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Titel: Die Renten-GroKo wäre eine Koalition gegen die Rentner

Datum: 16. Februar 2018 um 9:05 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Rente, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente
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Auch wenn uns die Gewerkschaftsvorsitzenden Bsirske und Hoffmann etwas anderes glauben lassen wollen, sollten zukünftige Rentnergenerationen alarmiert sein. Ein paar Verbesserungskrümel, die sich teilweise als vergiftet erweisen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung weiterbetrieben und der zunehmenden Altersverarmung nichts entgegengesetzt wird. Im Folgenden beschreibt unser Gastautor Reiner Heyse[*] den Vorgang als Mogelpackung, die unter anderem die in den Medien als erfolgreiche Sozialpolitikerin gepriesene Andrea Nahles mit zu verantworten hat. So urteilt auch Matthias Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion hier. Albrecht Müller.

Reiner Heyse macht seine Kritik an folgenden sechs Punkten fest und vergleicht im Anschluss zwei Mütter, die von der Mütterrente II profitieren oder eben nicht profitieren werden:

  1. Rentenstabilisierung – ein schönes Versprechen? – von wegen:

    „Wir (werden) die gesetzliche Rente auf heutigem Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 absichern und bei Bedarf durch Steuermittel sicherstellen, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen wird.“

    Dazu drei Anmerkungen:

    1. Das bedeutet Stabilität auf das seit 2003 um über 10 % abgesenkte Niveau. Die Rentensenkungen der letzten 15 Jahre sollen also schon mal abgesichert werden.
    2. Die Deutsche Rentenversicherung hat im Dezember 2014 verlautbart: bis 2024 können Niveau und Beitragssatz auf dem heutigen Stand gesichert werden. Das gilt natürlich nur, wenn nichts dazwischen kommt. Wenn die neue GroKo dazwischenkommt, kann es eng werden, weil alle Verbesserungen (Erwerbsminderungsrente; Mütterrente II; Grundrente) aus Beitragsgeldern finanziert werden sollen.
    3. Das „Rentenniveau vor Steuern“ sagt wenig aus. Die ganze Wahrheit bringt die Rente nach Steuern, also der tatsächlich verfügbare Geldbetrag. Und die wird weiter sinken, weil der Besteuerungsanteil der Rente bis 2040 Jahr für Jahr steigen wird (nachgelagerte Besteuerung – siehe ausführlicher hier oder hier). Das reale Rentenniveau nach Steuern wird von 61,1 % bis 2025 auf 58,5 %, also um 2,3 Prozentpunkte = 3,8 % sinken.
  2. Verhindert die Grundrente Armut? – wohl kaum:

    „Die Lebensleistung von Menschen …  soll honoriert und ihnen ein regelmäßiges Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs zugesichert werden. Die Grundrente gilt für bestehende und zukünftige Grundsicherungsbezieher, die 35 Jahre an Beitragszeiten oder Zeiten der Kindererziehung bzw. Pflegezeiten aufweisen. Voraussetzung für den Bezug der „Grundrente“ ist eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung.“

    Dazu vier Anmerkungen:

