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Titel: Leitmedien als Instrumente von Inszenierungen

Datum: 7. Juni 2019 um 10:25 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, PR, Strategien der Meinungsmache
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Insbesondere Leitmedien sind Zielobjekt für professionelle Einflussagenten. Dies war mit Beginn der Bundesrepublik Deutschland der Geheimdienst BND, inzwischen kamen private PR-Agenturen hinzu. Dabei werden Medien und Agenten zu geheimen Komplizen. Eine demokratische Alternative ist nur außerhalb dieser Fesseln möglich. Von Werner Rügemer.

Um mit einer persönlichen Erfahrung zu beginnen: Auf Anfrage des Kölner Stadt-Anzeigers schrieb ich 1996 mit meinem Kollegen Erasmus Schöfer einen Artikel über die chemischen Gifte im Kölner Abwassersystem. Sie werden von Unternehmen eingeleitet, werden durch die Kläranlagen nicht gereinigt und gelangen somit in den Rhein, in die Luft, in den Klärschlamm und damit in die Braunkohlekraftwerke. Wir lieferten den Artikel frühzeitig ab, er war für eine Doppelseite in der Wochenendausgabe gedacht.

Kölner Stadt-Anzeiger: Autorentexte umschreiben

Zwei Monate später erschien der Artikel. Wir staunten ungläubig: Er war an 82 Stellen umgeschrieben worden, ohne jegliche Rücksprache mit uns. Aus „nicht riechbaren Gasen“ waren „Dünste“ geworden. Wir hatten geschrieben: Die zuständigen Behörden messen die Chemikalien nicht – jetzt stand im Stadt-Anzeiger: „sie können nicht gemessen werden“. Undsoweiter. Aber zum Beweis meiner Fachkompetenz stand unter dem Artikel: Rügemer ist Mitglied der Abwassertechnischen Vereinigung ATV und Autor des Buches „Staatsgeheimnis Abwasser“.

Wir verklagten den Stadt-Anzeiger wegen Urkundenfälschung, Urheberrechtsverletzung und Rufschädigung. Der Verlag DuMont Schauberg bot uns einen internen Vergleich mit 7.000 DM Schadenersatz an, mit der Auflage, darüber zu schweigen. Wir bestanden auf einer öffentlichen Verhandlung und einem Urteil. Der Ressortleiter Ralf Hoppe verteidigte das Vorgehen der Redaktion: Die Zeitung müsse das Publikum unterhalten, solche Änderungen seien üblich. Das Gericht urteilte: Der aufrüttelnde Fachartikel wurde verfälscht und verniedlicht. Hoppe habe zudem kein Unrechtsbewußtsein gezeigt, sondern sei „überheblich und selbstgefällig“ aufgetreten. Die Autoren erhalten 10.000 DM Schadenersatz: Das habe auch „Buß- und Präventivcharakter“.

Der Verlag akzeptierte das Urteil und zahlte sofort. Wir verlangten eine Richtigstellung – die Lügenzeitung veröffentlichte sie nicht. Über das Urteil berichtete sie nicht. Auch keine andere etablierte deutsche Zeitung berichtete über das erstmalige Urteil. Der Presserat sprach einen tadelnden Hinweis aus: Keine Zeitung hat ihn veröffentlicht.[1] Die Gemeinschaft der fake-Inszenierer hielt eisern zusammen.

Während des Gerichtsverfahrens erhielt Ressortleiter Hoppe wegen besonderer journalistischer Leistungen den Theodor-Wolff-Preis des Bundesverbandes der deutschen Zeitungsverleger (BDZV) – und stieg auf: Er wurde Mitglied der Spiegel-Redaktion. Der Fälscher Hoppe – ein Vorläufer des jetzigen Fälschers Relotius. In der branchenweiten Komplizenschaft werden sie nur selten enttarnt.

Der Spiegel schwitzt nun heftiges Bedauern aus, aber auch er verklagt Relotius nicht.

