabhängige Inspektoren waren nie vor Ort, die Proben, die von der OPCW untersucht wurden, stammten aus Material, das das türkische Gesundheitsministerium von „Oppositionellen“ bekommen hat und entziehen sich daher jeder Aussagekraft. Hershs Version ist jedoch auch nicht über jeden Zweifel erhaben, da syrische und russische Erklärungen über den Vorfall deutlich von den Aussagen der Quelle Hershs abweichen . Warum sollten die Syrer und die Russen etwas von einem offenbar zerstörten „Chemiewaffenlager“ der Islamisten vermelden, wenn es gar kein solches Lager gab? Die Vergiftungen der Menschen vor Ort erklärt Hershs Quelle damit, dass im Erdgeschoss des zerstörten Gebäudes ein Lager für Düngemittel, Insektizide und chlorhaltige Desinfektionsmittel untergebracht war, das angeblich durch eine „Sekundärexplosion“ chemische Giftstoffe freigesetzt haben soll. Über jegliche Zweifel erhaben ist diese Version auch nicht. Wesentlich stärker ist da schon das Argument von Hershs Quelle, dass Assad nicht nur kein Motiv gehabt hat, sondern dass ein Giftgasangriff sogar ganz entschieden gegen die syrischen Interessen gerichtet sei.

„Was den meisten Amerikanern gar nicht in den Sinn kommt, ist, dass ein syrischer Giftgasangriff, den Bashar [al Assad] befohlen haben soll, die Russen zehnmal mehr verärgert hätte als den Westen. Die russische Strategie gegen den IS, die ja eine Kooperation mit dem Westen vorsieht, wäre dahin und Basahr [al Assad] wäre dafür verantwortlich, Russland vor´s Schienbein getreten zu haben, ohne die Konsequenzen für ihn zu bedenken. Würde Bashar [al Assad] so was tun? Wo er gerade dabei ist, den Krieg zu gewinnen? Wollt Ihr mich veräppeln?“

Trumps Vergeltungsschlag sollte uns beunruhigen

Über jeden Zweifel erhaben ist indes die offizielle Reaktion der USA. Trump verfolgte die Folgen des angeblichen Giftgasangriffs Hersh zufolge zusammen mit dem jordanischen König im Fernsehen und war vom ersten Moment an schockiert. „Unschuldige Babies“ – dafür musste irgendwer bezahlen und wenn die Medien Assad als Schlächter ausgemacht hatten, war er es halt, der die Vergeltung der USA zu spüren bekommen sollte.

Interessant ist, dass laut Hersh die US-Dienste mehrfach unterstrichen haben sollen, dass es kein Indiz für eine syrische Täterschaft und noch nicht einmal einen starken Beweis dafür gebe, dass es überhaupt einen „Giftgasangriff“ gegeben hat. Das soll Trump aber nicht davon abgehalten haben, eine Vergeltung anzuordnen. Es ging nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wie“.

Beschlossen wurde der Vergeltungsschlag bei einem Treffen des inneren Zirkels auf Trumps Anwesen in Mar-a-Lago. Es gab offenbar vier Optionen, von denen zwei (gar nichts zu tun und ein Enthauptungsschlag mit einer Bombardierung der Paläste Assads) von vornherein ausgeschlossen wurden. Übrig blieb die letzten Endes beschlossene, eher symbolische Bombardierung eines syrischen Luftwaffenstützpunktes und eine groß angelegte Bombardierung zahlreicher Einrichtungen des syrischen Militärs. Dabei soll – so Hershs Quelle – die „politische Seite“, allen voran Trump und Außenminister Rex Tillerson, eigentlich die letztere Option bevorzugt haben. Glücklicherweise konnten die Militärberater, die darauf hinwiesen, dass einem groß angelegten Bombardement auch russische Soldaten in den Luftabwehrstellungen zum Opfer fallen würden, sich durchsetzen und man entschied sich für einen symbolischen Akt, der möglichst wenig Schaden verursachen sollte. Nachdem man vorher die Russen und damit indirekt auch die Syrer vorwarnte, blieben die Folgen überschaubar: Offenbar traf nur ein Bruchteil der 60 Marschflugkörper überhaupt das Ziel und zerstörte dort lediglich neun, ohnehin nicht mehr einsatzfähige, Flugzeuge. Es hätte schlimmer kommen können.

Nun ist Trump einer von uns!

Zugegeben – je mehr man über die Vorgänge erfährt, desto skurriler wird die ganze Geschichte. Vor allem sollte man dabei im Hinterkopf behalten, dass der US-Vergeltungsschlag im Westen als die eigentliche Amtseinführung des neuen US-Präsidenten gewertet wurde. Schaut her, auch Trump führt Kriege! Nun ist er einer von uns – ein „ganz normaler“ US-Präsident.

Die Lektion aus dem Vorfall lässt jedoch Schlimmes erwarten. Wenn es den Islamisten mit Hilfe gelungener PR-Arbeit gelungen ist, Trump einmal in die „Rote-Linie-Falle“ laufen gelassen zu haben, werden sie dies auch noch weitere Male probieren. Und dann kann Trump nicht mehr hinter seine eigene Doktrin zurück – er muss wieder Vergeltung üben und diese Vergeltung muss noch deutlicher ausfallen. So will es die Macho-Logik, der sich ein Trump allem Anschein nach unterworfen hat. Diesmal konnten ihn seine Berater noch davon abhalten, russische Militärs zu bombardieren und so eine internationale Krise auszulösen. Wird ihnen das beim nächsten Mal auch noch gelingen?

Auch die Bewertung des Giftgasangriffs als vermeintliche False-Flag-Aktion ist beunruhigend, zeigt sie doch, wie leicht es ist, eine willfährige Mehrheit der Medien ohne echte Belege hinters Licht zu führen. Qualitätskontrollen scheint es keine mehr zu geben, wenn quotenstarke Bilder von toten Kindern angeboten werden. Bleibt abzuwarten, ob die WELT selbst ihre Schlüsse aus diesem ungewöhnlichen Gastartikel zieht. Ihre kleine Schwester BILD gehörte im April jedenfalls zu den schrillsten Lautsprechern der islamistischen Propaganda.


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