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Titel: Leserbriefe zu „Sterbehilfe: Ein sehr gutes Urteil“

Datum: 1. März 2020 um 13:30 Uhr
Rubrik: Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgerichtshof, Gesundheitspolitik, Leserbriefe, Wertedebatte
Verantwortlich:

Zu dem Artikel „Sterbehilfe: Ein sehr gutes Urteil“ gab es Zuschriften mit sehr unterschiedlichen Positionen. Wir geben einige der Briefe hier wieder. Zusammengestellt von Redaktion.

1. Leserbrief

Liebes Team,

danke für den Artikel von Tobias Riegel über das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Sterbehilfe.
 
Auch ich habe mich sehr gefreut, dass nun für alle betroffenen Menschen, ob nun Schwerstkranke und deren Angehörige oder Ärzte und Pflegepersonal Klarheit geschaffen worden ist. Jetzt können alle beruhigt leben, weil sie wissen, dass den Kranken, denen sie beistehen – wenn es denn soweit ist und das Leben nur noch reine Qual und Schmerz ist – geholfen werden darf. Denn auch die Helfer leiden mit, wenn sie hilflos zusehen müssen, wie ein Mensch elendig sterben muss, oftmals bei klarem Bewusstsein und unter unfassbaren Schmerzen.
 
So verstehe ich das Verhalten derer nicht, die noch immer unverbesserlich das alte System von Qual und Leid für das Bessere halten und meinen, dass nun ein Ansturm auf diese Hilfen losbrechen würde. Woher kommt diese Fantasie, frage ich mich, denn nichts spricht dafür, dass es so sein wird, weil es vorher auch nicht so war. Sie tun so, als würde sich jetzt die professionelle, passive Sterbehilfe zu einem  „bandenmäßigen“ organisierten Geschäft entwickeln. So was ist gemein und unterstellt allen ehrlichen, mitfühlenden Helfern bösartige Verbrechen.
 
Dass es die sog. „aktive Sterbehilfe“ Euthanasie, die mit einer Spritze  oder Infusion., hier nicht geben darf, ist manchen im Ausland, wie in Holland, unverständlich.
 
Ich denke, als ich damit in den Niederlanden konfrontiert wurde, dass das ein Überrest aus der Nazidiktatur ist, als alle dem System nicht passenden Menschen, insbesondere Menschen jüdischen  Glaubens, per Euthanasie , was „schönes Sterben“ heißt, GEGEN ihren Willen sogar fabrikmäßig in Konzentrationslagern vergiftet oder vergast, kaltblütig ermordet wurden. Was  Euthanasie genannt wurde war in Wahrheit ein Massenmorden auf Befehl eines Politikers, der sich Führer nannte, und dem blind gehorcht wurde.
 
Damit hat das Wort „Euthanasie“ einen Makel bekommen, der ihm immer noch anhängt, aber nicht verdient hat.

Es wird Zeit, dass wir auch diese Verbrechen, die im medizinischen Bereich stattfanden, aufarbeiten, damit diese Fantasien, die jetzt bei einigen bei der passiven Sterbehilfe auftauchen, der Boden genommen wird.
 
Kein Mensch oder Politiker der Welt hat ein Recht über Leben oder Tod eines anderen Menschen oder Gruppen zu bestimmen. Und dennoch passiert es in Kriegen millionenfach, dass Menschen auf Befehl und einem Militär in Angriffskriegen durch Bomben oder Drohnen massenweise getötet werden. Warum ist der Widerstand in der Politik selbst gegen diese illegalen Massentötungen so gut wie nicht vorhanden? Warum wird das immer noch gemacht und gut geheißen?
 
Beide Themen gehören auf irgendeine Art zusammen. Das Eine ist auf eigenen Wunsch, individuell in Richtung Freiheit und Selbstbestimmung wie in Demokratien. Das Andere gegen eigenen Wunsch, das Individuelle wird negiert in Richtung Masse, Unfreiheit und Fremdbestimmung wie in Diktaturen. Die deutsche Politik muss jetzt anfangen zu überlegen, wo sie in Wahrheit steht und eindeutig werden. Das BVerfG hat gezeigt, wo es langgeht.
 
Beste Grüße
K.S.


2. Leserbrief

Sehr geehrte NachDenkSeiten!

Damit Sie meine Position verstehen können müssen Sie wissen, dass ich Moral so verstehe: “Logik muss nicht moralischen Grundsätzen folgen; doch Moral muss den Grundprinzipien der Logik folgen um nachvollziehbar zu bleiben.”

Ich kann nur vermuten, dass aus diesem Verständnis heraus Kant die Rechtsprechung formulierte. Dabei haben wir noch nicht einmal im Ansatz begriffen: “Was ist eigentlich Leben?” Wann beginnt es? Wann endet es? Was bedeutet es?

In unserem Zeitalter jedenfalls wurden einige sehr fragwürdige Entwicklungen in die Wege geleitet. Die Nichtigerklärung des Verbots der “geschäftsmäßigen Sterbehilfe” ist eine davon, da es dem Prinzip des “Rechts auf Leben” widerspricht. Davon ausgehend dass Sterben das Gegenteil von Leben ist: Wie kann das Recht auf Leben ein unveräußerliches Gut sein wenn Sterbehilfe gut ist? Erkennen Sie den widerspruch?

