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Titel: „Innenminister … hat … die Bereitschaftspolizei angewiesen, nicht mehr auf Kopf und Genitalien zu zielen“

Datum: 5. Februar 2019 um 14:56 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Erosion der Demokratie, Innere Sicherheit, Länderberichte, Medienkritik, Soziale Gerechtigkeit
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Diese Aussage des französischen Innenministers Christophe Castaner hatten die NachDenkSeiten vor einigen Tagen zitiert. Ein Leser bat um die Quellenangabe. Ein anderer Leser, aus Neustadt/W., hat in seiner Zeitungsablage gesucht und die Ausgabe der „Rheinpfalz“ vom 28. Januar gefunden. Siehe dort rechts im letzten Absatz. Albrecht Müller.

Hier die Rheinpfalz:

Den Originaltext des französischen Innenministers konnten wir nicht auftreiben. Deshalb müssen wir uns in der jetzt geführten Auseinandersetzung um die Gewalt in Frankreich auf die oben zitierte Quelle verlassen.

Die Auseinandersetzung wird in Frankreich wie auch hier einseitig geführt. Das können Sie schon an der Bildunterschrift der „Rheinpfalz“ sehen. Da wird wie selbstverständlich von den „gewalttätigen Ausschreitungen bei den Gelbwesten-Demonstrationen“ geschrieben. Von der Gewalt der Polizei ist nicht die Rede, obwohl das Zitat des Innenministers eigentlich auch die verantwortliche Redaktion in Deutschland nachdenklich werden lassen müsste.

So sind unsere Medien, im Falle der Gelb-Westen-Demonstrationen in Frankreich wie auch im Falle des Konflikts in Venezuela. Sie sind nicht mehr zu retten. Meist ohne Differenzierung, meist total parteiisch. Schlicht eine Katastrophe und der Beleg für das Ende der Demokratie, wie wir sie uns wünschen würden: aufgeklärt, plural, differenziert. Eben so, wie es in den Lehrbüchern steht.

Es folgt jetzt noch die Übersetzung einer Erklärung zum für heute angekündigten Streik in Frankreich.

Den Link auf das französische Original und die Liste der unterzeichnenden Personen und Gruppen finden Sie am Ende. Die Übersetzung stammt von Marco Wenzel:

Macron muss sich den Anforderungen der gelben Westen und der sozialen Bewegung beugen.

3. FEBRUAR. 2019 VON MEDIAPART BLOG GUESTS: DER BLOG DER MEDIAPART GUESTS

Die gelben Westen haben beschlossen, sich einem von den Gewerkschaften am 5. Februar 2019 angekündigten Streik anzuschließen. “Wir sehen in diesem Zusammenschluss eine Möglichkeit eines großen sozialen Sieges, indem wir eine nachhaltige und erneuerbare globale Bewegung ermöglichen, die alle ArbeitnehmerInnen, die Bevölkerung der Arbeiterviertel und die Jugend einbezieht”, so die Gewerkschaften und Unterzeichner des Aufrufs an der Seite der Schriftstellerin Annie Ernaux, dem Direktor Robert Guédiguian, dem Ökonomen Thomas Coutrot…..Frankreich wird seit 11 Wochen von einer beispiellosen Bürger- und Sozialrevolte erschüttert, wie wir sie seit Mai 68 nicht mehr gesehen haben

In den letzten 11 Wochen haben Gelbwesten trotz Karikatur und Verachtung einfache und sofortige und mehr als legitime Maßnahmen für Demokratie, Steuer-, Sozial- und Umweltgerechtigkeit gefordert.

Einfach und sofort, denn die Annullierung der Erhöhung der Steuern auf Kraftstoffe hätte fast sofort durch die Wiederherstellung des ISF (Vermögenssteuer) ausgeglichen werden können. Ein Überdenken der CICE (Pakt für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung) könnte eine sofortige Erhöhung des Mindestlohns finanzieren.

Und mehr als legitim, denn in einem Land, das zu einem Paradies für Millionäre geworden ist, ist die Verteilung des Reichtums eine absolute Dringlichkeit, um der Unanständigkeit dieser Situation ein Ende zu setzen.

