NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Der Bitcoin-Hype und die Verantwortung der Medien

Datum: 1. Dezember 2017 um 13:11 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Banken, Börse, Spekulation, Finanzen und Währung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich:

Hätte es 1637 bereits unsere heutigen Medien gegeben, hätte die WELT ihren Lesern sicher den Kauf von Tulpenzwiebeln empfohlen, die BILD ihren Lesern erklärt, wo man diese kaufen kann und auf focus.de hätte ein „Tulpen-Experte“ ausführen dürfen, warum es vollkommen gerechtfertigt ist, dass Tulpenzwiebeln zum Preis mehrerer Luxushäuser gehandelt werden. Wenige Tage später platzte damals die Blase, die niederländische Tulpenmanie war vorbei und eine Tulpe kostete wieder so viel wie eine Tulpe. Die Tulpenmanie der Gegenwart ist der Bitcoin-Hype. Es ist keine Frage ob, sondern nur wann die Blase platzt; eine Blase wohlgemerkt, die ohne die stetige Befeuerung durch bestimmte Medien nie entstanden wäre. Doch selbst heute treiben viele deutsche „Qualitätsmedien“ ihre Leser noch in die Spekulation mit sogenannten „Kryptowährungen“. Das ist verantwortungslos und schäbig. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sind Bitcoins Geld? Nein. Sind Bitcoins eine Währung? Nein. Sind Bitcoins ein Zahlungsmittel? In der Theorie schon, jedoch nicht in der Praxis. Und was sind Bitcoins dann? Ein extrem volatiles Spekulationsobjekt, dem – anders als bei den holländischen Tulpen – noch nicht einmal ein realer Wert entgegensteht. Eine Tulpe sieht im Vorgarten oder in der Vase zumindest nett aus, ein Bitcoin ist nur eine sinnlose Aneinanderreihung von digitalen Bits und Bytes, eine Recheneinheit ohne praktischen Nutzwert. Viel interessanter ist, dass viele „Fans“ dieser „Kryptowährungen“ da ganz anderer Meinung sind und eine recht esoterisch anmutende Geschichte rund um diese Recheneinheiten entworfen haben, die sich interessanterweise in vielen Punkten mit der Gold-Hysterie vor einigen Jahren deckt und auch oft von den gleichen Akteuren in den gleichen Medien angeheizt wird. Da viele Leser – zum Glück – keine Berührungspunkte mit dem Thema haben, beginnen wir mit einer kleinen Einführung.

Dass alternative digitale Zahlungsmittel durchaus sinnvoll sein könnten, zeigt der Blick auf die aktuellen digitalen Zahlungsmittel wie Kreditkarten oder Online-Bezahldienste. Diese Dienste werden von einigen wenigen großen Akteuren des Finanzsystems kontrolliert und erheben in der Regel recht hohe Gebühren, die von den Händlern in die Verkaufspreise eingerechnet und vom Kunden so mitbezahlt werden. So fallen bei Kreditkartenzahlungen zwischen 0,8% und 5,0% an Gebühren an. Bei Onlinediensten wie PayPal sind sogar Gebühren bis 10% möglich. Interessant ist jedoch, dass „Kryptowährungen“ gerade in diesem Punkt keine Alternative darstellen. Bei Bitcoin liegt die Transaktionsgebühr aktuell bei rund 20 Dollar und eine Transaktion dauert mindestens 10 Minuten. Beides ist technisch bedingt. Um eine Transaktion in der sogenannten „Blockchain“, der transparenten Riesen-Datenbank, in der alle Bitcoin-Transaktionen, die jemals getätigt wurden, abgespeichert sind, festzuhalten, ist einiges an Rechenleistung nötig. Für die Abwicklung einer einzelnen Transaktion sind alleine rund 300 KWh elektrischen Stroms nötig – so viel wie ein deutscher Drei-Personen-Haushalt im Schnitt pro Monat(!) verbraucht. So gesehen sind die Transkationen sogar noch günstig und liegen auch nur deshalb bei rund 20 Dollar, weil die Serverfarmen meist im ländlichen Raum Chinas stehen, wo der Strom sehr günstig ist. Oder um es anders zu formulieren: Bei der Bezahlung mit Visa kassiert ein amerikanischer Finanzdienstleister ein paar Cent, bei der Bezahlung mit Bitcoins kassiert am Ende ein chinesisches Kohlekraftwerk einige Dollar und die CO2-Bilanz wird gleich mit verdorben. Und das soll eine sinnvolle Alternative sein?

Das gesamte Bitcoin-System hat einen Stromverbrauch von 30,6 Terawattstunden pro Jahr – das liegt oberhalb vom Gesamtverbrauch von Staaten wie Irland, Nigeria und Marokko. Sie werden jetzt sicher denken: „Das ist doch irre!“ Und damit haben Sie auch vollkommen Recht. „Kryptowährungen“ á la Bitcoin sind kein sinnvolles alternatives Zahlungsmittel, sondern der komplette Irrsinn. Daher wundert es auch nicht, dass die durchschnittliche Transaktionsgröße bei mehr als 13 Bitcoins liegt – das sind bei aktuellem Kurs rund 130.000 US$. Damit kauft sich niemand seinen Burger oder seinen Kaffee im Restaurant um die Ecke und dies sind auch keine Spenden für Wikileaks, sondern wir haben es hier mit Spekulation in sehr großem Stile zu tun.