Besonders problematisch ist dabei das Adjektiv “geschäftsmäßig”, da es mehrere Bedeutungen haben kann(1):

  • Geschäftlich
  • Objektiv
  • Kühl

Da ich davon ausgehe, dass weder “Objektivität” noch “kühle Nüchternheit” gemeint sind, kann das nur eines bedeuten: Sterben wird zu einem Geschäftsmodell. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie sich widersprechen, wenn Sie auf der einen Seite die Ökonomisierung aller menschlicher Lebensbereiche bejammern und auf der anderen Seite Euthanasie als Geschäftsmodell bejubeln?

Mir geht es nicht darum den Menschen die selbstbestimmt sterben möchten, diese Selbstbestimmung abzusprechen. Doch dafür ist die aktuelle Gesetzgebung ausreichend, da sterben privatsache zu sein hat. Rechtsverfügungen, wie bspw. das Abschalten “lebenswichtiger Maschinen” wie z.B. Beatmungsgeräte, muss man zu seinen Lebenszeiten in Anspruch nehmen um im schlimmsten Fall gewappnet zu sein.

Wenn man einmal einen Schritt in Richtung Verrechtlichung der Euthanasie macht, folgen weitere Schritte die nicht konsequent zu Ende gedacht worden sind: Was ist mit Menschen die für Unzurechnungsfähig erklärt worden sind und der Vormund beschließt, die Verrechtlichung der Euthanasie für die betreffende Person in Anspruch zu nehmen?

Ich finde befremdlich so einen Artikel bei den NachDenkSeiten zu lesen und kann nur hoffen, dass es der Naivität des Autors geschuldet ist, dass er so leichtfertig und tendenziös über ein so heikles Thema zu schreiben. Ich hätte mir so etwas eher von einem Grünen erwartet, da die Grüne Partei ein Wiedergänger der NSDAP ist, die sich die Themen von Eugenik, Euthanasie, Zucht und Rasse “bewahrt” haben, nicht aber von einem selbsterklärten Linken.

Mir ist bewusst, dass meine Wortwahl hart ist. Fassen Sie es bitte nicht als Beleidigung auf.

Mit freundlichen Grüßen,
D.J.

Anmerkung Tobias Riegel: Der Ausdruck „geschäftsmäßig“ hat – im Sinne des Urteils – eine andere Bedeutung. Im Sinne des Verfassungsgerichts bedeutet es (wie dies auch im Artikel beschrieben ist) „auf Wiederholung angelegt“: Die Vokabel „geschäftsmäßig“ hat also im Kontext der Sterbehilfe zunächst nichts mit Geld, Kommerzialisierung oder einem „Geschäftsmodell“ zu tun. Unzurechnungsfähigkeit muss von der Sterbehilfe ausschließen, wie andere Kriterien auch, die im Artikel beschrieben sind.


3. Leserbrief

Das Urteil des BVG kann ich nur begrüßen und ich hoffe, dass die selbsternannten Lebensbewahrer in der Politik, für die Menschenwürde im Rahmen ihrer neoliberalen Politik kein Thema ist, dieses Urteil umsetzen werden. Während meiner Tätigkeit in der Sterbebegleitung im Hospiz bin ich immer wieder mit der Frage der Sterbehilfe konfrontiert worden. In der Sterbebegleitung war für Sterbehilfe kein Raum, zumal Hospize in den allermeisten Fällen von kirchlichen Trägern unterhalten werden und das Thema nicht diskutiert wird. Im Grunde aber war und ist die Debatte scheinheilig, weil die Palliativmedizin, wenn auch grenzwertig, in vielen Fällen eben auch eine Form der Sterbehilfe darstellt. Die Gabe von Sedativa und Schmerzmittel kann dosisabhängig auch den Tod herbeiführen. Allerdings kann sich der Arzt dann hinter dem Begriff palliativ verstecken. Machen wir uns also in diesem Punkt nichts vor.

Während meiner Zeit in der Notfallmedizin hatte ich unzählige Fälle von Suizid. Diese Menschen, die sich dafür entschieden hatten, aus dem Leben zu scheiden, wurden dann von uns zurück geholt, wobei wir die Folge dauerhafter z.B. Hirnschäden billigend in Kauf nahmen. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob wir das Recht haben, den Willen des oder der Betroffenen zu ignorieren und zu reanimieren um jeden Preis. Aber genau an diesem Punkt muss die Diskussion um die Sterbehilfe mit der Frage nach ärztlicher Hilfe bei vollendetem Suizid weiter geführt werden und der Begriff der unterlassenen Hilfeleistung neu definiert werden, sonst ergibt sich hier ein Widerspruch zum Urteil des BVerfG.

H.L.


4. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Riegel,
 
vielen Dank für diesen deutlichen Beitrag. Der mehrfach genutzte Begriff „anmaßend“ trifft die Haltung der Bundestagsmehrheit ins Mark. Auch nach diesem Urteil ist kein Bedauern zu erkennen. Immerhin hatten die 360 Abgeordneten damals den Boden des „verehrten“ Grundgesetzes verlassen. Vor der Geburt und kurz vorm tod mischt sich der Christ kräftig ein. Dazwischen wird der Mensch genutzt, denn der Christ mutiert zum Neoliberalen, wenn es um die Lebenden geht. Ich fürchte, der Christenminister wird den Sterbewilligen mit Beratungspflicht und Wartezeit große Steine in den Weg legen. Dabei kann jeder Tag Verlängerung zur Qual werden. Zwei Kläger erlebten dieses Urteil nicht mehr. Mit solchen Schicksalen spielen diese „Heiligen“.
 
Viele Grüße sendet T.P.


5. Leserbrief

Zum heutigen Urteil des BVG zur Sterbehilfe:

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der “geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung” in Paragraf 217 Strafgesetzbuch für nichtig erklärt. Der Staat und die Gesellschaft müssen akzeptieren, wenn Einzelne nicht mehr leben wollen. (ARD Homepage, 26.2.2020)

Stellungnahme:

Diese Stellungnahme beruht auf der bisher veröffentlichten Urteilsbegründung nicht auf einer Auseinandersetzung mit dem Urteilstext im Ganzen. Es ist insofern eher eine Momentaufnahme – und formuliert einige erste These, die sicherlich einer Überprüfung bzw. Erweiterung bedürfen.

Das Urteil des BVG öffnet die Tür zum Geschäft mit dem Tod. Es ist keine richterliche Sternstunde sondern eher ein Affront für die Gewaltenteilung.

Ich beobachte mit einer großen Sorge das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es geht von einem aus der Menschwürde abgeleiteten freien Willen des Menschen aus, der unbedingt zu beachten sei und letzter Maßstab ist.

Das Urteil setzt die Freiheit des Individuums über die staatliche Instanz und über seine gesellschaftliche Beziehung. Es drückt einen verabsolutierten Individualismus aus, der über die gesellschaftliche Dimension von Individualität hinwegsieht.

Aber: Der Mensch ist Individuum und Herdentier zugleich. Er wird erst durch das Du zum Ich (Martin Buber) – beginnend mit der kindlichen Erfahrung bis hinein in das hohe Alter. Er ist ein „homo sociologicus“ (Ralf Dahrendorf), ein durch die Gesellschaft bedingtes Wesen.

Das menschliche Leben ist zwar staatlicher Verfügung grundsätzlich entzogen, der Staat, die Gemeinschaft sollte aber davon geprägt sein, dass das Leben ein schützenwertes Gut ist, das manchmal auch in Grenzsituationen dem „Individuum“ entzogen ist. Der Staat ist auch immer ein „Gegenüber“ – für den Einzelnen.

Zu Recht verweist das Gericht darauf, dass die Freiheit des Einzelnen auch die Möglichkeit zu einem der Freiheit entsprechenden Akt gegenübersteht. Falsch jedoch ist es aus diesen von der gesellschaftlich vermittelten „Möglichkeiten“ auch darauf zu schließen, dass die Gesellschaft diese Möglichkeiten auch wirklich bereitstellen müsste, bzw. jede Möglichkeit (insbesondere die geschäftsmäßige) erlauben müsste. Die Gesellschaft, die Gemeinschaft ist nicht prinzipiell dazu verpflichtet allen Freiheiten der Menschen auch allen ihr entsprechenden Möglichkeiten bereitzustellen.

Das Urteil des BVG geht auch von einer sehr umfassend und idealistisch gesehenen Verfassung des menschlichen Individuums und seiner „Freiheit“ aus. Die Wirklichkeit der individuellen Freiheit, die ja eben letztlich auch nur im Umfeld mit der Gesellschaft und den Außenbedingungen zur „Freiheit“ und zur freien Wahl werden kann, ist jedoch vielen Einschränkungen unterworfen. Ich frage mich, wie frei ein „Wille“ eines Menschen ist, der Leidensdruck (psychisch oder physischer Erkrankung) oder gesellschaftlichem Druck ausgesetzt ist. Erkrankung ist per se eine „Beeinträchtigung“ der Freiheit. Sie ist per se ein Zwang, dem ein Mensch unterworfen ist – die letztlich bis hin zu einer Vergewaltigung der „Freiheit“ des Menschen führen kann- bis dahin, dass er sich in seiner Würde beeinträchtigt sieht. Es ist menschlich entwürdigend, alt, krank, gebrechlich oder dement zu werden, weil Alter und Krankheit und letztlich der Tot, das Ende von eben dieser Freiheit und „Würde“ bedeuten. Wobei auch hier gilt – es ist gerade die Freiheit des Menschen jene, die sich über diese entwürdigenden, freiheitsberaubenden Bedingungen hinwegsetzt und in paradoxer Weise ein Leiden und Leben und Sterben in höchster „Freiheit“ (oft vermittelt durch oder versanden als „Transzendenzerfahrung“) ermöglicht.

Zwar ist anzuerkennen, dass das Individuum und das individuelle Erleben letztlich dem „Verständnis“ des Anderen entzogen ist (individuum est ineffabile). Der Mensch steht in einer autonomen Einzigaritkeit und Entzogenheit und Individualität in der Welt. Insofern ist dieser Wille des Menschen immer letztlich zu achten und letztentscheidend.

