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Titel: Die Koalition der Willigen aus CDU, FDP und AfD. Einige unbotmäßige Überlegungen über Thüringen hinaus

Datum: 14. Februar 2020 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Parteien und Verbände, Rechte Gefahr, Wahlen
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Am 5. Februar 2020 haben CDU, FDP und die AfD einen „Mann der Mitte“ ganz rechts außen zum Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt – für einen Tag. Über den Tag und über Thüringen hinaus ein paar grundsätzliche Gedanken. Von Wolf Wetzel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Seit dieser Wahl ist je nach Präferenz vom „Tabu- und/oder Dammbruch“, vom „Hauch von Weimar“ die Rede. Andere gehen auf die Straße und skandieren: Alle Demokrat*innen/zusammen gegen den Faschismus.

Wenn man noch halbwegs bei Trost ist, das hilflose Verständnis für irgendeinen Protest (einmal) nicht gelten lässt, dann ist daran mehr falsch als hilfreich.

Einen „Tabu- und/oder Dammbruch” jetzt festzustellen, ist eine ziemliche Verharmlosung dessen, was zu dieser “Koalition der Willigen” geführt hat. Wirklich “neu” ist nur, dass damit etwas sichtbar geworden ist, was sich seit Jahren politisch annähert, was CDU und FDP von der AfD kaum noch unterscheidbar macht:

„Es zeigte sich also in diesem unabgesprochen-abgesprochenen rechten Putsch gegen Ramelow äußerst öffentlichkeitswirksam, was die AfD (…) schon immer war: nämlich nichts weiter als der völkische Flügel von CDU und FDP.“ (Marc Britz, Rationalgalerie vom 9. Februar 2020)

Auch der „Hauch von Weimar“ produziert mehr Nebel als Erkenntnis, wenn man nicht genau sagt, was die heutigen Zustände mit den “Weimarer Verhältnissen” gleich oder ähnlich macht. Immer nur geschichtsbewusst zu tun, ohne genau zu erklären, was damit gemeint ist, ist ermüdend.

Und auch der Kampf “aller Demokrat*innen” gegen den Faschismus, der jetzt alle zusammenbringen soll, ist im doppelten Sinne irreführend und sträflich:

Erstens handelt es sich um keinen Faschismus, gegen den man jetzt aufstehen muss. Wäre es so, wären diese Aufrufe hilflos und viel mehr als zu spät. Wenn man den Weg, die Wegbereiter des Faschismus nicht genau benennt, nimmt man sich alle Möglichkeiten, ihn zu bekämpfen, bevor er an die Macht kommt. Das setzt voraus, nicht ständig die Totenglocken zu läuten, die übertönen sollen, dass man jetzt sehr viel tun kann, anstatt zum x-ten Mal vor dem Schlimmsten zu warnen. Viel glaubwürdiger wäre, sich jetzt zusammenzutun, um das zu bekämpfen, was dem Allerschlimmsten vorausgeht, was ihm parteipolitisch und ideologisch den Weg ebnet.

Dann wäre auch der blasse und geschichtslose Ruf nach “allen Demokrat*innen“, die gemeinsam den Faschismus verhindern sollen, endlich vom Tisch. Denn “die Demokraten” haben doch in den 1930er Jahren gezeigt und zeigen es 2020 noch einmal, wozu sie bereit sind, wenn sie an der Macht bleiben wollen.

Warum wird nicht eine Debatte darüber geführt, dass man diesen “Offenbarungseid” in Thüringen zu einer großen politischen Offensive nutzen könnte? Eine Chance, die kaum besser sein könnte als jetzt. Warum ist es so still in der Linken, bei allem kurzzeitigen Lärm auf der Straße?

Es gäbe jetzt doch die politische Chance, die Paar-Prozent-Partei FDP ins Grab, also unter die 5-Prozent-Hürde zu stoßen! Dasselbe gilt für die CDU, die bei diesem Coup mitgemacht hat. Man könnte ihnen ihren scheinheiligen Kampf gegen den “Rechtspopulismus”, gegen den “Rechtsextremismus” um die Ohren schlagen, man könnte sie aus ihrer imaginierten “Mitte” herausjagen!

Stattdessen will die parlamentarische LINKE mit der CDU darüber diskutieren, dass sie die rot-rot-grüne Landesregierung nun unterstützen, „dulden“ muss und darf. Schließlich hat man jetzt die CDU ein wenig in der Hand, denn diese hat vor allem Angst, bei Neuwahlen noch mehr zu verlieren. Also will man jetzt ein Agreement mit ihr und muss sie – ohne es offen so zu sagen – politisch davonkommen lassen.