Bismarck hält sich seine „Kölnische Zeitung“

Wenn wir schon beim Kölner Stadt-Anstreicher sind: Zu Bismarcks Zeiten war die Kölnische Zeitung aus dem Verlag DuMont Schauberg – Vorläuferin des Kölner Stadt-Anzeigers – die meistgelesene und bestinformierte Zeitung im Deutschen Reich und wurde auch im Ausland geschätzt. Reichskanzler Fürst Bismarck unterhielt exklusive Beziehungen zu ihr. Er subventionierte sie aus seinem Reptilienfonds (Welfenfonds). Damit brachte der Verlag auch eine deutschsprachige Zeitung für das im Krieg gegen Frankreich eroberte Elsass-Lothringen heraus – scheinbar ganz unabhängig.[2]

Bismarck bestellte, wenn er ihn brauchte, den Berliner Residenten der Kölnischen Zeitung zu sich und fütterte ihn mit ausgewählten Informationshäppchen. So hatte die Zeitung einen Informationsvorsprung gegenüber anderen Medien. Bismarck wiederum zitierte im Reichstag aus dem von ihm subventionierten Medium. Dieses auch kommerziell lohnende Privileg war dauerhaft an die Bedingung gebunden, dass der Einflussagent nicht genannt wurde. So entstand eine geheime Komplizenschaft und das immer gut informierte und einflussreiche Medium bezeichnete sich als „unabhängig“.

Derweil sammelten die Kölner Bankiers derer von Oppenheim und der Schokoladenfabrikant Stollwerck durch Aufrufe in den Medien von DuMont Schauberg Spenden, um für die patriotische Erbauung des Volkes dem Eisernen Kanzler am Rheinufer ein riesiges Denkmal hinzustellen und dort mit dem Erzbischof und schlagenden Verbindungen große Feste zu feiern. Geheime Komplizenschaft des Leitmediums, Nationalismus, Populismus – das kriegte man damals mit einfachen Mitteln hin.[3]

Aus Antisemitismus wird Prosemitismus

Wir machen einen historischen Sprung und klammern auch die viel ausgefuchstere Praxis in den USA aus. Vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland verboten die westlichen Alliierten alle 11 von der KPD herausgegebenen regionalen Zeitungen, obwohl gerade dort keine Nazis arbeiteten.

Gleichzeitig lizensierten die westlichen Alliierten die Leitmedien, die diese Funktion geheimnisvoller Weise auch heute noch haben: Spiegel, ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Welt, Welt am Sonntag. Die FAZ und der Kölner-Stadtanzeiger bekamen wegen zu offensichtlicher NS-Belastung ihrer Vorgängermedien (Frankfurter Zeitung, Kölnische Zeitung) keine Lizenz. Sie durften deshalb sofort in der Adenauer-Republik das Licht der Öffentlichkeit erblicken, das Gossenblatt BILD des NS-belasteten Axel Springer dann 1952.

In diesen regierungsbedeutsamen Medien wurden die Chefposten mit der Elite des NS-Journalismus besetzt. So kamen etwa 500 NS-Top-Journalisten vor allem in den überregionalen „Qualitätsmedien“ Der Spiegel, Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, BILD und Stuttgarter Zeitung unter.[4] Professionell und akademisch auf weiter hohem Niveau wurde vom inszenierten Antisemitismus leichtfüßig auf den inszenierten Prosemitismus umgeschaltet – die Hauptsache, die Verteidigung des Privateigentums und die Beschwörung der „kommunistischen Gefahr“, blieben ja gleich.

Zweites Gehalt vom BND

Der Bundesnachrichtendienst (BND) bediente sich von Anfang an der Leitmedien. Er wurde bis 1955 offiziell von der CIA finanziert und auch nach seiner Unterstellung unter die Bundesregierung bzw. das Bundeskanzleramt weiter vom US-Geheimdienst geführt und europaweit und im Nahen Osten eingesetzt.

Der BND führte ausgewählte Journalisten unter Codenamen und fütterte sie spezifisch für das jeweilige Zielpublikum mit (Teil-)“Informationen“. „Die rote Gefahr“, der notwendige Koreakrieg, die böse DDR, Israels wunderbarer Blitzkrieg, „Menschenrechte“ in der Sowjetunion, das Tonking-fake zur Begründung des geplanten Kriegseintritts der USA in Vietnam – BND/CIA platzierten ihre fake news. Die Journalisten bekamen vom BND auch personelle Internas über Politiker, lieferten aber auch als V-Leute Berichte aus Gesprächen mit Prominenten an den BND. Der zahlte den ausgewählten Mediendienern monatlich zwischen 1.500 bis 15.000 DM als zweites Gehalt.