Andererseits aber ist der Mensch eben immer schon ein gesellschaftliches Wesen, von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt und ein „Gewordener,“ ein Geworfener (Heidegger). So kann es dazu kommen, dass Menschen, ihre „Entscheidung“ als eine freie, ureigene betrachten, diese aber letztendlich einem Über-Ich, einer gesellschaftlichen Mode, einer Konvention, einem Zeitgeist entsprungen sind und nur diese reflektiert. Es gibt das Autonome Subjekt in seiner völligen Autonomie, so wie es der Annahme des Urteils des BVG unterstellt/voraussetzt nicht. Der freie Wille ist immer auch ein durch die Umstände bedingter und (gesellschaftlich/zeitgeistlich) vermittelter freier Wille. Je höher dieser Druck – etwa das psychische oder physische Leiden sind – desto weniger „frei“ ist der Wille. Je älter und gebrechlicher ein Mensch wird, desto mehr fehlen ihm (etwa wenn noch Demenz hinzukommt) die Freiheit, seine Möglichkeiten und Wirklichkeit zu übersehen und dieser entsprechend zu handeln. Es gibt auch den „eingetunnelten“ freien Willen, wo ein Mensch nur noch den Tod als letzte Möglichkeit sieht und wünscht. Diesem „eingetunnelten“ Willen das Andere des Du, der Gesellschaft entgegenzusetzen ist sozusagen sogar dessen ethische Verpflichtung und manchmal notwendig, wenn anders „Mitleiden“(Sympathein) in seiner heilenden Wirkung nicht völlig aus dem Blick gerät.

Die Kehrseite des Urteils des BVG liegt darin, dass es unter Verabsolutierung der freien Autonomie des Einzelnen möglicherweise einer Gesellschaft das Wort redet, das diese aus ihrer Verantwortung für den Einzelnen entlässt. Ergebnis wäre eine kalte, mitleidslose Gesellschaft, die Leiden versucht weg zu rationalisieren und „geschäftsmäßig zu beenden“. Warum soll ich für einen und um einen depressiv kranken Menschen kämpfen, wenn sein Wille doch letzter Maßstab ist? Wenn sich jemand fallen gelassen, aufgegeben hat, muß ich ihn dann nicht auch fallen lassen? Müsste ich dann als Mitmensch als „Betreuer“, als Verwandter nicht diesem (unfrei) freien Willen nachkommen und ihm die Hoffnung auf einen schnellen und reibungslosen Tot nachgeben und ihm einer „geschäftsmäßig“ auf Reibungslosigkeit und (professionell, geschäftsmäßig, aber zutiefst kalten) Wohlfühlatmosphäre ausgelegten Sterbehilfeorganisation zuführen? Ist das nicht eine zutiefst neoliberal durchdrungene Freiheitsvorstellung, die aus Entsolidarisierung hervorgeht, die in Verantwortungslosigkeit endet und in der zu guter letzt die besten „Marktangebote“ und das persönliche Vermögen (ausgedrückt durch die Münze Geld) letztlich über Leben und Tot eines Menschen entscheiden werden?

Ein letzter Gedanke noch: Die derzeitige Rechtssprechung des BVG ist in sich stringent und konsequent, weil sie auf einem gewissen, stark individualistisch-autonom geprägtem Menschenbild beruht (und vielleicht dem Selbstbild eines von gesellschaftliche Unabhängigkeit und wirtschaftliche Potenz hochdotierten Richters entspricht). Der Pendel zwischen Einzelnem und Gesellschaft schlägt hier stark zugunsten des Einzelnen aus. Die Kehrseiten dieses Denkens werden sich erst in der umgesetzten Praxis erweisen. Es wird, wenn es an seine Grenzen gelangt ist, auch wieder Raum geben für andere Auffassungen, die das Gesellschaftliche Gefüge mehr in den Mittelpunkt stellen.

Gefährlich wird das Urteil aber dann, wenn es ein gesellschaftliches Klima von Beliebigkeit und Verantwortungslosigkeit prägt und von einer neoliberal durchdrungenen Verzweckung und einem Utilitarismus des menschlichen Lebens (und Leidens) angeeignet wird. Dann würde das hohe Lied von der freien Selbstbestimmung und Selbstermächtigung bis in den Tod hinein in einem gesellschaftlichen und menschlichen Fiasko enden. Es wird damit auch zum Ausdruck gebracht, dass unser öffentliches Gesundheitssystem (Krankenhauswesen, Medizin) mehr und mehr als „geschäftsmäßig“ kommerzialisiert wird und nicht mehr als Daseinsvorsorge/Allgemeingut des Staates bzw. der Gemeinschaft gilt. Denn nur so können „Ärzte“ sich durch § 217 gefährdet sehen. Insofern hätte das ursprüngliche Gesetz geholfen das Krankenhaussystem und Ärzte wieder der „Gewinnorientierung“ und Kommerzialisierung zu entziehen. Eine solche Klarstellung würde ermöglichen, dass Krankenhäuser in Notfällen Sterbehilfe leisten können – es würde aber den Suizid einer „gewinnorientierten“ Praxis entziehen. Da das Gesetz aber ausdrücklich eigentlich nur die gewinnorientierte Sterbehilfe ausschließen wollte und Einzelentscheidungen (von Ärzten) durchaus ermöglichte ist es m.E. grundgesetzkonformer, als die jetzige Entscheidung des BVG, die m.E. zu Unrecht davon ausgeht, dass eine „geschäftsmäßige Bereitstellung von suizidalen Mitteln“ die „einzige realistische Möglichkeit“ von Suizid sei. Das ist faktisch nicht wahr. Hier werden „Dritte“ also allgemein umfassend definiert – während im Gesetz „Dritte“ unterschieden wurden – nämlich u.a. nach ärztlichen Einzelentscheidungen nach Angehörigen (für beide wurde Suizidhilfe eben nicht strafrechtlich verfolgt) und gewinnorientierten Suizidorganisationen.

