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Titel: Markus Kompa: „Die Instrumente der Überwachung sind höchst anfällig für Missbrauch“

Datum: 7. Juli 2020 um 8:35 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Überwachung, Innere Sicherheit, Interviews, Rechte Gefahr
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Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und rechte Politik: Darauf liegt der Fokus eines vielschichtigen Polit-Thrillers, der Realität und Fiktion gekonnt miteinander verwebt. Der Roman „Innere Unsicherheit“, der aus der Feder des Medienrechtlers Markus Kompa stammt, führt in ein politisches Deutschland, in dem eine rechte Partei in der Regierung sitzt und Terroristen und Geheimdienste aktiv sind. Im NachDenkSeiten-Interview gewährt Kompa einen Einblick in sein neues Werk und die Welt der Geheimdienste. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Das Gründen extremistischer Organisationen gehört zum Standardverfahren jedes Geheimdienstes.“ Diesen Satz trägt eine der Figuren in Ihrem Roman wie eine Selbstverständlichkeit vor. Lässt sich an diesem Satz in verdichteter Form ablesen, was Sie dem Leser als Kernbotschaft vermitteln wollen?

Eigentlich möchte ich keine Botschaften vermitteln, sondern eine spannende Story in der schillernden Welt der deutschen Geheimdienste erzählen. Darin ist nun einmal buchstäblich nichts, wie es scheint. Die Steuerung extremistischer Organisationen ist nur ein Teilaspekt, zumal sie ja in meiner Geschichte umgangen wird.

Bleiben wir mal bei dieser Aussage. Was heißt das eigentlich?

Seit es Geheimdienste gibt, gründen sie Scheinorganisationen, um Gegner anzulocken und zu kontrollieren. Die Russische Revolution organisierte durch V-Leute in Paris den vermeintlichen Widerstand der Aristokraten, die deutsche Abwehr inszenierte scheinbare Widerstandsgruppen in den besetzten Gebieten, im Ostblock lockten vorgebliche Schleuser Republikflüchtlinge in die Falle, in der DDR bestanden viele Agentennetze des BND in Wirklichkeit aus Doppelagenten des MfS. Das Aufstellen solcher Honigtöpfe ist eine übliche Taktik jedes fähigen Geheimdienstes, und sei es auch nur, um die Zuverlässigkeit der eigenen Leute zu testen.

Nun lässt sich doch leicht so argumentieren, dass es Sinn ergibt, wenn Geheimdienste sehr frühzeitig auf diese Weise agieren. In Ihrem Buch heißt es: „Es wäre bedeutend schwieriger, wenn wir erst das Entstehen solcher Gruppierungen abwarten und dann versuchen müssten, von außen in die gefestigten Strukturen einzudringen. Das Unterwandern fremder Gruppen etwa wäre dann sogar nahezu unmöglich.“
Dem könnte man doch leicht zustimmen, oder?

Wenn sich extremistische Organisationen formiert haben und keine neuen Mitglieder mehr rekrutieren, kann man diese kaum noch mit Undercover-Leuten unterwandern. Daher ist es nachrichtendienstlich wertvoll, so früh wie möglich auf der Führungsebene einzudringen. Die Kunst besteht darin, den Zeitpunkt zu erkennen, wann man Terroristen die Bombe aus der Hand nehmen muss. Wenn solche Züchtungen jedoch außer Kontrolle geraten, hat man dem eigenen Staat ein Monster erschaffen.

Was sind „Sting-Operationen“?

Das sind Lockspitzel-Einsätze, etwa mit verdeckten Provokateuren, die zum Begehen von Straftaten animieren. Z.B. die ursprünglich eher gewaltfreie Studentenbewegung der 68er-Generation wurde erst durch einen V-Mann des Verfassungsschutzes mit Molotow-Cocktails munitioniert und damit politisch diskreditiert. Geheimdienste lassen solche Aktionen so lange wie möglich laufen.

Lassen Sie uns kurz eine andere Perspektive veranschlagen.
Sie haben einen Roman verfasst, der reale und fiktive Elemente verwebt.
Warum haben Sie diese Vorgehensweise gewählt? Und: Bringt es Vorteile, politisch brisante Inhalte innerhalb eines Romans zu erzählen?

Jeder Krimi und erst recht jeder Spionageroman ist politisch. Ein Spiel wird erst durch Regeln interessant, daher sind die Behörden in meinem Roman möglichst authentisch. Allerdings habe ich den politischen Rahmen verändert. Der ist auch nicht ganz so weit hergeholt, denn in Hamburg hatten es Rechtspopulisten 2001 an die Regierung geschafft, in europäischen Nachbarländern gibt es Mitte-Rechts-Regierungen und die Thüringen-Wahl bietet einen Vorgeschmack auf mögliche Entwicklungen.

Wie und wann sind Sie überhaupt auf das Thema Geheimdienste gekommen?

Ich interessiere mich nun einmal für alles Geheimnisvolle und Manipulation jeder Art. Da landet man früher oder später bei politischen Falschspielern.