Wer braucht Bitcoins, wenn sie denn als normales Zahlungsmittel nicht taugen? Was anfangs eher als technische Machbarkeitsstudie von einigen Nerds in Japan und den USA begann, fand recht schnell Gefallen in einem ganz anderen Sektor: Dem Onlinehandel mit illegalen Gütern und Dienstleistungen. Auch wenn die „Blockchain“ komplett transparent ist, so ist es für die Behörden (egal ob es sich um Strafverfolgung, Steuerbehörden oder Außenhandels- und Devisenkontrolle handelt) nicht einfach, herauszufinden, wer hinter den Transaktionen steckt. Daher eignen sich „Kryptowährungen“ auch recht gut für den Handel mit Waffen, Kinderpornographie, illegalen Drogen oder Dienstleistungen wie Auftragsmord oder Menschenhandel. Dieser Sektor war es dann auch, der aus dem Nerd-Hobby Bitcoin ein international gehandeltes Gut machte. Wer beispielsweise Heroin über eine Plattform im Darknet anbietet und es per Post an den Käufer verschickt, kann sich den Kaufpreis natürlich nicht per Banküberweisung oder PayPal bezahlen lassen. Für solche Zwecke sind Bitcoins wie gemacht. So entstand die erste größere Nachfrage nach Bitcoins außerhalb der Nerd-Szene.

Etwas später kam dann die Umgehung von Kapitalverkehrskontrollen als zweites Standbein hinzu. Zeitweise wurden mehr als 95% aller Bitcoin-Transaktionen in China getätigt und das hat seinen Grund. Korruption sowie sämtliche Formen von Finanzkriminalität werden in China sehr hart bestraft und hinzu kommt, dass der Umtausch der chinesischen Währung Renminbi in frei konvertierbare Währungen streng reguliert ist. Wer also einige Tausend Yuan Schwarzgeld hat, hat also nicht nur ein echtes Problem, dieses Geld in den legalen Kreislauf zu bringen, sondern ein noch größeres Problem, dieses Geld ins Ausland zu bekommen. Auch dafür sind „Kryptowährungen“ natürlich eine ideale Lösung. Man gibt seine Yuan über Mittelmänner den Betreibern von Serverfarmen, die mit einem gigantischen Energieaufwand „frische“ Bitcoins „schöpfen“, die der Auftraggeber dann im Ausland in jede beliebige Währung eintauschen kann. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die chinesische Regierung massiv gegen diese Serverfarmen vorgeht. Die „Bitcoinbörsen“ des Landes wurden bereits verboten.

Von dieser „dunklen Seite“ des Bitcoin liest und hört man in Deutschland jedoch nur sehr wenig. Stattdessen wird mit viel Bohei und noch mehr Esoterik aus dem Bitcoin ein „besseres Geld“ gemacht. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, da Bitcoin und Co. keine einzige Geldfunktion erfüllen. Sie taugen (s.o.) als Zahlungsmittel nichts und sind zudem von keinem Akteur[*] als „gesetzliches Zahlungsmittel“ anerkannt. Von einer Wertaufbewahrungsfunktion kann auch nicht wirklich die Rede sein. Schon morgen kann der Wert bei Null liegen, es gibt keine wie auch immer geartete Wertsicherung im System der „Kryptowährungen“. Und von einer Wertmessfunktion kann bei derlei volatilen Recheneinheiten schon gar keine Rede sein. Bekam man vor zehn Jahren zwei Laib Brot für einen Bitcoin, so waren es vor einem Jahr zweihundert Laib und heute sind es gut fünftausend Laib Brot. Solche rasanten „Wertentwicklungen“ kennt man sonst – wenn auch umgekehrt – nur aus Zeiten der Hyperinflation. Bitcoin und Co. als besseres Geld zu bezeichnen, ist daher einfach nur gaga.

Warum steigt der Kurs dann derart rasant? Ein besonderes Feature von Bitcoin ist, dass die Menge nur mit einem exponentiell steigenden Rechen- und damit auch Energieaufwand gesteigert werden kann und systembedingt irgendwann einmal Schluss ist. Es gibt zur Zeit nur rund 16,7 Millionen Bitcoins und wie bei allen Spekulationsobjekten bildet sich der Preis ganz simpel nach Angebot und Nachfrage. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, geht der Preis nun mal nach oben; erst Recht, wenn der Markt so klein ist wie der Markt für „Kryptowährungen“. Und hier kommt vor allem der Hype ins Spiel, um den rasanten Kursanstieg der letzten Monate zu verstehen.

