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Titel: Kumpel und Komplizen – Warum die Natur auf Partnerschaft setzt. Eine Besprechung des neuen Buches von Volker Arzt

Datum: 2. Januar 2020 um 8:54 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Rezensionen, Wertedebatte
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Ich gestehe, ich hätte mir das Buch allein schon wegen des Titels und des Bildes gekauft. Zunächst habe ich mir die Passagen über Elefanten, Bonobos und Rabenvögel ausgesucht, also nicht mit Seite eins begonnen. Das Sozialverhalten dieser Tiergattungen fasziniert mich schon seit längerer Zeit. Jedenfalls habe ich die gewählte Reihenfolge nicht bereut, denn meine Neugier wurde durch diese „vorgezogene Lektüre“ befeuert. Anette Sorg

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Volker Arzt, Physiker und Wissenschaftsjournalist, schildert in 12 Kapiteln, dass Empathie und Hilfsbereitschaft keine Verhaltensweisen sind, die der Spezies Mensch, dem Homo sapiens, vorbehalten sind, sondern dass diese auch im Tierreich und sogar in der Pflanzenwelt zu beobachten sind. Mannigfach und nicht ausnahmsweise.

Manch einer mag das befremdlich finden, wenn er den Menschen noch immer als Krone der Schöpfung betrachten möchte. Diesen Zahn allerdings zieht Volker Arzt seinen Lesern gründlich.

Die Unterkapitel tragen teils witzige, häufig neugierig machende Überschriften, wie z.B. „Gotteslästerliche Lebensweise“, „Gekaufte Mobilität“ oder „Das Knöllchen-Wunder“. Nicht nur diesen ist der große Sinn des Autors für Humor zu entnehmen. Auch die persönlich erlebten Geschichten, allen voran die vom Wollaffen in Apenheul in Holland stibitze Brille, geben einen Einblick in seine Wissbegier einerseits und seine Liebe zur Natur andererseits, über die er gerne mit einem Augenzwinkern schreibt. Dabei nutzt er wissenschaftliche Fachbegriffe nur, wenn notwendig, nicht ohne sie gleich zu erklären:

Dass „tit for tat“ aus dem Englischen die Bedeutung hat „wie du mir so ich dir“ (z.B. S. 130 ff) ist sicher den meisten LeserInnen noch geläufig, dass mit „reziprokem Altruismus“ der „verzögerte Eigennutz“ gemeint ist (S. 144 ff), dürfte hingegen den wenigsten bekannt sein. Letzteres beschreibt Volker Arzt anschaulich mit Hilfe einer Vampirfledermaus, die, wenn sie bei ihrer nächtlichen Jagd auf z.B. Rinderblut erfolgreich war, nicht erfolgreiche Jägerinnen vor dem Hungertod bewahrt, indem sie diesen eine „Blutspende“ gibt. Da die Rollen wechseln und jede der Fledermäuse einmal in die bedürftige Situation kommen kann, ist dieses Verhalten zu erklären.

Wissenschaftler wie Charles Darwin, Bill Hamilton und Robert Trivers werden mit ihren Theorien dargestellt. Hamiltons Theorie der (ausschließlichen) „Verwandtenselektion“ wird mit vielen Beispielen widerlegt und Trivers‘ Entdeckung des oben dargestellten reziproken Altruismus wird in ihrer Bedeutung gewürdigt. Dasselbe gilt für bekannte Tierforscherinnen und -forscher. Die wichtigen Arbeiten und Erkenntnisse von Jane Goodall und Cynthia Moss z.B. werden an vielen Stellen erwähnt und ausreichend wertgeschätzt. Sich mit fremden Federn zu schmücken, hat der Autor nicht nötig. Sind doch seine Erfahrungen und Erlebnisse allein schon ein wertvoller Schatz.

Meine „Favoriten“ im Buch sind neben den wunderschönen Tier- und Pflanzenfotografien die Kapitel, die sich mit den neuseeländischen Bergpapageien, den Keas, befassen (S. 268ff). Neugierig, frech und technisch begabt wären nur drei der Etiketten, die man diesen Vögeln verleihen kann. Darüber hinaus darf ihnen eine gewisse Intelligenz unterstellt werden. Sie schaffen es, Mülleimerdeckel anzuheben, damit diese nach hinten wegklappen, um sich daraus bedienen zu können. Leider schaffen sie es auch, Marderfallen, die zu ihrem eigenen Schutz aufgestellt wurden (die Bergpapageien gelten als bedrohte Art, weil sie ihre Nester auf dem Boden bauen und Bodenräubern schutzlos ausgeliefert sind), zu konterkarieren: Mit einem Werkzeug (ein mit dem Schnabel zurechtgezwickter Ast) schaffen sie es, die Falle von außen auszulösen und an das dort lagernde Ei heranzukommen. Von Affen, die Werkzeuge nutzen, haben wir alle schon gehört, dass Vögel das ebenfalls können, war mir neu.

