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Titel: Gas für Rubel – Russland reagiert rational auf die Sanktionen und der Westen spielt abermals mit falschen Karten

Datum: 24. März 2022 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Finanzen und Währung, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Der russische Präsident Wladimir Putin hat gestern angekündigt, dass Russland seine Energieexporte in „unfreundliche Länder“ in Kürze nur noch in Rubel abrechnen werde. Die russische Zentralbank soll binnen einer Woche ein Zahlungssystem dafür vorbereiten. Die Aufregung in Deutschland ist groß und offenbar herrscht in Politik und Medien eine große Verwirrung, die zu noch größeren Fehldeutungen führt. Russlands Schritt war zu erwarten und ist eine direkte Reaktion auf die Sanktionen des Westens gegen die Russische Zentralbank. Abhängig davon, wie Russland das neue Zahlungssystem gestaltet, könnte diese Neuerung am Ende vor allem dazu führen, dass die Energiepreise weiter steigen. Aber das dürfte der Westen „eingepreist“ haben, wenn er nicht vollkommen planlos agiert. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der „Rubel-Zwang“ nun als Vorwand für ein Energie-Import-Embargo herangezogen wird, das vor allem Deutschland schaden würde. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Bevor man sich näher mit dem Thema beschäftigt, ist ein kleiner Ausflug in die Grundlagen der internationalen Handels- und Devisengeschäfte nötig. Denn offenbar verstehen hier selbst die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung oft nicht einmal die Unterschiede. Bei langfristigen Lieferverträgen wird der zu zahlende Preis in der Regel durch eine Preisanpassungsklausel geregelt. Solche Klauseln bestehen aus verschiedenen Faktoren – bei innerdeutschen Wasserlieferungsverträgen sind dies beispielsweise die Kosten für Energie und Arbeit, die in bestimmten Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts ermittelt werden. Bei internationalen Lieferverträgen spielen hier vor allem Währungsschwankungen eine Rolle. Auf welche Währungskurse die Lieferverträge für die deutsch-russischen Gasgeschäfte bei der Preisfestlegung Bezug nehmen, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Es ist aber anzunehmen, dass im beidseitigen Interesse ein Währungskorb als Basis für Preisanpassungen gewählt wurde, der vor allem aus Euro und US-Dollar besteht. Beide Währungen sind wertstabil und für Energiegeschäfte besonders wichtig: Für beide Währungen gibt es auf den Finanzmärkten sehr liquide Märkte für Termin- und Preisabsicherungsgeschäfte, das sogenannte „Hedging“.

Die Währungen, die in die Preisanpassungsklauseln einfließen und die als Nominalwährung den zu zahlenden Betrag festlegen, haben aber gar nichts mit der Transaktionswährung zu tun, in der die Geschäfte letzten Endes beglichen werden – Ökonomen sprechen hier vom „Settlement“. Es ist dem Käufer (z.B. EON) und dem Verkäufer (z.B. Gazprom) überlassen, dies individuell zu regeln. Die Transaktionswährung ist ein rein technischer Faktor. Würden EON und Gazprom sich – was natürlich unsinnig wäre – darauf einigen, die Gaslieferungen in ungarischen Forint zu bezahlen, würde EON den Rechnungsbetrag am Tag der Überweisung von Euro in Forint umtauschen, an Gazprom überweisen, und Gazprom würde die Forint dann wieder in Rubel umtauschen. Eine Art Nullsummenspiel. Und um diese Transaktionswährung geht es bei der Ankündigung Putins und nicht etwa um die Bezugswährungen, die den Gaspreis festlegen. Diese Unterscheidung ist wichtig. Der Kern der Verträge bleibt unangetastet. Hier muss demnach auch nichts nach- oder neuverhandelt werden, wie einige Medien nun raunen.

Russland verkauft seine Energieexporte nach Deutschland zurzeit vor allem über die Transaktionswährung Euro. Das war bis vor kurzem bequem für beide Parteien. EON musste kein Geld für Währungstransaktionen ausgeben und Gazprom führt einen Großteil seiner Konten ohnehin in Euro und muss so nur die eigenen Kosten – die ja vor allem in Rubel anfallen – auf dem ehemals recht liquiden Devisenmarkt von Euro in Rubel tauschen. Durch die Sanktionen der EU ist dies jedoch nicht mehr so ohne Weiteres möglich, da ein großer Teil des russischen Bankensektors inklusive der Russischen Zentralbank vom Euro-Markt abgeschnitten sind. Die Einnahmen von Gazprom gehen also zurzeit – vereinfacht ausgedrückt – auf ein „Euro-Sperrkonto“, auf das der Konzern de facto keinen Zugriff hat. Die Rechnungen in Rubel kann der Konzern über das Kreditfenster der Russischen Zentralbank weiterbezahlen. Er ist nicht illiquide, aber durch die Sanktionen ist der Devisenmarkt für den Rubel ausgetrocknet. Da fast niemand Euro in Rubel tauschen kann oder will, geriet der Rubel unter Abwertungsdruck. Das wiederum verteuert die Importe Russlands und führt letztlich zu Inflation. Aber das ist ja ein Ziel der Sanktionen der USA und der EU. Insofern ist es vollkommen normal und verständlich, dass Russland einen Weg sucht, diese Abwertung zu verhindern. Und ein „Settlement“ der Energieexporte in Rubel ist dazu sehr gut geeignet.

