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Titel: Trump droht Iran mit “Auslöschung”. Wo bleibt der Aufschrei? Wo die Konsequenzen?

Datum: 26. Juni 2019 um 10:00 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Wertedebatte
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Die USA gelten immer noch als unser Freund und Verbündeter, als Land, mit dem wir gemeinsame Werte teilen. Kann man aber mit einem Land befreundet und verbündet sein, dessen Regierung anderen Staaten offen mit „Auslöschung“ droht? Sind dies die gemeinsamen Werte, die man teilt? Würde die Bundesregierung es mit ihren Sonntagsreden von Anstand, Moral und gemeinsamen Werten wirklich ernst nehmen, müsste sie nach Trumps Drohungen Konsequenzen ziehen. Doch das wird nicht geschehen. Es gibt noch nicht einmal einen Aufschrei. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

“Die Geschichte ist auf unserer Seite, ob ihr uns liebt oder nicht, wir werden euch begraben.”

Dieser Satz von Nikita Chruschtschow auf einem Empfang der polnischen Botschaft in Moskau im Jahre 1956 ging in die Geschichte ein. Obgleich Chruschtschow im vollen Kontext des Zitates nicht andere Länder, sondern das „kapitalistische System“ metaphorisch begraben wollte, wurde dieser Satz während des Kaltes Krieges stets als Beleg für eine reale Bedrohung des Westens durch nukleare Erstschläge der Sowjetunion interpretiert. Noch 1985 erwies Sting Chruschtschow die fragwürdige Ehre und zitierte ihn in seinem Welthit „Russians“ in diesem falschen Kontext.

2005 machte ein weiteres Zitat über eine „Auslöschung“ Karriere. Diesmal war es der iranische Präsident Ahmadinedschad, der angeblich Israel „von der Landkarte radieren“ wollte – eine vorsätzliche Falschübersetzung, um Iran als Aggressor im Nahen und Mittleren Osten darzustellen. Dieses Zitat wird jedoch bis heute aus dem Hut gekramt, wenn es darum geht, Israels aggressive Außen- und Sicherheitspolitik zu rechtfertigen.

Einig ist diesen beiden Zitaten jedoch nicht nur, dass sie entweder aus dem Kontext gerissen oder schlicht gefälscht wurden, sondern dass sie im Westen scharf kritisiert und als Verfall von Anstand, Sitte und Moral und als Verstoß gegen das Völkerrecht gebrandmarkt wurden. Wer anderen Staaten oder Völkern mit Auslöschung droht, hat sich aus dem Kreis der zivilisierten Völker verabschiedet.

Doch warum gilt diese klare zivilisatorische Regel nicht mehr, wenn ein US-Präsident anderen Völkern mit Auslöschung droht? Das Trump-Zitat ist auch im Kontext unfassbar und sollte öffentlich doch zumindest ähnlich intensiv diskutiert werden wie die Zitate von Chruschtschow und Ahmadinedschad. Das ist jedoch nicht der Fall. Die deutschsprachigen Medien üben sich vielmehr in vornehmer Zurückhaltung und berichten im neutralen Nachrichtenstil ohne eine Wertung oder Einordnung vorzunehmen.

Auch von Seiten der Bundesregierung gab es „erwartungsgemäß“ keine Reaktion auf Trumps Drohungen. Ist das etwa der völkerrechtliche Kompass Berlins? Nimmt man es einfach als gegeben hin, wenn der „enge Freund und Verbündete“ einem anderen Land offen mit dessen Auslöschung droht? Ist Völkermord mittlerweile eine anerkannte „diplomatische Option“? Das wäre dann die moralische Kapitulation des „Wertewestens“.

Wer schweigt, scheint zuzustimmen. Und wenn die Bundesregierung permanent zu den völkerrechtswidrigen Aktionen und Drohungen der USA schweigt, macht sie sich zum Mittäter.


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