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Titel: Zensurdebatte – die AfD sollte Heiko Maas lieber dankbar sein

Datum: 3. Januar 2018 um 15:09 Uhr
Rubrik: AfD, Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
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Auch im neuen Jahr beherrscht die AfD die Klaviatur der Aufmerksamkeitsökonomie perfekt. Die Damen Weidel und von Storch trollten zum Jahreswechsel in gewohnt schäbiger Art und Weise via Twitter und Facebook über „Migrantenmobs“ und „barbarische, muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden“ und bekamen dafür sogar den Hauptgewinn: Facebook und Twitter löschten ihre Beiträge, das Duo Infernale der rechten Trollbewegung stellte sich medienwirksam als „Zensuropfer“ dar und fast alle Medien sprangen artig über das Stöckchen und berichteten über die Löschung der Beiträge im Kontext des umstrittenen „Facebookgesetzes“ (NetzDG), das auf Initiative des Justizministers Heiko Maas mit dem Jahreswechsel in Kraft tritt. „Zensur“! Doch bereits die Neujahrsposse um die „zensierten“ AfD-Damen zeigt, dass das Gesetz nicht nur ein Rohrkrepierer ist, sondern der AfD sogar noch zahlreiche unnötige Steilvorlagen gibt, sich als Opfer zu gerieren. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der „Auslöser“ der Posse fand bereits am frühen Silvesterabend statt. Da wünschte nämlich die Polizei Nordrhein-Westfalen allen Mitlesenden in vier Sprachen einen guten Rutsch. Was xenophobe Zeitgenossen zur Weißglut trieb, war der Umstand, dass eine der vier Sprachen der Grußbotschaft Arabisch war. Und so etwas geht in unserem wunderschönen Land natürlich gar nicht und löste bei der Grande Dame der AfD auch sogleich pawlowsche Reflexe aus…

Nun sollte eigentlich jeder, der sich schon einmal ernsthaft mit dem Phänomen der Internettrolle beschäftigt hat, wissen, dass solche ekelhaften und sinnfreien Kurzbotschaften keine ernsthaften Debattenbeiträge sind, sondern ganz im Gegenteil vor allem Aufmerksamkeit kapern und damit jegliche ernsthafte Debatte sabotieren sollen. Erfahrene Internetnutzer setzen solche Trolle auf die „Ignore-Liste“ oder schenken ihnen einen „roten Hering“. Was man jedoch wirklich nie und nimmer nicht tun sollte, ist, diese Trollbeiträge wohlmeinend kritisch kommentierend weiterzuverbreiten. Denn genau das ist es ja, was der Troll mit seinem Beitrag bezweckt. Und in Sachen Trollerei ist Beatrix von Storch wirklich eine Großmeisterin.

Und so kam es, wie es kommen musste. Tausende wohlmeinende Nutzer der Netzwerke Twitter und Facebook echauffierten sich redlich über die Storch´sche Trollerei und die beiden Netzwerke löschten den Beitrag, worüber die professionelle Provokateurin sich nun natürlich erst recht echauffieren und als Zensuropfer inszenieren konnte. 1:0 für die AfD. Twitter sperrte Storch sogar vorsorglich für 12 Stunden. Dieses Mittel soll eigentlich betrunkene oder emotional aufgeheizte Gemüter erst einmal abkühlen lassen. Nun war Frau von Storch aber sicher nicht betrunken oder aufgeheizt, sondern ging ganz im Gegenteil eiskalt kalkulierend vor und die Fehleinschätzung von Twitter war da eher ein Geschenk für sie. 2:0.

Und da diese Steilvorlage so denkbar berechenbar war, bauten die Blauen ihren Vorsprung durch ein gekonntes Doppelpassspiel weiter aus. Um die „Solidarität“ mit der armen, zensierten Störchin zu demonstrieren, verteidigte AfD-Frontfrau Alice Weidel die Trollerei ihrer Parteifreundin mit der gewollt provokanten Aussage, „unsere Behörden“ würden „sich importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs [unterwerfen]“. Trollen, um das Trollen zu verteidigen? Jedenfalls ging die aufmerksamkeitsökonomische Empörungsstrategie erwartungsgemäß voll auf. Auch Weidels Trollerei wurde von Twitter gelöscht. 3:0 für die AfD.

