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Titel: Merkels Vision: Militär

Datum: 14. November 2018 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Europäische Union, Wertedebatte
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Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal – etwas pampig – gesagt, wer Visionen habe, der solle zum Arzt gehen. Darüber haben sich aufmerksame Beobachter mit Recht aufgeregt. Angesichts der Suche der deutschen Bundeskanzlerin nach Visionen, muss man Helmut Schmidt allerdings Recht geben. Beim Thema Vision fällt der deutschen Bundeskanzlerin nämlich ernsthaft ein: “Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages auch eine echte europäische Armee zu schaffen”. So die deutsche Bundeskanzlerin gestern vor dem Europäischen Parlament am 13.11.2018. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sie ist damit auf eine Forderung des französischen Präsidenten eingegangen. Sie plädierte außerdem für eine gemeinsame Rüstungspolitik.

Die eigentlichen Hintergründe: Stärkung einer ganz bestimmten Art der Außenpolitik, einer Außenpolitik, die auf die Kraft militärischer Interventionen und militärischer Drohungen setzt. Damit ist Merkel auf die französische und britische Linie eingeschwenkt. Diese beiden Länder sehen seit Jahrzehnten in ihren militärischen Potenzialen ein wichtiges Element ihrer Außenpolitik. Sie hätten gerne Deutschland dabei, weil sich dann die Kosten ihrer besonderen Außenpolitik auf mehrere Schultern verteilen lassen. Deutschland hat mit diesem Unsinn erst in den letzten zwei Jahrzehnten begonnen – 1999 mit der Beteiligung am NATO-Krieg in Jugoslawien.

Wollen wir mit der weiteren Militarisierung der Politik kritische und gut informierte junge Leute für die Politik gewinnen?

Ich stelle mir dazu einmal vor, in meiner Jugend, also in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wären wir zum Beispiel als Antwort auf den Mauerbau (1961) mit der Forderung nach Fortsetzung der Politik der Stärke, wie es damals hieß, beschäftigt und konfrontiert worden. Das gab es und hat sicher manche jungen Menschen in der Jungen Union oder beim RCDS bei der Stange gehalten, einen großen Teil der damaligen Jugend aber nicht. Unsere Sympathie galt jenen, die damals auf die Strategie gesetzt haben, die Konfrontation abzubauen und abzurüsten. „Wandel durch Annäherung“ – diese Strategie hat uns sehr viel mehr begeistert als weitere Aufrüstung im Kalten Krieg. Und diese Strategie hat in der Sache dem Volk und Europa viel gebracht.

Aber was bietet Angela Merkel, was bietet die Politik heute unserer Jugend? Jedenfalls keine vergleichbare Vision, nicht einmal die naheliegende. Diese wäre nämlich gewesen, im vorformulierten Satz von Bundeskanzlerin Merkel eingebettet:

„Wir sollten an der Vision arbeiten, die Trennung Europas zu überwinden, die durch die neue Konfrontation zwischen EU und NATO einerseits und Russland andererseits entstanden ist. Russland gehört zu Europa, wie auch die Ukraine und einige andere Länder Osteuropas. Wir brechen das neu ausgebrochene Wettrüsten ab und verständigen uns auf das verabredete Konzept der Gemeinsamen Sicherheit.“

Das wäre eine mögliche Vision, da bräuchte dann die Bundeskanzlerin nicht zum Arzt zu gehen und die Jugend Europas hätte ein sinnvolles Ziel, ein sinnvolleres jedenfalls als mit der „echten europäischen Armee“ postuliert wird.

Es sind noch einige Informationen zum Thema europäische Armee nachzutragen, die wichtig sind, damit Merkels Vision nicht falsch verstanden wird:

Tatsächlich ist mit der Idee einer europäischen Armee keine Abkehr von den USA und der NATO verbunden

Das Projekt soll eingebunden sein in die NATO und die atlantische Partnerschaft mit den USA. Das sieht Frau Merkel so. Siehe Tagesschau vom 13. November: „Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im EU-Parlament für die Idee einer europäischen Armee geworben. Die solle allerdings keinesfalls eine Alternative, sondern vielmehr einer Ergänzung zur NATO darstellen, sagte sie.“ Ähnlich hat sich NATO-Generalsekretär Stoltenberg gerade kurz vor dem Auftritt Merkels in Straßburg in Berlin geäußert. Da braucht sich Präsident Trump keine Sorgen zu machen. Die Europäer, die zurzeit in politischer Verantwortung stehen, denken auch nicht in ihren guten Träumen daran, der NATO und den USA die Tür zu weisen.

Im Gegenteil. Stoltenberg hat bei seiner Rede zugleich, so wie es seine Art ist, am Feindbildaufbau kräftig weitergearbeitet. Ich zitiere:

„NATO-Generalsekretär warnt vor russischen Nuklear-Raketen: “Sie können Berlin erreichen”

„Der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, hat gestern in Berlin davor gewarnt, dass neue russische, nuklear-fähige Raketen Berlin bedrohen und dazu aufgerufen, dass die europäischen Länder ihre Verteidigungsfähigkeiten erhöhen. Er warnte aber davor, dies im Alleingang [auf EU-Ebene] zu tun und sagte, dass sichergestellt werden müsste, dass die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nicht beeinträchtigt würden.

Unser Sicherheitsumfeld ist herausfordernd und verlangt von uns allen, dass wir alle stark bleiben. Daher sind verstärkte Verteidigungsbemühungen der EU für die Sicherheit Europas wichtig. Und dies kann die NATO stärker machen. Deshalb begrüße ich diese Bemühungen. Aber nur, wenn sie in der transatlantischen Partnerschaft verankert sind”, sagte Stoltenberg.

Wenn wir die Verteidigung in Europa vorantreiben, sollten wir dies tun, um die transatlantischen Beziehungen zu stärken. …“

Was für ein enges Europa, was für eine dürftige Vision!


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