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Titel: Steinmeier – Und wie naiv er die Medien-Welt sah

Datum: 7. Mai 2019 um 13:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundespräsident, Medien und Medienanalyse, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich bei der Digitalkonferenz re:publica zu Medien, Demokratie, Propaganda und Zensur geäußert. Die Rede entlässt die großen Medien aus der Verantwortung und verfolgt einen vorsätzlich naiven Ansatz. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat in einer Rede auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin das „Gebrüll der Wenigen“ beklagt – damit meinte er aber nicht zuerst die Kampagnen der dominierenden Medienkonzerne, sondern „toxische Debatten“ in den „sozialen Medien“. Steinmeier nutzt hier die bekannte Taktik, die großen Medien als die wahren Produzenten von Fake News und gesellschaftlichen Spaltungen hinter einer „populistischen“ Netzgemeinde zu verstecken.

Durch diese Taktik werden die Medienkonzerne aus ihrer Verantwortung für die Ausprägungen der hiesigen politisch-gesellschaftlichen Debatte entlassen. Denn wenn eine Gruppe und deren „Gebrüll der Wenigen“ zuallererst für Kampagnen und Zerrüttungen verantwortlich ist, so wären da (zumindest auch) die Redakteure von „Spiegel“, „Bild“, „Süddeutsche Zeitung“, ARD, ZDF und Deutschlandfunk zu nennen. Der von Steinmeier eingeforderte Kampf gegen Propaganda wäre also löblich, wenn er denn wirklich nach allen Seiten geführt würde. Durch das Aussparen der Kritik an den medialen Hauptakteuren machen sich Steinmeiers Äußerungen selbst weitgehend irrelevant.

Die großen Medien müssen sich entschuldigen – Sonst ist keine Versöhnung möglich

Das in diesem Text eingeforderte Problematisieren der großen Medien vonseiten auch der Politik wäre dringend geboten, da sich die Medien nicht gegenseitig kritisieren. Die „Eingeständnisse“ bezüglich des eigenen Kampagnen-Journalismus verharren meist unbefriedigend bei den Behauptungen, „jeder würde mal Fehler machen“ und man wolle ab jetzt alles „noch besser“ machen. Der häufige Kampagnen-Charakter der Berichterstattung „klassischer Medien“ wird abgestritten und auch von Steinmeier nicht klar benannt. Solange dieser Charakter aber nicht eingestanden und aufgearbeitet wird, etwa im Zusammenhang mit der Berichterstattung zur Ukraine oder zu Syrien, kann keine Versöhnung zwischen großen Medien und Publikum stattfinden.

Man sollte individuelles Hate-Speech nicht mit großen Medienkampagnen aufwiegen – aber man muss doch (auch) die großen deutschen Medien als zentrales Problem benennen, wenn es um die Verzerrung und die Vergiftung der öffentlichen Debatte geht – und zwar als das ungleich größere Problem im Vergleich zu individuellen Facebook-Posts. Dieser Vergleich mit „klassischen“ Medienkampagnen bedeutet keine ungebührliche Relativierung von Hass-Sprache. Er verdeutlicht stattdessen die aus dem Lot geratene offizielle Betrachtung der Medienwirkungen.

Es gibt die (juristischen) Instrumente gegen Hass-Sprache schon lange

Hass-Sprache ist ein Übel, gegen das juristisch vorgegangen werden muss – aber nicht moralisch und nicht durch Privatleute. Im Gegensatz zur öffentlichen Darstellung wäre dieses Vorgehen ab sofort möglich: Es gibt bereits das komplette Instrumentarium, um Beleidigungen oder Volksverhetzungen juristisch überprüfen zu lassen und – nach dem Urteilsspruch eines ordentlichen Gerichts – gegebenenfalls zu sanktionieren. Weil aber Staatsanwaltschaften und Gerichte wie viele andere staatliche Bereiche kleingespart wurden, können sie diese Aufgaben nicht angemessen wahrnehmen.

Wenn auf dieses Staatsversagen mit einem Aufruf an die Zivilgesellschaft, an private Konzerne und an dubiose private „Faktenchecker“ reagiert wird, so gibt ein Staatsoberhaupt ein gleich doppelt schwaches Bild ab: Denn seine Worte offenbaren dann nicht nur die Handlungsunfähigkeit des Staates – man will diesen Zustand offenbar noch zementieren, indem die staatliche Handlungsunfähigkeit durch „privates Engagement“ aufwogen werden soll.

Diese aus öffentlicher Sicht passive Position äußert sich bei Steinmeier etwa in der Aussage, „man“ müsse zwar Regeln „besser durchsetzen“ – aber „vor allem“ dürfe „die demokratische Mehrheit sich nicht zurückziehen und vertreiben lassen vom Gebrüll der Wenigen!“ Demnach ist also „vor allem“ zivilgesellschaftliches Engagement gefragt – und nicht zuallererst eine Rückeroberung klassischer Aufgabengebiete durch die öffentliche Hand.

