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Titel: Vermögensteuer Ja, aber warum bleiben die Steuerprivilegien und Spekulationsgewinne außen vor? Da wäre viel mehr zu holen.

Datum: 27. August 2019 um 16:46 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gestaltete PDF, Lobbyismus und politische Korruption, Steuern und Abgaben
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Die Vermögensteuer wieder einzuführen, wäre ein richtiger Schritt. 10 Milliarden sollen mit der neuen, von der kommissarischen SPD-Vorsitzenden Schwesig vorgeschlagenen Vermögensteuer eingenommen werden. Vergleichen Sie das bitte mal mit der folgenden Meldung vom 4.12.2018: „Unitymedia-Verkauf. Wie man mit TV-Kabeln Milliarden macht – fast steuerfrei. Der deutsche Kabelnetzbetreiber Unitymedia soll an Vodafone verkauft werden. Der bisherige Eigentümer Liberty Global dürfte dabei steuerfrei sieben Milliarden verdienen – und hat zuvor schon enorme Summen abgeschöpft.“ Albrecht Müller.

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Inzwischen ist der Verkauf an Vodafone realisiert. Nach dieser Meldung von Reuters hat der Eigentümer von Unitymedia, Liberty, 22 Milliarden $ erlöst. Das betrifft die Kabelnetze in Deutschland und einigen anderen Ländern Mitteleuropas. Die 2018 genannten 7 Milliarden Euro für das deutsche Netz dürften zutreffen. Mit den ansonsten steuerfrei abgeschöpften Gewinnen dürfte allein bei diesem einzigen Vorgang ungefähr die Hälfte des gesamten Steueraufkommens erreicht werden, das eine Neueinführung der Vermögensteuer bringen würde.

Wie ist das möglich? Ganz einfach: Die Parteifreunde von Manuela Schwesig, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Hans Eichel als Bundesfinanzminister, haben zum 1.1.2002 die Veräußerungsgewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen steuerfrei gestellt. Schon damals und immer wieder gab es Fälle großer Vermögenstransaktionen, bei denen der Fiskus darauf verzichtet hat, wie üblich die Gewinne, die beim Verkauf eines Vermögens und damit bei Realisierung versteckter Vermögenszuwächse anfallen, zu besteuern.

Schauen wir uns einen solchen Fall aus der Anfangszeit dieses Steuerprivileg an: 2003 verkaufte die Allianz AG ihren Anteil an der Beiersdorf AG, dem Produzenten von Nivea, für 4,4 Milliarden Euro an Tchibo und eine Beteiligungsgesellschaft der Stadt Hamburg. Darüber berichtete das manager magazin am 23.10.2003.

Im Vorfeld des Verkaufs, am 22.8.2003 schrieb die „Welt“ über diesen Fall. Dort heißt es:

„Nicht unwichtig ist, dass der Verkauf steuerfrei sein wird. Der Allianz fließt mindestens eine Milliarde Euro mehr zu, als es vor der Gesetzesänderung zur Steuerbefreiung von Veräußerungserlösen der Fall gewesen wäre. Hintergrund dieses Steuergesetzes war die Absicht, die Deutschland AG zu entflechten …“

Zwischen 2003 und heute haben mehrere tausend deutsche Unternehmen den Besitzer gewechselt, die meisten unter der Fahne der von Gerhard Schröder verkündeten „Auflösung der Deutschland AG“. Das war eine gut klingende Parole, die aber vor allem dazu diente, den großen Vermögen die fällige Steuerzahlung zu ersparen und sie noch vermögender zu machen. Es war ein Geschenk an die internationale Finanzindustrie, vor allem an Private-Equity-Gruppen und Hedgefonds. Die Parole „Auflösung der Deutschland AG“ ist eine grandiose Erfindung; der Vorgang insgesamt einschließlich der Kampagne mit der Parole ist ein Musterbeispiel politischer Korruption. Wo sind die politischen Wissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler, die diesen Vorgang kritisch untersuchen?

Wenn die SPD-Spitze ihr Vorhaben, hohe Vermögen etwas mehr zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen, und dabei darauf zu achten, dass die Vermögensverteilung nicht noch weiter auseinanderklafft – oben immer mehr und unten immer weniger und dazu Schulden – dann sollte sie nicht nur beim Vermögensbestand wie mit der Vermögensteuer, sondern auch bei den Vermögenszuwächsen und den Spekulationsgewinnen ansetzen

Außerdem wäre es dringend nötig, die vielen Steuerschlupflöcher und Steuervermeidungsmöglichkeiten einschließlich der Nutzung von Steueroasen zu schließen. Das wäre vermutlich um den Faktor zehn oder 20 oder 30 ertragreicher und hilfreicher für eine gerechtere Vermögensverteilung, als der Vorsatz, den Vermögensbestand mit der Wiedereinführung der Vermögensteuer von einem Prozent zu besteuern. Ich wiederhole, dass ich mit dieser Kritik nicht kritisieren will, die Vermögensteuer wieder einzuführen.

Im oben zitierten Spiegel-Artikel vom 4.12.2018 wird übrigens recht gut beschrieben, wie man hierzulande Steuervermeidung betreiben kann. In vielen Fällen der zwischen 2002 und heute stattgefundenen Transaktionen von Unternehmen und Unternehmensteilen ist ähnlich wie im Fall Allianz/Beiersdorf und Liberty/Unitymedia verfahren worden. Viele Verkäufe von Unternehmen waren Transaktionen, bei denen nicht nur bei der Veräußerung, sondern dann auch im weiteren Verlauf Steuern zulasten von Kommunen, Ländern und Bund gespart wurden und obendrein die Unternehmen mit aufgebürdeten Schulden und die Beschäftigten mit Sozialabbau und Lohndrückerei belastet wurden.

Es fällt auf, dass an diese großen Privilegien der großen Vermögen und der Finanzwirtschaft nicht herangegangen wird. Noch schlimmer: Diese Privilegien werden verschwiegen. Prüfen Sie selbst: Haben Sie von den Repräsentanten der Politik irgendwann in letzter Zeit von der Steuerbefreiung der Veräußerungsgewinne gehört? Ist irgendwann von politischer Seite oder von wissenschaftlicher Seite dieser Skandal thematisiert und angegriffen worden?

Zu Ehren eines ansonsten verfemten Unternehmensleiters kann an dieser Stelle angemerkt werden, dass der ehemalige Porsche-Chef Wiedeking schon 2002 in einem Spiegel-Interview dem Sinne nach angemerkt hat, dass er nicht versteht, warum dann, wenn ein Anleger vom anderen einen großen Batzen Vermögen übernimmt, der dabei realisierte Vermögensgewinn steuerfrei gestellt wird.

Titelbild: Shutterstock / Tobias Steinert / Cineberg


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