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Titel: Eklat beim Weltpostverein – Wenn Trumps Protektionismus nebenbei womöglich mehr für das Klima tut als der Klimagipfel der Bundesregierung

Datum: 30. September 2019 um 14:16 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Ökonomie, Globalisierung
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Wer sich heute als deutscher Endkunde ein T-Shirt per Luftpost aus China bestellt, bezahlt dafür oft nur zwei Euro – selbstverständlich inkl. Versandkosten. Möglich ist dieser ökologische und ökonomische Wahnsinn nur dank einer massiven Subventionierung. Doch damit könnte zum Glück bald Schluss sein. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hatten die USA in den letzten Wochen im Kielwasser des Handelskriegs mit China gedroht, den Weltpostverein zu verlassen. Der Kompromiss, der in letzter Sekunde geschlossen wurde, erlaubt es Industrieländern wie den USA und auch Deutschland, die heutigen Subventionen massiv abzubauen und so regionale und nachhaltigere Handelswege zu stärken. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass dies keine kleine Korrektur, sondern eine ungemein wichtige Weichenstellung für die Zukunft ist, die jedoch nur ein erster Schritt auf einem sehr langen Weg sein kann. Ob Deutschland mitzieht, ist jedoch noch offen. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Zwei-Euro-T-Shirt … warum ist der Versand per Luftpost so billig?


Screenshot dreier typischer Angebote auf der Plattform Aliexpress

Wer heute mit der Deutschen Post eine Warensendung unter zwei Kilogramm von Köln nach Düsseldorf schicken will, muss diese Sendung als Päckchen verschicken und zahlt dafür 4,50 Euro. Wer jedoch das gleiche Päckchen aus Peking per Luftpost nach Düsseldorf schicken will, zahlt laut Branchenschätzungen nur rund 1,30 Euro – wovon die Deutsche Post als Auslieferer an den deutschen Endkunden rund [*] 25 Cent abbekommt.

Was unglaublich klingt, ist die Folge einer durchaus gut gemeinten Regelung des Weltpostvereins, die vor mehr als 100 Jahren eingeführt wurde. Um Briefe weltweit zu überschaubaren Kosten versenden zu können, haben sich alle Mitglieder des Weltpostvereins, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, der 193 Staaten angehören, verpflichtet, einheitliche Gebühren für die Zustellungen von Briefsendungen aus dem Ausland zu erheben. Um es ärmeren Absendern aus Entwicklungsländern überhaupt zu ermöglichen, Briefe in Industrieländer zu schicken, übernehmen die – damals noch ausnahmslos staatseigenen – Postdienstleister in den Industrieländern die Kosten für die Briefzustellung nahezu vollständig.

Was eigentlich fair klingt, hat sich im letzten Jahrzehnt durch den boomenden E-Commerce jedoch zu einer grotesken Situation entwickelt. Als Brief gelten laut Weltpostverein nämlich auch alle Warensendungen bis zu einem Umfang von 90 cm und einem Gewicht von zwei Kilogramm und China gilt in den Reglements immer noch als Entwicklungsland. Die logische Konsequenz dieser veralteten Rahmenbedingungen war, dass sowohl über westliche Handelsplattformen wie Amazon oder eBay als auch über die immer populärer werdenden chinesischen Plattformen wie Aliexpress oder Wish immer mehr chinesische Händler ihre Produkte direkt an die Endkunden in den Industrieländern schickten und dafür minimale Versandkosten in Rechnung stellen konnten, die in der Regel gar nicht mehr explizit ausgewiesen werden. Dieser ökologische und ökonomische Wahnsinn führt auch zu nachgelagerten Problemen, auf die wir hier nur kurz eingehen wollen. So entziehen sich die chinesischen Händler meist durch falsche Angaben zum Warenwert der Zollpflicht und der Umsatzsteuer und sämtliche Verbraucherschutzregelungen sind nur Makulatur, wenn der Händler juristisch nicht greifbar ist und eine Rücksendung ökonomisch keine Alternative ist. Leidtragend sind auch die inländischen Händler, die dank der grotesken Subventionierung ihrer chinesischen Mitbewerber handfeste Wettbewerbsnachteile haben.

