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Titel: Die Wildwest-Jagd der USA auf die Regierung Nicolás Maduro

Datum: 8. April 2020 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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In weniger als einer Woche verwandelten die USA sich in das Epizentrum der weltweiten Corona-Pandemie. Hauptgrund für die exponentielle Verbreitung des COVID-19 war das erratische Vorgehen von Präsident Donald Trump, von der anfänglichen Bagatellisierung bis zur viel zu späten Umkehrung und dem konfusen Krisen-Management. Von Frederico Füllgraf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der private TV-Sender CNN beschuldigte Trump bereits im März, 33 falsche Angaben zur inländischen Corona-Krise gemacht zu haben. Somit war zwischen Ende März und Anfang April die Zahl der Virus-Infizierten auf über 215.000 und die der Todesopfer auf mehr als 4.500 Menschen in unkontrollierbare Höhe geschossen. Doch ist dies die offizielle Statistik, der seit Ausbruch der Seuche wie in den meisten Ländern nicht getraut wird. Die konservative Wochenzeitschrift The Atlantic warnte bereits Anfang März, dass die tatsächliche Infektionsrate um ein Vielfaches höher liegen müsse.

Kritisiert wurde das Testverfahren der Centers for Disease Control and Prevention (Zentren für die Krankheiten-Vorbeugung und Kontrolle), die sich ausschließlich auf Reisende konzentrierten, anstatt horizontale Massen-Tests durchzuführen. Die Folge: 50 Prozent mehr Todesfälle als in China, einem Land mit der sechsfachen Bevölkerungszahl der USA. Mittlerweile bilanzieren die Vereinigten Staaten erschreckende Zahlen bei der Ausbreitung der Pandemie. Sie zählen etwa 22 Prozent der weltweit Infizierten und 10 Prozent der Todesfälle. Präsident Donald Trump sorgte für Entrüstung, als er ungeniert die Anzahl der zu erwartenden Todesopfer bis auf 240.000 Menschen schätzte – bildlich ausgedrückt, die Ausradierung einer mittelgroßen Stadt.

Bolsonaro, Trumps kniefälliger Knappe

Als nun weltweit die Bedrohlichkeit der Lage erkannt und angemessene und wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie im Lichte internationaler Gesundheitsvorschriften ergriffen wurden, vernachlässigte Trump auf verantwortungslose Weise sein Krisenmanagement, das im Handumdrehen den genozidal anmutenden brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro inspirierte. Wäre „genozidal“ etwa ein übertriebenes Adjektiv? Mitnichten. Seit dem Ausbruch der Seuche in Brasilien verletzt der selbst unter Infizierungsverdacht stehende Staatschef systematisch die Gesundheitsvorschriften, mischt sich unters Volk, macht sich über die Pandemie mit der unverantwortlichen Bezeichnung einer „mickrigen Grippe“ lustig, attackiert die Weltgesundheits-Organisation (WHO) und einheimische Wissenschaftler und ruft die Brasilianer zum Ungehorsam gegenüber der vom eigenen Gesundheitsminister erlassenen Quarantäne auf.

Während die Pandemie in den USA voraussichtlich ab dem 15. April ihren kritischen Höhepunkt erreichen und der nationale Ausnahmezustand ausgerufen werden könnte, sind die Entwicklungs-Aussichten der Pandemie in Brasilien alles andere als unbedenklich. Laut Bericht der WHO vom 1. April vereinigt Brasilien inzwischen rund 26 Prozent der Corona-Infizierten und nahezu 36 Prozent der Virus-Todesfälle in Lateinamerika auf sich. Zur eigentlichen Seuche paarte sich allerdings ein ideologisches Virus, nämlich indem Bolsonaro die Pandemie zu einer gefährlichen politischen und institutionellen Krise hochgeschaukelt hat. Die demokratische Opposition fordert daher seine Amtsenthebung und gar seine Inhaftierung. Altpräsident Luis Inácio Lula da Silva redete Tacheles in einer landesweit ausgestrahlten Pressekonferenz vom 1. April: „Entweder er ändert seinen Kurs oder er nimmt seinen Hut!“.

