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Titel: Einfach mal den Weltkrieg fordern

Datum: 23. März 2022 um 12:19 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Parteien und Verbände
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Deniz Yücel und andere fordern indirekt Flugverbotszonen über der Ukraine. Dadurch macht sich der Journalist und PEN-Präsident gemeinsam mit anderen Akteuren zur Vorhut einer unverantwortlichen Leichtfertigkeit. Diese Haltung bedroht den militärischen und den sozialen Frieden. Mit dem öffentlichen Brechen von Tabus wird einer undenkbaren Politik der Weg geebnet. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein aktueller Konflikt um den Präsidenten der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum, Deniz Yücel, wirft ein Licht auf Versuche von Akteuren in Deutschland, durch Tabubrüche eine Ausweitung des Ukrainekrieges zu forcieren. Auf Details des PEN-Konfliktes wird weiter unten im Text genauer eingegangen. Der Vorgang, bei dem Yücel unter anderem eine Flugverbotszone über der Ukraine ins Spiel gebracht hat, ist symptomatisch für eine Entwicklung: Mit skrupelloser und gefährlicher Leichtfertigkeit werden momentan der militärische und der gesellschaftliche Frieden aufs Spiel gesetzt.

„Das Risiko einer NATO-Intervention wäre beherrschbar“

So fordert Nikolaus Blome aktuell im „Spiegel“ zwar keine Flugverbotszone, aber den offenen Regime-Change in Russland, die unberechenbaren Folgen in Kauf nehmend: „Der Westen sollte sich zum wahren Ziel bekennen: Putin muss weg!“. Die „Zeit“ ging in einem Kommentar weiter: „Eingreifen, bevor es zu spät ist. Sanktionen und Waffenlieferungen stoppen Wladimir Putins Vernichtungskrieg nicht. Trotz all seiner Drohungen wäre das Risiko einer NATO-Intervention beherrschbar.“ Die ehemalige Moskau-Korrespondentin Gesine Dornblüth fragte kürzlich laut German Foreign Policy, ob es nicht „möglicherweise geboten“ sei, „dass die Nato aktiver wird“, etwa mit der Errichtung einer Flugverbotszone. Das gleiche Medium berichtet, dass der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Thomas Enders, gefordert habe, die NATO solle eine Flugverbotszone „zumindest über den sechs bis acht westlichen Oblasten der Ukraine“ errichten; dazu solle auch die Bundeswehr beitragen – mit den Kampfjets, die derzeit zur Luftraumüberwachung in Rumänien stationiert sind. Diese Äußerungen sind nur ein unvollständiger Ausschnitt und diese Forderungen kommen noch zu den entsprechenden Positionen aus der Ukraine, aus Estland oder den USA hinzu.

Es geht nicht nur um den militärischen Frieden. Auch der gesellschaftliche Frieden ist durch riskante Leichtfertigkeiten bedroht, etwa durch die materiellen Folgen der Sanktionen. Betont werden muss, dass diese Sanktionen (wie die Waffenlieferungen und die neue deutsche Hochrüstung) mutmaßlich keinem einzigen ukrainischen Zivilisten das Leben retten werden. Dass die aktuelle antirussische „Friedensbewegung“ weite Teile der NATO-Propaganda stützt, ist ebenso irritierend wie die Forderungen junger Aktivisten nach einem Importstopp von russischem Öl und Gas – wiederum die gravierenden Folgen dieses (für das Leid ukrainischer Zivilisten irrelevanten) Schrittes für zahlreiche Bürger bewusst in Kauf nehmend. Dass die Außenministerin Annalena Baerbock bereit ist, die deutsche Bevölkerung einen „hohen Preis“ zahlen zu lassen, ist bekannt. Ebenso die heuchlerische Haltung einiger Akteure, die ein „Frieren für die Freiheit“ akzeptabel finden (wenn es andere trifft).

Verbale Bulldozer ebnen den Weg für undenkbare Politik

Deniz Yücel und andere übernehmen hier mutmaßlich nur die besonders grobe Vorhut der Propaganda für einen NATO-Eintritt, indem sie zunächst in verbaler Form öffentlich Tabus aus dem Weg räumen: sozusagen als Bulldozer, in deren Folge dann eine bislang undenkbare Politik möglich wird.

Den aktuellen Forderungen nach einem Rücktritt Yücels als PEN-Präsident schließe ich mich aber nicht an: Einerseits muss die gefährliche Leichtfertigkeit von Yücels Handeln zwar benannt und verurteilt werden. Andererseits wurde der inhaltlichen Debatte mit den Rücktrittsforderungen aber ein Bärendienst erwiesen: Dadurch befindet sich Yücel nun in der Opferrolle mit bedrohter Meinungsfreiheit. Dass Deniz Yücel einerseits ein prominenter Großsprecher ist, er andererseits aber manchmal nur ein analytisches Leichtgewicht darstellt, das belegen seine jüngsten Aussagen zur Flugverbotszone bei der Literaturmesse lit.Cologne.