    1. Zunächst ist das ein “Nachfolgeversprechen“ der Lebensleistungsrente aus dem letzten Koalitionsvertrag (2013). Die letzte GroKo hatte versprochen, dass RentnerInnen, die mindestens 35 Jahre Beiträge bezahlt hatten, eine Rente für 30 Entgeltpunkte bekommen. Das wären heute: 30EP x 31,03 € = 931 € brutto. Netto etwa: 830 €. Daraus ist ja bekanntlich nichts geworden.
    2. Das neue Versprechen heißt jetzt: Grundrente. Sie soll 10 % über der Grundsicherung liegen. Der aktuelle Grundsicherungsbetrag liegt bei 800 €. Es kämen also etwa 880 € raus. Um zu bewerten, ob das ein wirksamer Beitrag zur Bekämpfung von Altersarmut ist, muss man folgendes berücksichtigen: Die Grundsicherung, früher Sozialhilfe, soll verhindern, dass Menschen obdachlos sind und hungern. Die international vereinbarte Definition der Armutsgefährdungsschwelle beträgt aber 60 % des mittleren Einkommens. Das waren im letzten Jahr etwa 1.050 €. Die angepeilte Grundrente liegt also dichter an der Grenze der absoluten Armut als an der relativen Armutsschwelle (“Der Mensch lebt nicht vom Brot allein” – er ist ein soziales und kulturelles Wesen).
    3. Die Deutsche Rentenversicherung hat in der letzten Woche besorgt darauf hingewiesen, dass die Grundrente aus Steuermitteln zu finanzieren wäre (gesellschaftliche Fürsorgemaßnahme) und nicht aus Beitragsmitteln. Tatsächlich fehlen im Finanzierungsplan für die GroKo-Projekte Mehrausgaben für die Rentenmaßnahmen gänzlich. Sollte das so eintreten, wäre das ein weiteres Schurkenstück, denn die steuerfinanzierte Grundsicherung würde dann auf die beitragsfinanzierte Grundrente “umgewidmet”.
    4. Die Grundrente wird „bedarfsgeprüft“, wie bei Hartz IV- bzw. Grundsicherungs-Empfängern. Betroffene müssen also erst ihre persönlichen Verhältnisse offenbaren, bevor es einen Euro gibt und die mühsam angesparten Sparkonten müssen auf ein Schonvermögen von 5.000 € verbraucht sein.
  3. Wer bezahlt die „Mütterrente II“?- und andere Fragen

    „Wir wollen die Gerechtigkeitslücke schließen: Mütter und Väter, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Wir wollen die „Mütterrente II“ einführen. Das ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Altersarmut. Diese Verbesserungen bei der Mütterrente durch einen 3. Entgeltpunkt pro Kind sollen für Mütter und Väter gelten, die drei und mehr Kinder erzogen haben.“

    Dazu vier Anmerkungen:

    1. Auch die “Mütterrente II” soll durch die Rentenversicherungsbeiträge bezahlt werden. Die Deutsche Rentenversicherung erwartet Kosten von ca. 3,5 Mrd. € pro Jahr. Zusammen mit Mütterrente I werden dann über 10 Mrd. € pro Jahr aus Beitragsgeldern zweckentfremdet.
    2. Wer nur ein oder zwei vor 1992 geborene Kinder hat, bleibt in der „Gerechtigkeitslücke“ hängen.
    3. Bekämpfung von Altersarmut? Die Beträge aus der Kinder-Entgeltpunkte-Rente werden von der Grundsicherung abgezogen – daran soll sich nichts ändern.
    4. Das Finanzierungsmodell führt zu unglaublichen Konstellationen, die vom höchsten Gericht als rechtens beurteilt wurden (Geschichte am Ende des Artikels).
  4. Verbesserte Erwerbsminderungsrente – für wen?

    „Wir werden diejenigen besser absichern, die aufgrund von Krankheit ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen können. Wir wollen die Anhebung der Zurechnungszeiten beschleunigen, indem wir das jetzt vorgesehene Alter von 62 Jahren und drei Monaten in einem Schritt auf 65 Jahre und acht Monate anheben.“

    Dazu vier Anmerkungen:

    1. Die Verbesserungen gelten, wie bisher, nur für die zukünftigen Erwerbsminderungsrentner. Das sind also Menschen, die heute noch häufig gesund, noch keine Ahnung von ihrem zukünftigen “Glück” haben. Die Krokodilstränen, die GroKo-Politiker in den letzten Monaten wegen der niedrigen Erwerbsminderungsrenten (im Durchschnitt der 2 Millionen Betroffenen bei 690 € im Monat) vergossen haben, waren verlogene Tränen.
    2. Neben dem „für wen“ steht noch die Frage: „ab wann“? Denn Beschleunigung ist ja schön, aber wenn sie erst in 2 oder 3 Jahren einsetzt, hilft das Hunderttausenden neu Erwerbsgeminderten gar nichts.
    3. Die Abschläge von bis zu 10,8 % bleiben nach wie vor bestehen. Der Zynismus wird also fortgesetzt. Kein Erwerbsgeminderter plant seine Krankheit, sondern erleidet ein Schicksal, das auch noch mit Abzügen bestraft wird.
    4. Die seit 2001 erschwerten Zugangsbedingungen bleiben unverändert (siehe auch Artikel Einführung der Erwerbsminderungsrenten war Enteignung).
  5. Die wichtigste, weil strategische Aussage: „Wir halten am Drei-Säulen-Modell fest“