Eine BND-Gehaltsliste von 1970 enthält 230 Top-Journalisten, darunter Conrad Ahlers (ALBERT) vom Spiegel, Michael Naumann (NORDDORF) und Marion Gräfin Dönhoff (DOROTHEA) von der ZEIT, Henri Nannen (NEBEL) vom Stern, Peter Boehnisch (BONGERT) von BILD und später Pressesprecher von Bundeskanzler Helmut Kohl, Hermann Proebst (PIRNA) von der Süddeutschen Zeitung, ZDF-Intendant Karl Holzammer (HUPPERTZ) und Gerhard Löwenthal (LOEBEN) vom ZDF-Politmagazin. Sie nannten die Quelle BND nie[5] und kommentierten solche Veröffentlichungen nie.

BND-Chef Gehlen: „Vertretbare Form des Zusammenwirkens“

Durch den Auslandsdienst BND kamen die jeweils ausgesuchten Leitmedien an Informationen, auch aus dem Inland, wo der BND verfassungswidrig mit Zustimmung der Bundesregierungen seit Adenauer ebenfalls spionierte. Irgendetwas an den „Informationen“ stimmte natürlich, etwa dass es bestimmte Personen gab, die in einem sozialistischen Staat gegen irgendetwas protestierten. Die Leitmedien mussten daraus „Menschenrechtler“ stilisieren, auch wenn es sich um Ex-Nazis handelte. Auch für die Konstruktion von fakes braucht man Fakten. Nur mit (Teil)Wahrheiten kann man lügen.

Die jeweils exklusiven „Informationen“ wurden nie gleichzeitig an alle Leitmedien gestreut, sondern meist nur an jeweils zwei. So erhielten diese eine lukrative Exklusivität gegenüber der Konkurrenz, mussten sich aber auch bewähren: Sie wollten ja möglichst bald wieder zu den Ausgewählten gehören. Die Quelle durfte nie preisgegeben werden. Die regionalen Provinzzeitungen blieben abgehängt und abhängig. So bildete sich in der journalistischen Top-Liga eine verschwiegene, verschworene Bruder- und Schwesterschaft. Man blieb Leitmedium. Eine Win-Win-Beziehung. Natürlich kann man das auch eine Verschwörung nennen.

BND-Chef Reinhard Gehlen rühmte sich rückblickend in seiner Autobiografie selbstbewußt und öffentlich dieser Kontakte zu solchen Journalisten: Sie seien für eine effektive Geheimdienstarbeit unverzichtbar. Den Spiegel hob Gehlen besonders hervor. Mit „vielseitigen Bemühungen“ habe es der BND geschafft, „mit Vertretern der Presse und der anderen Massenmedien eine geeignete und für beide Seiten vertretbare Form des Zusammenwirkens zu finden.“[6]

Umschwenken auf zivile Stiftungen

Ende der 1970er Jahre gerieten die primitiv und direkt agierenden westlichen Geheimdienste, insbesondere CIA und BND, zunehmend in öffentliche Kritik. Deshalb schwenkten die USA 1983 auf „soft power“ um, so Präsident Ronald Reagan. Als zivil verkleideten Ersatz gründete der Kongress die Stiftung National Endowment for Democracy (NED). Die Gelder kommen bis heute vom Staat und von privaten Unternehmerstiftungen. Aufgabe: Die Verbreitung von „Demokratie“, außerhalb der USA, weltweit. 2006 wurde der NED die spezialisierte Tochterstiftung Center for International Media Assistance (CIMA) angegliedert.

Nach (und mit) den Geheimdiensten also die (teilweise) offenen, staatskapitalistischen Einflussagenten.