Was interessiert Sie daran?

Ich bin vom Widerspruch des Rechtsstaats fasziniert, der sich einerseits an Recht und Gesetz zu halten hat, sich aber andererseits solche Organisationen mit kriminellem Repertoire aus der Frühgeschichte des Kalten Kriegs leistet. In den 50er Jahren bot der BND-Chef den USA sogar einen Putsch für den Fall an, dass die SPD die Wahl gewinnen würde. In den 80er Jahren hatten wir einen Verfassungsschutz-Präsidenten, der später untertauchte und selbst zum meistgesuchten Mann der Nation wurde. Mehr Drama geht eigentlich nicht.

Kommen wir nochmal zurück auf Ihren Roman.
Das Thema geheimdienstliche Steuerung von extremistischen Gruppierungen ist schwierig. Einerseits lässt sich begründen, dass Geheimdienste extremistische Gruppierungen unterwandern und führen – im Sinne der Schadensprävention. Andererseits ist bei einem derart undurchsichtigen Treiben auch vorstellbar, dass Terror tiefenstaatlich instrumentalisiert wird, oder?

Während unser Mitgefühl für echte Terroristen wohl eher begrenzt ist, sollten wir uns stets bewusst sein, dass die Instrumente der Überwachung höchst anfällig für Missbrauch sind. Außerdem greifen Geheimdienste in die öffentliche Wahrnehmung ein. Bei vielen Attentaten können selbst Historiker nicht erkennen, ob sie authentisch oder eben „Staatstheater“ waren. In den 70er Jahren etwa inszenierten europäische Inlandsgeheimdienste False-Flag-Anschläge, um die Linken zu diskreditieren und ihre eigene Position zu festigen. Auch das MfS hielt zu Terroristen erstaunliche Kontakte. CIA und BND nahmen über verdeckten Waffenhandel Einfluss auf Kriege und Terror.

In dem hier diskutierten Kapitel Ihres Buches sprechen Sie auch über die RAF. Ich zitiere aus dem Buch: „Haben Sie etwa auch die Rote Armee Fraktion gegründet?“ Die übrigen Anwesenden sahen verschämt zu Boden. (…) Das ist nach wie vor ein sehr sensibles Staatsgeheimnis.“
Dass „der Staat“ von Anfang an sehr nahe an der RAF dran war, dürfte vielen bekannt sein. Was sind Ihre Erkenntnisse?

Die Geschichte der RAF würde den Rahmen dieses Interviews bei weitem sprengen, dazu gibt es auch kompetentere Köpfe als meinen. In Kürze wird von einem befreundeten Autor ein bemerkenswertes Sachbuch zur RAF mit neuen Insiderinformationen erscheinen, dem ich nicht vorgreifen möchte.

Mal zur Handlung Ihres Romans. Darin hat eine rechte Partei, die AEP, die Wahlen gewonnen.
Alte und neue Nazis wittern Morgenluft. Warum dieser Ansatz?

Ursprünglich hatte ich einen ganz anderen Stoff im Sinn, konnte diesen aber aus speziellen Gründen nicht verwenden. Bei der Suche nach Ersatz langweilten mich meine ganzen Ideen, bis ich dann auf die Dystopie mit einer rechtspopulistischen Regierungsbeteiligung kam. Ab diesem Zeitpunkt funktionierte meine Geschichte.

Und dann gibt es da noch die Chefin des Inlandsgeheimdienstes. Was hat es mit ihr auf sich?

Bei „Ellen“ handelt es sich um die Verfassungsschutz-Präsidentin aus meinem ersten Roman. Sie hat ihre Position vor allem deshalb angestrebt, weil sie Geheimdiensten misstraut und diese daher möglichst von innen kontrollieren will. Im aktuellen Buch wird ihr ein Wechsel zum BND angeboten, falls in den kommenden Wochen nichts anbrennt. Aber es wird heiß – in jeder Hinsicht.

Noch ein Sprung in die reale Welt: Derzeit sieht es so aus, als hätte die AfD ihren Zenit erreicht, die Partei verliert in Umfragen an Zustimmung. Täuschen die Umfragen? Ist das ein Trugschluss? Wie ist Ihre Einschätzung?

Das Potential für rechtspopulistische Parteien korreliert mit Unzufriedenheit und Bildungsferne, was nicht von heute auf morgen verschwinden wird. Die Stimmung kann durch Ereignisse wie Terror, ein Rezo-Video oder eine Eruption auf Facebook sehr schnell kippen. Da die konventionellen Parteien aktuell kaum Persönlichkeiten bieten und das schrille Spiel in Social Media nicht verstehen, erwarte ich eher eine Polarisierung an den Rändern, wo man vielleicht nach dem starken Mann oder der starken Frau rufen wird.

Lesetipp: Kompa, Markus: Innere Unsicherheit. Westend Verlag. 256 Seiten. 16,95. Erscheinungstermin 6. Juli 2020.

Titelbild: Gorodenkoff/shutterstock.com


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