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Titel: Spritpreise – schwere soziale Verwerfungen sind vorprogrammiert und werden von der Politik billigend in Kauf genommen

Datum: 1. Juni 2022 um 11:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Soziale Gerechtigkeit, Verbraucherschutz, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Trotz Maßnahmenpaket und Tankrabatt bewegen sich die Spritpreise an deutschen Tankstellen auf einem historisch hohen Niveau. Die massiven Preissteigerungen sind direkte Folgen der von den westlichen Staaten verhängten Sanktionen gegen Russland. Wenn das jüngst verabschiedete Ölembargo der EU das Angebot an Rohöl noch weiter einschränkt und die auf drei Monate befristete „Anpassung“ der Energiesteuer ausläuft, wird das böse Erwachen folgen. Vor allem einkommensschwache Bürger, die auf ihr Auto angewiesen sind, und die Bewohner ländlicher Regionen werden – unabhängig von ihrem Einkommen – herbe Einschnitte verkraften müssen. Das ist der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, dass unsere Politik sich bei den Sanktionen vollkommen verrannt hat und offensichtlich die Interessen der USA wichtiger findet als das Wohl ihres eigenen Landes. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Seit heute gilt der sogenannte Tankrabatt an den Tankstellen. Je nach Sorte müsste der Kraftstoff zwischen 16,7 und 35,2 Cent günstiger werden. Erste Zahlen deuten darauf hin, dass die Preise tatsächlich im Vergleich zu gestern um rund die Hälfte des von der Regierung erlassenen Rabatts gesunken sind – da die Mineralölkonzerne die Preise jedoch trotz eines weitestgehend stabilen Rohölpreises in den letzten Wochen massiv erhöht haben, kommt am Ende beim Verbraucher fast nichts von diesem Rabatt an. So liegt der heute an den Tankstellen im Durchschnitt aufgerufene Dieselpreis mit 1,97 Euro ungefähr auf dem Niveau von 17. April (2,00 Euro). Der Preis für Super liegt mit 2,03 Euro sogar etwas höher als damals (2,02 Euro). Der Preis für Rohöl lag am 17. April jedoch mit 111 USD pro Barrel nur unwesentlich unter dem Preis von heute, der bei 117 USD liegt. Der gesamte Tankrabatt ist somit verpufft oder besser gesagt in die Margen der Mineralölkonzerne eingegangen. Die haben ihre Preiskalkulation über die gesamte Wertschöpfungskette, angefangen bei den Raffinerien bis zum Großhandel, in den letzten Wochen derart gestaltet, dass de facto nichts vom Rabatt beim Endkunden ankommt. Machte die Mineralölwirtschaft im vergangenen Jahr einen Umsatz von 1,5 Billionen Dollar, so werden es dieses Jahr laut der Internationalen Energieagentur stolze vier Billionen Dollar sein. Schätzungen zufolge wird der Tankrabatt den Steuerzahler 3,15 Mrd. Euro kosten. Da hätte man das Geld auch gleich den Mineralölkonzernen überweisen können, die dann on top kommen.

Doch so einfach ist es dann auch wieder nicht. Der Tankrabatt ist nämlich auf drei Monate begrenzt. Und man muss sicher kein Hellseher sein, wenn man davon ausgeht, dass die Mineralölkonzerne die Aufhebung des Rabatts diesmal 1:1 an den Endkunden durchreichen werden. Am 1. September können wir uns also bereits auf Spritpreise einstellen, die dann je nach Sorte mit einem Sprung um 16,7 bis 35,2 Cent steigen. Und das ist noch nicht alles.

Nach langem Ringen hat die EU nun auch ihr Ölembargo gegen Russland beschlossen. Für einige Staaten wie Ungarn oder Bulgarien wurden zwar Ausnahmen gemacht, aber allen voran Deutschland und Polen haben bereits unilateral verkündet, dass sie sogar noch über die verabschiedeten Embargomaßnahmen hinausgehen und von Ausnahmeregelungen, die auch sie theoretisch in Anspruch nehmen könnten, keinen Gebrauch machen werden. Die Folge ist klar: Angebot und Nachfrage machen den Preis. Wenn die EU freiwillig ihren größten Öllieferanten vom Markt abschneidet, wird das Angebot deutlich sinken und bei weitestgehend konstanter Nachfrage werden die Preise deutlich steigen. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern unstrittiges Basiswissen der Mikroökonomie. Wie hoch die Preissteigerungen ausfallen, ist zurzeit natürlich nicht seriös zu sagen. Wenn man allerdings bedenkt, dass noch im letzten Jahr ein Drittel der gesamten EU-Ölimporte aus Russland kamen, bekommt man vielleicht eine gewisse Ahnung. Zum Jahresende könnte der Sprit drei Euro an der Zapfsäule kosten. Es könnten aber auch vier oder fünf Euro sein.