Das Dinner zur Kriegsvorbereitung gegen Venezuela

Trotz der chaotischen Zustände, an denen Trump und Bolsonaro in ihren Ländern gebastelt haben, versucht der US-Präsident von den negativen Schlagzeilen und der sich anbahnenden Virus-Tragödie mit der Androhung eines neuen Angriffs auf Venezuela abzulenken. Und zog dazu seinen unterwürfigen Knappen Jair Bolsonaro an Bord der Kriegs-Armada. Eine Bezeichnung, die keineswegs metaphorisch gemeint ist, nachdem am Nachmittag des 1. April ein Geschwader der US-Marine demonstrativ Kurs auf die Küste Venezuelas nahm. Der lächerlich anmutende Anlass dazu sei die „Bekämpfung des Drogenschmuggels aus Venezuela in die USA“. Doch Drogenbekämpfung mit der Kriegsmarine?

Die Unterstellung, der venezolanische Chavismo stecke mit der kolumbianischen Narco-Szene und „Terroristen“ unter einer Decke, hat eine lange und langatmige Vorgeschichte, die wetterwendisch neu aufgewärmt wird. Aber mitten in der Corona-Epidemie? Nein, ausgekochter: mit der propagandistischen Ausbeutung der Katastrophe.

Am 5. März rief das Bolsonaro-Regime seine Diplomaten aus Venezuela zurück, forderte die Regierung Nicolás Maduro dazu auf, seine Vertreter aus Brasilien zurückzuziehen, und verlangte, Präsident Maduro solle sein Amt niederlegen. Dem war Mitte November 2019 als nackte Provokation ein bewaffneter Überfall auf die Botschaft Venezuelas in Brasilia unter Beteiligung von Bolsonaros Sohn – dem Abgeordneten Eduardo Bolsonaro – vorausgegangen.

Zwei Tage nach dem Abzug der brasilianischen Diplomaten aus Caracas traf Jair Bolsonaro am 7. März mit einer vielzähligen Entourage auf dem luxuriösen Trump-Resort Mar-a-Lago in Palm Beach zum Dinner ein, stattete jedoch auch dem Sitz des Southern-Command der US-Streitkräfte einen Besuch ab. Bei der Gelegenheit unterzeichneten die Regierungen Donald Trump und Jair Bolsonaro ein Militärabkommen, das von der Tageszeitung Folha de S. Paulo als „beispiellos“ bezeichnet wurde, weil es dazu beitragen könnte, den größten Waffenmarkt der Welt für die heimische Industrie zu öffnen. Kernpunkt des 96 Milliarden US-Dollar schweren Abkommens ist der Zugang Brasiliens zum NATO-System RDT & E (englisches Akronym für Forschung, Entwicklung, Test und Bewertung). Mit der zusätzlichen Aussicht auf eine NATO-Assoziierung Brasiliens, für dessen Akzeptanz, so Trump, allerdings „mit einer Menge Leute viel geredet werden muss“.

Als brasilianisches Entgegenkommen forderte Donald Trump am Rande dieses Dinners Bolsonaro dazu auf, auf sein Kriegsboot gegen Venezuela zu steigen. „Es besteht die Möglichkeit, dass dies (Anm.: der gesamtamerikanische Kontinent) die erste völlig freie und demokratische Hemisphäre in der Geschichte der Menschheit wird – es ist Teil der Trump-Doktrin”, erklärte ein hochrangiger US-Beamter.

Selbstverständlich war der brasilianische Staatschef zutiefst angetan von der scheinbaren Ehrung und verordnete nach seiner Rückkehr aus den USA am 16. März die Grenz-Schließung zu Venezuela. Zehn Tage später setzte die US-Regierung noch einen drauf: „Die Ausbreitung des Corona-Virus bedrohe die gesamte Region“. Eine von lächerlich bis zynisch tönende Unterstellung, zählte Venezuela nach offiziellen Angaben gerade mal 100 (Stand am 2. April: 144) Infizierte, während die tatsächliche Gefahr von Trumps USA mit seiner 1.300-fachen Anzahl Infizierter im Vergleich mit Venezuela ausgeht.

Trumps geplanter Militärschlag gegen Venezuela sollte allem Anschein nach in den Tagen nach dem Mar-a-Lago-Treffen mit Bolsonaro befohlen werden. Der Termin des Angriffsplans musste allerdings aufgeschoben werden, in den USA wütete die Coronavirus-Pandemie in inzwischen ungeahntem Ausmaß. Doch das Narrativ von der Virus-Bedrohung wurde selbst von konservativen US-Medien als Scharlatanerie durchschaut. Also brauchte es einer Anreicherung und so mixten CIA und State Department im Auftrag des Weißen Hauses einen neuen Cocktail aus Covid-19 und Kokain.

