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Titel: Gendern: Darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einer Kunstsprache „erziehen“?

Datum: 5. August 2022 um 10:36 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ideologiekritik, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
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Die große Mehrheit der Bürger möchte keine Gendersprache. Darüber setzt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk an vielen Stellen hinweg und verletzt damit die Neutralität. Die irrationale Debatte um Sprachformen spaltet eine bereits auf vielen Gebieten geteilte Gesellschaft zusätzlich. Das muss aufhören, fordern jetzt zahlreiche Sprachwissenschaftler – zu recht. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Debatte um die Einführung der Gendersprache hängt bisweilen der Ruf an, sich um Nichtigkeiten zu drehen und viel Rauch und Leidenschaft um Nichts zu entfachen. Das ist nicht zutreffend: Zwar trägt die Debatte tatsächlich teils Züge einer politischen Beschäftigungstherapie, mit der andere Themen wirksam verdrängt werden können. Auf der anderen Seite ist es aber keineswegs eine politische Kleinigkeit, wenn eine Minderheit versucht, die große Mehrheit zu nicht akzeptierten neuen Regeln zu verpflichten. Wie bei manchen Corona-Regeln geht es mutmaßlich nicht nur um den Inhalt der Regeln selber, sondern auch um den prinzipiellen Vorgang, dass sich Bürger irrationalen Vorgaben unterordnen, ohne dass diese zuvor gesellschaftlich in angemessener Weise verhandelt worden wären.

Die Redaktion der NachDenkSeiten nutzt selber keine Gendersprache. Bei Beiträgen von Gastautoren und in Leserbriefen streichen wir sie aber auch nicht in jedem Einzelfall heraus. Auch wenn diese Praxis eine Tendenz der sprachlichen Regellosigkeit fördern könnte – eine solche Haltung wäre meiner Meinung nach auch gesellschaftlich ein akzeptabler Kompromiss, um das Thema vorerst zu entschärfen und aus dem Weg zu schaffen: Wer von der Genderbewegung bereits erfasst ist, kann die experimentellen Sprachformen nutzen.

Ein absolutes Tabu muss aber eine Erziehung oder gar ein Zwang für unwillige Bürger sein, die künstliche Gendersprache zu gebrauchen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) sollte meiner Meinung nach aus Gründen der Neutralität sowie wegen seiner Finanzierung durch alle Bürger und aus Gründen des gesellschaftlichen Friedens gänzlich auf die Nutzung der Gendersprache verzichten.

Mehrheit lehnt Gendersprache ab

Der jüngste Aufreger beim Thema Gendersprache im ÖRR war der Auftritt einer Moderatorin des Bayerischen Rundfunks: Die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema wurden in der Sendung offen bedauert und indirekt zu einer Motivation umgedeutet, das Publikum noch besser erziehen zu wollen.

Diese Erziehung zur Nutzung der Gendersprache wäre eine große Aufgabe, denn „fast zwei Drittel der Deutschen lehnen einer Umfrage zufolge eine gendergerechte Sprache ab. 65 Prozent der Bevölkerung halten nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter“, wie eine Befragung von Infratest Dimap ergeben habe, berichteten Medien im vergangenen Jahr.

Keine Ausgewogenheit

Das Thema ist also mindestens umstritten. Hier müsste der von allen Bürgern finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich eine neutrale Position einnehmen. Davon könne aber nicht die Rede sein, sagt eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern aktuell. Auf der Webseite „Lunguistik vs. Gendern“ haben sie einen Aufruf veröffentlicht. Darin zitieren sie zum Thema Neutralität aus dem Medienstaatsvertrag:

„§ 26 (2) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen (MStV).“

Die Sprachverwendung des ÖRR sei Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern, so die Unterzeichner. Daraus erwachse für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen, so der Aufruf:

„Mehr als drei Viertel der Medienkonsumenten bevorzugen Umfragen zufolge den etablierten Sprachgebrauch – der ÖRR sollte den Wunsch der Mehrheit respektieren.“

Das sei aber nicht der Fall: So sei die Berichterstattung des ÖRR über den Themenbereich Gendersprache unausgewogen und diene im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis: Befürworter erhielten einen deutlich größeren Redeanteil, würden “Experten” konsultiert, so stammten diese vorrangig aus dem Lager der Befürworter, Moderatoren würden sich zum Gendern bekennen, so einige Aussagen des Aufrufs. In den Medien des ÖRR würden Kritiker der Gendersprache „nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert“. Beispiele für die Berichterstattung listen die Autoren unter diesem Link auf – ob diese Beispiele repräsentativ sind, bleibt offen. Umfragen zum Thema finden sich hier.