Und da es ja offenbar sonst nichts zu berichten gibt, stürzten sich die Medien erwartungsgemäß auf diese heiße Story und schlachteten die Geschichte von den AfD-Damen, die sich als „Opfer des Zensurgesetzes“ von Heiko Maas sehen und den Verlust ihrer Meinungsfreiheit beklagen. Parteichef Alexander Gauland, der bis vor Kurzem den Unterschied zwischen Tweed (daraus ist seine Jacke) und Tweet (PR-Instrument seiner Parteifreundinnen) gar nicht kannte, brabbelte sogleich etwas von „Stasi-Methoden“, an den ihn das alles erinnere. Und die Medien druckten natürlich auch diese hoch qualitativen Kommentare. 4:0 für die AfD.

Aber was hat das Ganze eigentlich mit dem neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG, oder für AfD-Anhänger „Zensurgesetz“) zu tun, das am 1. Januar 2018 de facto durch das Ende der Übergangsfrist in Kraft trat? Streng genommen gar nichts. Denn sowohl Facebook als auch Twitter handelten zwar im konkreten Falle der AfD-Trollereien schnell, aber auch falsch und eben nicht im Einklang mit dem Gesetz. Denn das Gesetz sieht vor, dass offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb vom 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde gelöscht oder gesperrt werden müssen. Zwar ist es sinnfrei, sich ernsthaft über den inhaltlichen Gehalt der beiden gelöschten AfD-Tweets auszulassen, offensichtlich strafbar sind sie jedoch nicht. Und wer soll bei Facebook und Twitter denn überhaupt entscheiden, was im juristischen Sinne offensichtlich strafbar ist? Eine Qualifikation als Volljurist werden die Sachbearbeiter der beiden Netzwerke sicher nicht haben und selbst hier gilt ja das Sprichwort „zwei Juristen, drei Meinungen“.

Damit ist bereits am ersten Tag nach Inkrafttreten des Gesetzes genau das eingetreten, was die NachDenkSeiten bereits im Vorfeld vorausgesagt haben. Facebook und Twitter sind weder Anbieter von Inhalten noch Forenbetreiber, sondern Softwareanbieter, die mit der rechtlichen Kontrolle der Nutzeraktivitäten innerhalb ihres Softwareangebots gnadenlos überfordert und eigentlich dafür auch gar nicht zuständig sind. Hier wird ein Teil des Rechtssystems ausgegliedert und an private Dienstleistungsunternehmen übertragen. Nicht Facebook, Twitter und Co., sondern staatliche Stellen haben zu entscheiden, was offensichtlich strafbar und was zwar nicht offensichtlich, aber dennoch juristisch strafbar ist. Hätte ein Staatsanwalt über die beiden Troll-Tweets der AfD-Damen entschieden, hätte er sie sicherlich stehen lassen. Die Meinungsfreiheit ist schließlich ein hohes Gut und schließt auch widerwärtige Trollereien ein, solange diese eben nicht strafbar sind.

Und weil das NetzDG diesen eklatanten Fehler aufweist, ist es schlussendlich paradoxerweise sogar ein Geschenk an die AfD. Denn erst durch die angebliche „Zensur“ erlangen die geistlosen Trollereien der AfD-Smartphonetäter ja ein größeres Publikum. Die AfD sollte Heiko Maas also eigentlich dankbar sein, liefert das NetzDG doch ein weiteres Instrument im PR-Baukasten des politischen Arms der empörten Bürger. Wahrscheinlich ist sie das hinter vorgehaltener Hand ja auch. Zugeben würde die AfD dies jedoch nie – denn PR betreiben ja immer nur die anderen.


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