    Wir halten am Drei-Säulen-Modell fest und wollen in diesem Rahmen die private Altersvorsorge weiterentwickeln und gerechter gestalten. Es ist ein Dialogprozess mit der Versicherungswirtschaft anzustoßen mit dem Ziel einer zügigen Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts.“

    Dazu vier Anmerkungen:

    1. Die gesetzliche Rentenversicherung wird weiter geschwächt. Alle Beitragsgelder, die für private Rentenversicherungen ausgegeben werden, dazu zählen auch die auf Entgeltumwandlung basierenden Betriebsrenten, werden der gesetzlichen Rentenversicherung vorenthalten bzw. entzogen.
    2. Große Summen aus Steuergeldern werden jetzt schon an die Versicherungswirtschaft umgeleitet (allein für Riester-Verträge über 3 Mrd. € jährlich). Das soll ganz offensichtlich noch verstärkt werden.
    3. Das „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ wird nicht mehr erwähnt. Die aus Bruttoentgelten finanzierte Betriebs- besser Betrugsrente ist in trockenen Tüchern und am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Jetzt wenden sich die GroKo-Planer der gescheiterten Riester-Rente zu.
    4. Und das kann man nur als Gangster-Stück betrachten. Seit 17 Jahren wird behauptet, die Riester-Rente könnte die durch Gesetze geschaffene Versorgungslücke schließen. Trotz drastisch abgesenktem Rentenniveau und mittlerweile über 30 Milliarden € staatlichen Subvention ist die Zahl der aktiven Riester-Verträge erbärmlich. Von 41 Millionen förderberechtigten Personen halten gerade einmal 11 Millionen (27 %) wirksame Verträge und lediglich 6 Millionen erhalten den vollen Förderbeitrag (15 %). Diese katastrophale Bilanz wird noch dadurch getoppt, dass seit über 6 Jahren nur noch niedrigste Zinsen an den sicheren Kapitalmärkten erzielt werden können, so dass selbst der derzeitige Garantiezins von 0,9 % zu hoch ist und etliche Versicherungen schon keine Riester-Verträge mehr anbieten. Dass die GroKo-Regierungen tatenlos zusehen, wie die Rentenlücken immer gigantischere Ausmaße annehmen, ist schon sträflich. Dass sie darüber hinaus jetzt aber auch noch beschließen, den toten Gaul “Riester-Rente” attraktiver zu machen und sicher noch weitere Milliarden € zu injizieren, kann mit lauteren Motiven nicht mehr begründet werden. Vielleicht bekommt der Bundestag ja in ein paar Jahren einen Untersuchungsausschuss, der die dubiosen Hintergründe aufzuklären hat.
  6. Eine Rentenkommission droht – Erfahrungen:

    „Wir werden eine Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ einrichten, die sich mit den Herausforderungen der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der beiden weiteren Rentensäulen ab dem Jahr 2025 befassen wird… Die Rentenkommission soll ihren Bericht bis März 2020 vorlegen.“

    Dazu vier Anmerkungen:

    In Deutschland haben sogenannte Expertenkommissionen grundlegende neoliberale Politikprojekte angeschoben. Eine weitere Rentenkommission verheißt nichts Gutes.

    1. Die Rürup-Kommission hat die Vorlagen für die sogenannten Rentenreformen geschaffen, die das Rentenniveau drastisch senkten, die Altersarmut beschleunigten und den Versicherungskonzernen Milliardengeschäfte besorgte.
    2. Die Hartz-Kommission begründete den Hartz-IV-/Agenda-2010-Umbau des Sozialstaates. Seit 15 Jahren rühmen die jeweiligen Regierungen die “Erfolge”, die einen riesigen Niedriglohnsektor schufen, den Zwang, unabhängig von der Qualifikation nahezu jede Arbeit verrichten zu müssen, einen ausufernden Kontrollapparat über Sozialhilfeempfänger/Arbeitslosengeld-II-Bezieher zu spannen und die Gewerkschaften zu schwächen.
    3. Die Fratzscher-Kommission, die in der Folge der staatlichen Schuldenbremse den Auftrag bekam, Konzepte zur Privatisierung von Staatsaufgaben vorzulegen.
    4. Die ????-Kommission, die jetzt einen “Verlässlichen Generationenvertrag” vorlegen soll, der die drei Rentensäulen “fortentwickelt”. Das können 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner und 50 Millionen zukünftige Rentenbezieher bei den jetzt vorliegenden Zielen nur als Drohung ansehen.