Sämtliche Schneeballsysteme an den Börsen funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Zuerst verschachern Insider untereinander die Papiere (bei Bitcoin besser „Recheneinheiten“), erzeugen dabei Transaktionsvolumina und treiben den Preis in die Höhe. Dann wird die PR-Trommel gerührt, willfährige Finanzjournalisten in halbseidenen Medien á la Focus Money und unzählige Spekulanten in Internetforen geben esoterische Weisheiten von sich und setzen absurd hohe Kursziele, die dann auch erreicht werden, wenn Otto Normalverbraucher so dumm ist und in den Markt einsteigt. Nur von wem kauft Otto Normalverbraucher? Von den Insidern, den Profis und ihren Handlangern. Und wenn die ihren wertlosen Plunder zu Phantasiepreisen verkauft haben, sind nur noch die Ottos im Markt und kurze Zeit später, wenn die ersten Ottos verkaufen wollen, implodiert der Markt, da es keine neuen Käufer mehr gibt. Wann dieser Zeitpunkt beim Bitcoin erreicht ist, ist jedoch eine offene Frage. Noch scheinen immer mehr Ottos in die Spekulation getrieben zu werden und die kommen sicher zu einem Großteil auch aus Deutschland. „Stupid German Money“ ist nicht nur an der Wall Street bereits ein stehender Begriff.

Hierzulande gibt es kaum ein Nachrichtenportal, das in dieser Woche nicht den Hype um die Bitcoins, die nun erstmalig die 10.000-US$-Marke gerissen haben, mitgemacht hat. Auf Focus.de durfte der „Experte“ Thorsten Polleit erklären, dass Bitcoins „laut Geldtheorie“ zu einer echten Währung werden können. Polleit ist freilich in „der Szene“ kein Unbekannter. Der selbsternannte „Chefökonom“ eines Goldhandelshauses hat jedoch von Geldtheorie ungefähr so viel Ahnung wie mein Hund von der Hermeneutik. Vollends vom Glauben fällt man auch ab, wenn man sich den „Gastartikel“ von einem gewissen Aaron Koenig zum Thema auf focus.de einmal durchliest. Das ist immerhin eine Steigerung, war Koeing doch früher noch Autor des rechtsradikalen PI-Blogs. Nun ist er laut Autoreninfo „in der Bitcoin-Wirtschaft engagiert“, also ein Insider. Warum eine derart skurrile Person auf Focus.de Leser in Finanzprodukte treiben darf, von denen er anscheinend selbst profitiert, bleibt derweil im Raum stehen. 1637 hätten sicher Tulpenberater bei Focus.de schreiben dürfen.

Kaum besser berichtet erwartungsgemäß die WELT über das Thema. Dazu muss man wissen, dass die WELT neben dem Focus bzw. Focus Money die mit Abstand schlechteste Finanzredaktion in der deutschen Presselandschaft hat. Eine Übersicht der Meldungen zum Thema zeigt ferner, dass die WELT-„Experten“ es vor allem auf die Klientel abgesehen haben, die schon beim Thema „Gold“ in spekulative Anlagen getrieben wurde. Das Motto ist immer das gleiche. „Das Papiergeldsystem droht zu implodieren“. „Retten sie ihr Vermögen“. „Bald wird Bank A, B, C oder Fonds X, Y, Z ins Bitcoin-Geschäft einsteigen, Amazon, Ebay oder sonstwer Bitcoins akzeptieren und dann wird der Kurs erst richtig durch die Decke gehen“. Das ist (s.o.) die Stufe PR. Stellt sich die Frage, ob die „Experten“ selbst schon an Otto Normalverbraucher verkauft haben oder noch nicht.

Die Legende will es, dass Joseph Kennedy noch rechtzeitig vor dem Schwarzen Freitag seine Aktien abstieß, als er Aktientipps von seinem Schuhputzer erhielt. „Wenn schon Schuhputzer Aktientipps geben, so ist es wohl Zeit, Aktien zu verkaufen“, so lautet seitdem ein geflügeltes Wort in der Finanzbranche. Die Schuhputzer von heute sind wohl die Redakteure der BILD. Nachdem BILD vorgestern seine Leser groß ins Thema einführte und erklärte, wie und wo man diese Bitcoins bekommt, dürfte der Hype wohl seinen Höhepunkt erreicht haben. Lehnen wir uns zurück und warten ab. Und es komme bitte niemand, der da sagt, dass Focus, Welt, Bild und Co. eine wie auch immer geartete Verantwortung für ihre Leser wahrnehmen würden. Denn das ist Unsinn. Wer sogar meint, eine „Eilmeldung“ herausgeben zu müssen, wenn ein komplett synthetisches und maßlos überbewertetes Spekulationspapier eine bestimmte Wertschwelle überstiegen hat, der handelt nicht nur verantwortungslos, sondern schäbig.


[«*] Japan hat den Bitcoin als „Zahlungsmittel“ eingestuft. Aber auch nur, um Desaster wie den „Cyberüberfall“ auf die Tokyoter Bitcoinbörse Mt. Gox zu verhindern, bei dem Hacker 2014 nach heutigen Kurs 8,5 Milliarden US$(!) erbeutet haben. Durch die Einstufung als Zahlungsmittel müssen Handelsplattformen schärfere Auflagen erfüllen und andere Sicherheitsstandards einhalten.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=41366