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Titel: Öl-Embargo – eine ökonomische und ökologische Schnapsidee

Datum: 6. Mai 2022 um 11:42 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Globalisierung, Ressourcen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Innerhalb von sechs Monaten sollen die meisten EU-Länder den Import russischen Rohöls stoppen. Das ist eine der Kernforderungen der EU-Kommission für die kommende Sanktionsrunde. Diese Forderung ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine Schnapsidee. Letztlich würde sie nur dazu führen, dass die Welthandelsströme für Öl sich verlagern und der kostbare Rohstoff nicht mehr preiswert und ökologisch vertretbar durch Pipelines, sondern rund um die Welt mit Tankern transportiert wird. Dies wird auch den Preis in die Höhe katapultieren und dies langfristig. Russland würde als einer der größte Ölexporteure am Ende des Tages also sogar profitieren, während die Bürger und die Industrie der EU die größten Verlierer wären. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Unsere Welt hängt am Öl. Und daran lässt sich auch mittelfristig nichts ändern. Während der Westen durch die Energiewende und technologische Weiterentwicklungen seinen Verbrauch zwar tendenziell in den letzten Jahren zurückfahren konnte, macht der ökonomische Aufschwung der Schwellen- und Entwicklungsländer diesen Nachfragerückgang mehr als wett. Allein der Mehrverbrauch Indiens ist größer als alle Einsparungen der EU zusammengenommen. Öl ist nach dem weltweiten Wirtschaftseinbruch durch die Covid-19-Maßnahmen heute gefragter denn je und Öl ist – anders als Erdgas – auch relativ problemlos international handelbar. Den Barrel, den die EU den Russen nicht mehr abkauft, nehmen Länder wie China, Indien, Indonesien, Vietnam, Singapur oder Thailand gerne. Die genannten Länder haben übrigens zusammen heute schon fast den doppelten Ölverbrauch wie die EU – Tendenz stark steigend.

Welthandelsströme für Erdöl und raffinierte Erdölprodukte
Quelle: BP Statistical Review of World Energy 2021 | 70th edition

Mittel- bis langfristig würde ein Ölembargo der EU gegen Russland also nur zu Verschiebungen im Welthandel führen. Nehmen wir das Beispiel Indien, um dies zu verdeutlichen. Heute spielen die Ölexporte Russlands beim indischen Importmix keine nennenswerte Rolle. Das Land bezieht sein Öl vor allem aus dem Irak, aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, was aufgrund der geographischen Nähe ja auch naheliegt. Wenn die EU nun kein russisches Öl mehr importiert, muss sie zwangsläufig ihr Öl aus anderen Regionen beziehen – zum Beispiel von den großen Ölexporteuren am Persischen Golf. Dann bringt halt der Tanker, der zuvor das Öl aus Ras Tanura, Saudi-Arabien, nach Indien transportiert hat, künftig die kostbare Ware nach Rotterdam, während Indien von einem russischen Tanker aus Noworossijsk beliefert wird. Noworossijsk ist übrigens über eine Nebenpipeline an das westsibirische Pipelinesystem angeschlossen, das zurzeit über die Pipelines des Druschba-Verbundsystems maßgeblich zur europäischen Ölversorgung genutzt wird. Am Ende steigt durch die Verlagerung des Transports von Pipelines und kurzen Transportrouten auf See auf lange Transportrouten auf See nur der Preis. Und die nötigen Investitionen in Tanker- und Terminalkapazitäten werden sich selbstverständlich auch noch auf den Preis niederschlagen.

Kurzfristig wird es durch das Embargo jedoch wahrscheinlich zu Verwerfungen führen. Denn es dauert seine Zeit, bis die notwendigen Transportkapazitäten aufgebaut worden sind. In dieser Übergangsperiode werden die EU und andere Ölimporteure um die knappen Transportkapazitäten streiten. Ökonomisch heißt dies, dass der Wettbewerb um freie Kapazitäten über den Preis ausgefochten wird – zum Nachteil der Verbraucher und Importeure. Die großen Gewinner werden die Volkswirtschaften sein, die heute schon über große Exportvolumina samt den dazugehörigen Transportkapazitäten verfügen – das sind allen voran Saudi-Arabien, der Irak, Kanada und auch westafrikanische Staaten wie Angola und Nigeria, die auf dem Seeweg doppelt so viel Rohöl exportieren wie der weltgrößte Ölförderer, die USA.