Wie hoch diese Subventionierung ist, zeigt ein sehr anschauliches Beispiel. Wer auf der chinesischen Plattform Aliexpress vier Jeans eines bestimmten Typs (Stückpreis 18,50 Euro) bestellt, zahlt mit der Versandform „China Post Luftpost“ und dem Briefformat nach den Standards des Weltpostvereins „EMS ePaket“ überhaupt keine Versandgebühren. Der Standard-Paketversand-Tarif des Weltpostvereins schlägt bereits mit 62,74 Euro zu Buche; private Paketdienstleister wie Fedex oder DHL verlangen sogar bis zu 98,39 Euro. Das ist sicherlich „sportlich“ kalkuliert, lässt aber den Umfang der Subventionen durch die über einhundert Jahre alte Sonderregelung für den Briefverkehr aus Entwicklungsländern erahnen.

Ökonomischer und ökologischer Wahnsinn

2017 kamen nach Angaben des Zolls alleine 100 Millionen solcher Warensendungen aus China nach Deutschland. 2016 waren es noch 40 Millionen weniger und die Umsatzzahlen chinesischer Handelsplattformen lassen erahnen, dass sich diese Zahlen in den letzten zwei Jahren noch einmal erheblich gesteigert haben. Es geht hier also keinesfalls um „Peanuts“ – Ausnahmen, die nicht ins Gewicht fallen. Eine monetäre Einordnung dieser Warenströme ist übrigens seriös gar nicht möglich, da fast kein chinesischer Händler den echten Warenwert angibt, um so – sicher zur Freude der meisten Endkunden – Zollgebühren und die in seltenen Fällen beim Endkunden anfallende Einfuhrumsatzsteuer zu umgehen oder zumindest zu minimieren.

Der Luftfrachtverkehr zwischen Ostasien und Nordamerika bzw. Europa macht schon heute fast die Hälfte des weltweiten Luftfrachtverkehr aus – Tendenz stark steigend. Branchenprognosen gehen von einem Wachstum der Frachtflugzeugflotte von 74% in den nächsten zwanzig Jahren aus.

Im Lichte der aktuellen Debatte um CO2-Einsparungen ist dies verheerend. Vergleicht man die Treibhausgasemissionen pro Tonnenkilometer, fallen beim Transport mit einem Containerschiff zwischen 13 und 30 Gramm pro Tonne und Kilometer an. Bei dem Transport per Luftfracht sind es zwischen 531 und 926 Gramm pro Tonne und Kilometer. Also selbst wenn man einmal die grundsätzliche – aber dennoch sehr wichtige – Frage außer Acht lässt, ob der globale Warenhandel nicht generell eine ökonomische und ökologische Sackgasse darstellt, ist die Luftfracht im Vergleich zum traditionellen Seetransport mit Containern eine nur noch wahnsinnig zu nennende Spielart eines vollkommen außer Kontrolle geratenen Weltwirtschaftssystems.

Trumps Erpressung

Vor diesem Hintergrund wirkt die – in zahlreichen deutschen Medien wie dem Manager Magazin kritisierte – Drohung der USA, einseitig aus dem Weltpostverein auszutreten, wenn man die Endvergütungen („Terminal Dues“) für Warensendungen aus China nicht massiv erhöhen darf, sowohl ökonomisch als auch ökologisch sogar zwingend. Jedoch muss man an dieser Stelle auch erwähnen, dass die Debatte im Kern nicht neu ist und bis vor wenigen Jahren vor allem die USA jedwede Korrektur der Reglements blockierten – bis vor kurzem waren die USA nämlich noch Netto-Versender und der staatliche Postdienstleister United States Postal Service befürchtete den Verlust der Wettbewerbsvorteile für seine Sendungen ins Ausland. Die radikale Wende steht somit nicht nur unter dem Vorzeichen des Handelskriegs zwischen den USA und China, sondern auch wohl vor allem unter dem Vorzeichen des boomenden eCommerce in China, der dank der Regelungen des Weltpostvereins vom United States Postal Service mit immer absurderen Summen subventioniert wird. Im letzten Jahr machte US Postal mit dem internationalen Briefverkehrs 80 Millionen Dollar Verlust – alleine die Subventionen für chinesische Sendungen sollen im letzten Jahr zwischen 300 und 500 Millionen Dollar betragen haben; vor acht Jahren war der internationale Briefversand mit einem Gewinn von 275 Millionen Dollar noch äußerst profitabel.

