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Titel: Unteilbar und die „antisemitisch konnotierten Verschwörungserzählungen“ der „Pandemieleugner*innen“

Datum: 9. April 2021 um 13:31 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Die Initiative Unteilbar hat in einem infamen Aufruf die jüngsten Proteste gegen die Corona-Politik pauschal diffamiert. Im Gewand theoretischer Kritik wird die offizielle Corona-Politik in der Praxis verteidigt. Der Appell wird von zahlreichen Medien, Initiativen und Gewerkschaftern unterstützt. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anlässlich „erneuter Mobilisierungen von ‚Querdenken‘ und anderen Pandemieleugner*innen im Frühling 2021“ sah sich die Initiative „Unteilbar“ kürzlich aufgerufen, eine Erklärung mit dem Titel „Freiheit geht nur solidarisch“ abzugeben. Man könnte das ignorieren, die Resonanz in Form von Unterschriften hält sich in Grenzen. Relevant wird der Vorgang dadurch, dass die Erklärung von zahlreichen anderen Initiativen und auch von prominenten Gewerkschaftern unterstützt wird. Und dadurch, dass der problematische Appell von vielen Medien kritiklos transportiert wurde. Denn der Aufruf hat es in sich.

Querdenken und die „antisemitisch konnotierten Verschwörungserzählungen“

Wer sich „Querdenken“ anschließe, so Unteilbar, fordere eine Gesellschaft, „in der die gesundheitlichen Gefahren für Millionen Menschen geleugnet“ würden und in der „antisemitisch konnotierte Verschwörungserzählungen an die Stelle von überprüfbaren Fakten“ träten. Die demokratische Debatte werde „durch das Recht der Stärkeren ersetzt“ und „die Zusammenarbeit mit Faschist*innen“ werde „zur Normalität“. In diesem Zusammenhang soll wohl auch die Aussage, „Verschwörungserzählungen, Rassismus und faschistische Ideologien sind niemals legitim“, suggerieren, die Anti-Lockdown-Demos seien durch diese Sichtweisen dominiert.

In der Erklärung finden sich natürlich auch wohlklingende Sätze wie: „Das Hinterfragen staatlicher Politik, auch der Corona-Maßnahmen, ist wichtig. Wo es notwendig ist, üben wir Kritik.“ Oder: „Wir wollen eine Politik, die niemanden zurücklässt und die verhindert, dass in der Krise einige immer reicher und viele immer ärmer werden.“ Wie aber könnte diese Politik denn durchgesetzt werden, wenn bereits die Erwähnung, dass es Profiteure der Corona-Politik gibt, weithin als „rechtsoffen“ diffamiert wird?

Und wie sollte der „Raum für demokratische Kontrolle, der einer offenen Gesellschaft entspricht“, den Unteilbar zu recht einfordert, verteidigt werden, wenn Kritik an der (mindestens vorübergehenden) Einschränkung der offenen Gesellschaft als rechtsextrem oder mindestens egoistisch gebrandmarkt wird? Dementsprechend gespannt kann man sein auf die Wirkung der von Unteilbar anscheinend geplanten „nächsten Proteste für einen klimagerechten, sozialen, antirassistischen und geschlechtergerechten Weg aus der Krise“. Bis es soweit ist, gehören jedoch gerade Frauen, Arme und Geflüchtete international zu den ersten Opfern der Corona-Politik.

Die „menschenfeindliche rechte Bewegung“ der „Pandemieleugner*innen“

Laut der Erklärung sind die unterzeichnenden Institutionen und Einzelpersonen ein bunter Querschnitt durch die Gesellschaft, ein universeller Vertretungsanspruch wird suggeriert. Dazu gehören laut Unteilbar Menschen, die hart oder weniger hart von „der Krise“ betroffen seien, „Menschen mit oder ohne Beeinträchtigung unterschiedlichen Alters, mit und ohne Vorerkrankungen“, „Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, religiös oder nicht, mit verschiedenen Geschlechtern, unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, BIPoC und Weiße, mit oder ohne Fluchterfahrung und mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus“ – sie alle werden laut Unteilbar dadurch geeint, dass sie sich „der menschenfeindlichen rechten Bewegung“ entgegenstellen würden. Mit „der“ menschenfeindlichen Bewegung sind hier anscheinend pauschal die Teilnehmer der Demos gegen die aktuelle Corona-Politik gemeint, die an der Stelle ebenso pauschal nochmals als „Pandemieleugner*innen“ bezeichnet werden.

Es steht jedem Beobachter frei, die Ängste vor einem aufkommenden autoritären System im Schatten der Corona-Politik für maßlos übertrieben zu halten. Aber kann man nicht dennoch anerkennen, dass viele Menschen von eben dieser Angst auf die Straße getrieben werden? Sicher gibt es auch andere Motivationen von Demonstranten, aber diese Sorge ist ein zentrales und weiterverbreitetes Motiv. Dieses Engagement pauschal als „menschenfeindliche rechte Bewegung“ und als einen Schulterschluss mit Faschisten zu bezeichnen, ist infam. Aber diese Praxis wird gar nicht mehr hinterfragt, weil sie mit ungeheurem Medienfuror eingeführt wurde. Ebenso wie der fragwürdige Zustand, dass Fragen der Gesundheit und der Datenerhebung zu Fragen von „rechts“ und „links“ umgedeutet wurden, was als ein Meisterstück der Manipulation bezeichnet werden kann.