Kommen wir zu den deutschen Ökonomen und Politikern. Die haben die Grundproblemstellung offenbar nicht wirklich verstanden. Jens Südekum, der Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung ist, wird von den Medien mit dem Satz zitiert, dies sei „eine Eskalation des Wirtschaftskriegs“. Der Westen sei gezwungen, „seine eigenen Sanktionen zu unterlaufen und Rubel bei der russischen Zentralbank zu holen“. Das ist natürlich Unsinn, aber dieser Unsinn zeigt einmal mehr, wie wenig deutsche Ökonomen vom Zentralbank- und Währungswesen verstehen. Richtig ist, dass die russische Zentralbank von der EU und den USA sanktioniert wird. Das gilt jedoch keinesfalls für andere Währungsräume wie beispielsweise die Schweiz oder China. Wenn EON also seine Rechnung bei Gazprom in Rubel begleichen will, dann kann der Konzern dies ganz bequem über sein sicher ohnehin vorhandenes Schweizer Konto tun. EON tauscht dann Euro in Schweizer Franken und tauscht diese gegen Rubel, um die Rechnung zu begleichen. Das wäre auch in chinesischen Renminbi und zahllosen kleineren Währungen möglich. Sinnvoll in Frage kommen hier aber nur der liquide Schweizer Franken und der ebenso liquide Renminbi, da Devisengeschäfte in neunstelliger Euro-Höhe pro Tag ansonsten erhebliche Einflüsse auf die Märkte kleinerer illiquider Währungen hätten.

Der Vorteil für Russland liegt auf der Hand. Durch die Umstellung auf die Transaktionswährung Rubel wird eine künstliche Nachfrage nach dem Rubel aufgebaut, die ganz maßgeblich dazu beiträgt, den Kurs des Rubel zu stützen – vor allem, da der umgekehrte Weg, Rubel in Euro, Dollar, Pfund oder Yen zu tauschen, ja durch die Sanktionen verbaut ist. Am Ende erhält Gazprom die Kaufsumme in Rubel auf ein russisches Konto, über das man auch verfügen kann, und für EON ist diese Umstellung „lediglich“ mit mehr Aufwand und höheren Transaktionskosten verbunden. Der Preis für Gasimporte wird also weiter steigen. Da es sich aber „nur“ um eine Umstellung der Transaktionswährung handelt, bleiben die Preisanpassungsklauseln unberührt.

Für Russland ist dieser Schachzug wichtig und richtig. Um dies zu verdeutlichen, hilft ein Blick auf die Umtauschkurse vom Rubel in Euro und Renminbi.


Euro in Rubel


Renminbi/Yuan in Rubel

Dem Kriegsbeginn und den Sanktionen folgte eine massive Abwertung des Rubels. Zum Höhepunkt hätten Kunden in Russland für Importe aus China das Doppelte wie vor wenigen Monaten zahlen müssen. Die Auswirkungen auf die Inflation wären gewaltig gewesen. Die ersten Maßnahmen Russlands (Zinserhöhung, Zwangsumtausch) haben jedoch bereits geholfen, den Wert des Rubels wieder deutlich zu steigern und es ist davon auszugehen, dass der „Rubel-Zwang“ den Rubelkurs nachhaltig stärkt.

Genau das wollen die USA und die EU aber nicht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass jetzt derartige Falschinformationen und Fehldeutungen veröffentlicht werden. Es ist sogar anzunehmen, dass der „Rubel-Zwang“ nun als Vorwand für den Einstieg in ein Energie-Import-Embargo genommen wird. Das ist verlogen. Solange die Importeure wie EON mit der Neuregelung zurechtkommen, bietet sich hier auch kein Vorwand für jedwede „Reaktionen“ seitens der Bundesregierung. Und warum sollten die Importeure Probleme haben? Das Gas wird zwar etwas teurer, aber es kommt und das zuverlässig. Kleinere Preissteigerungen lassen sich über eine Preiserhöhung ohnehin abfedern. Und man darf nie vergessen, dass diese Teuerung hausgemacht ist und Russland so reagiert, wie es reagieren muss, will es keinen ökonomischen Selbstmord begehen und seine Bürger über die Inflation teuer für die Sanktionen des Westens zahlen lassen.

Am Ende könnten abermals die Deutschen die großen Verlierer sein. Denn wenn die Bundesregierung den „Rubel-Zwang“ als Vorwand für ein Energie-Import-Embargo nimmt, werden die Preise für uns explodieren und wir werden den Preis für die Sanktionen in Form von Inflation bezahlen. Das wissen auch die Russen. Ob es die deutschen Zeitungsleser wissen, sei einmal dahingestellt.

Titelbild: FOTOGRIN/shutterstock.com


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