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Titel: Die Paradise Papers sind ein weiteres Beispiel für die Erosion der Demokratie

Datum: 7. November 2017 um 11:19 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Lobbyismus und politische Korruption, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht
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Jens Berger

Zur Hölle mit den Reichen!“ – so betitelte gestern der bis in die Haarspitzen echauffierte Verleger Jakob Augstein seine wöchentliche Kolumne bei SPIEGEL Online. „Gut gebrüllt, Löwe“, mag man ihm da entgegnen. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Die Paradise Papers sind bei ruhigerer Betrachtung vielmehr ein sehr gutes Beispiel für das, was Rainer Mausfeld in seinem sehenswerten Vortrag beim Pleisweiler Gespräch der NachDenkSeiten als repräsentative Elitendemokratie bezeichnet hat. Auch wenn eine personalisierte Kritik an „den Reichen“ sicher emotional verständlich ist, so führt diese Debatte doch in eine Sackgasse. Bei all der Aufregung sehen wir offenbar den Wald vor lauter Bäumen nicht. Daher sollten wir anfangen, unseren Blick neu zu fokussieren. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die populäre Sichtweise sieht in etwa folgendermaßen aus: Es gibt einige, wenige skrupellose Superreiche, die mit Hilfe dubioser Kanzleien und Beratungsfirmen ihre Ersparnisse in sogenannten Steueroasen verstecken. Dabei werden „Schlupflöcher“ genutzt und Gesetze clever „umgangen“. Nun sei es an der Politik, diese Schlupflöcher zu schließen und Umgehungsmöglichkeiten zu verhindern. Wäre dies eine Fabel, so wären wir die weißen und die Reichen die schwarzen Schafe, während die Politik sich als ehrenwerter Schäfer darum kümmert, dass es der gesamten Herde gut geht. Welch´ schönes, welch´ naives Bild.

Die reale Fabel unserer Welt sieht eher folgendermaßen aus: Wir sind nach wie vor die Herde und die Politik nimmt nach wie vor die Rolle des Schäfers ein; sie ist jedoch ein vom Wolf eingesetzter Schäfer, dem es nicht um das Wohl der Herde, sondern um das Wohl des Wolfes geht. Jakob Augstein beschwert sich darüber, dass die Gesetze „für die Reichen“ gemacht wurden. Doch das ist sogar eine Verharmlosung. Die Gesetze werden nicht für, sondern von den Reichen gemacht. Die internationalen Steuergesetze sind ein schönes Beispiel dafür.

Auch wenn sich die Bilder des greisen, 2016 verstorbenen Curt Engelhorns oder des FDP-Großspenders Paul Gauselmann emotional sicher gut eignen, um Steuerumgehung ein greifbares Gesicht zu verleihen, so sind die beiden prominenten Paradise-Papers-Namen doch eher Randerscheinungen. In der Mitte des Geschehens befinden sich internationale Großkonzerne, die nicht nur mit Hilfe von Steueroasen, sondern auch und vor allem mit tatkräftiger Unterstützung der EU und der USA ihre Steuerlast minimieren. Und das nicht illegal, sondern vollkommen legal. Denn die Gesetze wurden ja eben nicht für sie, sondern von ihnen gemacht.

Um zu verstehen, um was es konkret geht, ein kleines Beispiel, wie auch Sie ein Steuerprofi werden können. Sie sind Arzt und betreiben Ihre Praxis in einem Gebäude, das Ihnen gehört? Wunderbar. Gründen Sie eine Briefkastenfirma auf den Bermudas, vermieten Sie Ihr Haus für einen sehr niedrigen Mietzins an diese Briefkastenfirma, die dann die Praxis zu einem sehr hohen Mietzins an Sie als Arzt weitervermietet. Ihre Gewinne entstehen nun zu einem großen Teil nicht mehr in Deutschland, wo sie versteuert werden müssen, sondern auf den steuerfreien Bermudas. Willkommen im Klub im Cleveren.

Die Realität ist natürlich um einiges facettenreicher und komplizierter als dieses einfache Modell. Und wenn man bedenkt, dass bereits die Gründung einer Briefkastenfirma mit einem Notar als eingesetzten Treuhänder eine fünfstellige Summe kostet, wird schnell klar, dass diese Modelle doch eher etwas für den millionenschweren Schönheitschirurgen aus Blankenese als für den Landarzt aus Eutin sind. Aber im Kern geht es genau darum – Gewinne dort entstehen zu lassen, wo die Steuern am niedrigsten sind. Nun könnte man ja naiv denken, dass der Staat diese Steuerpraxis doch ganz einfach beenden könnte. Natürlich könnte er das. Wenn das Finanzamt beispielsweise Rechnungen aus Ländern wie den Bermudas, die sich nicht an allgemein akzeptierte Regeln halten, nicht mehr anerkennen würde, würde dieses Modell schnell kollabieren.