Und genau das deutet sich mit aller Geschichtsvergessenheit an: Wieder werden „alle Demokraten“ zusammengetrommelt, um nun gemeinsam den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Die Aufrufe sind laut, sofort aufzuhören, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Man müsse nach vorne (also endlich weg-) schauen und einen „vernünftigen“ Weg finden. Jetzt könne es nur noch darum gehen, zumindest die Kerzen auf dem Kuchen auszublasen, auf einem Kuchen, den CDU, FDP und die AfD zusammen gebacken haben. Im Zuge dieser „Schwamm-drüber-Stimmung“ wird die Partei „DIE LINKE“ dazu ermahnt, wieder lieb zu sein, den Seitensprung einfach mal zu vergessen, um so zu einem Agreement zu kommen.

Und was macht die außerparlamentarische „Linke“? Das Unteilbar-Bündnis ruft zu einer bundesweiten Demonstration 15. Februar 2020 in Erfurt auf:

„Der 5. Februar 2020 markiert einen Tabubruch. CDU und FDP haben gemeinsam mit der extrem rechten AfD in Thüringen einen Ministerpräsidenten gewählt – allen vorherigen Versprechen zum Trotz. Auch nach Kemmerichs Zurückrudern ist klar: Die Brandmauer gegen die Faschist*innen hat einen tiefen Riss. Innerhalb von FDP und CDU gibt es die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der AfD.

Wir sind zutiefst empört. Die Konsequenz für alle Demokrat*innen muss sein: Mit der AfD darf es keine Kooperation geben – nicht im Bund, nicht in den Ländern und nicht auf kommunaler Ebene!“

Geht es noch allgemeiner, geht es noch verschwommener? Warum fehlt jedes Wort, jeder Gedanke dazu, wie man heute Antifaschismus jenseits parlamentarischer Arithmetik und machtpolitischem Kalkül versteht und in einer Praxis sichtbar macht?

Warum stellt man nicht den gerade stattgefundenen Parlamentscoup in eine Reihe mit Ereignissen, die für die letzten Jahrzehnte markant und prägend sind? Das hieße, über eine CDU zu reden, die in den Pogromen der 1990er Jahre viel verständliche Wut gegen die selbst imaginierte „Asylantenflut“ entdecken konnte, die diese rassistische Stimmung buchstäblich zum Erfolg führte, als sie an vorderster Front für die Abschaffung des Asylrechts warb. Warum erwähnt man nicht, dass die Verstaatlichung der Pogromstimmung mit allen Parteien der „Mitte“ – mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament durchgesetzt wurde? Warum bringt man nicht in Erinnerung, dass genau in dieser staatlich behüteten Atmosphäre der „Thüringer Heimatschutz“ entstanden ist, aus der die neonazistische Terrorgruppe NSU hervorgegangen ist? Warum konfrontiert man nicht die Scheinheiligen damit, dass der Verfassungsschutz (gerade in Thüringen) einen Escortservice für Neonazis im Untergrund organisierte, mit dem „Präsidenten“ Helmut Roewer (von 1994 bis 2000 Chef des Verfassungsschutzes in Thüringen) an der Spitze, der vielmehr den Namen „Pate“ verdient? Warum zeigt man nicht die Wut darüber, dass es den „Verfassungsschutz“ bis heute in Thüringen gibt, obgleich seine Abschaffung im Programm der Partei DIE LINKE „versprochen“ wurde? Warum wundert es einen also, wenn aus alledem die AfD erwächst, je mehr über all diese „Verstrickungen“, also Zusammenhänge geschwiegen wird?

Ist das alles, was man aus dieser Situation machen kann? Wie oft wird man eine solche Gelegenheit noch haben?