Dieses Urteil könnte auch den Weg dazu ebnen, dass sich der Mensch selbst (in seiner Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit) mehr und mehr abschafft, was ja durch das maschinisiert- technifizierte – digitalisierte Zeitalter Künstlicher Intelligenz und Cyborgs zum Ausdruck kommt. Zynisch gesehen, kann das Urteil auch als Erlaubnis zum Geschäft mit dem Tod (und als Kommerzialisierung des Todeswunsches) verstanden werden – was dem Grundgesetz grundsätzlich zuwider läuft. Der Gesetzgeber hat m.E. zu Recht versucht dieser „Kommerzialisierung“ einen Riegel vor zu schieben.

Das Urteil ist in sofern ausgewogen, als es den Gesetzgeber darauf hinweist, dass es Leitplanken – also Beratungsvorschriften, Überprüfungen von Organisationen vorschlägt bzw. auf diese Möglichkeiten hinweist. Wobei eine weitere „Bürokratisierung“ des Sterbens und des Todeswunsches letztlich auch wieder in einem die menschliche Freiheit und Unverfügbarkeit zuwiderlaufendem System bürokratischer Akte enden kann (wie dies seinerzeit mit der „Gewissensprüfung“ der Kriegsdienstveweigerung geschehen ist). Und es bleibt die Frage, ob die kalte kapitalistische Profitlogik wirklich, wie die Verfassungsrichter meinen, „geregelt“ bzw. „gezähmt“ werden kann und nicht letztlich zu einem System wird, das tötet (Papst Franziskus).

Bonn 26.2.2020
S.H.


6. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Riegel,

die Probleme liegen auch woanders. Jahrelang haben die Krankenkassen den Begriff “Aktive Sterbehilfe” durchgekaut, um Patienten loszuwerden, mit denen man keinen Profit mehr erzielen kann. Man gab es auf, weil man keinen Weg fand, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Der nächste Tenor lag bei “sozialverträglichem Frühableben”, was ebenfalls zu keinem Ergebnis führte. Man hat lediglich dafür “gesorgt”, das beim Arzt, Facharzt so wenig wie möglich gemacht wird. Stellen sie sich vor sie gehen mit einer blutigen, eitrigen Entzündung im Mund zum Zahnarzt und der macht nur eine Mund Spülung, keine Diagnose, keinen weiteren Termin. Beim Hausarzt sieht es genauso aus. Genau den “Status” habe ich wie unzählige Andere auch. Arzthopping ist für Kranke und Alte ein Unding und so geht man nicht mehr zum Arzt. Man verreckt irgendwie halt zu Hause.

Wo ist das Problem bei der Sterbehilfe? Beispiel: “Wieso sollte es Sie interessierten, das ich in einer Woche sterben will? Wir kennen uns als Menschen nicht und ich bin ein Niemand.” Beim Arzt bin ich meist sauer: “Entweder kriege ich Hilfe, oder sie leiten mein Sterben ein.” Das Ende vom Lied ist “unhuman” aus der Praxis entfernt zu werden. Man kann heute nicht Human leben, kein Schwein hilft einem, Humanes Sterben ist auch nicht drin, wegsehen und sich nur um den eigenen Mist kümmern ist ja Gesellschaftsfähig. Im Stich lassen ist die bessere Alternative zur Sterbehilfe? Das ist so als hängt man jemand an einen Baum und geht einfach weg, verrecken kann er schon alleine irgendwie ?!

Je mehr sich heute entscheiden “zu gehen” umso besser für die Anderen. Wo sind hier die Mächtigen der Welt, die sogenannte Elite, die angeblich alles steuern und bestimmen? Wieso wird es nutzlosen Menschen wie mir, das sind Millionen, so schwer gemacht zu gehen? Das ergibt doch keinen Sinn. Wenn ich abtreten will, schneide ich also meine Halsschlagader durch. Meine Leiche, wird trotz gesetzlicher Betreuung, erst im verwesten Zustand gefunden. Was stimmt daran nicht? Das uns das Leben und der Tod von anderen Menschen, sogar Nachbarn doch völlig schnuppe ist.

Könnte jeder in seinem Dorf, Stadt zu einer “Institution” gehen, wo man ihn um die Ecke bringt, würde das rege Nutzung finden. Schon jetzt sind 60 % weltweit “sterbewillig”, im Alter von Jung bis alt. Wären die nun von heute auf Morgen weg, würde sich jedoch eine dicke Lüge in unseren System offenbaren. Die würde Menschen wie ihnen übel aufstoßen, besonders den humanitären Heuchlern, denn die heutige Wahrheit von Human, Ethik & Co liegen ganz woanders.