Extra naive Einteilung: Seriöse Zeitungen und hetzende Blogs

Die Überbetonung der destruktiven Wirkung des Internets und das dadurch mögliche Ignorieren der Verantwortung der „klassischen Medien“ prägt weite Teile von Steinmeiers Rede. So fordert der Bundespräsident „glasklare Herkunftssiegel für Informationen“ – aber nur im Netz und nicht in den großen Redaktionen. Die folgende Aussage kann man unterschreiben:

„Solange die schnelle Lüge und die seriöse Nachricht, der überprüfte Fakt und die bloße Meinung, solange Vernunft und Hetze unterschiedslos nacheinander in Newsfeeds auftauchen, solange haben es Demagogen viel zu einfach.“

Das klingt schön – auch hier ist das Problem aber die (scheinbar) naive Einteilung in „seriöse“ Zeitungen und „hetzende“ Blogs.

Die Forderung nach dem Herkunftssiegel zielt auch auf ausländische Propaganda ab – und die kann laut offizieller Sicht nur aus Russland oder China stammen. In diesem Text soll die Existenz russischer Propaganda nicht bestritten werden – aber da die deutschen Bürger zuallererst US-Propaganda ausgesetzt sind, ist die erlebte extreme Fokussierung auf die Russen-PR eine Verzerrung der Realitäten. Wer die massive und seit Jahrzehnten auf die Bürger niedergehende transatlantische Meinungsmache nicht skandalisiert, kann nicht glaubwürdig gegen den russischen Staatssender „RT Deutsch” argumentieren. Dieser Vergleich stellt im Übrigen keine ungebührliche „Relativierung“ dar, sondern einen Vergleich, der sich aufdrängen sollte. Die meisten offiziellen Äußerungen zu diesem Thema leugnen westliche Propaganda oder nehmen diese in Schutz – sie erfüllen also eher die Kriterien des Prinzips „Haltet den Dieb“.

Die extrem unterschiedlichen Seiten der Facebook-Medaille

Die Debatte um das „soziale Netzwerk“ Facebook ist zweischneidig: Zum einen muss der Konzern an die Leine genommen werden, er muss Macht abgeben und endlich angemessen Steuern zahlen. Möglicherweise muss er gar zerschlagen werden, wie etwa hier auf den NachDenkSeiten gefordert wird. Der konsequente Umgang mit dem US-Konzern ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit für staatliche Autorität, wie Steinmeier richtig feststellt: „Nach vielen Worten und Ankündigungen, nach Gesprächsrunden und fotogenen Politikerterminen ist es an der Zeit, dass Facebook, Twitter, YouTube & Co. ihre Verantwortung für die Demokratie endlich wahrnehmen“. Und: “Wer hier in Deutschland und Europa das große Geschäft macht, der muss sich an unsere Regeln halten.“ So weit, so treffend. Die Erfahrung lehrt leider, dass bei der Umsetzung dieses Prinzips nicht zuerst die Konzernmacht von Facebook eingeschränkt wird, sondern viel eher die positiven Seiten – etwa die neue alternative Öffentlichkeit.

Diese neue Öffentlichkeit im Internet ist essenziell für positive gesellschaftliche Entwicklungen. Mit dieser Öffentlichkeit treten auch destruktive Elemente zutage. Nach Abwägung der Rechtsgüter ist aber ein Erhalt der neuen Öffentlichkeit mehr Wichtigkeit zuzurechnen als dem Verstummen noch der letzten Pöbeleien. Zumal juristisch relevante Pöbeleien wie gesagt verfolgt werden können, ganz ohne eine private Zensur-Infrastruktur aufzubauen.

Sagt man „Demokratie“ und meint „Zensur“?

Die gegenseitige Umarmung von re:publica und Bundesregierung in diesem Jahr mutet merkwürdig an: Neben Steinmeier haben mit Olaf Scholz, Hubertus Heil, Franziska Giffey und Svenja Schulze gleich vier (SPD-)Kabinettsmitglieder ihr Kommen angekündigt. Diese Liebe wird von den Netzaktivisten zurückgegeben: So schwärmte zu Steinmeier etwa re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl von „netzpolitik.org“:

„Wir freuen uns sehr, dass er gekommen ist, und wir freuen uns auch, dass unser Bundespräsident viele unserer Werte und Einschätzungen teilt, beispielsweise dass wir die Digitalisierung demokratisieren müssen.“

Doch auch wenn Steinmeier bei der Rede vollmundig die „gemeinsame Sache“ mit der Netzgemeinde betont – ist sich Beckedahl wirklich sicher, dass er hier das Gleiche meint wie der Bundespräsident? Allzuoft wurde in jüngerer Vergangenheit von Politik und großen Medien die „Demokratie“ beschworen, obwohl „Zensur“ damit gemeint war.

Titelbild: BrAt82 / Shutterstock


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