Die Legende vom „Narco-Regime“ und die Jagd auf Venezuelas Regierung

Am 26. März war der ungenießbare Mix medial aufbereitet. Mit der Beschuldigung, er sei Führer des „Drogen-Terrorismus“, erhob das US-Justizministerium Strafanzeige gegen Präsident Nicolás Maduro und dreizehn andere Regierungsbeamte. Mike Pompeos State Department beeilte sich, eine Belohnung von bis zu 15 Millionen US-Dollar für „Hinweise“ auf den Verbleib der Angeklagten auszusetzen. Die Washingtoner Legende besagt, führende Köpfe des regierenden Chavismo sind nicht nur in den weltweiten Kokainhandel involviert, sondern kooperieren obendrein mit Terroristen.

Indes sind die „Terrorismus“- und „Drogenhandel“-Vorwürfe alte Hüte. Sie wurden vor nahezu zwanzig Jahren gegen den damals regierenden Präsidenten Hugo Chávez erhoben, der mit der damaligen FARC-Guerilla den Plan ausgetüftelt haben soll, „die USA mit Drogen zu überfluten“. Dem notorisch schwatzhaften Stil Chávez‘ ist ein solcher Satz durchaus zuzutrauen gewesen, doch tun sich Berge zwischen der Behauptung der US-Staatsanwaltschaft und den realen Umständen auf. Das Wall Street Journal behauptete im September 2019, im Besitz von Beweismaterialien zu sein.

Allerdings handelt es sich dabei um Unterlagen, die von der Bundesanwaltschaft des Distrikts New York Süd erstellt wurden und auf Mutmaßungen ehemaliger hochrangiger Funktionäre aus Chávez‘ Regierungszeit – wie dem nach Spanien exilierten, inzwischen jedoch flüchtigen, ehemaligen Geheimdienstchef und Maduro-Gegenspieler General Hugo Carvajal – beruhen. Carvajal hatte, wie zuvor andere in die USA exilierte venezolanische Militärs, ein Kronzeugen-Abkommen im Austausch für Strafmaßreduzierung angeboten, wurde jedoch nicht von Spanien ausgeliefert und gilt als „verschwunden“.

Seriöse Recherchen und Fact-Checking des angesehenen US-Anwaltsbüros für Menschenrechte in Lateinamerika (WOLA) bescheinigen den US-Behörden jedoch freche Fälschung. In dem 20 Seiten umfassenden WOLA-Gutachten “Beyond the Narcostate Narrative: What U.S. Drug Trade Monitoring Data Says About Venezuela“ werden zwar die politischen Zustände aus liberaler Sichtweise kritisiert. „Venezuelas staatliche Institutionen haben sich verschlechtert und dem Land fehlt ein unparteiisches, transparentes oder sogar funktionierendes Justizsystem. In diesem Umfeld haben sich bewaffnete Gruppen und organisierte kriminelle Strukturen, einschließlich Drogenhandels-Gruppen, gut entwickelt“.

Doch die Angaben, auf die sich die US-Regierung stütze, „deuten darauf hin, dass Venezuela trotz dieser Herausforderungen kein primäres Transitland für Kokain in die USA ist. Die Politik der USA gegenüber Venezuela sollte auf einem realistischen Verständnis des transnationalen Drogenhandels beruhen“, fordern die US-Anwälte und gehen über zu den Fakten.

„Jüngste Daten aus der US-amerikanischen Interagency Consolidated Counterdrug Database (CCDB) besagen, dass im Jahr 2018 210 Tonnen Kokain durch Venezuela gelangten. Zum Vergleich: Das Außenministerium berichtet, dass im selben Jahr mehr als sechsmal so viel Kokain (1.400 Tonnen) durch Guatemala gelangte. Nach diesen Angaben der US-Überwachungsbehörden ist die Menge an Kokain, die von Kolumbien über Venezuela gehandelt wird, erheblich, aber es ist ein Bruchteil des Kokains, das durch andere Transitländer gelangt. Rund 90 Prozent des gesamten in die USA gelangten Kokains werden auf den Strecken der Westkaribik und des Ostpazifiks gehandelt, nicht über die ostkaribischen Meere Venezuelas“, warnt die Studie und dokumentiert aufschlussreiche Einzelheiten.