„Dann werde man schon sehen, wie weit Putin sich traut“

Der Konflikt im PEN um Yücel besteht bereits seit mehreren Wochen. So liegt laut Medien schon seit 8. März ein Antrag auf Abwahl des Präsidiums vor. Es gibt bei der Auseinandersetzung zwei Ebenen. Auf der einen wird Yücel intern rüder Umgang, Beleidigung und Mobbing vorgeworfen, es gibt einen „geleakten” Mailverkehr (Hintergründe hier). Aus diesen Gründen stellten langjährige und renommierte PEN-Mitglieder dem aktuellen PEN-Präsidium einen Abberufungsantrag.

Auf der anderen Ebene geht es um Yücels jüngste Äußerungen zu einer Flugverbotszone über der Ukraine, die er vergangene Woche auf der Literaturmesse in den Raum gestellt hat. Yücel war bei der Veranstaltung in Köln von der Moderatorin gefragt worden: „Sollte der Luftraum über der Ukraine geschlossen werden?“ Seine Antwort:

„Wäre ‘ne gute Idee, oder?“

Andernfalls drohe die Zerbombung von Kiew durch die russischen Streitkräfte, so Yücel weiter. Er wundere sich darüber, dass so viele Leute zu wissen glaubten, wie Putin reagieren würde, wenn die NATO andere Saiten aufziehe.

Als Reaktion auf diese öffentlichen militärischen Positionierungen in seiner Rolle als PEN-Präsident haben fünf ehemalige PEN-Präsidenten (Christoph Hein, Gert Heidenreich, Johano Strasser, Josef Haslinger und Regula Venske) Yücel ebenfalls zum sofortigen Rücktritt aufgefordert, da er Befugnisse seines Amtes überschritten und gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen habe.

„Es geht hier nicht um Deine private Meinung“, schrieben sie Yücel laut Medienberichten. Bei der Veranstaltung in Köln habe Yücel aber eindeutig als Präsident des PEN gesprochen und sei auch als solcher eingeladen worden. Mit seinen Äußerungen habe er seine Befugnisse überschritten und gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen, die die Mitglieder verpflichte, „mit äußerster Kraft… für das Ideal einer… in Frieden lebenden Menschheit zu wirken“. Yücels Statements würden hingegen darauf hinauslaufen, „dass man ja doch mal riskieren könnte, die Nato zum direkten Kriegsteilnehmer in der Ukraine zu machen, dann werde man schon sehen, wie weit Putin sich traut“.

Kritik und Rückendeckung für Yücel

Yücel, der sich kürzlich auch zum Verbot von RT positioniert hat, lehnt die Rücktrittsforderung ab. In einer Antwort der aktuellen PEN-Präsidiums-Mitglieder Ralf Nestmeyer, Joachim Helfer, Christoph Links und Konstantin Küspert wird ihm laut taz der Rücken gestärkt. Diese vier Autoren kommen zum Ergebnis, dass vom Friedens-Ideal des PEN aus tatsächlich auch über Flugverbotszonen nachgedacht werden kann, um einem „gegen die Zivilbevölkerung geführten Angriffskrieg mit aller Kraft entgegenzutreten“. So schnell vollzieht sich also auch hier die Anpassung an den neuen Zeitgeist. Der frühere Generalsekretär des deutschen PEN, Herbert Wiesner, verteidigt Yücel im Sinne der Meinungsfreiheit, wie die „Welt“ berichtet.

Die beiden Pole der internen PEN-Debatte wurden gerade vom Deutschlandfunk interviewt. Dabei kommt der Autor Volker Skierka zum Ergebnis, Yücel und die Hälfte des Präsidiums seien „untragbar“: „Ich denke, wir haben den falschen PEN-Präsidenten gewählt.“ Yücel dagegen wiederholt, er finde es falsch, dass die NATO auf echte Drohkulissen verzichtet habe. Der deutsche Faschismus sei auch nicht mit offenen Briefen und Sitzblockaden besiegt worden.

Weitere Informationen zu den aktuellen Vorgängen finden sich beim PEN unter diesem Link. Das PEN-Zentrum Deutschland ist eine von derzeit weltweit 150 Schriftstellervereinigungen, die im PEN International zusammengeschlossen sind. PEN steht für Poets, Essayists, Novelists. Die 1921 in England gegründete Vereinigung bezeichnet sich selbst als Anwalt des freien Wortes und als Stimme verfolgter und unterdrückter Schriftsteller.

Titelbild: Couperfield / shutterstock.com


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