Welche Motive die US-Regierung auch angetrieben haben – ihre in letzter Sekunde durch einen deutsch-französischen Kompromissvorschlag noch abgewendete Ausstiegsdrohung hat den Weltpostverein in der letzten Woche endlich zu einer Neuregelung der Endvergütungen geführt. Künftig dürfen Länder, die mehr als 75.000 Tonnen Post im Jahr „importieren“, die Endvergütung in einem bestimmten Rahmen selbst festlegen. Ab Juli 2020 beträgt der Höchstwert für die Endvergütung 70% des Tarifs, der für vergleichbare Inlandssendungen von den Postdienstleistern verlangt wird. Auf Deutschland bezogen wäre dies also ein Abbau von bis zu 3,15 Euro pro Briefsendung.

Das ist jedoch immer noch ein viel zu geringer Preis. Will man einen Maxibrief bis zu zwei Kilogramm von Deutschland nach China schicken, kostet dies immerhin 17,00 Euro. Die Orientierung an den Inlandsversandpreisen führt also immer noch zu einer deutlichen Subventionierung der Luftfracht aus Ostasien. Aber immerhin können so groteske Endkundenpreise für preiswerte Produkte wie Textilien oder einfache Elektronikartikel ein wenig korrigiert werden. Die Flut von Sendungen mit niedrigpreisigen Konsumartikeln dürfte dadurch zumindest eingedämmt werden. Ebay hat zumindest schon eine Warnung herausgegeben, dass die Versandkosten nun „dramatisch steigen“ könnten – gut so.

Es ist noch viel zu tun

Die jetzt verabschiedeten Anpassungen können aber nur der erste Schritt in einer umfassenden Neugestaltung des gesamten Tarifsystems für den internationalen Postverkehr sein. Ziel solcher Tarife muss es dabei sein, die Preise überhaupt nicht mehr zu subventionieren, sondern den ökologisch verheerenden internationalen Luftfrachtverkehr auszubremsen. Dazu müsste neben einer weiteren Erhöhung der Endvergütungen auch eine generelle Neudefinition der Versandform „Brief“ folgen. Diese Versandform wurde einst erdacht, um beschriebene Blätter in einem schmalen Umschlag zu verschicken und nicht um leichte Handelsgüter mit einem Flugzeug von einem Ende der Welt zum Endkunden am anderen Ende der Welt zu transportieren. Würden für solche Warensendungen per Luftfracht generell die höheren Paketgebühren (siehe oben) anfallen, wäre diese besonders schädliche Form des eCommerce schon bald passé. Und das ist noch lange nicht alles. Auch indirekte Regulierungen, wie die Verteuerung von Kerosin, Landegebühren und die effektive Kontrolle und Besteuerung internationaler Warensendungen, müssten zu einem Maßnahmenpaket führen, um die irrwitzigen Auswüchse des internationalen Warenhandels und insbesondere der Luftfracht zu begrenzen.

Offenbar fehlt vor allem in der deutschen Politik jedoch der Wille, hier überhaupt nennenswert tätig zu werden. So hat das Land Bayern auf der letzten Sitzung des Bundesrats einen Entschließungsantrag eingebracht, der eine „Überprüfung des Weltpostabkommens mit dem Ziel [vorsieht], gewerbliche Lieferungen aus exportstarken Drittländern nicht länger unangemessen gegenüber innereuropäischen Lieferungen zu bevorzugen“. Der Wirtschafts- und der Rechtsausschuss des Bundestags haben dies mit der lapidaren Erklärung abgebügelt, die Bundesregierung sehe zwar auch „Anpassungsbedarf“, würde dem aber schon im Rahmen des Weltpostvereins „Rechnung tragen“. Es waren jedoch die USA und nicht Deutschland, die auf eine massive „Anpassung“ gedrängt haben. Und ob Deutschland dem Anpassungsrahmen, der nun festgelegt wurde, überhaupt folgt, ist ebenfalls offen. Bislang zählte Deutschland hier nämlich, anders als die skandinavischen Länder oder Kanada, nicht zu erklärten Kritikern.

Titelbild: B.Zhou/shutterstock.com

[«*] Weder die Deutsche Post AG noch der Weltpostverein nennen die konkreten Preise. Die Zahlen beziehen sich auf die Schweiz, dürften jedoch für Deutschland aufgrund der Regelungen des Weltpostvereins genau so hoch sein.


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