Was hätte das für Folgen? Allen voran wären genau diejenigen betroffen, die bereits heute einen großen Teil ihres verfügbaren Einkommens für Kraftstoff ausgeben müssen. Das sind generell Bürger mit niedrigem Einkommen, die auf ihr Auto angewiesen sind. Das sind aber auch Bürger mit mittlerem und sogar höherem Einkommen, die auf dem Land leben, zum Arbeitsplatz pendeln müssen und auch für private Zwecke ihr Auto nutzen müssen.

Wer heute beispielsweise als Pendler 70 Kilometer zurücklegen muss, zahlt bei einem Benzinpreis von 1,30 Euro, wie er im letzten Jahr üblich war, mit einem normalen Auto 2.912 Euro reine Spritkosten. Bei einem Benzinpreis von 2,30 Euro steigen die Kosten auf 5.796 Euro, bei einem hypothetischen, aber durch das Ölembargo perspektivisch durchaus wahrscheinlichen Benzinpreis von 3,50 Euro wären es 8.820 Euro. Die monatlichen Mehrkosten liegen dann also bei rund 455 Euro. Und hier sprechen wir ja „nur“ über die reinen Benzinkosten für den Arbeitsweg. Private Fahrten kommen hinzu und durch die – jedoch nicht ausschließlich den Sanktionen zu verdankende – allgemeine Preissteigerung kommen noch weitere Mehrausgaben hinzu. Viele Arbeitnehmer können sich das gar nicht leisten, und diejenigen, die es sich leisten können, müssen dafür an anderer Stelle sparen. Leidtragende in zweiter Ebene sind damit vor allem die ohnehin bereits durch die Lockdown-Jahre geschädigten Branchen Tourismus, Gastronomie und Einzelhandel.

Die jetzigen sanktionsbedingten Teuerungen und mehr noch die zu erwartenden Preissteigerungen durch das Ölembargo werden somit nicht nur zu einer Wirtschaftskrise, sondern auch zu sozialen Verwerfungen bislang ungekannten Ausmaßes führen, die vor allem die ländlichen Regionen treffen. Da mag es kaum verwundern, dass die Grünen, die ja die größten Treiber dieser Sanktionspolitik sind, ihre Wählerklientel vor allem im urbanen, akademischen Bereich haben; also bei den Bürgern, die unter den jetzigen und kommenden Preissteigerungen im Vergleich am wenigsten zu leiden haben.

Und warum das Ganze? Russland wird durch diese Sanktionen allenfalls minimal geschädigt. Die Verluste durch die wegfallenden Lieferungen in die EU macht das Land über die steigenden Ölpreise bei seinen übrigen Lieferungen in die Länder, die kein Embargo verhängt haben, mindestens wett. Vielleicht nimmt Russland in Endeffekt sogar mehr Geld ein – das hängt letztlich nur davon ab, wie weit der Rohölpreis steigen wird. Wie kommt die Bundesregierung auf die absurde Idee, ihre eigenen Bürger bluten zu lassen?

Die Antwort kann eigentlich nur darin bestehen, dass die Regierung hier nicht ihre eigenen, sondern fremde Interessen vertritt. Es gibt nämlich auch absolute und relative Gewinner. Zu den absoluten Gewinnern gehören ganz klar die OPEC-Länder. Sie können ihre Exporterlöse in bislang nicht gekannte Höhen steigern und die Deviseneinnahmen u.a. in der EU investieren. Sprich: Wir verkaufen unser Land. Wenn Sie das nächste Mal lesen, dass irgendein Staatsfonds oder eine Beteiligungsgesellschaft aus den Emiraten, Katar oder Saudi-Arabien sich in Deutschland an einem Unternehmen beteiligt, Immobilien kauft oder sonstwie „investiert“, fragen Sie sich doch einmal, wo das Geld dafür herkommt. Einen Teil haben auch die Pendler aus Deutschland bezahlt.

Der große relative Gewinner sind jedoch die USA. Dort leidet vor allem die Landbevölkerung zwar auch unter steigenden Energiepreisen, auf der anderen Seite sind die USA jedoch auch der größte Erdölförderer der Welt und auch beim Erdgas spielen sie ganz oben mit. Nicht der Farmer aus dem Mittleren Westen, aber die US-Rüstungs- und Öl-Konzerne sowie die Banken und Finanzkonzerne sind die großen Gewinner der Selbstmordpolitik Deutschlands und der EU. Das sollten sich vor allem diejenigen noch einmal durch den Kopf gehen lassen, die Albrecht Müllers Begriff „Einflussagenten“ für eine Übertreibung halten.

Titelbild: Jan von nebenan/shutterstock.com


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