Die Einsatzstaaten für diese Art „America-First“-Demokratie waren und sind mit den jeweiligen Hauptfeinden der USA identisch: Überall, wo „die kommunistische Gefahr“ gewittert wird oder gegen „kommunistische Kräfte“ vorgegangen werden soll oder ein regime change ansteht – da setzen NED und CIMA an. Sie vergeben Stipendien an Journalisten und finanzieren den Aufbau oppositioneller Leitfiguren. Und CIMA hilft nicht nur, solche inszenierte Figuren in den Leitmedien zu platzieren, sondern organisiert selbst die Gründung neuer fake-Medien. Dabei kooperiert man auch mit Stiftungen reicher Spekulanten und Investoren wie etwa George Soros’ Open-Society- und Renaissance-Stiftungen, auch mit der NATO-Öffentlichkeitsabteilung wie im Falle der Ukraine.[7]

In den 1980er Jahren war Frankreich einer der ersten Zielstaaten, weil unter bzw. hinter bzw. mit dem sozialistischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand angeblich „der Kommunismus“ wieder aufzustehen drohte und die „nationale Sicherheit“ (der USA) gefährdete. NED und CIMA inszenierten über diverse Kanäle auch jüngst den „demokratischen“ neuen Präsidenten Venezuelas, Juan Guaido, der durch einen von der Trump-Regierung unterstützten Putsch an die Macht gebracht werden sollte.[8] Westliche Leitmedien und EU-Regierungen übernahmen die Inszenierung.

Uigurische „Rebellen“

Im Laufe des letzten Jahrzehnts unterstützte CIMA „politische Gefangene“, „kritische Journalisten“ und neue Medien in bzw. gegen Kuba, Iran, Venezuela, Russland, Ukraine. Gegen die Volksrepublik China wird beispielsweise die Minderheit der Uiguren unterstützt. Sie bietet als turksprachige Ethnie mit sunnitischer Volksreligion, die mit schamanischen Elementen durchsetzt ist, zahlreiche Ansatzpunkte für die Forderungen nach religiöser und politischer Freiheit. Zudem pflegen uigurische Organisationen nostalgische Erinnerungen an das uigurische Großreich vor tausend Jahren. Uigurische Warlords waren Komplizen der westlichen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert, als diese China eroberten und ausplünderten. NED pflegt solche Traditionen, z.B. über die Finanzierung uigurischer Gruppen und des World Uyghur Congress, in dem sich Uiguren aus vielen Staaten auf US-Kosten versammeln.

Die gegen die Volksrepublik China geförderten Terroristen sind auch international im Einsatz: So kämpfen tausende Al-Qaida-nahe uigurische Terroristen in der vielfältigen westlichen Front der „Rebellen“ gegen die syrische Regierung.[9] Die inszenierten Berichte über die Unterdrückung der Uiguren werden in ZEIT, FAZ, ARD, ZDF usw. als Informationen übernommen.

PR-Agenturen

Gleichzeitig zeigt sich bei den neueren Kriegen wie gegen Jugoslawien und den Irak und bei der Installation von oligarchischen Regimen in den ex-sozialistischen Staaten die neue Macht privater PR-Agenturen, meist mit Hauptsitz in den USA.

Sie konstruieren unter hohem Aufwand mit professionellen fake news Kriegsbegründungen und organisieren Kampagnen zur diplomatischen Anerkennung von separatistischen Staaten, und seien sie noch so klein. So berieten Rudder Finn, Jefferson Waterman, Hunton & Williams, Patton Boggs, The Washington International Group, Mannat Phelps & Rubin, Wise Communications, Strategy XXI Group und Advantage Associates teilweise gleichzeitig die verfeindeten, vom Westen beförderten Nationalisten, die im Gleichklang mit der NATO Jugoslawien in ethnisch und religiös definierte Kleinstaaten aufsprengten. Die gefütterten und gegründeten Leitmedien dort und im Westen übernahmen die Darstellungen.[10]

