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Titel: „Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und tolerierten Opfer“

Datum: 2. Juli 2021 um 10:19 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Das ist der Untertitel des neuen Buches von Jens Berger. Gestern Abend beim Blick in Maybrit Illners Talkshow wurde klar, wie wichtig seine Zwischenbilanz ist. Da war nämlich – welch eine Erkenntnis! – die Rede davon, Menschen könnten auch an den Folgen der Corona-Politik sterben. Die NachDenkSeiten berichten darüber seit April 2020! Im Oktober 2020 fragten wir dann unsere Leserinnen und Leser nach ihren persönlichen Erfahrungen und wir dokumentierten ihre oft bedrückenden Berichte: „Die im Dunkeln sieht man nicht. Eine Dokumentation über Folgen der Corona-Politik“. Daraus wurde dann zum Jahresende 2020 ein Buch mit dem gleichen Titel. Jetzt hat Jens Berger mit „Schwarzbuch Corona“ die notwendige Zwischenbilanz gezogen. Sie finden in seinem Buch eine Reihe von wichtigen Daten und Erkenntnissen zu den Folgen der Corona-Politik. Albrecht Müller.

Lassen wir den Autor selbst sprechen und zwar mit einem für ihn einschlägigen Kapitel – es geht um die Frage, wie verschieden die Schäden und Opfer der Corona-Politik verteilt sind. Die finanziell nicht gut ausgestatteten Menschen leiden deutlich mehr. Hier ein Auszug von den Seiten 102-104:

„Insgesamt haben die Maßnahmen die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. Einen ganz wesentlichen Teil dazu hat die armutspolitische Ignoranz der maßgeblichen Akteure beigesteuert. Die Maßnahmen haben die soziale Spaltung als chronische Erkrankung unserer Gesellschaft offengelegt, die nicht durch Virologen gelöst werden kann.

Sorglos in Hobbingen

Der Lockdown ist nun einmal auch eine Klassenfrage, und es ist kein Wunder, dass die begeistertsten Lockdown-Anhänger mehrheitlich dem wohlsituierten Bürgertum angehören. Es macht halt einen Unterschied, ob man die sonnigen Tage als Pensionär oder »Homeoffice-Elite« nutzt, um im Eigenheim im grünen Speckgürtel mit den Kindern oder Enkeln im Garten zu spielen und sich selbst zu finden oder ob man als alleinerziehende Niedriglöhnerin, die vom Arbeitgeber auf Kurzarbeit gesetzt wurde, mit den Kindern bei gesperrten Spielplätzen in der kleinen Zweizimmerwohnung im Plattenbau verbringen muss. Für Millionen Deutsche ist der Lockdown eben kein verlängerter Urlaub daheim, sondern eine psychische und ökonomische Tragödie.

Als ich selbst während des ersten Lockdowns durch die Straßen meines ländlichen Wohnorts zog, kam ich mir damals ein wenig vor wie im Auenland der Herr-der-Ringe-Trilogie. Wie fröhliche Hobbits beschäftigten sich meine Nachbarn mit Gartenarbeit und spielten mit ihren Kindern. Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man vor allem in der Kontaktsperre meist nicht. Durch den Lockdown ging ein Riss durch dieses Land. Auf der Lockdown-Sonnenseite befinden sich – trotz Risikogruppenzugehörigkeit – diejenigen Pensionäre und Rentner, die man als ökonomisch unabhängig bezeichnen könnte, und all die Beamten und meist höheren Angestellten, denen es vergönnt ist, ihren Job von daheim aus zu erledigen. Da wird sich dann auf Twitter, Facebook, Instagram und Co. über die unverantwortlichen Menschen aufgeregt, die sich nicht an die Maßnahmen halten und sich abends im Park aufhalten – und das auch noch unter Missachtung der Abstandsregeln. Ja, wenn man in einer kleinen Wohnung lebt, hat man schon seltsame Bedürfnisse. Das können Menschen mit Eigenheim und Grundstück nicht verstehen.

Viele Privilegierte nehmen den Lockdown eher als skurrilen Heimurlaub wahr. Es gibt Schlimmeres im Leben; die Pensionen, Renten und Gehälter dieser Glücklichen werden schließlich pünktlich überwiesen, und man hat nun endlich die Zeit, sich um Dinge zu kümmern, zu denen man im Arbeitsalltag nicht kommt. Freilich jammert man dennoch; zwar auf hohem Niveau, aber auch das ist nichts Neues. Hauptsache das Bier und die Bratwürste gehen nicht aus.

Ein wenig weiter unten auf der Corona-Lockdown-Leiter sieht die Lage schon nicht mehr ganz so rosig aus. Wer keinen Garten hat, um mit den Kindern zu spielen, und stattdessen in einer kleinen Wohnung mit dem Nachwuchs eingesperrt ist, dem fällt irgendwann die Decke auf den Kopf. Was tun? Die Spielplätze sind abgeriegelt, die typischen städtischen Freizeitaktivitäten für Kinder geschlossen oder untersagt. Und da die Kitas und Schulen dicht sind, müssen die Kleinen nun den ganzen Tag beschäftigt werden. Zu Oma und Opa soll man sie nicht geben – Risikogruppe. Das Konto leer, die Nerven überspannt, soziale Kontakte untersagt – eine toxische Mischung, die nicht selten sogar zu familiärer Gewalt führt. Hier geht es oft um existenzielle Bedrohungen und den Verlust der materiellen Basis. Diese Menschen sind psychisch und wirtschaftlich bis ins Mark getroffen, und für sie ist die Lockdown-Debatte mehr als virologisch begründete Maßnahmen, bei denen so »profane« Dinge wie die Rückkehr zu einem geordneten wirtschaftlichen Leben eine untergeordnete Rolle spielen.

Doch all diese Schicksale spielen bei der Debatte um die Maßnahmen so gut wie nie eine Rolle. Man sieht halt nur die im Lichte; und die im Lichte sind es, die Leitartikel schreiben und in den Talkshows und Kommentarformaten Meinungen machen. Diese Leitartikel stammen freilich nicht von den »freien« Journalisten, die ansonsten ihre Brötchen mit Veranstaltungs- oder Sportberichten verdienen und die dank Lockdown nun ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Auch Sorglosigkeit ist ein Privileg, das man sich leisten können muss. Wenn man selbst unbesorgt auf den obersten Stufen der Corona-Lockdown-Leiter steht, ist es natürlich einfach, die »guten« Ratschläge der Virologen als alternativlos zu verkaufen und den Rest des Landes auf weitere Wochen oder gar Monate der Einschränkung einzuschwören – der Preis, den man selbst dafür zu zahlen hat, ist vergleichsweise gering. So what? Vielleicht sollten diese Leitartikler einmal eine Woche mit jemandem auf den unteren Stufen der Corona-Lockdown-Leiter tauschen. Vielleicht kämen sie dann bei ihrer sorgfältigen Abwägung zu anderen Antworten?“

Auszug aus: Jens Berger: Schwarzbuch Corona. Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und tolerierten Opfer, Westend Verlag, 28.6.2021


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