Weltfremd: „Niemand wird zurückgelassen“

Wenn die Kritiker der Lockdown-Politik angeblich das „Recht des Stärkeren“ fordern – reklamiert dann Unteilbar für sich im Umkehrschluss, mit der indirekten und weitgehenden Verteidigung der aktuellen Corona-Politik die Rechte der Schwächeren zu schützen? Kann eine Wahrnehmung noch manipulierter sein? Sind die Autoren und Unterzeichner des Papiers tatsächlich so blind für die unfassbaren sozialen Folgen der aktuellen Corona-Politik, die vor allem die Schwächsten der Gesellschaft (Kinder, Arme, Alte, Geflüchtete) zuerst mit voller Wucht trifft? Ist den Autoren und Unterzeichnern – um nur ein Beispiel zu nennen – die Wirkung einer monatelangen Verwehrung des Rechts auf Bildung und Gemeinschaft allein für die Kinder nicht bewusst? Kann die Haltung des Papiers und seiner Unterzeichner dementsprechend nicht als sozial eiskalt bezeichnet werden, umso mehr, wenn man den Blick international weitet?

Diese Haltung wird auch nicht dadurch glaubwürdiger (oder seriös unterfüttert), wenn die geforderte Politik als „solidarisch“ verklärt wird. Aber möchte Unteilbar nicht doch auch eine „andere Corona-Politik“? Ist hier also doch eine Opposition zum Regierungshandeln zu entdecken? Nein: In der Praxis sind die Forderungen nach „solidarisch“ ausgestalteten Lockdowns völlig unrealistisch. Die Vorstellung, innerhalb einer restriktiven Corona-Politik „niemanden zurückzulassen“, klingt bei Unteilbar ebenso weltfremd wie bei „ZeroCovid“ und bleibt unkonkret.

Kritiker der Corona-Politik: Eine heterogene Bewegung

Die Bewegung der Kritiker der Corona-Politik ist sehr heterogen, man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Sicher kann aber festgestellt werden, dass die Bewegung nicht rechtsextrem dominiert ist, dass es aber Versuche rechter Kreise gibt, Einfluss zu gewinnen. Aus letzterem Grund wären aber umso mehr einst sich „links“ nennende Gruppen gefragt, einen alternativen Anti-Lockdown-Protest zu organisieren. Doch diese Alternative wird verwehrt.

Ebenso kann festgestellt werden, dass zumindest Teile der Lockdown-Kritiker mehr auf Wissenschaftlichkeit und Seriosität pochen als weite Teile der Verteidiger der offiziellen Corona-Politik. Unteilbar lässt sich offensichtlich noch immer mit den offiziellen und medialen Manipulationen aus absoluten Zahlen und weitgehend aussagelosen „Inzidenzen“ abfertigen und einschüchtern. Derweil pochen die seriösen Kritiker der Corona-Politik darauf, dass die zur Beurteilung des realen Gefahrenpotenzials des existenten Corona-Virus nötigen Zahlen ins Verhältnis gesetzt werden müssen, um eine gültige Aussage zu haben. Und vor allem, dass sie zuvor seriös und nachvollziehbar erhoben werden. Wer aber einen seriösen Umgang mit den Daten fordert, gerät bereits in Gefahr, dass diese Forderung als „Verschwörungserzählung“ und damit als wertlos abgetan wird. Unteilbar unterstützt diese Praxis nun.

Ich persönlich fühle mich bei Teilen der „Querdenker“ nicht politisch zu Hause und würde darum an den Demos nicht teilnehmen. Dennoch muss man diese Meinungsäußerungen gegen irrationale und sachlich falsche Verleumdungen in Schutz nehmen. Bei strafrechtlichen Verstößen greift das Strafrecht – abgesehen davon ist die andere Meinung auszuhalten.

Eine Verteidigung in Protest gekleidet

Es finden sich auch einige prominente Gewerkschafter bei den Unterzeichnern, etwa Anja Piel (Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB) oder Frank Werneke (Vorsitzender von ver.di). Wollen sie die demonstrierenden Bürger, die sicherlich zum Teil Gewerkschaftsmitglieder sind, ebenfalls pauschal als Anhänger oder Opfer „antisemitisch konnotierter Verschwörungserzählungen“ brandmarken?

Unteilbar muss ja nicht demonstrieren – es könnte aber seine offensichtlich guten Medienkontakte nutzen, um die aktuelle radikale Politik in Erklärungsnot zu bringen. Aber Unteilbar tut das Gegenteil: Es entwertet pauschal die Argumente der (einzigen wirklich sicht- und hörbaren) Kritiker der Corona-Politik und stellt damit indirekt einen Freibrief aus – für eine Politik, wie sie vor einigen Monaten noch absolut unvorstellbar war. Dieser Freibrief wird nicht eingeschränkt durch in der Praxis folgenlose theoretische Forderungen nach „solidarischen“ Lockdowns.

Resonanz: Medien unkritisch, Bürger uninteressiert

Die Akteure und Unterzeichner von Unteilbar fühlen sich wahrscheinlich dennoch in einer Form von „Opposition“ – schließlich fordern sie doch vehement, dass „niemand zurückgelassen“ wird! In der Realität gehen diese ebenfalls aufgestellten „sozialen“ Forderungen erwartungsgemäß und voraussehbar unter – was aber bleibt und von interessierten Medien und Politikern gerne aufgegriffen wird, ist die giftige Diffamierung der Andersdenkenden.

Die gesellschaftliche Resonanz auf den Aufruf – jenseits des offiziellen politisch-medialen Beifalls – kann bisher, wie gesagt, als verhalten bezeichnet werden. So wurden seit dem 5. April 5430 Unterschriften geleistet (Stand 9. April, 12h). Und das trotz freundlicher, kritikloser und fast wortgleicher Flankierung durch zahlreiche Medien, etwa hier oder hier oder hier oder hier oder hier.

Titelbild: KU_555 / Shutterstock


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