Am Sonntag, den 27. Januar, startete eine Versammlung gelber Westengruppen aus ganz Frankreich einen Appell mit starken sozialen und ökologischen Forderungen (sofortige Lohnerhöhungen, Mindestsozialleistungen, Zulagen und Renten, das Recht auf Wohnung, Gesundheit, Bildung, freie öffentliche Dienste und für alle, die Beseitigung der Armut in all ihren Formen, Gleichheit und Achtung für alle, unabhängig von der Nationalität, ökologischer Wandel usw.) sowie hohen demokratischen Anforderungen.

Zum ersten Mal seit Beginn der Mobilisierung haben die Gelbwesten beschlossen, sich einem von den Gewerkschaften am 5. Februar 2019 angekündigten Streik anzuschließen.

Wir sehen in dieser Konvergenz eine Möglichkeit eines großen sozialen Sieges, indem wir eine nachhaltige und erneuerbare globale Bewegung möglich machen, die alle Arbeitnehmer, die Bevölkerung der Arbeiterviertel sowie die Jugend einbezieht. Wir möchten, dass der Streik und die Demonstrationen so massiv wie nur möglich sind, um diese legitimen Forderungen zu erfüllen. Deshalb unterstützen wir die Aktionen an diesem Tag voll und ganz.

Wir verurteilen die Versuche der extremen Rechten, sich die Bewegung anzueignen und sie zu nutzen, um den Hass auf Einwanderer, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie zu fördern.

Anstatt zuzuhören, schart sich die Regierung um ihren repressiven Apparat und um eine Scheindebatte. Sie bereitet sogar ein Gesetz vor, um die Demonstrationsfreiheit einzuschränken. Wir werden uns dem widersetzen! Wir fordern, dass die Regierung die Logik der Kriminalisierung der sozialen Volksbewegung aufgibt. Ein Präsident, der eine solche Gewalt gegen seine Landsleute anordnet oder vertuscht, verliert seine Legitimität als Vertreter des Volkes. Wir werden uns nie an diese gebrochenen Gesichter, die Hunderte von Wunden und Verstümmelungen und Dutzende von Todesfällen gewöhnen, die die Regierung zu minimieren oder zu leugnen versucht.

Die Krise wird nicht durch autoritäre Maßnahmen gelöst werden. Er wird den Protest nicht ersticken, indem er den gelben Westen und seinen Sprechern Handschellen anlegt oder sie blendet. Die eigentliche Volksdebatte findet ihren Ausdruck in Nachbarschaften, in den Kreisverkehren, den gemeinsamen Versammlungen und in den Unternehmen. Emmanuel Macron hat den Kampf der Ideen verloren. Er muss jetzt den sozialen und gesellschaftlichen Anforderungen nachkommen!

Verbände, Gewerkschaften und politische Parteien

  • Attac
  • Collectif national pour les droits des Femmes (CNDF)
  • Collectif La vérité pour ADAMA
  • Fondation Copernic
  • Union Départementale CGT 75
  • Sud PTT
  • Solidaires
  • Alternative Libertaire
  • Ensemble
  • Gauche Démocratique et Sociale (GDS)
  • Génération.s
  • Groupe parlementaire FI
  • Mouvement Ecolo
  • Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA)
  • Parti de Gauche (PG)
  • Parti Ouvrier Indépendant (POI)

Personen:

  • Paul Ariés, Politiker, Direktor des Observatoire international de la Gratuité
  • Judith Bernard, Regisseurin, Lehrerin, Verlagsleiterin von Hors-Série.
  • Thomas Coutrot, Ökonom
  • Christine Delphy, Soziologin, Frauenrechtlerin
  • Laurence De Cock, Historikerin
  • Annie Ernaux, Schriftstellerin
  • Bernard Friot, Ökonom
  • Robert Guédiguian, Regisseur
  • Aude Lancelin, Journalist
  • Mathilde Larrère, Historikerin
  • Gérard Noiriel, Historiker
  • Willy Pelletier, Soziologe
  • Michèle Riot Sarcey, Historikerin
  • Raphaël Schneider, Regisseur, Mitbegründer von Hors-Série.
  • Julien Théry, Historiker

Freie Übersetzung von Marco Wenzel

Quelle: Mediapart


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