Auf dieser sollten sie mal gründlich herumreiten, ich bin sicher sie erfahren äußerst interessante Fakten. Es ist grotesk, wir morden weltweit skrupellos Millionen, verdienen damit Milliarden und heulen bei ziviler Sterbehilfe? Der Mensch ist doch ein völlig problemloser, nachwachsender Rohstoff. Was also läuft denn hier wirklich?

Mit freundlichen Grüßen
F.B.


7. Leserbrief

Ich entnehme der Überschrift des Artikels von Tobias Riegel eine positive Voreingenommenheit. Er schreibt nicht, ein “gutes Urteil” sondern er findet dies ein “sehr gutes Urteil”. Was an diesem Urteil sehr gut sein soll, ersehe ich aus seinem Artikel nicht, zumal er gegen Ende des Artikel- wenn auch ein wenig zurückhaltend – auf die nicht zu übersehenden “gesellschaftlichen” Risiken hinweist. Ich habe beim Kollegen Riegel schon bei seinem letzten Artikel zum Thema eine Sehnsucht nach  “Selbstbestimmung” wahrgenommen.

Ich bedaure dieses Urteil “sehr”, weil ich glaube, das hier eine Tür geöffnet wird, die sich nie mehr schließen lässt. Ich bin Atheist und meine Ablehnung der aktiven Sterbehilfe ist weder religiös noch irgendwelcher Sympathien für die christlich begründeten Ablehnungen geschuldet. Ganz im Gegenteil! 

Ich betreue demenziell erkrankte Menschen und behaupte, dass ich die aktuelle Situation der Pflege stationär sowie ambulant ganz gut kenne und einschätzen kann. Auf den Nachdenkseiten wird ja auch immer wieder recht präzise auf den Pflegenotstand in Deutschland hingewiesen. Wenn es stimmt, dass wie es gestern bzw. vorgestern durch die Medien rauschte, in Deutschland 120.000 Pflegekräfte fehlen, um eine angemessene Pflege der Bedürftigen zu gewährleisten, dann entnehme ich für mich daraus, dass wir ganz andere Probleme gesellschaftlicher Art in Deutschland haben als die der aktiven/passiven Sterbehilfe.

Die palliative Versorgung der Menschen in Deutschland für schwerst- oder todkranke Menschen ist in Deutschland auf einem hohen Niveau, wenn auch noch nicht perfekt. Aus meiner Sicht ist das der richtige Weg im Umgang mit schwerstkranken Menschen und sollte noch weiter ausgebaut werden und vor allem über die Möglichkeiten der palliativen Pflege informiert werden. Es gibt nur eine verschwindend kleine Anzahl von Fällen, in denen die Palliativversorgung nicht für ein weitestgehend schmerzloses und für ein sogenanntes “Würdevolles” Sterben sorgen kann. 

Herr Riegel, den ich als Autor ansonsten sehr schätze, propagiert ein “selbstbestimmtes” Leben und Sterben. Das klingt gut, modern und aufgeklärt, wer möchte nicht “selbstbestimmt” Leben? Wobei wir  uns wahrscheinlich nie auf eine eindeutige Interpretation des schönen Wörtchen “selbstbestimmt” einigen werden, weil fast jeder – und das ist auch richtig so – unter selbstbestimmt etwas sehr individuelles versteht oder möglicherweise unreflektiert Begrifflichkeiten aus den Medien übernimmt. Wie das und warum das funktioniert wissen wir ja alle von Professor Mausfeld. Aber die Sterbehilfe ist weder modern und aufgeklärt. Wenn wir uns die vermeintlich “modernen und aufgeklärten” Länder anschauen, auf die immer hingewiesen wird – oft mit dem Argument “wenn das dort geht,warum nicht auch bei uns?” – nehmen wir vor allem die Benelux-Staaten, die Schweiz in Europa und in den USA weniger als eine Handvoll Staaten an der Westküste wahr. 

Es ist kein Zufall, dass in diesen Staaten historisch gesehen bis zum heutigen Tag ein starker calvinistischer Einfluss herrscht bzw. herrschte. Calvin vertrat neben vielen anderen Thesen die Ansicht, dass ein Leben nur dann ein “Würdevolles” Leben ist, wenn es durch Arbeit, Arbeit und Arbeit Gott dem Herrn geweiht sei. Der Calvinismus war für die Holländer ein Glauben, auf den man sich leicht einigen konnte, weil er half den verhassten Katholizismus der ebenso verhassten Spanier – die Holland beherrschten und unterdrückten-  aus dem Land zu jagen. Für Calvinisten war nur der ein guter Christ, der sein Geld nicht verprasste und sein Leben war nur wertvoll, wenn er es Gott widmete durch ein sehr arbeitsames Leben, weil man sich dadurch den Zugang ins Paradies erhoffte. Wer nicht arbeiten konnte oder wollte, führte aus Sicht der calvinistischen Anhänger ein “wertloses” Leben. Damit fielen Katholiken, andere Protestanten, kranke oder schlicht alte Menschen gesellschaftlich durchs Sieb, weil sie Gott ja nicht mehr genügend durch Arbeit würdigen konnten. Bevor ich Max Webers  “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus” gelesen habe, fand ich in den stark autobiografischen Romanen und Erzählungen von Maarten t`Hart viele Hinweise auf diese Denk- und Lebensweise der Niederländer. Etwas vereinfacht ausgedrückt hielt sich die Trauer über verstorbene Eltern oder Großeltern meist in Grenzen, weil sie ja auf Grund ihres Alters oder einer Krankheit doch kein “gottesfürchtiges Arbeiten” mehr leisten konnten. 