„Linguistische Schwergewichte“ gegen sprachliche Regellosigkeit

Unter den Unterzeichnern sind „Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Gesellschaft für deutsche Sprache, des PEN Deutschland, des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft sowie eine ganze Reihe linguistische Schwergewichte“, wie die „Welt“ berichtet. In dem Artikel wird auch eine laut „Welt“ Einzug haltende sprachliche Regellosigkeit beim ÖRR moniert:

„Der ÖRR pflegt beim Gendern keine einheitliche Linie. Während der RBB-Jugendsender Fritz in den Nachrichten nach eigenen Angaben mit Kunstsprechpause gendert, verwenden im Deutschlandfunk nur manche Journalisten diese Sprechweise, andere nutzen praktisch ausschließlich das generische Maskulinum. (…) Bei der ‚Tagesschau‘ herrscht die gleiche Beliebigkeit: Während die Zuschauer in einer Ausgabe der Sendung mit einer Häufung von Beidnennungen und Partizipienformen wie ‚Mitarbeitende‘ beglückt werden sollen, fällt die nächste Ausgabe praktisch genderfrei aus. Ein Unding für die Sprachexperten.“

„Jargon einer lautstarken Minorität von Sprachaktivisten”

In dem Text werden mehrere sprachwissenschaftliche Fragen behandelt, unter anderem: Das Konzept der gendergerechten Sprache basiere auf der Vermengung der Kategorien Genus und Sexus. Die pauschalisierende Bewertung des generischen Maskulinums als grundsätzlich diskriminierende Sprachform sei wissenschaftlich nicht begründbar. Die Behauptung von der angeblichen “Unsichtbarkeit” der Frau in der deutschen Sprache sei abwegig. Das Deutsche verfüge bereits seit Jahrhunderten über ein Mittel, geschlechtsneutral zu formulieren. Ein Bedarf für das Erstellen von Neuformen bestehe grundsätzlich nicht:

„Die deutsche Grammatik ist weder ‚gerecht‘ noch ‚ungerecht‘ – Gerechtigkeit ist eine ethische Kategorie, die zur Beschreibung grammatischer Strukturen nicht tauglich ist. Dass das generische Maskulinum Frauen (und nichtbinäre Identitäten) ‚ausschließe‘ oder nur ‚mitmeine‘, ist eine Behauptung, die auf einer Fehlinterpretation grammatischer Strukturen basiert.”

Bedenklich sei außerdem, „wenn immer mehr Journalisten in Unkenntnis der sprachwissenschaftlichen Fakten den Jargon einer lautstarken Minorität von Sprachaktivisten in der Öffentlichkeit verbreiten und sich hierbei fälschlicherweise auf ‚Sprachwandel‘ berufen“ würden. Das fördere die Polarisierung:

„Nicht zuletzt sorgt die vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien für erheblichen sozialen Unfrieden und das in Zeiten, in denen ohnehin zahlreiche gesellschaftliche Spaltungstendenzen zu beobachten sind.“

Das Theater geht weiter

Es gibt auch die Gegenbewegung zu dem Papier: Etwa das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) bezeichnet in einem aktuellen „Aufruf für Toleranz“ den Umgang mit der Kunstsprache als eine nicht verwunderliche „Veränderungen des Sprachgebrauchs“ – ganz so, als seien diese Veränderungen evolutionärer Natur und würden nicht einer unwilligen Bevölkerung aktiv übergestülpt. Sprache, so das Institut, sei kein statisches Gebilde und entwickle sich auch nicht in einem sozial unabhängigen oder ideologiefreien Raum.

Die Aussage, “die Sprachwissenschaft” stünde der Gendersprache kritisch gegenüber, entspricht nach Aussagen des Instituts nicht den Tatsachen. In Wirklichkeit gebe es einen sehr offenen Zugang dazu. So habe etwa die “Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft” dieses Jahr mit großer Mehrheit eine geschlechtergerechte Satzung verabschiedet.

Das Theater geht also weiter.

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Titelbild: keport / Shutterstock


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