Auch dem Thema Symbiose widmet sich der Autor intensiv. Vergessen Sie, was Sie darüber im Biologieunterricht gelernt haben und tauchen Sie in die erstaunlichen Beispiele ein, die Ihnen in diesem Buch geliefert werden. Ein schier unglaubliches Phänomen ist unter der Überschrift „Pfadfinder zum Bienennest“ zu finden (S. 130ff). Dort wird beschrieben, wie in der afrikanischen Baumsavanne ein Vogel (sein Name „Honiganzeiger“ scheint Programm!) den dort lebenden Menschen den Weg zu einer Honigquelle weist. Ist das Ziel erreicht, wird die Honigernte vor Ort mit Hilfe von Rauch (alte Imkerweisheit) betrieben. Der Lohn für den Honiganzeiger: eine vom Menschen erbeutete Honigwabe, die in eine Astgabel gehängt wird und ein verdientes Festmahl für den „Pfadfinder“ darstellt.

Dass Pflanzen verschiedene Manöver vollbringen, um Insekten zur Befruchtung anzulocken, hat man schon hin und wieder gehört. Dass es aber ausgerechnet die schönen Orchideen sein sollen, die diesbezüglich gar als Schwindler entlarvt werden, können Sie auch in „Kumpel und Komplizen“ nachlesen (S. 198ff).

Einen Ausflug über die Bakterien im menschlichen Darm zu unserem Gehirn und zu unseren Emotionen unternimmt Volker Arzt in diesem Buch ebenfalls für und mit uns.

Gehören Sie auch zu den Menschen, die beim Thema Bakterien negative Assoziationen haben? Dann ist Ihnen vermutlich nicht bekannt, dass unter den Hunderttausenden von Bakterien uns weniger als ein Promille krank machen. (S. 241 ff):

„Unser Körper besitzt mehr Bakterien als Körperzellen…Es ist unser Verdauungstrakt, der 99 Prozent der Bakterien beherbergt…Unsere Bakterien – unsere Verdauungshelfer…Unsere Symbionten sind offenbar mehr als bloße Handelspartner, die eine wohlig-feuchte Umgebung bei 37°C genießen und im Gegenzug bei der Verdauung helfen. Sie sind ein Teil von uns. Sie haben über den Nervus vagus Zugang zu unserem Gehirn und unseren Emotionen; sie prägen unser Immunsystem, unsere Widerstandskraft und Anfälligkeit. Was immer unsere Persönlichkeit ausmacht, das Mikroben-Heer im Darm hat seinen Anteil daran…Die Bakterien gehören zu uns wie ein lebenswichtiges Organ. Wir sind ein Gesamtorganismus.“

Die (gesellschafts-)politische Dimension seines Buches erschließt sich erst auf den letzten Seiten, wenn der Autor anmerkt:

„Wer auf das unerbittliche Gesetz der Natur verweist, wonach jeder sich selbst der Nächste sei, der hat wenig von der Natur begriffen. Oder er will nichts begreifen. Die Natur kennt beides. Den Kampf ums Dasein. Und die Kooperation ums Dasein…Es scheint an der Zeit, sich daran zu erinnern und politische wie wirtschaftliche Beziehungen auf- und auszubauen, die sich an dem Prinzip der Gegenseitigkeit orientieren – an einem Gleichgewicht des Gebens und Nehmens…“

Ein absolut empfehlenswertes Buch zum Selbstlesen und zum Verschenken. Es führt zum Schmunzeln und Staunen und regt zum Nachdenken an. Es liefert Hintergründe, Geschichten und ordnet ein. Das Ganze geschieht ohne erhobenen Zeigefinger und mit viel Humor. Volker Arzt hat den Spagat vollbracht, aus Tier- und Pflanzengeschichten eine wissenschaftliche These aufzustellen, der wir uns nicht so leicht entziehen können: Kooperation, Altruismus und Empathie sind wesentliche Triebfedern der Natur – neben dem von Darwin beschriebenen, ebenfalls vorhandenen „Kampf ums Dasein“. Genau wie die Tier- und die Pflanzenwelt tragen wir beide Optionen in uns. Wir sind Egoisten und kooperative Gruppenwesen in einem. Wir haben die Wahl, an welchem Teil dieser Doppelnatur wir uns orientieren möchten!

Volker Arzt: Kumpel und Komplizen
Erschienen im September 2019 bei C. Bertelsmann (Preis 25 Euro, gebunden)
ISBN: 978-3-570-10338-8


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