Aus den von den Spaniern beherrschten Niederländern entstanden später auch Belgien und Luxemburg. Wenn man die Schweiz als Wirkungsstätte von Jean Calvin hinzunimmt (wo er in Genf  eine Art “Gottesstaat” errichtete) haben wir einen Bezug zu calvinistischen Ideen, die sich in leicht veränderter nicht religiöser Version z.T. bis heute gehalten haben. (Daher ist für mich die Sterbehilfe indirekt ein calvinistisches Erbe, obwohl Calvin nie Sterbehilfe gefordert hat. Wobei Sterbehilfe sich tatsächlich erst als Idee mit Bezug auf Calvin in kapitalistischen Strukturen etablieren konnte.

Ebenso die US-Staaten wie z.B. der Staat Washington an der Westküste der USA, wohin viele Anhänger des Calvinismus geflohen sind, als sie in Europa ihre Religion nicht mehr ausüben konnten. In all diesen von mir erwähnten Staaten geht man mit Sterbehilfe – ob aktiv oder passiv – relativ locker um wie nirgendwo sonst in dieser Welt! Und alle diese Staaten sind wirtschaftlich gesehen reiche Staaten! Der kalifornische Gouverneur überlegt ebefalls aktuell die Einführung der Sterbehilfe. Der Grund ist profan, ziehen doch nicht wenige sterbewillige Steuerzahler z.B. nach Washington, deren Steuern dann in Kalifornien fehlen.  

Auch wenn die Religion in Holland und den anderen erwähnten Ländern heute nicht mehr diese Rolle spielt, hat sich die Einstellung zum Leben oder Tod unter anderen – hier unter “kapitalistischen” Vorzeichen erhalten! Etwas übertrieben ausgedrückt, nur wer gesund ist und noch arbeiten kann, hat es verdient zu Leben. Nirgendwo sonst in der Welt hat sich die “Sterbehilfe” so durchgesetzt wie in den ehemals stark calvinistischen – heute kapitalistischen – Ländern! Für mich ist die Diskussion um Sterbehilfe nur vordergründig humanistisch orientiert, es ist ein kapitalistisches Phänomen.

Aktuell ist in den Benelux-Staaten ein wachsende Kritik an der Sterbehilfe in der Öffentlichkeit zu vermerken. In Belgien haben “selbstbestimmt” 3 Kinder im Alter von 11-17 Jahren Sterbehilfe beantragt. Verwandte besuchen ihre Angehörigen in Einrichtungen und finden sie nur noch tot vor, weil sie angeblich Sterbehilfe beantragt und erhalten haben. Die vorgesehenen staatlichen Kontrollen funktionieren nur noch zum Teil, es gibt Rücktritte aus den Vorständen der diversen Kontrollorgane, weil die ursprüngliche “Idee” der Sterbehilfe für z.B. todkranke längst ausgedehnt wurde auf depressive Menschen oder z.B. lebenslänglich verurteilte Straftäter, die nicht mehr im Gefängnis sein wollen und ein selbstbestimmtes Leben fordern. 

Spätestens hier sollte bei den Befürwortern des “selbstbestimmten” Lebens und Sterbens ein großes rotes Warnblinklicht angehen. Es hat sich erwiesen, dass in den Benelux-Staaten “selbstbestimmtes” und “würdevolles” Leben ein vollkommen schwammiger Begriff ist. Na klar, wer bestimmt eigentlich darüber, ob das Leben noch “menschenwürdig” oder “selbstbestimmt” ist? Ich kann das nicht und sehe mich auch nicht dazu in der Lage. Was dem einen unerträglich scheint, ist dem anderen kein größeres Problem!

Ich betreue alte Menschen, die fern ab von jeder Religion,ihren Angehörigen nicht mehr zur Last fallen wollen und mir sagen, dass es besser sei, wenn sie bald sterben. Dies obwohl sie körperlich und geistig dem Alter angemessen noch fit sind. Viele der alten Menschen haben Depressionen und die winzigen Zimmer in den Einrichtungen, gestresste und überlastete Altenpfleger verstärken dies  Ist es dann “selbstbestimmt”, wenn sie sich den Tod wünschen, weil sie keine Lebensqualität für sich mehr sehen??

Vor einiger Zeit hatte ich Besuch aus der Türkei. Der Kollege musste mal zur Toilette und wunderte sich dass er für einmal pinkeln gehen bezahlen musste. Da erinnerte ich mich, dass ich bei meinem Besuch in den Städten der Türkei überall öffentliche, kostenlose Toiletten fand. 