Die Koalition der Willigen

Die „Koalition der Willigen“ aus CDU, FDP und AfD bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen böte noch eine weitere satte Chance, mit einem unerträglichen „Konsens der Demokraten“ aufzuräumen. Seit Jahrzehnten propagieren CSU/CDU bis hin zur SPD einen gemeinsamen Kampf gegen „Rechts- und Linksextremismus“. Was über die Jahrzehnte wechselte, war das, was man für „rechtsextrem“ oder „linksextrem“ hielt und hält: In den 1960/70er Jahren stand für „rechtsextrem“ die NPD und als „linksextrem“ galt alles, was man mit der 68er Revolte in Verbindung bringen wollte. In den 80er Jahren füllte man die Extremismus-Formel mit der Partei „Die Republikaner“ und mit „Autonomen“. Heute füllt man diese Formelförmchen mit der AfD (für „Rechtsextremismus“) und der Partei DIE LINKE (für „Linksextremismus“). Abgesehen von der Lächerlichkeit dieser Zuordnung, von dem Container-Charakter dieser Begrifflichkeit, ist eines ganz und gar nicht witzig: Diese Extremismus-Formel suggeriert eine Gleichheit von Rechts- und Linksextremismus, ohne auch nur im Ansatz zu begründen, wie man das, was sich im wirklichen Leben unversöhnlich gegenübersteht, mir nichts dir nichts zusammenwerfen kann.

Mit diesem Comic-Wissen haben sich CDU und FDP in Thüringen getroffen und verstanden, ein Comic-Wissen, das Maximilian Fuhrmann, Referatsleiter für Wohnungs- und Verbraucherpolitik beim Bundesvorstand des DGB, so beschreibt:

„Christdemokraten und Liberale generierten sich als bürgerliche Kräfte, mit Brandmauern gegen die Ränder von rechts und links. Hinter einer Mauer sitzt demnach ein Faschist mit völkischen Gesellschaftsvorstellungen, hinter der anderen Mauer ein abgewählter Ministerpräsident, der fünf Jahre lang eine pragmatische sozialdemokratische Politik verfolgt hat.“ (Wir müssen endlich aufhören, Linke und Nazis gleichzusetzen, (tagesspiegel.de vom 10. Februar 2020)

Diese Extremismus-Formel galt als Taschenrechner für die „Berufsverbote“. In der CSU/CDU gibt es auf Bundes- und Landesebene ein Verbot, mit der AfD und der Linkspartei zusammenzuarbeiten. In der SPD gilt der Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Partei DIE LINKE noch auf der Bundesebene.

Diese Extremismusformel hat noch eine weitere wichtige Funktion. Man generiert damit eine „bürgerliche, demokratische Mitte“, die es gegen alle Anfeindungen und Gefahren von rechts und links zu verteidigen gilt. Zeitlos könnte man also sagen: Die Demokraten stehen in der Mitte als die Guten und wehren sich gleichermaßen standhaft gegen Faschismus und Kommunismus/Sozialismus, also die Bösen. So generiert man eine „Äquidistanz“ zu beiden „Extremen“ und stellt damit ganz nebenbei die (Entstehungs-)Geschichte des deutschen Faschismus, die Rolle der bürgerlichen Parteien der „Mitte“ auf den Kopf.

Was als Lehre aus der deutschen Geschichte verkauft wird, ist vor allem eine groß angelegte Vertuschungsarbeit all der bürgerlichen Parteien, die in der Weimarer Republik dem Faschismus den Weg geebnet, der NSDAP zur Macht verholfen und sich am Ende mit ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz 1933 selbst liquidiert hatten.

Der Versuch, die Linke, damals in Gestalt der KPD, für den Siegeszug der NSDAP verantwortlich zu machen, hat heute seinen kleinen Bruder in Thüringen gefunden. Dort versuchte man, der LINKEN die Schuld für diesen Parlamentsputsch in die Schuhe zu schieben. Schließlich hätten sie nicht genug geboten, um sich im dritten Wahlgang die Neutralität von CDU und FDP zu „verdienen“.

Tatsächlich wurde mit diesem Debakel nur sichtbar, was seit Jahrzehnten Grundkonsens der „Mitte“ ist: Wenn es darauf ankommt, entscheidet man sich „rechtsextrem“, auf jeden Fall gegen links.

Das hat in den 1930er Jahren zum Aufstieg der NSDAP maßgeblich beigetragen und dieselbe Haltung hat zum Coup mit der AfD geführt. Der Faschismus ist nicht gegen die “bürgerliche Mitte”, sondern mit ihrer Hilfe an die Macht gekommen. Das zeigt die Geschichte der NSDAP und das wird auch beim Aufstieg der AfD eine entscheidende Rolle spielen.

Dazu gehört auch eine Extremismustheorie, in die ein Geschichtsbild eingeschweißt ist, das die Bedingungen für einen Aufstieg, für einen Sieg des Faschismus zum Verschwinden bringt. Sie heute jenen um die Ohren zu schlagen, die gerade einen Vorgeschmack auf das gegeben haben, was die Melange aus bürgerlicher Mitte und Faschismus ausmacht, ist allerhöchste Zeit.

