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Titel: Warum „wir“ auch in Afghanistan niemals „die Guten“ waren (Teil 1)

Datum: 27. Dezember 2020 um 9:09 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege, Wertedebatte
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Nun ist es offiziell: Australien hat in Afghanistan zahlreiche Kriegsverbrechen begangen. Doch die jüngsten Enthüllungen sind nur die Spitze des Eisbergs – zumindest für jeden, der den Krieg am Hindukusch ausführlich verfolgt hat. Von Emran Feroz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Was lange bekannt war, wurde vor Kurzem endgültig von offizieller Seite bestätigt. Australische Elitesoldaten (SAS) haben in Afghanistan Kriegsverbrechen begangen und ermordeten zwischen den Jahren 2005 und 2016 mindestens 39 afghanische Zivilisten. Die Jagd und Tötung der Afghanen wurde von den Soldaten als eine Art Sport sowie als Aufnahmeritual für Neuankömmlinge betrachtet. Das perverse Prozedere wurde unter anderem als „blooding“ bezeichnet. Der dazu gehörende Bericht lässt sich an vielen Stellen wie ein Protokoll des Terrors lesen. An vielen Stellen macht es deutlich, dass afghanische Menschenleben in den Augen der westlichen Soldaten praktisch nichts wert seien. „Es passierte die ganze Zeit“, hieß es seitens vieler Soldaten, die für den Bericht interviewt wurden. Die Untersuchung wurde bereits 2016 vom australischen Militär in Auftrag gegeben. Insgesamt wurden mehr als 400 Zeugen verhört und mindestens 55 Ermittlungen aufgenommen.

Aufgedeckt wurden die Verbrechen von Investigativjournalisten des Senders ABC, die aufgrund ihrer Recherchen zu Zielscheiben australischer Behörden wurden. Richtig gelesen. Der Fokus lag nicht auf mordenden Soldaten, sondern auf jenen Journalisten, die die Verbrechen ans Licht brachten. Besonders unter Druck gerieten die Journalisten Dan Oakes und Sam Clark, die Kriegsverbrechen aufdeckten, die sich zwischen 2009 und 2013 ereignet haben sollen. Die australische Bundespolizei durchsuchte unter anderem Büros und beschlagnahmte Datenträger. Clark und Oakes reisten für ihre Recherchen nach Afghanistan, wo sie mit dem bekannten Lokaljournalisten Bilal Sarwary zusammenarbeiteten und Opfer der australischen Soldaten ausfindig machten.

Das Rechercheteam reiste hier in das südafghanische Dorf Darwan in der Provinz Uruzgan, das im September 2012 von den SAS-Einheiten und Mitgliedern der afghanischen Armee überfallen wurde. Insgesamt wurden bei diesem Angriff auf Zivilisten drei Männer getötet. Wie gewohnt hieß es, dass man auf Terroristenjagd sei und Mitglieder der Taliban suche. Nachdem die drei Männer auf brutalste Art und Weise getötet wurden, entführten die Soldaten weitere Personen. In den darauffolgenden Tagen wurden diese in einer NATO-Militärbasis in der Provinzhauptstadt Tarinkot verhört und gefoltert. Ein Einzelfall? Gewiss nicht.

Nach einer umfassenden Untersuchung musste das australische Militär im vergangenen November vor laufenden Kameras der Welt eingestehen, dass Verbrechen begangen wurden. Hierbei handelt es sich tatsächlich um einen Meilenstein. Bis zum heutigen Tage hat nämlich kein westliches Militär, das sich am Afghanistan-Krieg beteiligt hat, derart Selbstkritik und Einsicht an den Tag gelegt. Wenn etwa die FAZ von einem „Tag der Schande für Australien“ schreibt, fragt man sich, wo derartige Schlagzeilen waren, als es um deutsche Kriegsverbrechen am Hindukusch ging. Zur Erinnerung: Diese gab es, und sie wurden bis heute nicht aufgearbeitet. Andernfalls wäre ein Oberst Georg Klein, der 2009 über 150 Zivilisten in Kunduz zu Tode bombardieren ließ, 2012 nicht zum General befördert worden. Andernfalls hätten sowohl Bundesregierung als auch Bundeswehr ganz klar von einem Kriegsverbrechen gesprochen, die Opfer sichtbar gemacht, sich bei ihnen entschuldigt und sie angemessen entschädigt, anstatt sie zu ignorieren und mundtot zu machen.

Für viele Beobachter, Journalisten und andere Kenner des Afghanistan-Krieges waren die jüngsten Enthüllungen allerdings keineswegs überraschend. In vielen afghanischen Dörfern kursieren bis heute die Geschichten von mordenden und folternden NATO-Soldaten. Die Betroffenen werden allerdings kaum gehört. Tatsächlich ist die Stimme solcher Afghanen erst etwas wert, nachdem ihre Aussagen von einem westlichen Akteur bestätigt wurden. Andernfalls gelten sie als „nicht glaubwürdig“ oder „übertreibend“. Auch Kriegsveteranen machen regelmäßig auf derartige Kriegsverbrechen aufmerksam. „Diese australischen Eliteeinheiten sind nur ein kleines Puzzlestück des Gesamtbildes, und dieses sieht düster aus. Wir schossen regelmäßig auf Menschen, deren Identität unklar war. Die Afghanen, die uns meiner Meinung nach zu recht bekämpften, wurden von uns komplett entmenschlicht“, meint etwa Ex-Soldat und Autor Erik Edstrom. Im Sommer erschien Edstroms Buch „Un-American: A Soldier’s Reckoning of Our Longest War“, in dem er äußerst kritisch mit seinem eigenen Afghanistan-Einsatz sowie mit dem „War on Terror“ im Allgemeinen umgeht. Edstrom fokussiert sich dabei nicht nur auf die massenhafte Tötung von Zivilisten, sondern versucht auch, die Radikalisierung der afghanischen Bevölkerung nachzuvollziehen. „Wir haben den Krieg gestartet. Wir haben ihr Land angegriffen und besetzt. Wer weiß, wie ich da reagieren würde? Womöglich würde ich auch zur Waffen greifen“, so Edstrom. Wie viele andere ist auch er der Meinung, dass es Jahre brauchen wird, bis alle westlichen Kriegsverbrechen in Afghanistan aufgedeckt worden sind.

Titelbild: UniqueEye / shutterstock.com


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