1990 organisierte die PR-Agentur Hill & Knowlton eine Kampagne für den Kriegseintritt der USA gegen den Irak. Auftraggeber waren die Citizens for a free Kuwait, eine Initiative der Regierung Kuwaits. Sie zahlte 10,8 Millionen an die Agentur. Diese inszenierte den fake-Auftritt eines 15-jährigen Mädchens vor dem Menschenrechtsausschuss der UNO: Es bezeugte, gut eingeübt, mit tränenerstickter Stimme, es habe selbst gesehen, wie irakische Soldaten in einem kuwaitischen Krankenhaus Babies aus Brutkästen gerissen und zu Boden geschmettert hätten. Amnesty International unterstützte die Kampagne. Die westlichen Medien übernahmen die Story. Die USA begannen den ersten Golfkrieg gegen den Irak. Die Kampagne war nötig, weil die USA noch kurz zuvor den Irak Saddam Husseins im Krieg gegen den Iran unterstützt hatte. Später stellte sich heraus, dass das Mädchen, dessen Identität von der UNO nicht überprüft wurde, die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington war.

„Bürgerinitiativen“ und „Medienpartnerschaften“

Die Zustimmung vor allem in der abhängig arbeitenden Bevölkerung zu westlichen Konzernen, Regierungsparteien und Leitmedien ist schrittweise gesunken. Da verkleiden sich Unternehmen zunehmend gerne als „Bürgerinitiativen“.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ist so eine. Sie wirbt für die soziale Marktwirtschaft, während die beteiligten Unternehmen sie gnadenlos abbauen. Zur Begründung bildet die INSM „Medienpartnerschaften“ z.B. mit Handelsblatt, FAZ und Wirtschaftswoche und übt Druck auf die öffentlichen TV-Sender aus. Diese öffentliche Verbrüderung und Verschwesterung mit vermeintlich noch renommierten Leitmedien zeigt eine andere Variante der Einflussnahme auf Journalismus. Mit „demographischer Wandel“ und „Fachkräftemangel“ wird primitiver Unternehmer-Lobbyismus, verkleidet in „Bürger“-Gestalt, in die Medien lanciert.

Ähnlich agieren die inzwischen aufwendig ausgebauten Öffentlichkeits-, Kommunikations- und PR-Abteilungen von Parteien, Ministerien, Bundeswehr, Unternehmerverbänden, insbesondere großer Konzerne. Inzwischen arbeiten hier mehr hauptamtliche, ausgebildete Journalisten als in den traditionellen Print- und öffentlichen Medien. Die Konzern-Journalisten produzieren Videos und Texte vor, die bei Pressekonferenzen direkt in die Laptops der anwesenden JournalistInnen übertragen werden: Eine andere Überschrift verfassen, ein paar Passagen wegschneiden, ein live-Statement von 12 Sekunden mit dem Vorstandsvorsitzenden einbauen, am Ende eine kurze Bewertung hinzufügen – fertig ist das inszenierte Medienprodukt.

Social Media

Social Media sind heute ein wichtiges Medium für die Inszenierung, Lenkung und Zerstörung von politischen Bewegungen. Hier ist nicht nur das Center for Media Assistance aktiv.

Das State Department richtete unter Obama eine Abteilung ein, um social media in die Brennpunkte der US-Außenpolitik zu integrieren, z.B. in Osteuropa und Nordafrika. Der Leiter Jared Cohen wechselte dann zu Google, wo er dessen Think Tank Google Ideas, heute Jigsaw, gründete. Google arbeitet heute eng mit der US-Regierung und dem Pentagon zusammen.[11]

Agenda Cutting

Auch die negative Inszenierung ist wichtig: Daran, dass bestimmte Ereignisse gar nicht erst in die Medien gelangen oder schnell gelöscht werden, arbeiten spezialisierte Einflussagenten. Das sind Medienrechtskanzleien und PR-Agenturen. Ihre professionelle Dienstleistung wird als Agenda Cutting bezeichnet.