Doch so einfach ist die Sache natürlich nicht. Seit 2009 gibt es laut OECD gar keine Steueroasen mehr – nach der Streichung von Liechtenstein, Andorra und Monaco von der schwarzen Liste erfüllen alle Staaten der Welt die Anforderungen der OECD. Ist es dann nicht seltsam, dass jährlich neue Leaks an die Öffentlichkeit kommen? Nein. Denn – und das steht auch im „Kleingedruckten“ zu den allermeisten Artikeln über die Paradise Papers – es geht bei den Enthüllungen ja nicht um illegale Praktiken. Es ist viel schlimmer. Es geht um legale Praktiken; Steuerumgehungsmodelle, die von unseren Repräsentanten in Berlin verabschiedet und höchstwahrscheinlich von Kanzleien und Beratungsunternehmen im Auftrag finanzkräftiger Akteure diktiert wurden.

Selbst die Bermudas sind nur eine schillernde Randerscheinung im großen Spiel. Mitten innerhalb der EU gibt es mit Luxemburg, Malta, Irland, Zypern und den Niederlanden gleich fünf Staaten, die mit fragwürdigen Steuergesetzgebungen die groß angelegte Umgehung von Steuern ermöglichen. Deutschland steht auf Platz 8 des Schattenfinanzindexes von Tax Justice und wenn wir über exotische Steueroasen wie die Caymans, Jersey, Guernsey oder die Bermudas sprechen, dann sprechen wir nicht über souveräne Staaten, sondern über Kronkolonien und Überseegebiete des Vereinigten Königreichs von Großbritannien. Die wohl größte Steueroase der Welt ist Delaware, ein kleiner Bundesstaat mitten im Herzen der USA. Die Steuerumgehung ist kein Teufelswerk exotischer Inselstaaten, sondern von unseren repräsentativen Vertretern legitimiert.

Wenn Apple, Facebook, Google, Amazon und Co. global fast keine Steuern zahlen und selbst deutsche Industriegiganten wie VW oder Siemens sich ihre Steuerlast mit Hilfe von legalen Umgehungsmodellen kleinrechnen, die sowohl innerhalb der EU in den Niederlanden und Luxemburg, als auch in Inselstaaten wie den Bermudas zugelassen sind, so sind daran nicht die Unternehmen, sondern die Politik schuld. Würde der Finanzchef von VW ein legales Steuerminimierungsmodell nicht nutzen und „freiwillig“ höhere Steuern zahlen und damit die Gewinne der Konzerns schmälern, würde er sich sogar möglicherweise der Untreue strafbar machen, da er zum Schaden der Konzerneigner handelt. Auch wenn das nicht sonderlich populär sein dürfte – Unternehmen sind hier in einem Zielkonflikt. Es ist nicht die Aufgabe von Großkonzernen, artig Steuern zu zahlen und das Gemeinwesen zu stärken, sondern Gewinne zu erzielen und den Unternehmenswert zu mehren. An die Unternehmen für mehr „Steuerehrlichkeit“ zu appellieren, ist ungefähr so sinnvoll, wie einem Wolf eine vegane Ernährungsweise schmackhaft zu machen. Daher muss auch der Staat dafür sorgen, dass es zu einem optimalen Ausgleich der Interessen zwischen Unternehmensbesitzern und der Allgemeinheit kommt; eine Schäferrolle, der die Politik in unserer repräsentativen Demokratie jedoch nicht nachkommt. Und dies ist das Kernproblem.

Erst wenn wir dieses Problem verstanden und verarbeitet haben, lohnt es sich, ernsthaft über mögliche Folgen aus den unzähligen Leaks und Papers zu diskutieren. Es ist ja nicht so, dass es keine besseren Ansätze geben würde. So wäre der EU-Vorschlag, international agierende Unternehmen nicht mehr nach den ausgewiesenen nationalen Unternehmensergebnissen, sondern nach den nationalen Umsätzen zu besteuern, ein echter Durchbruch. Und auf den ersten Blick tut sich auf diesem Gebiet ja auch etwas. So haben die Finanzminister von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ein gemeinsames Papier aufgesetzt, in dem sie ein solches Steuermodell für die „digitale Wirtschaft“ ankündigen. Doch der Teufel steckt hier mal wieder im Detail. Der Vorstoß der „großen Vier“ zielt auf eine EU-Gesetzesänderung, bei der jedes EU-Mitglied de facto ein Vetorecht hat und hat damit ohnehin nicht die geringste Chance, irgendwann einmal umgesetzt zu werden. Eine alternative Herangehensweise, bei der es keine nationalen Vetorechte gäbe, wurde wohlweislich vermieden. So ist das nun einmal in einer repräsentativen Elitendemokratie, in der die Repräsentanten offenbar nur darauf aus sind, die „verwirrte Herde auf Kurs zu halten“.


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