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Titel: Merkels Vorwurf: “Öffnungsdiskussionsorgien”. Eigentlich eine Unverschämtheit, aber clever gemacht. Die Bundeskanzlerin ist Spitze im Manipulationsgewerbe.

Datum: 21. April 2020 um 16:34 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Stellen Sie sich vor, Sie müssen Ihre zwei Kleinkinder nunmehr die fünfte Woche in Ihrer eigenen Wohnung betreuen. Ohne freien unbehinderten Auslauf. Dann würden Sie vermutlich mit anderen darüber diskutieren, warum der kontrollierte Spielplatzbesuch nicht möglich sein soll. Stellen Sie sich vor, Sie würden normalerweise Ihr geringes Einkommen durch einen Zweitjob in einem Restaurant aufstocken. Dann würden Sie selbstverständlich mit dem ebenfalls notleidenden Gastwirt diskutieren, warum angesichts der Weitläufigkeit gerade dieses Restaurants und der Möglichkeit, die Abstandsregeln einzuhalten, dieses nicht geöffnet werden kann. Selbstverständlich würden Sie dafür werben, dass Sie, wenn auch mit Vorsicht, wieder arbeiten und Geld verdienen können. Millionen anderen geht das ähnlich. Warum bezichtigt die Bundeskanzlerin Sie alle der Lust auf Orgien? Das versteht man dann, wenn man sich ein paar Kenntnisse über Methoden der Manipulation aneignet. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zunächst weiß Angela Merkel sehr genau, dass sie unter deutschen Medien in der jetzigen Situation immer Anhänger findet. Es gibt inzwischen ein recht großes Segment autoritätsgläubiger Journalistinnen und Journalisten. Typisch dafür ist ein Artikel der Süddeutschen Zeitung von heute:

Merkels Zorn

Die Bundeskanzlerin ist eine Meisterin darin, Ruhe zu bewahren. Dass sie nun wütend von “Diskussionsorgien” spricht, zeigt, wie ernst die Lage ist. … Von Stefan Braun.

Da wird der mit hoher Wahrscheinlichkeit kalkulierte Zorn, der in den CDU-Führungsgremien ausbrach und von dort gezielt und massiv nach außen gespielt wurde, als spontane Gefühlsregung wahrgenommen und weitertransportiert.

Die Bundeskanzlerin bedient sich mit ihrer Äußerung einer Reihe von Manipulationsmethoden. Ich will anhand der Liste der Manipulationsmethoden, die ich in meinem Buch „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ (siehe hier) beschrieben habe, kurz erläutern, welche Methoden Merkel nutzt:

Hier die Liste der dort beschriebenen 17 Methoden:

Methoden der Manipulation

  1. Sprachregelung
  2. Manipulation mithilfe von ständig gebrauchten und mit einer Bewertung versehenen Begriffen
  3. Geschichten verkürzt erzählen
  4. Verschweigen
  5. Wiederholen – Steter Tropfen höhlt den Stein
  6. Übertreiben – Es wird schon etwas hängen bleiben
  7. Die gleiche Botschaft aus verschiedenen Ecken aussenden
  8. Alle in der Runde sind der gleichen Meinung. Dann muss es ja richtig sein.
  9. Der Wippschaukeleffekt
  10. Umfragen nutzen, um Meinung zu machen
  11. B sagen und A meinen
  12. NGOs gründen oder benutzen
  13. Ein Sammelsurium von Andeutungen macht in der Summe die Halbwahrheiten zur Wahrheit
  14. Experten helfen – zu manipulieren
  15. Namen verknüpfen und damit Einzelne bewerten
  16. Gezielter Einsatz von Emotionen
  17. Konflikte nutzen und inszenieren, um Meinung zu machen

Die hier kurz zu beschreibenden Methoden, die Angela Merkel benutzt, sind fett markiert:

Merkel inszeniert einen Konflikt – Methode Nummer 17 – und löst Emotionen aus – Nummer 16.

Sie übertreibt bewusst (Nummer 6). Denn die meisten Menschen, die jetzt eine Lockerung haben wollen, verlangen dies ja nicht aus Lust auf Orgien, sondern aus Not-Wendigkeit. Aber selbst bei jenen, die meinen, die Bundeskanzlerin übertreibe, wird hängenbleiben, dass an ihrem Vorwurf etwas Richtiges dran ist.

Den wichtigsten Erfolg erzielt Merkel mit Einsatz der Methode Nummer 11: “B sagen und A meinen”:

Der Vorwurf, viel zu viele Leute würden in Diskussionsorgien abgleiten, ist nicht ihre Hauptbotschaft. Sie transportiert mit ihrem Angriff vor allem: Wir, die Regierenden, haben bisher das Richtige getan, wir waren erfolgreich. Diese Botschaft wird mit dem Angriff transportiert und eingebläut, und das ist das eigentliche Ziel der Angela Merkel.

Insbesondere wird mit dem Angriff auch vergessen gemacht, dass Bund und Länder versäumt haben, bei ihren Entscheidungen über die Konsequenzen aus der Pandemie nicht auf Virologen und benachbarte Wissenschaftsbereich alleine zu hören und stattdessen die Einseitigkeit ihrer Entscheidungsfindung zu überwinden. Siehe dazu hier “Über die Engstirnigkeit politischer Entscheidungen und ihre Popularität. Ein Essay aus Anlass der Entscheidungen zu Corona”.

Das Murren über Merkels “Unverschämtheit“ stört dann nicht sonderlich. Das ist ihr großer Erfolg und dieser große Erfolg ist das Ergebnis hoher Professionalität der Bundeskanzlerin beim Umgang mit der öffentlichen Meinung, ja vor allem mit der veröffentlichten Meinung, also mit den etablierten Medien.


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