Der große Verlierer sind die Staaten der EU. In Europa werden sich die höheren Kosten für Rohöl und raffinierte Ölprodukte sowie die höheren Transportkosten voll durchschlagen. Und die EU ist es auch, die einen Großteil der Investitionen in Transport- und vor allem Terminalkapazitäten zu tragen hat. Einem Land wie Indien ist es relativ egal, ob der Tanker nun aus Saudi-Arabien oder aus Russland kommt. Die EU, die ihr Öl bislang vor allem über Pipelines aus Russland bezieht, muss jedoch erst einmal die Hafen-, Terminal-, Raffinerie- und inländischen Transportkapazitäten aufbauen, um ihr Öl überhaupt mit einem ökonomisch vertretbaren Mehraufwand aus anderen Regionen der Welt zu beziehen. Hinzu kommt, dass Öl nicht gleich Öl ist und vor allem die technisch hochgezüchteten Produktionslinien der Petrochemie in Deutschland hohe Investitionskosten haben werden. Das Ölembargo der EU gegen Russland träfe also vor allem die EU selbst.

Und wie sieht es mit Russland aus? Würde das Embargo denn zumindest den Zweck verfolgen, den die EU-Kommission sich von ihm verspricht? Kurzfristig schon, da Russland selbst zurzeit auch nicht über die Transportkapazitäten verfügt, um das westsibirische Öl an neue Kunden zu liefern. Dafür profitiert Russland jedoch maßgeblich vom gestiegenen Erdölpreis, der die bestehenden Exporte in Länder, die Russland nicht sanktionieren, verteuert. Mittel- bis langfristig zählt Russland jedoch nicht zu den Verlierern, sondern ganz im Gegenteil zu den Gewinnern des Embargos. Die Zeiten billigen Öls sind wohl für immer vorbei und wenn Russland es schafft, auch nur annähernd die Menge nach Asien zu exportieren, die es jetzt nach Europa exportiert, wird es dank der gestiegenen Preise in Summe deutlich mehr Geld einnehmen als vor dem Krieg.

Wollten die Sanktionen der EU Erfolg haben, müssten sie nicht nur von der EU, sondern von allen nennenswerten Ölimporteuren getragen werden. Länder wie China, Indien, Indonesien, Vietnam oder Thailand denken jedoch im Traum nicht daran, sich volkswirtschaftlich zu ruinieren, weil der Westen sich mal wieder moralisch im Recht sieht. Dies sieht auch der indische Premier Modi so, der Olaf Scholz am Wochenende erst einmal einen Vortrag darüber hielt, wie sinnlos die Sanktionen sind, das Indien sich ihnen nicht anschließen wird und auch deshalb ein Pfeiler des globalen Aufschwungs nach dem Krieg sein wird. Offenbar könnte Deutschland in diesem Punkt einiges von Indien lernen.

Aber es gibt ja noch mehr als die Wirtschaft. Last but not least gibt es einen weiteren großen Verlierer – das Klima. Es ist nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch der helle Wahnsinn, Öllieferungen aus Pipelines und kurze Lieferwege über See durch lange Lieferwege über See zu ersetzen. Wenn Deutschland künftig sein Öl nicht mehr aus russischen Pipelines, sondern mit Tankern aus dem Persischen Golf, Westafrika und Nord- und Südamerika bekommt, konterkariert dies die Klimaschutzpolitik auf groteske Weise. Dass es gerade die Grünen sind, die sich in besonderer Weise für ein Ölembargo stark machen, ist dabei nur eine weitere Randnote des vollständigen moralischen und intellektuellen Bankrotts dieser Partei.

Titelbild: Avigator Fortuner/shutterstock.com


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