„Im Zeitraum von 2012 bis 2017 gab es einen Anstieg der Kokainflüsse durch Venezuela, aber dieser Anstieg entspricht einem Anstieg der Kokainproduktion in Kolumbien während dieser Zeit. CCDB-Daten deuten darauf hin, dass die Menge des durch Kolumbien gehandelten Kokains von 918 Tonnen im Jahr 2012 auf 2.478 Tonnen im Jahr 2017 (ein Anstieg von 269 Prozent) und von 159 auf 249 Tonnen in Venezuela im selben Zeitraum (ein Anstieg von 156 Prozent) gestiegen ist. Als der Kokainhandel in Kolumbien nach 2017 leicht zurückging, gingen auch die Kokainflüsse in Venezuela zurück“.

„Die US-amerikanischen CCDB-Daten zeigen ferner, dass die Kokainflüsse durch Venezuela seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2017 zurückgegangen sind. Laut CCDB-Daten ging die durch Venezuela fließende Kokainmenge von 2017 bis 2018 um 13 Prozent zurück und schien bis Mitte 2019 weiter leicht zu sinken“, konfrontiert die Studie die US-Regierung mit ihren eigenen Daten und fordert: „Ein friedlicher, ausgehandelter und geordneter Übergang bietet die besten Chancen, die erforderlichen Reformen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und der Korruption in Venezuela zuzulassen. Der Militärputsch 2009 und die daraus resultierenden Turbulenzen in Honduras sind eine historische Warnung für US-Politiker, die Interventionen oder Zusammenbrüche als den besten Weg für eine Rückkehr zur Demokratie in Venezuela ansehen“.

Juan Guaidó und die Gunst der Corona-Stunde: die Aufstellung terroristischer Milizen

„Es ist an der Zeit, eine nationale Notstandsregierung zu bilden, um Venezuela vor einer humanitären Katastrophe zu retten”, verkündete der selbsternannte „Präsident“ Juan Guaidó in einem via Internet verbreiteten Video zur angeblichen Bekämpfung der Pandemie. In dem Video wiederholte Guaidó die Chimäre Donald Trumps. „Venezuela kann zum Land mit der höchsten Anzahl an Infizierten und Toten in der Region werden”, manipulierte der von den USA mit Millionen US-Dollars finanzierte Regime Changer seine Mitläufer mit Panikmache. „Die Covid-19-Pandemie wird die Lage in Venezuela erheblich verschlechtern, und … die Diktatur wird sie niemals anerkennen, sie wird versuchen, die Daten der Ansteckungen und notleidenden Patienten zu verheimlichen und weiterhin Wasser, Benzin, Lebensmittel, Gas und Strom knapphalten“.

Das verkündete Guaidó am 13. März. Knappe zwei Wochen später flog der eigentliche Plan auf. In einem spannenden Interview mit dem kolumbianischen Sender Radio W bestätigte der seit 2017 ins kolumbianische Barranquilla exilierte, ehemalige Chávez-Vertraute, aber Maduro-Feind, General Cliver Alcalá, mit Juan Guaidó einen Vertrag (O-Ton Alcalá: „Ich habe den Vertrag hier vor mir liegen!“) zur Millionen Dollar schweren Beschaffung von Kriegswaffen und deren Einschleusung nach Venezuela für die Aufstellung von bewaffneten Umsturz-Kommandos unterzeichnet zu haben. Wegen der Corona-Quarantäne flog der Waffentransport jedoch zufällig auf, als der LKW von den kolumbianischen Gesundheits- und Sicherheitsbehörden angehalten wurde.

General Alcalá – auf den ebenfalls ein Kopfgeld ausgesetzt war – stellte sich den US-Behörden und wurde Ende März in die USA ausgeflogen und dem Department of Justice überstellt. Seine Doppelrolle als Agent der Konterrevolution – der für den Überfall auf Venezuela US-Söldner in seinem Dienst hatte – und angeblicher Drogendealer wird noch untersucht werden müssen, wobei die USA da niemandem Einblick genehmigen werden.

Titelbild: Screencapture CNN


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