Abschließend:

Wie oben erwähnt, findet sich in der Finanzplanung der GroKo-Projekte kein Posten für die Renten-Maßnahmen. Sollten diese Maßnahmen dann vollständig aus Beitragsmitteln bezahlt werden, würden die sogenannten versicherungsfremden Leistungen wieder in Richtung 30 Milliarden € gehen. Das hatten wir in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts, als ein großer Teil der DDR-Abwicklung aus den Beiträgen der Rentenversicherten bezahlt wurde. Das war schon schlimm genug. Wenn zur Sicherung der “schwarzen Null” im Bundeshaushalt der Beitragsklau jetzt wieder solche Höhen erreichen sollte, ist wohl mehr als “nur” ein Seniorenaufstand fällig.

Anhang: Eine gar nicht so fiktive Mütterrenten-Story:

Eine Renogehilfin arbeitet in einem Notarbüro und steht kurz vor der Rente. Sie hat in ihrem Berufsleben ein branchenüblich geringes Gehalt bezogen und etliche Jahre nicht gearbeitet wegen Kindern, Pflege und Haushalt. Sie erwartet eine Rente von 600 €, hat also Anspruch auf Grundsicherung von ca. 200 €. Sie hat drei Kinder vor 1992 großgezogen und freut sich jetzt wegen der Mütterrente I und II auf ein Rentenplus von 186 € (3 Kinder x 2 Entgeltpunkte x 31,03 € – Anspruch auf einen Entgeltpunkt pro Kind hatte sie schon vor den Mütterrenten I und II).

Bei der Rentenberatung wird ihr die Freude genommen: Sie bekommt von den 186 € keinen Cent, weil die voll mit dem Grundsicherungsbetrag verrechnet werden.
Vollends aus dem Häuschen gerät die Frau dann aber, als sie erfährt, dass die Frau ihres Chefs, die auch drei Kinder vor 1992 großgezogen hat, sogar einen Anspruch auf 280 € hat, obwohl sie in ihrem Leben keinen einzigen Cent in die Rentenversicherung eingezahlt hatte. Die Frau ihres Chefs erhält natürlich keine Grundsicherung, weil das Haushaltseinkommen üppig ist. Es kann also nichts verrechnet werden und sie erhält auch tatsächlich die 280 € ausbezahlt.

Nun versteht unsere Renogehilfin auch, was Olaf Scholz 2003 als SPD-Generalsekretär mit dem Satz meinte: Die Sozialdemokraten sollten den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit durch das Wort Chancengerechtigkeit ersetzen.

Sie bezahlt mit ihren Beiträgen die Rente der Frau ihres Chefs. Für diese verordnete Großzügigkeit geht sie dafür leer aus. Das ist nun wirklich keine Verteilungsgerechtigkeit, aber sie hätte ja auch die Chance haben können, einen Notar zu ehelichen.

P.S.: Die Darstellung der SPD-Bundestagsfraktion
Selbstverständlich sieht die SPD-Fraktion die Sache ganz anders. Sie finden hier Informationsblätter der SPD-Bundestagsfraktion unter der Überschrift „Unsere Erfolge im Koalitionsvertrag“. Auf Seite 5 sind die angeblichen Erfolge in der Rentenpolitik wiedergegeben. Vergleichen Sie das bitte mit der Analyse von Reiner Heyse.


[«*] Rainer Heyse gehört zur Gruppe der Gewerkschaftssenioren aus Schleswig-Holstein, die 2014 das Projekt „Seniorenaufstand“ ins Leben riefen.


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