Sie bieten an, einen unliebsamen Konflikt oder darüber beginnende Berichterstattung „entweder bereits am Anfang im Keim zu ersticken oder im besten Falle noch im Recherchestadium zu verhindern“. So formulierte es der Anwalt Dr. Christian Schertz, Sohn eines ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten und Chef der vielbeauftragten Medienkanzlei Schertz Bergmann. Sie vertritt auch Banken und Konzerne, um zum Beispiel TV-Sendungen bzw. deren Wiederholung zu verhindern. Schertz wird seit einem Jahrzehnt durch die Talkshows von ARD und ZDF als renommierter Experte durchgereicht.[12]

Dirty Campaigning

Mit dem noch weiteren moralischen Abstieg der westlichen Regierungsparteien und der mit ihnen verfilzten Leitmedien korrespondiert der Aufstieg von Einflussagenten mit der Spezialität des Dirty Campaigning: Professionell inszenierte Schmutzkampagnen zielen auf persönliche Schwächen von politischen Gegnern.

„Wie man einen sauberen Kandidaten in einen schmutzigen Kandidaten verwandelt“: Das ist das Arbeitsprinzip des israelischen Politikberaters und Unternehmers Tal Silberstein. 2002 habe er das erfolgreich in Bolivien exerziert, als er den US-nahen Kandidaten Lozada gegen den sozialistischen Kandidaten Evo Morales beriet, so Silberstein. Das ehemalige Mitglied der israelischen Special Forces gründete 1999 mit den beiden US-Politikberatern Stan Greenberg und James Carville die Firma GCS Issue Management Ltd. in Israel. Sie berieten zunächst Bill Clinton, die israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und Ehud Olmert, Tony Blair und Gerhard Schröder ebenso wie osteuropäische OligarchInnen, die sich in die Politik drängten wie Julia Timoshenko in der Ukraine.[13]

Wo es ohnehin besonders primitiv und schmutzig zugeht und wo in Umbruchssituationen mit korrupten Regierungen um Aufträge für PrivatunternehmerInnen gerangelt wird – da wurde Silberstein beauftragt. In zahlreichen Staaten Osteuropas und Afrikas wie Rumänien und Guinea arbeitet er mit dem israelischen Milliardär Beny Steinmetz und österreichischen Unternehmen zusammen, wenn es z.B. um die Beschaffung von Bergwerks- und Abholzungslizenzen geht.[14]

Seit 2001 im Auftrag der SPÖ

Die SPÖ in Österreich, vom Absturz bedroht schon vor der deutschen Schwesterpartei SPD, beauftragte Silberstein seit 2001 bis 2017 ununterbrochen mit ihren Wahlkampagnen. So erreichte der SPÖ-Kandidat Alfred Gusenbauer 2006 den Sturz des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel (ÖVP), u.a. mithilfe eines fingierten Leserbriefs, in dem behauptet wurde, Schüssel habe illegal eine Pflegerin beschäftigt. Gusenbauer und Silberstein waren zudem über die Briefkastenfirma Novia Fund Management in der Finanzoase Malta geschäftlich verbunden. 2017 schließlich setzten SPÖ/Silberstein gegen den Kandidaten Sebastian Kurz (ÖVP) anonyme Facebook-Seiten ein. Erst als Silberstein und Steinmetz im August 2017 in Israel wegen des Verdachts auf Bestechung, Urkundenfälschung und Geldwäsche verhaftet wurden, kündigte die SPÖ kurz vor der Wahl den Beratervertrag und versuchte sich lange mit Lügen aus der Affäre zu ziehen.

Gegenüber der jahrzehntelangen Komplizenschaft zwischen SPÖ und dem Silberstein-Milieu erscheint „Ibiza Gate“ mit dem 2017 angefertigten und 2019 lancierten Video des Treffens von FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen geradezu als Peanuts. Die SPÖ-Silberstein-Connection als der ungleich größere Medien- und Politikskandal wurde aber auch für BILD, ZEIT, Welt, FAZ, ARD und ZDF und Deutschlandfunk kein Skandal. Lieber stochern sie jetzt ausgiebig in den vermuteten Hintergründen von Ibiza Gate herum und die von den InszenatorInnen ausgewählten Spiegel und SZ hüllen sich weiter über die Auftraggeber in Schweigen.

Dass die viel tiefergehende Politikmanipulation und Medieninszenierung durch SPÖ/Silberstein nicht skandalisiert wurde und dass erst „Ibiza-Gate“ zur Entlarvung des FPÖ-Führungspersonals nötig ist, zeugt vom fake-Niveau der westlichen Leitmedien, auch vor Ort des österreichischen Leitmediums, der Kronenzeitung, die der westdeutschen Funke-Gruppe (WAZ) und dem Immobilien- und Handelsspekulanten René Benko gehört.