In dem bereits erwähnten Beitrag: Wir müssen endlich aufhören, Linke und Nazis gleichzusetzen kommt Maximilian Fuhrmann zu dem Schluss:

„In der Rede von der guten Mitte und den bösen Rändern bliebt völlig unterbeleuchtet, was die Mitte gut und was die Ränder böse macht. Es ist eine leere Formel, unabhängig von Kontext und Inhalt. Und mit dieser Formel kamen CDU und FDP in Thüringen zu dem Schluss, es sei das kleinere Übel, mit einem Faschisten zu paktieren, als einem sozialdemokratischen Linken-Politiker durch Stimmenthaltung ins Ministerpräsidentenamt zu verhelfen.“ (tagesspiegel.de vom 10. Februar 2020)

Wenn man sich darin einig wäre, dann wäre ein offensiver Umgang mit diesem Parlamentscoup eine wirklich befreiende Antwort. Das würde nicht nur der AfD den Nimbus einer Anti-Establishment-Partei rauben. Man würde endlich eine linke Alternative sichtbar machen, die die Fragen aufgreift, die mit diesem Coup verbunden sind, anstatt das Ganze in Sondierungsgesprächen abzulöschen.

AKK wirft das Handtuch – in welche Richtung?

Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte wenige Tage nach dem Rücktritt des Einen-Tag-Präsidenten Thomas Kemmerich (FDP) ihren Rückzug an. Sie wolle nicht länger Kanzlerkandidatin der CSU/CDU sein und auch den Parteivorsitz abgeben. Man darf ihr dabei durchaus Weitsicht unterstellen: Die CDU sitzt in der selbstgebastelten Extremismusfalle fest. Gerade mit Blick auf den Zustand der Ost-CDUen hat die CDU unter den gegebenen Machtverhältnissen nur zwei Optionen: Die erste ist, sich an den Extremismusbeschluss zu halten und damit auf absehbare Zeit für Regierungsgeschäfte auszufallen. Das ist so gar nicht attraktiv und auch der Grund für diese „Minirebellion“ der CDU in Thüringen. Die zweite Option ist machtpolitisch naheliegend: Man schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr aus … und stellt sich damit selbst vom Platz der „Demokraten“.

Das Gegenteil von der sehr beliebten win-win-Situation, also ein echtes Dilemma: Wie kommt man an das (Wähler-)Potential der AfD heran, ohne mit ihr zu koalieren? Wie bekommt man ein Kind, ohne schwanger zu werden?

Wenn man klugen Analysten folgen kann, ist folgendes Szenario recht wahrscheinlich: Man rückt die CDU ideologisch ganz nahe an die AfD heran, macht AfD-Light-Politik und hofft so, Stimmen und Stimmungen zurückzugewinnen. Der dafür bestens geeignete Mann wäre demnach Friedrich Merz: Ein arroganter machtbesessener Reaktionär, der ideologisch das abdeckt, was die „Werteunion“ fordert, ohne ihr selbst anzugehören. Er hat ja schon seine „Heimat“ als Vorstandsmitglied der „Atlantik-Brücke“ und (ehemaliger) BlackRock-Aufsichtsratsvorsitzender.

Dass man mit der Übernahme reaktionärer, rassistischer Positionen „rechts von einem selbst“ diese nicht auflöst, sondern darin bestärkt, noch mehr „Höcke“ zu zeigen, belegt nicht nur die Geschichte der AfD, sondern auch die aller (post-)faschistischen Parteien.

Schläft der Verfassungsschutz in Thüringen offenen Auges?

Und noch eine Frage sollte man am Schluss stellen. Der Verfassungsschutz wurde von der rot-rot-grünen Regierung nicht abgeschafft. Das Personal ist dasselbe, das jahrelang von CDU-Regierungen geführt wurde. Wenn das so ist, stellt sich doch die spannende Frage: Was weiß der Verfassungsschutz in Thüringen über die Partei AfD, deren Chef ein Faschist ist? Überwacht der Inlandgeheimdienst die AfD oder berät er sie wie der damalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Hans-Georg Maaßen? Setzen sich die Pannen personell und ideologisch einfach fort oder wusste der Verfassungsschutz (nichts) von dem Treffen der Koalitionäre der Willigen in einer Gaststätte in Erfurt, ein gemeinsames Treffen von CDU- und AfD-Vertretern, von dem Bodo Ramelow bei „Maischberger. Die Woche“ am 12. Februar 2020 gesprochen hat?

Quellen und Hinweise:

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