In einem gesellschaftlichen System, wo alles kommerzialisiert wird, sogar das pinkeln, wird sich zukünftig ein neues Geschäftsmodell auftun. Anstatt endlich den Pflegenotstand sozial und menschenwürdig zu beheben, gibt es vielleicht bald Zuschüsse seitens der Krankenkasse an die Angehörigen für die Beerdigung der Senioren. Dabei sparten die (oft privaten!) Kassen sehr viel Geld, wenn Senioren oder Schwerstkranken statt ins Hospiz zu gehen zur Spritze greifen! Viele Angehörige sind jetzt schon mit der Pflege hoffnungslos finanziell und auch psychisch überfordert, da ergeben sich doch ganz neue Perspektiven mit erlaubter Sterbehilfe! Sozusagen eine betriebswirtschaftliche Win-Win-Situation für die Überlebenden!! 

Ich meine es nicht zynisch, wenn ich manchmal anzweifle, wenn  bei schwerkranken Menschen gesagt wird, wenn sie sterben, dass es wohl besser für sie gewesen sei zu sterben. Viele der schwerstkranken leben trotz aller Qualen gerne und ich erlebe es oft, dass es eher besser für die Hinterlieben ist, wenn jemand stirbt. Das erleichtert vieles, man muss als Zurückbleibender nicht mehr leiden, wenn man einen geliebten Menschen krank und sterbend sieht. Der Tod ist immer ein Problem für die Überlebenden!

Ich befinde mich in einem ethischen Dilemma. Ich kann einerseits nachvollziehen, das es Einzelfälle gibt, in denen das weiterleben aus gesundheitliche Gründen eine Qual ist und sie sterben wollen. Andererseits will ich keine holländischen oder belgischen Verhältnisse, in denen Kindern das Recht zugebilligt wird, Sterbehilfe einzuklagen und aus der verständlichen Qual für Einzelne direkt Gesetze gemacht werden, die der Willkür Tür und Tor öffnen werden. Selbst die ach so modernen sozial fortschrittlichen Niederländer haben dies nicht geschafft. Ich finde die Diskussion  zur Sterbehilfe von den Befürwortern in Deutschland oft verlogen und geheuchelt und in der Regel unehrlich. 

Das Thema Altersarmut oder Vereinsamung im Alter wird dabei fast immer ausgespart. Die Selbstmordrate in Deutschland sinkt erfreulicher Weise kontinuierlich, nur bei den “Alten” steigt sie immer weiter, besonders bei älteren Männern, die keinen Sinn mehr im Leben sehen. Sind Männer ja auch ein Leben lang dafür trainiert worden, zu arbeiten und die Familie zu versorgen und wenn sie das nicht mehr können…  

Im Oktober 2020 ist in Mexiko ein Treffen der WFRtDS geplant. Die WFRtDS (= The world federation of right to die societies) ist eine weltweite Lobbyorganisation und organisiert alle 2 Jahre einen Weltkongress um für die Sterbehilfe zu werben. Wer die wohl finanziert, konnte ich noch nicht feststellen. In 2018 fand dieser Kongress in Südafrika statt, wo Bischof Tutu sich nicht zu schade war, dort als Redner für die aktive Sterbehilfe zu werben.

Bisher ist aktive Sterbehilfe für mich eine preiswerte Gelegenheit den “Pflegenotstand” schnell und kostengünstig zu beseitigen. Was bei den Nazis noch “unwertes Leben” genannt wurde, läuft bei den Befürwortern der Sterbehilfe unter “Humanes Sterben”. Damit will ich nicht die Befürworter der Sterbehilfe mit Nazis vergleichen, ganz und gar nicht! Aber die Auswirkungen beider Ideen sind ähnlich. Während die Nazis zumindest zeitweise  ohne zu fragen rigoros sogenanntes “unwertes Leben” per Anordnung vernichtet haben, sollen bei den Befürwortern der Sterbehilfe die Betroffenen “Selbstbestimmt” bestimmen dürfen. Die Nazis haben übrigens später aus Imagegründen  diese Maßnahmen wieder eingestellt!

Wobei es für mich weiter zumindest fragwürdig bleibt, ob es unter familiären und gesellschaftliche Druck oder der vorgefundenen Lebensumstände wirklich eine “selbstbestimmte” Entscheidung geben kann. Ich glaube das in den meisten Fällen nämlich nicht! Lasst uns alle intensiver nach Holland und Belgien schauen, um zu sehen, was dort aktuell bei diesem Thema wirklich stattfindet und schiefgeht. Es ist zum Teil haarsträubend! Der Gesetzgeber darf es sich da nicht leicht machen und ungeprüft die zum Teil sehr misslungenen Maßnahmen unserer Nachbarn einfach so übernehmen. Bis es so weit ist, plädiere ich für Aufklärung  und Information der schon vorhanden Möglichkeiten wie z.B. die Unterbringung in einem Hospiz und werbe für mehr Solidarität, Auseinandersetzung, Hilfe und Empathie mit den Pflegebedürftigen im Alltag und im Umgang. Das alleine wird aus meiner Sicht schon viel bewirken können, um das Leben der kranken und Alten erträglicher zu machen.

Mit freundlichen Grüßen
C.H.


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