Meinungsfreiheit neu organisieren

Das häufig wiederholte und als kritisch gemeinte Zitat, die Meinungsfreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Menschen, ihre private Meinung zu verbreiten – dies erweist sich von Anfang an als naiv. Paul Sethe, der das 1965 kritisch meinte (natürlich im kritisch sich gebenden Spiegel), war Mitgründer der FAZ und danach Autor bei ZEIT, Welt und Stern. Dass die alle auch vom BND zur Meinungsmache gekauft waren, erwähnte er nicht. Vielleicht wusste er es nicht, er galt ohnehin als etwas unzuverlässig und war nicht eingeweiht, auch weil er die FAZ 1955 unter Protest verließ.

Richtig: Die Meinung der deutschen Leitmedien und auch der leitenden Provinzmedien wie des Kölner Stadt-Anstreichers und der Rheinischen Pest ist natürlich die Meinung von privaten Unternehmen (und ihrer privaten Anzeigenkunden). Das ist ja banal. Sie treten für ihre Rechte und allgemein für die Rechte von Privatunternehmen ein, und nicht für die Rechte von abhängig Beschäftigten, z.B. auch nicht für die Rechte ihrer eigenen ZeitungsausträgerInnen, für die die Medienlobby bei der medienabhängigen Bundesregierung sogar die Ausnahme vom Mindestlohn durchsetzte.

Auch richtig: Die öffentlich-rechtlichen Medien vertreten mehr oder weniger ebenso die Meinung der Privatunternehmen, was nicht so verwunderlich ist: ARD und ZDF und ihre Leitungspositionen hängen von politischen Parteien ab, die von privaten Unternehmen dauerfinanziert werden.

Aber, wie gezeigt: Da mischen noch ganz andere mit. Und das sind inzwischen viel mehr als nur die 200 reichen Menschen des Paul Sethe, damals in der gemütlichen Bonner Republik. Die zu Recht diskreditierten Leitmedien sind eben auch Medien, deren viele andere und immer mehr sich bedienen, national und international – was umso leichter ist, je mehr diese Leitmedien verzweifelt um ihr lukratives Überleben kämpfen.

Wirkliche, demokratische Meinungsfreiheit ist nur möglich außerhalb dieser Fesseln. Diese Erkenntnis ist nun eigentlich so weit gereift, dass strategisch fundierte Konsequenzen folgen können. Da stehen wir ja ohnehin gar nicht mehr am Anfang.


[«1] Ulrike de la Motte: „Überheblich und selbstgefällig“, M – Menschen machen Medien 1.6.1998

[«2] Gordon Craig: Deutsche Geschichte 1866-1945. München 1999, S. 87f.

[«3] Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur, Köln 2017, S. 22ff.

[«4] Peter Köpf: Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse, Berlin 1995, S. 236f.

[«5] Erich Schmidt-Eenbohm: Geheimdienst, Politik und Medien. Meinungsmache Undercover. Berlin 2004

[«6] Reinhard Gehlen: Der Dienst. Mainz-Wiesbaden 1971, S. 187 und 289f.

[«7] Werner Rügemer: Jazeniuk made in USA, Ossietzky 9/2014

[«8] Fabio Carisio: Guaido – The „Obama Whitened“ US Agent in Caracas, veteranstoday.com 2.5.2019

[«9] Syrien: Das Rebellenspektrum von Idlib, Spiegel online 11.9.2018

[«10] Jörg Becker / Mira Beham: Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod. Baden-Baden 2008

[«11] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. Köln 2018, S. 175

[«12] Werner Rügemer / Elmar Wigand: Die Fertigmacher. Professionelle Gewerkschaftsbekämpfung und Arbeitsunrecht. Köln 2017, 3. erweiterte Auflage S. 116f.

[«13] Siehe die wikipedia-Artikel zu Greenberg, Carville und Silberstein

[«14] Silbersteins Strategie bei Negativkampagnen, Der Standard 4.10.2017


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